Wir setzen die Blogpost-Reihe zum Thema Zeit fort mit einem Beitrag von Brigitte Bargetz, Nina Elena Eggers und Sara Minelli, der analysiert, inwiefern der autoritäre Populismus eine spezifische Politik der Zeitlichkeit betreibt.
„Haben wir unsere Zukunft verspielt? Nein, aber viel Zeit bleibt nicht mehr. Wir müssen handeln – und zwar hier und jetzt!“ Der österreichische Journalist, Jurist und Populist Tassilo Wallentin verbindet in seinem Buch „Hier und Jetzt: Wie wir unser Land noch retten“ (2022) die Erzählung des Verfalls der Gegenwart mit einem aktionistischen Aufruf zum Handeln. Um den drohenden Untergang noch abzuwenden, müsse nicht nur das „Land“ selbst, sondern vielmehr die Zukunft dieses Landes „gerettet“ werden. Wallentin inszeniert hier eine apokalyptische Erzählung, die sich einer autoritär-populistischen Rhetorik bedient. Aus der Krise, die sich von der Vergangenheit in die Gegenwart zieht, kann demnach nur er das Volk herausführen. Sein Versprechen: das ohnmächtige Volk vor dem nahenden Untergang zu bewahren und ihm so seine Zukunft zu sichern.
In Wallentins Erzählung erkennen wir einen symptomatischen zeitlichen Modus des autoritären Populismus: Autoritär-populistische Politiken intervenieren in den gegenwärtigen Moment der Krise. Sie bieten eine Politik der Zeitlichkeit an, die der politischen Ohnmacht und Zukunftslosigkeit in der multiplen Krise der Gegenwart etwas entgegenzusetzen verspricht. Es ist die Idee, unmittelbar handeln zu können und sogar zu müssen und dadurch zugleich eine imaginäre Vergangenheit wiederherzustellen, die von den Krisen der Gegenwart befreit ist. Um diesen Modus zu fassen, schlagen wir in unserem Beitrag den Begriff der autoritär-populistischen Vergegenwärtigung vor. Damit meinen wir eine Form der Vergegenwärtigung von Vergangenheit und Zukunft, die sowohl konservativ-beständig als auch aktionistisch-transformativ ist, gerade weil sie den Konservatismus mit einem aktionistischen Handeln verbindet.
Neues oder altes Spiel mit der Zeit?
Ebendiese Zeitpolitiken sind gleichwohl nicht neu. Bereits 1934 hatte Ernst Bloch darauf hingewiesen, dass die Nazipropaganda auf Zeitdarstellungen zurückgriff, die in der Lage waren, „zu verführen“, wie er es ausdrückte. Eine ihrer Stärken bestand darin, dass sie an Vorstellungen der Vergangenheit und Antizipationen der Zukunft appellieren konnte, wie es für die explosive Zeitlichkeit einer von Krisenängsten geprägten Gesellschaft charakteristisch ist. So etwa bezog sich die Idee des „Dritten Reichs“ auf mächtige, in der christlich-religiösen Vorstellungswelt verankerte Heilsvorstellungen, die einen Ausweg aus der Krisensituation versprachen. Der Zerstörung der Alten Welt und dem Gefühl des Untergangs und der Apokalypse setzte das nationalsozialistische Regime die Visionen einer unendlichen Zeitlichkeit des „Tausendjährigen Reichs“ (Millenarismus), einen palingenetischen Mythos der Wiedergeburt und die Bildung eines „neuen Menschen“ entgegen.
Wenn wir Blochs Einschätzung der nationalsozialistischen Zeitpolitik aufgreifen, wird erkennbar, dass es auch heute rechte Parteien und Bewegungen sind, die durch ein gekonntes Spiel mit der Zeit multiple Krisen für sich zu nutzen wissen. Dabei handelt es sich um spezifische Angebote, die zwar Ähnlichkeiten zur politischen Mobilisierung in der Weimarer Republik aufweisen, die jedoch nicht eins zu eins den Rechtsextremismen bzw. Faschismen zu Beginn des 20. Jahrhunderts gleichen. Auch in den faschistischen Bewegungen war die Wiederherstellung einer vermeintlich glorreichen Vergangenheit – wie z. B. das imperiale Rom – eng verbunden mit dem, was Fernando Esposito and Sven Reichardt einen „aktionistischen Glauben an die Möglichkeit, eine neue Gesellschaft zu schaffen und zu gestalten“, nennen. Anders als heute jedoch war die politische Handlung auf eine „ewige“ Zukunft gerichtet, in die die Faschismen die sogenannte „Volksgemeinschaft“ einschreiben wollten. In der autoritär-populistischen Vergegenwärtigung scheint stattdessen, wie wir argumentieren, das aktionistische Versprechen auf eine Unmittelbarkeitszukunft im Unterschied zur ewigen Zukunft des Faschismus zentral zu sein. Ansonsten folgt sie aber einer erschreckend ähnlichen Partitur: Sie wirft einen „konservativen“ Blick in die Vergangenheit, gerade um daraus eine in die Zukunft gerichtete Geschichte zu erzählen, und ruft zugleich nach einer sofortigen Veränderung im Hier und Jetzt.
Vom Konservatismus zum revolutionären Konservatismus
Für Karl Mannheim ist Konservatismus im Gegensatz zum revolutionären Erleben und Denken gerade nicht auf das „zukünftig Mögliche“ gerichtet, sondern am Vorhandenen und Konkreten orientiert. Der gegenwärtige Konservatismus hingegen verschmilzt mit einem „revolutionären“, in die Zukunft gerichteten Gestus. In diesem radikalisierten Konservatismus, wie ihn Natascha Strobl nennt, wird die Bestrebung des Konservatismus, den Status quo zu erhalten, mit dem Aufruf der extremen Rechten zur schnellen und umfassenden Transformation verbunden. Somit wird der konservative Blick in die Vergangenheit über die Gegenwart hinaus in die Zukunft verlängert.
Deutlich wird dies etwa an Trumps Politik, wenn er im Eiltempo den Mauerbau an der Grenze zu Mexiko forciert. Damit greift Trump gestaltend in die Zukunft ein und manifestiert das Ziel, ein niemals gewesenes weißes Amerika bewahren zu wollen. Ebenso inszeniert er auf aktionistische Weise sein populistisches Wahlversprechen: In einer beschleunigten Politik des „bewussten Regelbruchs“ wird unmittelbare Handlungsmächtigkeit versprochen. Eine idealisierte Vergangenheit und eine Politik der Zukunft werden ins Hier und Jetzt geholt, indem mit dem Bruch ein Neuanfang signalisiert und gezeigt wird, dass die radikal konservativen Regelbrecher*innen nicht zum Establishment gehören. In diesem Sinne bedient Trump – auf der Klaviatur der Selbstinszenierung spielend – das Image, unangepasst, revolutionär und eben nicht spießig-konservativ zu sein. Autoritäre Populist*innen eröffnen durch ein solches Agieren einen Vorstellungs- und Handlungsraum für das „zurzeit Unmögliche“ und tragen zur „Verschiebung der Realität“ bei. In dieser Gleichzeitigkeit von Kontinuität und Bruch, von Bewahrung und Neuanfang sehen wir ein zentrales Merkmal autoritär-populistischer Vergegenwärtigung. Diese bindet ein bewahrendes konservatives Narrativ in eine beschleunigende Praxis des Aktionismus ein und verspricht darüber eine unmittelbar verfügbare Zukunft. Das Versprechen auf Handlungsmacht des autoritären Populismus greift also gerade deshalb, weil es im Modus der Vergegenwärtigung Retrotopie und Utopie produktiv verbinden kann.
Apokalypse und Aktionismus
Der autoritäre Populismus verweist dabei auf ein apokalyptisches Narrativ, also eine Erzählung von Krise und Untergang, die an ein Heilsversprechen in der Zukunft geknüpft wird. Diese ist anachronistisch arrangiert: in die Zukunft gerichtet, zielt sie jedoch nicht auf den Beginn von etwas Neuem, sondern will den (vermeintlich) vollkommenen Zustand „vor der Krise“ und damit eine (immer schon idealisierte) Vergangenheit wiederherstellen. Nicht zuletzt zeigt sich auch hier ein radikalisierter Konservatismus. Denn die apokalyptische Erzählung bedient auch eine aktivistische Rhetorik: Sie versucht, die angerufenen Subjekte in das endzeitliche Geschehen hineinzunehmen und kann so zu politischem, auch gewaltvollem Handeln mobilisieren.
Das Heilsversprechen der apokalyptischen Erzählung wird also mit einem aktionistischen Appell auf Veränderung im Hier und Jetzt verbunden und von einer Inszenierung des schnellen und radikalen Bruchs mit der aktuellen Politik der Eliten begleitet. Entworfen wird dabei eine Unmittelbarkeitszukunft, die verspricht, dem (vermeintlich ‚wahren‘) Volk seine verlorene Handlungsmacht schnell zurückzugeben – gegenüber etwa LGBTIQ*, feministischen Spaßverderber*innen, Gleichstellungsakteur*innen, Migrant*innen oder Intellektuellen, denen eine mit den politischen Eliten komplizenhafte Macht unterstellt wird. So ist das autoritär-populistische Versprechen eingebettet in ein radikal-konservatives Narrativ, das gerade auch deshalb affiziert, weil es in Krisenzeiten eine Zukunft beschwört, die zeitgleich Sehnsüchte nach Sicherheit und Stabilität bedient.
Autoritär-populistische Vergegenwärtigung
In Zeiten der multiplen Krisen verheißt auf diese Weise das heutige autoritär-populistische Spiel mit der Zeit eine greifbare Zukunft. Dies passiert über eine Geschichte der Apokalypse, die sich durch zwei gegenläufige zeitliche Mechanismen auszeichnet: Einerseits verlängert sie den konservativen Blick in die Vergangenheit in eine (revolutionäre) Zukunft, indem sie von der autoritär-populistischen Ermächtigung des Volkes erzählt und souveräne Handlungsmächtigkeit verspricht. Andererseits tritt sie als konservierend auf, indem sie den Erlösungszustand auch in eine idealisierte Vergangenheit verlagert und damit eine Geschichte der Kontinuität beschreibt. Im Moment der Gegenwart wird durch diese Form der autoritär-populistischen Vergegenwärtigung eine Gestaltbarkeit der Zukunft suggeriert, die zugleich die Bewahrung des vermeintlich Gewesenen beschwört.
Dies lässt sich am Beispiel des französischen rechtsextremen Politikers Éric Zemmour illustrieren, der für seine autoritär-populistische Ansprache des Volkes bekannt ist. „Sie haben zu Recht Angst“, rief er vor einiger Zeit in einer Rede seinem Publikum zu und inszenierte den politischen Mythos vom vielfach herbeigeredeten „großen Austausch“, in dem die europäische Bevölkerung bzw. die „weißen heterosexuellen und katholischen Menschen“ durch eine eingewanderte Bevölkerung ersetzt würden. Sein apokalyptisches Narrativ verspricht eine Zukunft, in der das weiße heteronormative französische Volk sich die angeblich verlorene Handlungsmacht wieder zurückholt. Dass Zemmours autoritär-populistische Vergegenwärtigung zugleich aktionistisch ist, wird in der Parole „Kehr nach Algerien zurück“ deutlich, die am selben Abend dem Gegenredner Raphael Enthoven aus dem Publikum entgegenschlug. Dabei aktiviert die autoritär-populistische Vergegenwärtigung rassistische Ungleichheitsideologien, um Zukunftsängste gebündelt auf bestimmte Gruppen oder Regionen zu lenken und über gezielte Hetze einen schnellen Umbruch zu versprechen.
Hier zeigt sich auch die unmittelbare Gefahr des autoritär-populistischen Spiels mit der Zeit: Es ist nicht nur eine erfolgreich mobilisierende Praxis, sondern auch eine (Hetero-)Sexismus, Rassismus und Nationalismus mobilisierende Praxis. Die autoritär-populistische Vergegenwärtigung betreibt also gerade keinen Bruch mit den hegemonialen Strukturen. Sie reaktiviert und verfestigt vielmehr vergangene und bestehende Unterdrückungsverhältnisse, indem sie rassifizierte, misogyne sowie trans- und homophobe Vorstellungen der Zukunft als unmittelbaren Ausweg aus den multiplen Krisen der Gegenwart anbietet – und so, ähnlich wie Bloch es einst für den Nationalsozialismus diagnostizierte, auch durch ihr Spiel mit der Zeit zu verführen weiß.
Brigitte Bargetz ist habilitierte Politikwissenschaftlerin und arbeitet als Koordinatorin des Internationalen Netzwerks für Populismusforschung an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel sowie an der Wirtschaftsuniversität Wien. Aktuell beschäftigt sie sich mit Demokratie und (autoritärem) Populismus, Critical Affect Studies, queer-feministischen Theorien und ihren Genealogien sowie mit Transformationen des Sozialstaates.
Nina Elena Eggers promoviert an der Universität Bremen zum Thema „Narrative Identitäten: Zum Verständnis neurechter Selbsterzählungen von Nation und Männlichkeit“ und ist Sprecherin der Themengruppe Populismus in der DVPW. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen weiterhin poststrukturalistische Ansätze, Populismustheorien und Geschlechterpolitiken.
Sara Minelli ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und assoziierte Forscherin am Deutsch-französischen Forschungszentrum für Sozialwissenschaften Centre Marc Bloch (Berlin). Ihre Forschungsinteressen liegen in der Philosophie des Mythos, den Faschismustheorien und der Kritischen Theorie.