Die Bundeszentrale für politische Bildung als Förderer innovativer Formate?

Wir setzen unseren Schwerpunkt „Politische Theorie und Politische Bildung“ mit einem Beitrag von Alexander Wohnig fort, der anhand eines Modellprojektes zeigt, was es heißen kann, politische Partizipation zu einem Ziel politischer Bildung zu machen.

Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) ist eine der zentralen Institutionen im Feld der politischen Bildung. Als Bundesanstalt im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern wird ihr teilweise eine staatstragende Funktion zugeschrieben, mit der ein Fokus auf affirmative, d.h. an die bestehenden Verhältnisse anpassende politische Bildung einhergehen könnte. Dagegen zeigen konkrete Projekte, die in den Verantwortungsbereich der bpb fallen, dass hier (bei allen Einschränkungen) auch kritische, Widerspruch erzeugende und auf Demokratisierung drängende Projekte entstehen. Im Folgenden soll ein kurzer exemplarischer Einblick in ein konkretes Projekt gegeben werden, das als innovativ (statt als bewahrend) beschrieben werden kann und das in seiner Begründung auf politiktheoretischen Argumenten fußt, in deren Konsequenz die Erfahrung politischer Partizipation als zentraler Aspekt von Bildung in der Demokratie und für die Demokratie definiert wird.

Innovation in der politischen Bildung?

Geht es um die Frage, wie im Feld der politischen Bildung Innovationen hervorgebracht werden, so wird immer wieder auf die außerschulische politische Jugendbildung verwiesen. Innovationen im Feld der politischen Bildung sind notwendig, da politische Bildung immer wieder mit gesellschaftspolitischen Veränderungen umgehen muss. Die außerschulische politische Jugendbildung wird dabei als der Ort beschrieben, an dem innovative Formate erprobt, neue Themen behandelt, eingefahrene Verhältnisse zwischen Pädagog*innen und Teilnehmenden aufgebrochen und auch auf der Zielebene Neues gewagt würde. Es ließe sich argumentieren, dass Innovationen weniger im Zentrum stattfinden (in Bezug auf politische Bildung: in der Schule), sondern eher am Rand (hier: außerschulische politische Jugendbildung), wo der Konformitätsdruck (bspw. durch Notengebung, staatliche Lehrpläne) nicht so hoch ist. Und tatsächlich scheinen gerade in der außerschulischen politischen Jugendbildung institutionelle und räumliche (im sozialen Sinne, d.h. im Hinblick auf die Frage, welcher soziale Sinn dem Raum eingeschrieben ist) Bedingungen zu herrschen, in denen Bildung sich als Experiment begreifen lässt. Dies täuscht allerdings nicht darüber hinweg, dass innovative Bildungssettings zum einen innovativer Ideen(träger*innen) und zum anderen einer Finanzierung bedürfen. Eine zentrale Möglichkeit für die außerschulische politische Jugendbildung neben der Regelfinanzierung solche Experimente durchzuführen, bietet die Bundeszentrale für politische Bildung mit ihrer Modellprojektförderung. Dabei werden immer wieder neue Wege beschritten, auch wenn sie an der Grenze dessen verlaufen, was als politische Bildung von ihr finanziert werden darf. Eine – aus Sicht des Autors sehr fragwürdige – Beschränkung betrifft die Unmöglichkeit, politische Bildungsformate zu fördern, die politische Partizipation in der Form realer politischer Aktionen zentrieren. Dass dies in dem Modellprojekt „Politische Partizipation als Ziel der politischen Bildung“ trotzdem möglich war, hat auch damit zu tun, dass die bpb dieses Projekt selbst als ein Experiment begriff, in dem politische Aktionen als Bildungsgelegenheit verstanden wurden.

Politische Partizipation als Ziel der politischen Bildung?

Kontext des Modellprojekts war, politische Partizipation als Ziel der politischen Bildung zu begreifen. Dieses Ziel ist auch aus der Beschäftigung mit der Politischen Theorie entstanden. Als Bezugsdisziplin der politischen Bildung liefert hier die Politikwissenschaft, in Form der Politischen Theorie, die normative Begründung der Zielperspektive politischer Bildung. Dabei steht die Frage im Vordergrund, welche Rolle politische Partizipation in den jeweiligen Politischen Theorien spielt und was die jeweilige Begründung uns in Bezug auf die Aufgaben und Ziele politischer Bildung sagen kann. So ließe sich etwa argumentieren, dass im Sinne der liberalen Denktradition politische Bildung die Befähigung zur Wahrnehmung liberaler politischer Partizipation, im Sinne einer politischen Grundbildung anstreben sollte. Mit Verweis auf die Theorietradition des Republikanismus ginge es stärker um eine Befähigung und Anleitung zur Inanspruchnahme der Partizipationsrechte, die einen intrinsischen Wert haben. Ebenso ließen sich Begründungen formulieren, die stärker auf Konfliktkompetenz fokussieren und damit politische Partizipation von Menschen in politischen Konflikten fördern.

Zudem ließe sich in Bezug auf die Begründung politischer Partizipation, d.h. nach normativen Quellen politischen Handelns fragen, die in politischen Bildungsprozessen reflektiert werden können, etwa Tradition, Gerechtigkeit und Widerstand (nachzulesen in einem Beitrag von Michael Haus in der ersten in diesem Beitrag verlinkten Publikation). Zu fragen wäre, welche Folgen die Begründungen jeweils für politische Bildung haben. Und letztlich wäre, mit dem Verweis auf die philosophische Pädagogik John Deweys, der Frage nachzugehen, in welchem Verhältnis (politische) Bildung und Erfahrung(en mit politischer Partizipation) stehen.

Der Freiraum, den die Förderung des Modellprojektes „Politische Partizipation als Ziel der politischen Bildung“ als Experiment schaffte, machte es nicht nur möglich, diesen normativen Fragen nachzugehen. Vielmehr konnten die Begründungen, die auf der Ebene der Politischen Theorie und der Bildungstheorie für die Frage nach dem Stellenwert politischer Partizipation für politische Bildung sowie individuelle und kollektive politische Bildungsprozesse ins Feld geführt wurden, in Praxisexperimente übertragen werden. So wurde politischer Bildung mit Verweis auf republikanische und pragmatistische Ansätze der Politischen Theorie die Aufgabe zugesprochen, Erfahrungsräume für politische Partizipation zu schaffen, die wiederum als Bildungsgelegenheiten verstanden werden können. Zentral gesetzt ist der Erfahrungsbegriff: Das demokratische Subjekt konstituiert sich eben auch in und durch demokratische(n) Partizipationserfahrungen. Gerade vor dem Hintergrund realer Ungleichheitsverhältnisse und Erkenntnissen zur Wirkung von Ungleichheit auf politisches Partizipationsverhalten und der Ungleichheitsreproduktion, die Bildung im Allgemeinen und politischer Bildung im Speziellen eingeschrieben ist, war es ein Anspruch, politische Partizipation im Kontext anleitender, begleitender und reflektierender Settings der politischen Bildung erfahrbar zu machen. Die Förderung ermöglichte somit einen Dialog zwischen Theorie und Praxis, ein modellhaft-experimentelles Erproben sozialwissenschaftsdidaktischer und -pädagogischer Überlegungen auf der Basis normativ-theoretischer Aufgabenbestimmungen (etwa: Förderung politischer Partizipation als Ziel der politischen Bildung).

Bildungspraktische Umsetzung und Erkenntnisse

Das Modellprojekt bestand im Kern aus zwei mehrtägigen außerschulischen politischen Bildungsseminaren. Teilnehmende in Klassenverbünden (aller Schulformen und jeglicher Klassenstufe) konnten dabei offen ein politisches, gesellschaftliches oder ökonomisches Thema wählen, mit dem sie sich beschäftigen wollten und das ein relevantes Problem darstellte (etwa Fast-Fashion). Anschließend analysierten sie diesen Konflikt, planten eine politische Aktion (etwa Infostand, öffentliche Protestschreiben an Textilunternehmen) und führten diese durch. Im zweiten Bildungsseminar wurden diese Aktionen kriteriengeleitet reflektiert. Bildungspraktisch hat die Begründung der Aufgabe politischer Bildung, politische Partizipationserfahrungen zu ermöglichen, mehrere Konsequenzen:

  • Da Schulen oftmals (strukturelle) Probleme haben, Freiräume für reale politische Partizipation zu schaffen, wurde das Projekt als Rahmen für Kooperationen zwischen Schulen und außerschulischen politischen Bildungsträgern genutzt. Letztere teilen in ihrem Professionsverständnis die Auffassung, dass im Kontext sozialwissenschaftlicher Bildungsprozesse auch politisches Handeln ermöglicht werden kann.
  • Studien zum politischen Interesse von Kindern und Jugendlichen mit einem Fokus auf Ungleichheit zeigen, dass die Frage, wer bestimmt, was als politisch gelten und wer politisch sprechen darf, einen Einfluss hat auf die eigene Wahrnehmung als (un)politischer Mensch, bzw. als Individuum, das das Recht hat, politisch zu sprechen und in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Die Reflexion des Politikverständnisses sowie der Strukturen, die die ungleiche Verteilung von politischer Berechtigung beeinflussen, wird daher als besonders zentral für solche sozialwissenschaftliche Bildungsansätze angesehen, die politische Partizipation anleiten, begleiten und reflektieren wollen. Zudem wird ein subjektorientierter Zugang als besonders geeignet begriffen, der es den Bildungssubjekten ermöglicht, selbst für sie relevante politische, gesellschaftliche und ökonomische Probleme und Konflikte zu identifizieren.
  • Die Planung der eigenen politischen Partizipation wird eng verknüpft mit einer konfliktdidaktischen Konzeption, die den Schwerpunkt auf eine kritische sozialwissenschaftliche Analyse der von den Teilnehmenden gewählten Konflikte und Probleme legt. Auf der Grundlage dieser Analyse kann politische Partizipation geplant oder angepasst werden.
  • Politische Partizipation als eigenes reales Handeln (und nicht nur durchdachtes oder simuliertes Handeln, wie es in der schulischen politischen Bildung oftmals praktiziert wird) gilt als Bildungsanlass. Bildungsgelegenheiten finden sich in der Planung und der Reflexion des Handelns und müssen politikdidaktisch und/oder -pädagogisch aufgegriffen werden. Eine kriteriengeleitete Reflexion der Partizipation ist daher – neben der kritischen konfliktdidaktisch strukturierten Analyse – der zweite Fokus der sozialwissenschaftlichen Bildungsprozesse im Kontext des Projektes. Dabei spielen auch aktuelle gesellschaftstheoretische und zeitdiagnostische Überlegungen eine zentrale Rolle. So kann etwa reflektiert werden, inwiefern politische Partizipation eine durchgreifende Wirkung entfaltet oder ob sie Teil einer simulierten politischen Praxis ist. Die Erfahrungen können so auf die Ebene der Reflexion demokratietheoretischer Fragen „angewendet“ werden.
  • Gerade Teilnehmende, die sich selbst als „unpolitisch“ erzählen – eine Selbstbezeichnung, die sie von einer wahrgenommenen Fremdbezeichnung übernehmen (Dualismus: Fremd- und Selbstausschluss), beschreiben die politischen Partizipationserfahrungen als außergewöhnlich und „erfolgreich“. Wichtig erscheint hier das Erfahren der eigenen Aktivität im öffentlichen Raum, nicht der „objektive Erfolg“ im Sinne der Durchsetzung der artikulierten Forderungen.

Innovationen im Feld der politischen Bildung können in der außerschulischen politischen Bildung, etwa in von der Bundeszentrale für politische Bildung geförderten Modellprojekten, erzeugt werden. Für den Fall des hier vorgestellten Modellprojektes zeigt sich, dass politiktheoretische Begründungen experimentell erprobt werden können: Das Erfahren politischer Partizipation wird mit Rückgriff auf republikanische und pragmatistische Ansätze der Politischen Theorie als zentral für Bildung in der und für die Demokratie bestimmt und in Praxisprojekten in der außerschulischen politischen Jugendbildung erprobt. Die Ergebnisse lassen sich in Form von politikdidaktischen Überlegungen in schulische Konzepte politischer Bildung transformieren.

 

Alexander Wohnig ist Juniorprofessor für Didaktik der Sozialwissenschaften und hat das von der bpb geförderte Modellprojekt „Politische Partizipation als Ziel der politischen Bildung“ (2016-2019) in einem partizipativen Forschungssetting wissenschaftlich begleitet.

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