Blogdebatte: Für eine „Artikulation“ der politischen Theorie mit der Ideengeschichte

Im Rahmen unserer Blogpost-Reihe zum Verhältnis von Politischer Theorie und Ideengeschichte plädiert Matthias Lorenz dafür, das Verhältnis zwischen Politischer Theorie und Ideengeschichte als „Artikulation“ zu verstehen, insofern kein notwendiges Verhältnis zwischen beiden besteht.

Wie steht es heute um das Verhältnis von politischer Ideengeschichte und politischer Theorie? Handelt es sich um zwei Momente einer Wissenschaft, um zwei distinkt voneinander geschiedene Forschungsfelder oder eröffnet sich zwischen beiden ein Graubereich ungeklärter Zuständig- und undifferenzierter Verantwortlichkeiten? Wenn wir die Frage nach dem heutigen Verhältnis von Theorie und Ideengeschichte aufwerfen, liegt dem bereits eine implizite Annahme zugrunde: der theoretische Bezug aufs Historische ist selbst historisch. Ihr heutiges Verhältnis unterscheidet sich von vergangenen und womöglich auch von kommenden. Aus Perspektive der Theorie bearbeitet die Ideengeschichte das Historische des politischen Denkens, mithin die eigene Geschichte. Die Ideengeschichte scheint der Theorie bei- oder nachgeordnet. Doch wenn das Verhältnis zwischen beiden selbst historisch ist, bleibt ihre Relation nicht immer dieselbe. In der Geschichte des politischen Denkens stoßen wir daher auf höchst unterschiedliche Artikulationsweisen zwischen den beiden. Ich möchte an dieser Stelle vorschlagen, das Verhältnis von politischer Theorie und Ideengeschichte als Artikulation zu verstehen. Ihre Relation als Artikulation zu fassen, hat zwei entscheidende Vorteile: Einerseits ermöglicht sie es, die wesentliche Kontingenz der Relation von Theorie und Ideengeschichte in den Blick zu nehmen wie andererseits ein starkes Argument zugunsten ihrer Verbindung zu formulieren.

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Blogdebatte: Kämpfe ihrer Zeit, Kämpfe unserer Zeit

Im Rahmen unserer Blogpost-Reihe zum Verhältnis von Politischer Theorie und Ideengeschichte fragt Sebastian Dute danach, ob Ideengeschichte ihre kritische, gegenwartsbezogene Funktion nicht gerade dadurch erfüllen kann, dass sie konsequent historisiert. 

Einer der im Call für diese Blogdebatte vorgeschlagenen Diskussionspunkte wirft die Frage auf, wie ideengeschichtliche Forschung aussehe, „die ‚offen‘ genug ist für politiktheoretische Fragen“. Mir scheint, dass diese Frage eine in der aktuellen politiktheoretischen Diskussion geläufige Intuition abbildet, nach der der Nutzen ideengeschichtlicher Forschung für die Theoriebildung daran gemessen wird, inwiefern sie das von ihr aufgearbeitete und angeordnete Material an bestimmte Rezeptionsbedürfnisse anpasst. Eine derart auf ihre „Arsenalfunktion“ (Llanque 2008: 2) reduzierte Ideengeschichte geht häufig auf Kosten eines ihrer Kerngeschäfte, das in der Historisierung politischer Ideen liegt, mittels derer sie die Genese dieser Ideen aus sowie ihre Geltung in bestimmten historischen Kontexten erklären will. Im Folgenden geht es mir keineswegs darum, aktualisierende und kreative Aneignungen des ideengeschichtlichen Fundus zu diskreditieren. Stattdessen möchte ich zwei kritische Funktionen hervorheben, die ideengeschichtliche Ansätze für die politiktheoretische Forschung gerade durch eine konsequente Historisierung erfüllen können. Zum einen konfrontieren sie einschränkende Denkhorizonte der Gegenwart mit der Alterität vergangener Ideen und leisten damit einen Beitrag zu ihrer potenziellen Ausweitung, zum anderen können sie über die Modalitäten aufklären, unter denen sich theoretische Interventionen – auch in der Gegenwart – als zeitbezogene Praxisformen vollziehen. 

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Blogdebatte: Warum die Frage nach der Aktualität der Ideengeschichte nicht hilfreich ist

Im Rahmen unserer Blogpost-Reihe zum Verhältnis von Politischer Theorie und Ideengeschichte plädiert Ieva Höhne dafür, Theoriebildung und historische Quellenforschung weitgehend getrennt zu betreiben – Ideengeschichte also keinem Aktualisierungsimperativ zu unterwerfen.

Die Ermutigung des Redaktionsteams aufnehmend, die Überlegungen zum Verhältnis von politischer Theorie und Ideengeschichte „streitlustig“ zu präsentieren, möchte ich diesen Beitrag einem Vorbehalt gegen das „Und“ widmen. Mein Fokus gilt also der Frage, inwiefern sich die beiden „im Wege stehen“, und ich möchte diese Frage noch weiter präzisieren, indem ich im Folgenden skizziere, wie eine ungünstige Verknüpfung beider Forschungsperspektiven oder -anliegen aussieht. Diese ungünstige Verknüpfung, gegen die sich die von mir im Weiteren aufzugreifenden Wissenschaftler/-innen (Kurt Flasch, Quentin Skinner, Bernard Williams, Xinzhi Zhao) aussprechen, heißt Aktualisierung; daher unternehme ich im Folgenden Aktualisierungskritik. Es ist eine Kritik, die das Verhältnis der politischen Theorie und Ideengeschichte von der Warte der letzteren aus betrachtet; allerdings lässt sich argumentieren, dass ein geschichtswissenschaftlich nicht vertretbarer Umgang mit ideengeschichtlichem Material auch systematisch keinen Vorteil verschafft. 

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Blogdebatte: Getrennte Wege? Zum Verhältnis von Politischer Theorie und Ideengeschichte 

Liebe Theorieblog-Leser:innen, 

auch in diesem Jahr hat es zahlreiche Einsendungen in Antwort auf unseren Call for Blogposts zum Verhältnis von Politischer Theorie und Ideengeschichte gegeben. Wir bedanken uns an dieser Stelle noch einmal bei allen Autor:innen, die Beitragsvorschläge eingesendet haben. 

Die Texte, die wir in dieser und der kommenden Woche veröffentlichen, beschäftigen sich mit dem „Und, das Politische Theorie und Ideengeschichte verbindet (oder trennt?). Sie streiten für die Eigenständigkeit der Ideengeschichte und eine kritische Funktion der Historisierung oder plädieren, umgekehrt, für einen kreativen Anachronismus bei der Verknüpfung der beiden Herangehensweisen bzw. zeigen auf, inwiefern die Theoriebildung ideengeschichtliche Konzepte für die Gegenwart aktualisieren kann. Zudem beschäftigen sie sich mit der Rolle von Epochalisierung als ideengeschichtliches Argument.

Die ausgewählten Beiträge werfen spannende systematische und praktische Fragen auf, die zu kontroversen Diskussionen einladen. Alle Leser:innen sind deshalb wie immer herzlich eingeladen, aktiv mitzudiskutieren. Mit Zustimmung und Kritik, Ergänzungen und alternativen Perspektiven können die Kommentarspalten gefüllt werden. Wir freuen uns auf eine möglichst lebendige und vielfältige Debatte.  

Alle Beiträge werden wir mit ihrem Erscheinen verlinken, sodass dieser Post eine Übersicht über die Debatte bieten wird. 

Wir freuen uns sehr auf die kommenden Wochen und wünschen viel Spaß beim Lesen und Diskutieren!  

Euer Theorieblog-Team.  

Die Beiträge zu unserer Zeit-Debatte in chronologischer Reihenfolge: 

P.S.: Der Call for Blogposts ist für uns zu einer Tradition geworden. Wer noch einmal zurückblicken mag, findet die vorangegangenen Blogpost-Reihen zu den Themen „Heimat“ (2018), „Solidarität“ (2019), „Neuanfang“ (2020), „Sorge“ (2021), „Souveränität“ (2022) und „Zeit“ (2023) natürlich weiterhin hier bei uns auf dem Blog.

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Konferenz: „Decolonizing Epistemologies: Learning from and with Social Movements in Brazil” (Berlin)

Am 14. und 15. November organisiert der Lehrstuhl Theorie der Politik an der Humboldt-Universität zu Berlin in Kooperation mit der Pontifical Catholic University of Rio de Janeiro eine Konferenz zum Thema: „Decolonizing Epistemologies: Learning from and with Social Movements in Brazil“. Es geht um Fragen wie: Wie kann man sich dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit aus der Perspektive derjenigen nähern, die unter rassistischer staatlicher Gewalt und Umweltzerstörung leiden und sich dagegen wehren? Was bedeuten Begriffe wie „Konstitutionalismus“, „Gerechtigkeit“ und „Recht“, wenn man eine „weiße, eurozentrische Perspektive“ durch feministische oder indigene Sichtweisen ersetzt? Veranstaltungsort ist das Auditorium des Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrums in der Geschwister-Scholl-Straße 3, 10117 Berlin. Die Veranstaltungssprache ist Englisch. Weitere Informationen und das Programm finden sich hier.

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Frankfurter Dagmar-Westberg-Vorlesungen: Christine M. Korsgaard über Kants praktische Philosophie

Von 4. bis 6. November 2024 wird die amerikanische Philosophin Christine M. Korsgaard die diesjährigen Dagmar-Westberg-Vorlesungen an der Goethe-Universität Frankfurt am Main halten. Ihr Werk widmet sich unter anderem der Rechtfertigung menschlicher Würde, einer Grundlegung richtigen Handelns und der Begründung des moralischen Status von Tieren. In den Frankfurter Dagmar-Westberg-Vorlesungen geht sie in drei Vorträgen zentralen Fragen der Praktischen Philosophie Kants nach: Der erste Vortrag beschäftigt sich mit dem unvergleichlichen Wert des Individuums und ergründet, was es eigentlich heißt, „Zweck an sich selbst“ zu sein. Der zweite Vortrag ist dem Zusammenhang von richtigem und gutem Handeln gewidmet und weist als wesentliches Kennzeichen deren Autonomie aus. Im dritten Vortrag wird schließlich Moralität als Bedingung von Freiheit thematisch. Die Vorlesungen finden jeweils von 18 bis 20 Uhr am Campus Westend (Haus Normative Ordnungen, Raum EG 01) statt.

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CfPs für die ECPR Joint Sessions 2025 in Prag

Aktuell läuft der Call for Papers für die ECPR Joint Sessions 2025 in Prag. Politische Theorie und Ideengeschichte sind dabei auf den ersten Blick weniger prominent vertreten als zuletzt in Lüneburg. Aber auch 2025 finden sich Workshops, die thematisch für ideengeschichtliche und theoretische Forschung interessant und anschlussfähig sind bzw. ganz explizit nach konzeptuellen, ideengeschichtlichen und/oder theoretischen Beiträgen fragen. Eine Auwahl haben wir hier zusammengestellt:

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Workshop: „Kapitalismus und unsichere Positionen von Minderheiten“ (Gießen)

Am 4. und 5. November 2024 wird an der Justus-Liebig-Universität Gießen im Rahmen des SFB „Dynamiken der Sicherheit“, des Politische Theorie Kolloquiums und der GGS Sektion „Menschenrechte und Demokratie“ ein Workshop unter dem Titel „Kapitalismus und unsichere Positionen von Minderheiten. Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus durch die Brille materialistischer Kritik betrachtet“ stattfinden. Im Workshop soll herausgearbeitet werden, auf welche Weise kapitalistische Akkumulations- und Subjektivierungsformen berücksichtigt werden müssen, um den Besonderheiten von Antisemitismus, Rassismus und Antiziganismus in der Theoriebildung gerecht zu werden. Um Anmeldung bis zum 28.10.2024 wird gebeten an: anna-sophie.schoenfelder[at]sowi.uni-giessen.de. Weitere Informationen hier.

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Vortrag zur Auto-Ikone Jeremy Benthams in Münster

Ein wenig etwas Anderes und jahreszeitlich nicht ganz Unpassendes gibt es für ideengeschichtlich und theoretisch Interessierte nächste Woche in Münster: Michael Quinn (London) spricht über „Corpses as instruments of well-being. Jeremy Bentham’s Auto-Icon and the status of dead bodies“. Es geht dabei um die wissenschaftlichen und öffentlichen Auseinandersetzungen um die ‚Auto-Icon‘ des 1832 verstorbenen Philosophen, dessen mumifizierter Körper bis heute im University College London ausgestellt ist. Los geht es am Dienstag, 29.10.24, um 18.15 Uhr, im Hörsaalgebäude des Exzellenzclusters (Johannisstr. 1), Raum JO 1. Weitere Infos zum Vortrag wie zum Themenjahr „Körper und Religion“ des Exzellenzclusters finden sich online hier.

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Blogdebatte: Theoriebildung als Waffenschmiede

Im Rahmen unserer Blogpost-Reihe zum Verhältnis von Politischer Theorie und Ideengeschichte plädiert Imadé Aigbobo dafür, Theoriebildung als Mittel zu betrachten, fragwürdige Kanon-Entscheidungen zu hinterfragen und Rezeptionsblockaden aufzulösen.

Warum braucht die Ideengeschichte die Politische Theorie? Weil die Ideengeschichte das Archiv und Arsenal politischer Ideen nicht nur verwaltet, sondern ständig neu ordnen muss, um lebendig und relevant zu bleiben. Die Theoriebildung kann hierbei kreative Impulse setzen, Rezeptionsblockaden lösen, vermeintlich im Archiv verstaubte politische Ideen für gegenwärtige Kontexte aktualisieren und so das Arsenal dynamisieren. Am Beispiel der Wiederentdeckung Max Stirners durch Saul Newman will ich zeigen, wie eine politische Theorie geschichtlich marginalisierte Konzepte reaktiviert, sie in gegenwärtige Deutungskämpfe überführt und für das Arsenal waffenfähig macht. 

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Blogdebatte: Epochalisierung als ideengeschichtliches Argument in der Politischen Theorie

Im Rahmen unserer Blogpost-Reihe zum Verhältnis von Politischer Theorie und Ideengeschichte fragt Marcus Llanque nach der Bedeutung von Epocheneinteilung für die Legitimation von Politischen Theorien.

Theorien können bekanntlich deskriptiv wie normativ begründet werden; die ideengeschichtliche Argumentation fügt diesen Strategien weitere hinzu, eine davon ist die Legitimation durch Epochalisierung. Der Akt der Einteilung von Geschichte in Epochen, Ären, Perioden, Zeitaltern war nie nur rein archivarischer Art. Von Beginn an bedeutete die Abgrenzung nach Epochen ein Werturteil, das nicht nur die chronologische Positionierung betrifft, sondern auch die inhaltliche Bedeutung. Periodisierungen, vor allem Epochalisierungen fügen die ideengeschichtliche Zeit als Argument in die Politischen Theorie ein. Jede Bestimmung eines Zeitalters, in welchem die eigene Gegenwart sich angeblich befinden soll, nimmt eine ideengeschichtliche Argumentation vor, die theoretische Konsequenzen hat, denn aus ihr folgt die anhaltende Relevanz der einen Texte und die historische Marginalisierung anderer.

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