Was in der Zwischenzeit geschah

Unser E-Mail-Newsletter ist wieder da. Nach fast einem Monat ohne E-Mail-Verteiler werden Service- und Debatten-Posts wieder per Mail angekündigt. Wir hoffen somit, alle Leser*innen in nächster Zeit wieder in gewohnte Weise und ohne technische Probleme zu erreichen und mit Informationen und Inhalten aus der Welt der politischen Theorie und Ideengeschichte zu versorgen.

Auch in der Zeit ohne E-Mail-Benachrichtigungen hat sich auf dem Blog einiges getan. Damit niemandem spannende Debattenbeiträge durch die Lappen gehen, möchten wir an dieser Stelle noch einmal auf die inhaltlichen Beiträge der letzten Wochen hinweisen. Die Service-Beiträge, Calls wie Veranstaltungsinformationen, sind wie gewohnt auf dem Blog einsehbar.

Unter dem Titel „Der realistische Utopist – John Rawls und die Theorie der Gerechtigkeit“ haben wir gemeinsam mit Soziopolis zum Rawls-Doppeljubiläum einen inhaltlichen Schwerpunkt organisiert:
Im ersten Teil widmet sich Mirjam Müller der feministischen Wirkungsgeschichte der Theorie der Gerechtigkeit, Wolfgang Eßbach kommentiert das in diesem Jahr in Neuauflage erschienene Über Sünde, Glaube und Religion von John Rawls und Christoph Möllers spricht im Interview mit Jens Bisky über Rawls’ Denken und die „Anmaßung der Gerechtigkeit“.
Teil II versammelt Beiträge von Jürgen Unger-Sirsch zu Rawls‘ Konzeption idealer und nicht-idealer Theorie und Bernd Ladwig zu den Implikationen seines Ansatzes für eine gerechte Regelung des Mensch-Tier-Verhältnisses. Darüber hinaus gibt es eine Kompilation von kurzen Texten, in denen unterschiedliche Autor*innen, darunter Jürgen Habermas, Beate Rössler und Hubertus Buchstein, drei Fragen zu John Rawls und ihrem persönlichen Bezug zu seinem Werk beantworten.

Gerne weisen wir auch an dieser Stelle noch einmal auf Simon Clemens‘ Lesenotiz zu Axel Honneths und Jacques Rancières „Unvernehmen oder Anerkennung“ hin.

Schließlich ist im November die Debatte um den Begriff der Sorge gestartet, zu der wir im Sommer in unserem vierten Call for Blogposts aufgerufen haben. Bisher sind vier Beiträge erschienen.

Ab morgen geht es hier mit Beiträgen Liza Mattutat, Feline Tecklenburg und Jasmin Behrends nahtlos weiter.

Wir wünschen weiterhin gute Lektüre.

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Der pandemische Schleier des Nichtwissens – Gerechtigkeitstheoretische Überlegungen aus Sicht der Neuen Phänomenologie

In unserer Debatte um den Begriff der Sorge rückt – nach Beiträgen zu einer Politik der Sorge, zu Sorgeverhältnissen im Sozialstaat sowie zur Sorge um die Seele – heute die Idee der Selbstsorge aus neuphänomenologischer Perspektive in den Blick.

Insbesondere die Anfangszeit der Corona-Pandemie lässt sich mit Hilfe der Neuen Phänomenologie gerechtigkeitstheoretisch fruchtbar aufschlüsseln. Mittels dieser Perspektivierung zeigen sich die Solidaritätsbekundungen mit Supermarktangestellten und Pflegekräften, wie sie im Frühjahr 2020 allenthalben zu beobachten waren, als das Ergebnis eines Realexperimentes im Sinne John Rawls. Denn während die beklagten Verhältnisse bereits lange bekannt waren, legte die mögliche Ansteckung mit SARS-Cov-2 einen pandemischen Schleier des Nichtwissens über die Gesellschaft. Nun konnte sich letztlich niemand mehr sicher sein, ob er oder sie es nicht am Ende selbst sei, der oder die die gesellschaftspolitischen Missstände am eigenen Leib zu spüren bekommt (vgl. hierzu auch Schulz 2020).

Triebkraft dieser gleichsam im Affekt gewonnenen Einsicht war die für „aufgeklärte“ Subjekte unangenehme, ja beinahe beschämende Erkenntnis, dass wir existenziell auf das Versorgtwerden durch andere angewiesen sind. Zwar bestimmt diese Tatsache vom Säuglingsalter durch Phasen der Krankheit und des Alterns unser gesamtes Leben, jedoch neigen wir in westlichen Gesellschaften offenkundig dazu, diesen Aspekt zugunsten individualistischer Autonomieversprechen beiseite zu drängen. Im Angesicht der Pandemie machte sich schließlich jedoch dasjenige breit, was ich im Folgenden als universelle Sorge des Nichtversorgtwerdens bezeichnen möchte. Da diese Sorge eng mit den institutionellen Missständen gesellschaftlicher Eingerichtetheit verbunden war, offenbarte sie ihren gerechtigkeitstheoretisch relevanten Kern. (mehr …)

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„Mit Rawls kann man immer nur das Ganze ändern“ – Christoph Möllers im Gespräch mit Jens Bisky über John Rawls und die Anmaßung der Gerechtigkeit

Jens Bisky: Hat „Die Theorie der Gerechtigkeit“ von John Rawls in Ihrer intellektuellen Sozialisation als Verfassungsrechtler eine Rolle gespielt?

Christoph Möllers: Eigentlich nicht, sie hat mich nie so richtig angezogen und daher bin ich erst relativ spät dazu gekommen. Und obwohl ich großen Respekt davor habe, ist es eine Theorie, die ich mir bis heute eher erkämpfen muss, als dass ich sie gerne lese. Das hängt einerseits, glaube ich, mit der spröden Darstellungsweise zusammen, die zwar der Sache geschuldet ist, aber natürlich auch erst einmal überwunden werden muss. Und andererseits hat meine Distanz ihren Grund in der Verbindung von Kantianismus und Utilitarismus, von analytischer und kontinentaleuropäischer Philosophie. Das ist das Erfolgsrezept dieser Theorie, aber man kann die Synthese auch als Kompromiss auffassen. Radikal utilitaristische Ansätze oder rein deontische erscheinen mir aufschlussreicher. (mehr …)

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Das Bedürfnis der Sozialkritik: Franck Fischbachs „Manifest für eine Sozialphilosophie“

Cover Fischbach (c) Transcript VerlagAuf Seite der „Beherrschten“ (71) manifestiert sich im neoliberalen Zeitalter mehr und mehr das Bedürfnis einer eingreifenden Sozialkritik – das ist die wunderbar konkrete und parteiische Motivation, die Franck Fischbachs  Manifest für eine Sozialphilosophie (jüngst auf Deutsch erschienen) konsequent antreibt (10, 17). Fischbach versucht hier die Sozialphilosophie als einen selbstbewussten und eigenständigen Diskurs der praktischen Philosophie zu etablieren, der dieses kritische Bedürfnisses reflexiv begleiten soll. Das Provokante dieses Versuches ist nun, dass er systematisch gegen die als hegemonial empfundene „klassische“ bzw. liberale politische Philosophie (bes. Rawls) gerichtet ist: Ihr Fokus auf die normativen Grundlagen einer gerechten politischen Ordnung produziere nämlich einen Begriff des Politischen, der letztlich apolitisch bleibt, weil er nicht das Soziale als einen „gespaltene[n] und grundsätzlich konfliktuelle[n] Raum“ (12) in den Blick bekommt, in dem jeder Impuls der Kritik jedoch operiert. Auf diese „Konfliktualität“ (87) insistiert dagegen Fischbach! Dadurch gibt er der Kritik ihre nötige Arena. Aber unterbestimmt bleibt dabei, wie sie dann in dieser Arena wiederum philosophisch und gesellschaftstheoretisch fundiert bzw. verortet werden soll. (mehr …)

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„Beyond Rawls and Consensus“: Wege der Regierung pluraler Gesellschaften jenseits des politischen Liberalismus

Istanbul steht aufgrund der Proteste gegen den autoritären politischen Kurs von Ministerpräsident Erdogan dieser Tage im Mittelpunkt der internationalen Medienöffentlichkeit. Die Bilder von Demonstrant/innen, die sich mit echten und improvisierten Gasmasken vor den Tränengaswolken zu schützen suchen und von Wasserwerfern oder Gummigeschossen der Polizei niedergestreckt werden, beherrschen die Titelseiten der Zeitungen. Nur wenige Tage bevor die Situation mit der ersten brachialen Räumungsaktion des Taksim-Platzes und des Protestcamps in dem dahinter gelegenen Gezi-Park am 11. Juni erneut gewalttätig eskalierte, kamen politische Theoretiker/innen und Philosoph/innen zu einer Tagung an der Fatih-Universität in Istanbul zusammen, um über  „Pluralismus und Konflikt“ zu diskutieren. (mehr …)

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CfP: John Rawls – zehn Jahre danach (Yale)

In Yale findet am 30. November, zehn Jahre nach dem Tod John Rawls, eine Konferenz zu „John Rawls: Past, Present, Future“ statt. Die vom dortigen Global Justice Program organisierte Veranstaltung wird dabei drei Papiere von Leuten unter 28 Jahren und drei Papiere von Leuten zwischen 28 und 37 auswählen und diskutieren. Travel Grants sind nur sehr begrenzt vorhanden. Wer sich trotzdem bewerben will, hat bis zum 1. Oktober Zeit einen maximal 5000 Wörter starken Draft einzusenden. Alle Infos findet ihr auf dem Flyer zur Konferenz.

[via Political Theory]

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Mit Selbstinteresse und Moral gegen die Weltarmut: eine Masterclass mit Thomas Pogge

Thomas Pogge verkörpert das Gegenteil des zurückgezogenen Intellektuellen, der sich nur mittelbar um die Belange der Menschen kümmert. Der wohl bekannteste Rawls-Schüler begibt sich stattdessen in die realen Widrigkeiten der Politik und Wirtschaft, um die Lebensbedingungen mehrerer hundert Millionen Menschen zu verbessern. Hatte sich John Rawls im Vorwort des Politischen Liberalismus explizit zur Abstraktheit und Theorielastigkeit seiner Überlegungen bekannt („Dafür entschuldige ich mich nicht“), zielt Pogges Werk direkt auf das politische Geschehen und die Beseitigung manifester Gerechtigkeitsprobleme. Um den Hintergrund dieses Anspruchs besser zu verstehen, versammelten sich 18 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu der Masterclass, die der politische Philosoph der Yale University an der Kollegforschergruppe „Normenbegründung in Medizinethik und Biopolitik“ der Uni Münster anbot. (mehr …)

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