Call for Blogposts: Sorge

Nach der positiven Resonanz der vergangenen drei Jahre schreibt der Theorieblog diesen Sommer zum dritten Mal einen Call for Blogposts aus. Nach „Heimat“ (2018), „Solidarität“ (2019) und „Neuanfang“ (2020) freuen wir uns in diesem Jahr über eure Ideen und Beiträge zum Thema „Sorge“.

Wir leben in einer Zeit der Sorge: Seit 2019 bringen Fridays for Future mit großer Kraftanstrengung die Vulnerabilität des Klimas und damit die Dringlichkeit von entsprechenden Klimaschutzmaßnahmen in die Mitte des öffentlichen Bewusstseins. Mit der seit 2020 andauernden COVID-19-Pandemie rücken nun zahlreiche weitere Bereiche in den Fokus: Deutlich wird die chronische materielle wie personelle Unterversorgung der Pflege von Alten und Kranken – gleiches gilt zunehmend auch für Kindergärten und Schulen. Auch die teilweise höchst zermürbende Situation von Familien zwischen Erwerbs- und Reproduktionsarbeit erhält in der Krise deutlich mehr Aufmerksamkeit: Klagen, die eine Ökonomisierung der Familien-, Pflege- und Gesundheitspolitik schon seit einigen Jahren anprangern, mischen sich nun vermehrt mit breiten gesellschaftlichen Sorgen.

Dabei ist der Begriff der Sorge alles andere als eindeutig. Allgemein verweist er auf einen inner-individuellen Zustand der Unruhe oder der Angst angesichts einer unsicheren, schwierigen oder auch belastenden Situation. Die Tätigkeit des Sorgens (und hieran ist der englische Begriff der „care” angelehnt) hingegen verweist auf Tätigkeiten des sich Kümmerns – etwa in Bezug auf konkrete körperliche wie seelische Pflege- und Unterstützungs- oder auch Erziehungsarbeit. Unter dem Begriff der „Self-Care” werden wiederum vor allem Praktiken und Programme einer radikalen Selbstoptimierung und Individualisierung verstanden, die nicht so sehr die Relationalität und Interdependenz des Sorgens betonen als diese zurückweisen. Gegen letztere Entwicklungen stellen sich bereits seit einigen Jahrzehnten queer-feministische, anti-rassistische wie auch ökologische Bewegungen. Diese versuchen, Sorge(n) als einen universellen Begriff zu etablieren, der die grundlegende Bedürftigkeit aller menschlichen wie nicht-menschlichen Lebewesen herausstellt und anmahnt, sorgende Praktiken in den Vordergrund von gesellschaftlichen Politiken zu stellen.

Der Sorge-Begriff firmiert jedoch auch in anderen Debatten: Der/die besorgte Bürger*in geistert vor allem seit 2015 durch Medien und Politik – angetrieben von Ereignissen wie den Fluchtbewegungen nach Europa im Sommer 2015 und zuletzt von einer als zu rigide empfundenen Pandemiepolitik. Oftmals wird mit dem Begriff eine diffuse Gruppe an Menschen bezeichnet, die sich in ihrer allgemeinen Lebenssituation bedroht fühlen – durch Geflüchtete, Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch durch den vermeintlichen Verlust ihrer Privilegien –, wobei ihre Sorge nicht selten in Wut oder Aggression und zuweilen in Gewalt umschlägt. Sorgen als Praktik liegt somit auch populistischen Phänomenen nicht fern, bilden sie in einer anders gelagerten Konnotation – etwa der Sorge um den eigenen Statusverlust – doch auch hier eine wesentliche Antriebsfeder.

Zwar spielt der Begriff der Sorge in zahlreichen politiktheoretischen Abhandlungen, mal mehr mal weniger dominant und ideengebend, eine Rolle und beeinflusst wesentliche theoretische Denkfiguren – angefangen bei Martin Heidegger und sich weiterentwickelnd über Hannah Arendt und Michel Foucault, wie Hannah Holm rekonstruierend darlegt oder jüngst der Versuch von Isabell Lorey ihn in demokratietheoretische Überlegungen einzubetten. Ein Grundbegriff der Politischen Theorie ist der Begriff der Sorge jedoch (bisher noch) nicht.

 

Ausgehend von der Aktualität des Begriffs möchten wir uns aus politiktheoretischer Perspektive mit dem Begriff der Sorge in all seinen Facetten auseinandersetzen und laden zur Einreichung von Beiträgen ein. Ziel ist es, den Begriff aus unterschiedlichen ideengeschichtlichen, politiktheoretischen oder politikphilosophischen Perspektiven in den Blick zu nehmen, zu erkunden, wertzuschätzen sowie zu erhellen, oder auch kritisch zu hinterfragen:

  • Wofür kann oder soll ein Sorge-Begriff im Kontext von Politik bzw. des Politischen stehen?
  • Wie anschlussfähig ist der Begriff aus ideengeschichtlicher, politiktheoretischer oder politikphilosophischer Perspektive?
  • Welche unterschiedlichen Deutungen des Sorge-Begriffs lassen sich mit unterschiedlichen politiktheoretischen Ansätzen erschließen?
  • Welche Phänomene kann der Begriff gewinnbringend erhellen? Welche Bereiche und Facetten aktueller gesellschaftlicher und politischer Herausforderungen kann er aber vielleicht auch nicht gebührend berücksichtigen?
  • In welcher Beziehung steht der Begriff zu anderen zentralen Grundbegriffen der politischen Theorie – z.B. zu Freiheit, Souveränität, Macht, Demokratie, Subjekt?

Die hier angerissene Diskussion und beleuchteten Perspektiven, wie auch über die aufgelisteten Fragen hinausgehende Aspekte, möchten wir gerne mit unserem Call for Blogposts erweitern. Wir freuen uns deshalb über Einreichungen in Form essayistischer Blogposts von 500 bis 1000 Worten Länge. Darüber hinaus laden wir jedoch auch explizit dazu ein, kurze Videos, Karikaturen oder andere künstlerische Formate oder gezielte Stellungnahmen in anderer Textform einzusenden.

Bitte schickt Eure Vorschläge bis Sonntag, den 19.09.2021 an team@theorieblog.de. Über eine Veröffentlichung entscheidet dann die Redaktion. Wir freuen uns auf facettenreiche Beiträge und eine anschließend lebhafte Diskussion.

 

Ein Kommentar zu “Call for Blogposts: Sorge

  1. Ich finde das dies die Themen sind die wirklich eine große Rolle in all unseren Gesprächen haben sollten.
    Leider ist es nicht selbstverständlich in der heutigen Zeit, zu wenige Menschen Interessieren sich für die wichtigen Dinge im Leben. Ich hoffe dies wird sich Zeitnah ändern. Nur durch Gespäche und Veranstaltungen kann sich das ändern. Ich werde diesen Block teilen. Wünsche allen viel Kraft.

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