Herausforderungen der Finanzkrise für die politische Theorie

Seit Jahren nun schon prägt die Finanzkrise unsere öffentliche Diskussion. Was 2007 mit der Immobilienkrise in den USA begann, hat sich zu einer Krise der Staatsfinanzen entwickelt, die nicht zuletzt in Folge immer schärferer Sparmaßnahmen auch die Realwirtschaft vieler europäischer Länder bedroht. Nicht nur in Griechenland, sondern zunehmend auch in vielen anderen Teilen Europas steigt die Arbeitslosigkeit und schwindet zugleich die Aussicht darauf, die Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen. Zugleich entwickelt sich die Wirtschaftskrise zunehmend auch zu einer politischen Krise, ohnmächtig erscheinen die nationalen Regierungen angesichts der Macht der Märkte und auch die Zukunft der europäischen Union ist ungewiss. In diesem Beitrag möchte ich nun versuchen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit einige jener Herausforderungen zu benennen, die sich aus diesen Entwicklungen für die politische Theorie ergeben. Dabei geht es mir insbesondere um die Herausforderungen, die sich aus den gegenwärtigen politische Problemen für unser Verständnis von Demokratie und sozialer Gerechtigkeit ergeben. Hierzu im Folgenden sieben Thesen:

1. Als unzweifelhaft transnationales Problem wirft die gegenwärtige Finanzkrise die Frage auf, ob nationalstaatlich organisierte Demokratien in der Lage sind, sich auf transnationale Lösungen zu einigen (ausführlich dazu u.a. Habermas). Das Problem ist schon länger bekannt, etwa aus dem Bereich der Umweltpolitik, bekommt in der gegenwärtigen Krise aber noch mal eine besondere Dringlichkeit. Denn auch wenn die Notwendigkeit transnationaler Lösungen kaum bezweifelt wird, scheint die Bereitschaft zu solchen Lösungen unter den derzeitigen, wirtschaftlich schwierigen Bedingungen sogar noch weiter abzunehmen. Verständlicherweise schürt die Finanzkrise Ängste und leider scheint es für die meisten demokratisch gewählten Politiker zweckdienlich, diese Ängste noch weiter zu schüren und sich selbst zum Opfer fremder Mächte zu stilisieren. Unsere Wirtschaft ist doch eigentlich intakt, heißt es unisono aus Griechenland, Italien, Spanien, Frankreich, Deutschland und den USA, schuld an der Misere sind jeweils die anderen oder notfalls „die Märkte“. Diese Zurückweisung eigener Verantwortung ist in gewisser Weise in den demokratischen Spielregeln angelegt, bietet sie Politikern doch wenigstens kurzfristig eine Möglichkeit, sich selbst als unbescholtene Retter der Nation zu präsentieren. Dabei verstärkt ein solches Handeln langfristig jedoch bestehende Ängste, verfestigt nationale Ressentiments und verbaut so systematisch den Weg zu transnationalen Lösungen. Demokratietheoretisch stellt sich hier die Frage, wie demokratische Verfahren sich aus dem Griff einer solchen Logik zunehmender Renationalisierung der Politik entziehen kann.

2. Ein weiteres Problem ergibt sich aus den unterschiedlichen Zeithorizonten ökonomischer und politischer bzw. demokratischer Entscheidungen, auf die u.a. Hartmut Rosa mit seinen Überlegungen zu Beschleunigungsprozessen schon seit längerem hinweist. “Die Märkte”, also die eigentlich quantitativ überschaubare Anzahl von Investoren an den Finanzmärkten, operieren mit dem Ziel einer oft extrem kurzfristigen Gewinnmaximierung. Der Zeithorizont dieser Investoren ist bisweilen sogar noch kürzer als der mancher Wirtschaftsakteure, auf jeden Fall aber kürzer als jener deliberativ-demokratischer Verfahren. Eine zunehmend häufig zu beobachtende Reaktion ist der Versuch der Abkürzung demokratischer Verfahren. Man denke nur an den Zwischenstop der Kanzlerin im Bundestag während der Verhandlungen um den europäischen Rettungsfonds ESM, der kaum noch geeignet war, die Fassade einer einigermaßen eigenständigen parlamentarischen Entscheidungsfindung aufrecht zu erhalten. Doch auch diese Maßnahmen reichen nicht aus, nach wie vor bleibt das Bild einer Politik, die von den Finanzmärkten getrieben wird, statt diese entsprechend demokratisch gefällter Entscheidungen zu regulieren.

3. Eng verbunden hiermit ist das Problem der enormen Komplexität des Finanzmarktes, die sich in seiner Gänze überhaupt nur noch wenigen Experten erschließt. Vielen verantwortlichen Politikern, den meisten Journalisten und nicht zuletzt dem Großteil der Bevölkerung fällt es schwer, der rasanten Abfolge von immer neuen Rettungsvorschlägen zu folgen, geschweige denn die tieferliegenden Ursachen der gegenwärtigen Krise zu erfassen. Eine sinnvolle öffentliche Diskussion ist so kaum möglich, die Folge ist eine eindeutige Verschiebung der Machtverhältnisse zugunsten der Exekutive. Will man diese Machtverschiebung nicht einfach akzeptieren, stellt sich demokratietheoretisch so die Frage, wie unter hohem Zeitdruck derart komplexe Entscheidungen in demokratisch legitimer Weise gefällt werden können.

4. Eine vielversprechende Lösung der in den letzten beiden Punkten aufgeworfenen Probleme bestünde darin, durch eine Reduzierung der Staatsschulden die Abhängigkeit der Politik von den Finanzmärkten zu mindern. Wären Staaten nicht länger in dem Maße wie bisher von externen Kreditgebern abhängig, so die Hoffnung, könnte man jenseits einiger grundlegender Regulierungen die Finanzmärkte sich selbst überlassen. Aus gutem Grund zeitaufwendige demokratische Verfahren könnten sich dann auf eben diese grundlegenden Regulierungen beschränken. Jenseits aller möglichen Probleme im Detail ist jedoch unklar, ob eine solche Lösung überhaupt demokratisch umsetzbar ist. Was hierfür notwendig wäre, wären massive Veränderungen des Steuerrechts und zumindest kurzfristig wohl auch eine gewisse Senkung des allgemeinen Lebensstandards. Und wiederum scheint es in den Spielregeln der Demokratie angelegt, dass es für demokratische Politiker zweckdienlich ist, solche tiefgreifenden Reformen so lange wie möglich, und wenigstens bis zur nächsten Wahl, zu vermeiden. Man denke nur an das geradezu groteske “Steuergeschenk” der schwarz-gelben Bundesregierung, das diese erst kürzlich ohne jeden Sinn für Ironie verabschiedet hat, während sie zugleich andere europäischen Staaten gar nicht genug über die Notwendigkeit des Sparens belehren kann. Oder noch absurder die Entwicklung des amerikanischen politischen Diskurses, in dem sich mittlerweile niemand mehr traut, über Steuererhöhungen überhaupt nur nachzudenken.

5. Jenseits der durch die Finanzkrise aufgeworfenen Probleme demokratischen Regierens stellt sich zudem die Frage, was die Krise mit Blick auf Fragen sozialer Gerechtigkeit bedeutet. In aller Deutlichkeit zeigen sich im Moment die Interdependenzen des globalen Wirtschaftssystems, und wird damit auch die Notwendigkeit eines Systems globaler Verteilungsgerechtigkeit deutlich. Jenseits der Idee einer Finanztransaktionssteuer stellt sich dabei aber sehr grundsätzlich die Frage, was angemessene Kriterien für Verteilungsgerechtigkeit mit Blick auf das Finanzsystem sein könnten und ob es überhaupt möglich ist, das Finanzsystem, wie wir es heute kennen, entsprechend solcher Kriterien sozial gerecht umzugestalten. Ein Hindernis ist hier die bereits angesprochene Komplexität des Finanzsystems, darüber hinaus stellt sich aber auch die Frage, ob das Finanzsystem nicht bereits historisch auf einer so ungerechten Ressourcenverteilung aufbaut, dass eine solche Reform gar nicht möglich ist.

6. Wendet man dieses Problem zudem auf den nationalen Kontext und insbesondere auf das Problem der Staatsverschuldung an, so zeigt sich hier eine Verbindung zwischen den demokratie- und den gerechtigkeitstheoretischen Problemen. Wenigstens formal ist die Verschuldung der europäischen Staaten durch demokratische Verfahren gedeckt, insofern erscheint es gerechtfertigt, die möglicherweise daraus entstehenden Kosten auf alle Staatsbürger zu verteilen. In dem Maße, in dem wie beschrieben die demokratische Beteiligung an immer neuen Rettungspaketen zur Makulatur wird, wird das Bild jedoch undeutlicher. Nimmt man dann noch hinzu, dass viele Bürger sich ja zugleich auch selbst am Finanzmarkt betätigen, wird nahezu vollends unklar, was eigentlich aus Perspektive sozialer Gerechtigkeit unter diesen Umständen geboten ist. Ist es gerecht, wenn jene US-Amerikaner und Griechen nun Einschnitte erleben, die zuvor ihren Konsum über waghalsige Kredite finanziert haben? Oder müssen hingegen die Banken zur Rechenschaft gezogen werden, die solche Kredite zuallererst vergeben haben? Ist es gerecht, wenn die deutschen Rentner weniger Rente erhalten, nachdem sie der heutigen Generation einen Haufen unbezahlbarer Schulden hinterlassen haben? Oder sollten auch sie an den Bemühungen um die Reduzierung der Staatsschulden beteiligt werden? Weniger kompliziert ist es wahrscheinlich, ein sozialstaatliches Minimum zu benennen, das allen Bürgerinnen und Bürgern in Griechenland, den USA und Deutschland einen akzeptablen Lebensstandard ermöglicht. Doch wie sähe jenseits dieses Minimums eine gerechte Verteilung all jener Kosten aus, die durch Finanzkrise bereits jetzt entstanden sind, und was könnten hierfür ausschlaggebende Kriterien sein?

7. Unsicher bin ich mir schließlich, inwiefern die gegenwärtige Krise sich in ihren Herausforderungen für die Politik und die politische Theorie von anderen Krisen unterscheidet. Meine Vermutung ist, dass das globale Finanzsystem in seiner heute bestehenden Form eine tatsächlich neue Herausforderung darstellt, die sich nicht vollständig mit den Problemen und Herausforderungen einer globalisierten Wirtschaft deckt. Was vielmehr neu hinzukommt, sind die Eigenheiten globaler Finanztransaktionen, die sich noch stärker als reales Wirtschaftshandeln dn bisherigen demokratischen Verfahren und Institutionen sozialer Gerechtigkeit entziehen. Wie gesagt, an diesem Punkt bin ich mir aber selbst noch unsicher, vielleicht ist der Unterschied zu anderen Krisen des kapitalistischen Systems auch eher graduell.

– Wie eingangs bereits geschrieben, sind die hier angestellten Erwägungen vor allem der Versuch einer Systematisierung meiner eigenen Überlegungen in Form von Fragen, die ich selbst noch nicht beantworten kann. Umso mehr freue ich mich um Anregungen und Kritik über die Kommentarfunktion!

9 Kommentare zu “Herausforderungen der Finanzkrise für die politische Theorie

  1. „Demokratietheoretisch stellt sich hier die Frage, wie demokratische Verfahren sich aus dem Griff einer solchen Logik zunehmender Renationalisierung der Politik entziehen kann.“

    Zu 1.
    Lösungsvorschlag: Föderale globale Demokratie (Wahlen auf globaler Ebene/Weltparlament)

    „Unsicher bin ich mir schließlich, inwiefern die gegenwärtige Krise sich in ihren Herausforderungen für die Politik und die politische Theorie von anderen Krisen unterscheidet.“

    Zu 7.
    Finanzkrisen gab es auch schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Den Vorschlag ein Weltparlament einzurichten ebenfalls. Neu sind in erster Linie die große Mobilität, verbesserte Kommunikation und Verfügbarkeit von Informationen (z.B. das Internet). Daraus folgt ein verändertes Bewusstsein der Menschen. (Ein schönes Beispiel hierfür: http://www.theorieblog.de/index.php/2011/12/erinnerung-und-gedaechtnis-in-zeiten-der-postsouveraenitaet/)

    Fazit: Demokratietheoretisch ist zu diskutieren ob sich neue Chancen ergeben für globale Demokratie, wie solch eine globale Demokratie ausgestaltet sein sollte, wie sie zustande kommen könnte, welche Implikationen das mit sich bringen würde, etc.

  2. „Eine vielversprechende Lösung der in den letzten beiden Punkten aufgeworfenen Probleme bestünde darin, durch eine Reduzierung der Staatsschulden die Abhängigkeit der Politik von den Finanzmärkten zu mindern. Wären Staaten nicht länger in dem Maße wie bisher von externen Kreditgebern abhängig, so die Hoffnung, könnte man jenseits einiger grundlegender Regulierungen die Finanzmärkte sich selbst überlassen.“

    Das sind glaube ich zwei verschiedene Paar Schuhe. Die Reduzierung der Staatsschulden ist sicherlich wünschenswert, aber nicht die einzige Möglichkeit, sich der Abhängigkeit von den Finanzmärkten zu entziehen. Eine andere, immer wieder diskutierte Möglichkeit besteht darin, die Schulden ‚wegzuinflationieren‘: Den Gelddrucker anschmeißen und die eigenen Staatsanleihen an die eigene Zentralbank verhökern (bzw. im Fall der Euro-Staaten an die EZB). So wird die Geldmenge erhöht, der Geldwert nimmt ab und damit auch der Gegenwert der Staatsschulden. Die USA machen das seit Jahren so und haben bisher auch keine – von vielen deutschen Ökonomen befürchtete – Hyperinflation. Gleichwohl ist das ein in sich so absurdes System, dass es auf Dauer wohl auch nicht gutgehen kann.

    Aber das sind technische Fragen – was ich an der aktuellen Krise demokratietheoretisch noch äußerst spannend finde, ist der Umstand, dass in Europa zurzeit reihenweise demokratisch gewählte Regierungen von demokratisch nicht legitimierten technokratischen Regierungen abgelöst werden (so in Griechenland und Italien), deren Mitglieder, nebenbei, oft einen (Investment-)Banker-Hintergrund haben. Und dieser offenkundige Demokratieabbau wird allüberall auch noch begrüßt – von ‚den Märkten‘ sowieso, aber auch von den (noch verbliebenen?) demokratischen Regierungen in Europa.

    Zudem noch eine Anmerkung zum Zeithorizont von Politik und Wirtschaft: Es ist ehrlich gesagt eine sehr ungewöhnliche Aussage, dass der Zeithorizont der Politik größer sei als der der (Finanz-)Wirtschaft. Normalerweise wird das andersherum gesehen: Gerade der von den Wahlperioden begrenzte Zeithorizont der Demokratie ist doch sehr gering. Natürlich gibt es Investoren (bzw. Spekulanten), die als Daytrader etc. wirklich nur kürzeste Zeitspannen zur Gewinnmaximierung betrachten – der Großteil der Finanzmarktteilnehmer, diese These wage ich aufzustellen, der zum einen aus den großen Renten- und Investmentfonds sowie der Schar der Kleinanleger gehört, hat jedoch wohl eher eine mittel- bis langfristige ‚Verlust-Vermeidungs-Strategie‘: Jetzt z.B. *keine* europäischen Staatsanleihen mehr zu kaufen ergibt gerade dann Sinn, wenn man als Anleger am mittel- bis langfristigen Erhalt seines Vermögens interessiert ist. Der erzwungene ‚freiwillige‘ Schuldenschnitt in Griechenland hat ja gerade gezeigt, dass man bei europäischen Staatsanleihen nicht auf den Erhalt seines Vermögens hoffen kann. Kurzfristig orientierte Anleger könnten hingegen gerade jetzt mit europäischen Anleihen spekulieren.

    Ach je, alles sehr kompliziert. Gleichwohl ist es unter dem Strich natürlich eine ebenso spannende wie wichtige Frage, ob die Demokratie in der Lage ist, ihre eigenen Existenzbedingungen über Zeit zu gewährleisten.

    Und jetzt: Ein schönes Wochenende!
    R

  3. die finanzwirtschaft ist kompliziert, aber vor alllem ist sie in privater hand.
    die demokratie hat eines seit dem zweiten weltkrieg nicht geschafft:
    mehr als zuwächse zu verteilen, also aus der substanz zu verteilen. die relationen zwischen arm und reich bleiben starr, höchstens bewegen sie sich seit den 80er jahren noch weiter auseinander.
    diese fragen kann kein theoretiker im stillen kämmerlein lösen.

  4. Das Problem der politischen Führung geht mit der Entstehung politischer Gesellschaften einher. Auch die demokratische Verfassung ist leider keine Garantie für ein funktionierendes politisches System. Dies zeigt die Paralyse des italienischen und griechischen Parlaments im Angesicht der Finanzkrise. Dennoch, beide Länder befinden sich im Bezug auf die „technokratischen“ Übergangsregierungen durchaus noch im verfassungsrechtlichen Rahmen. Dies ist wohl bemerkenswerter für die jüngere Demokratie Griechenlands, als für das relativ Krisen-erprobte Italien.
    Die jeweiligen Regierungen wurden zwar nicht gewählt, genießen aber (bis jetzt) das Vertrauen der (Mehrheit der) gewählten Abgeordneten, sind also indirekt demokratisch legitimiert.

    Die Staatsschulden in den betroffenen Ländern wurden von demokratisch legitimierten Regierungen angehäuft. Ja, früher (vor der Einheitswährung), lag die Geldpresse noch in nationalen Händen, und verschwenderische Regierungen konnten fröhlich die eigene Bevölkerung durch Inflation besteuern. In den USA brachte dies zwar nicht zu einer Hyperinflation, aber gerade das „billige“ Geld der Amerikaner war einer der Auslöser der globalen Finanzkrise. Die europäischen Regierungen scheinen sich darin einig zu sein, dass ein langfristiger Schuldenabbau nicht über Abkürzungen zu erreichen ist. Die dafür notwendigen strukturellen Reformen sind schlicht und einfach eine nationale Hausaufgabe.
    Was könnte eine föderale globale Demokratie daran ändern? Wenig. Wie schon der deutsche Widerstand gegen die Eurobonds schön zeigt, Interessen der verschiedenen Staaten stimmen selten überein. Gerade deswegen läuft, einerseits, der erste Weg über nationale Lösungen. Andererseits, könnten transnationale Lösungen das nationale Instrumentarium zur Krisenbewältigung erweitern – aber nicht ersetzen.

  5. „Andererseits, könnten transnationale Lösungen das nationale Instrumentarium zur Krisenbewältigung erweitern – aber nicht ersetzen.“

    Globale Demokratie kann nur perspektivisch gedacht werde, aus dem einfachen Grund dass ihre Konstitutionalisierung noch Jahrzehnte dauern wird. Ihre Rolle wird in meinen Augen in erster Linie nicht die Krisenbewältigung, sondern die Krisenprävention sein. Was sie erweitert und was sie ersetzt wird sich zeigen.

    „Wie schon der deutsche Widerstand gegen die Eurobonds schön zeigt, Interessen der verschiedenen Staaten stimmen selten überein.“

    Es ist fraglich, ob der Widerstand einer Entität des Bündnisstaates einer globalen Demokratie eine derartige Wirkung mit sich bringen würde. Natürlich hängt das von den vertraglich/verfassungsmäßig geschützten Rechten ab und der Sitzeverteilung im globalen Parlament ab, das z.B. aus zwei Kammern bestehen könnte.

  6. Danke für den Beitrag, ich sehe vieles ähnlich, würde aber noch einen Punkt hinzufügen wollen: das Problem wird massiv dadurch verschärft, dass die Wissenschaft, die eigentlich Bevölkerung und Politikern helfen sollte, diese Vorgänge zu verstehen und sinnvolle Lösungsvorschläge zu machen, jahrzehntelang in einem Sandkasten aus abstrakten Formeln gespielt hat (zumindest in der großen Mehrheit), und dabei, trotz aller gegenteilligen Beteuerungen, massiven ideologischen Einfluss ausgeübt hat. Und das ändert sich alles viel zu langsam und zaghaft, aufgrund diverser soziologischer und institutioneller Trägheitsmomente. Es ist m.E. auch Teil der politischen Theorie, sachlich und konstruktiv auf diese Defizite hinzuweisen und andere Ansätze in den Wirtschaftswissenschaften zu fordern. Die methodischen Probleme sind altbekannt, und wurden teilweise schon im 19. Jahrhundert diskutiert – aber keiner liest diese Kritiken, und Kohorte für Kohorte von Ökonomiestudenten bekommt die gleiche intellektuell dürftige Soße in die Gehirne gepumpt, die nicht dazu beiträgt, die Wirtschaft und besonders die Finanzwirtschaft zu einer „Wirtschaft für den Menschen“ (z.B. à la Sen) werden zu lassen

  7. @Peter, Kommentar 1 und 5: Du magst Recht damit haben, dass globale Formen demokratischen Regierens langfristig notwendig sind, um mit Problemen wie der aktuellen Finanzkrise umzugehen. Tatsächlich sehe ich es aber, wie du selbst auch am Schluss deines Kommentars andeutest, als eine demokratietheoretisch noch nicht gelöste Antwort, wie eine solche Demokratie aussehen solle. Zum anderen, und darum ging es mir ja vor allem in meinem Beitrag, spricht die Logik nationalstaatlich organisierter Demokratie gerade gegen transnationale oder globale Formen der gemeinsamen Problemlösung. In anderen Worten: Selbst, wenn die inhärenten Probleme der Idee globaler Demokratie gelöst wären, bleibt immer noch die Frage, wie sich auf demokratischem Wege eine solche Form der Demokratie aufbauen ließe. — Zu den Problemen, die sich hier stellen, im Übrigen auch vielen Dank an Johannes Steger für seinen Kommentar.

    @Rene, Kommentar 2: Vielleicht ist ein gewisses Maß an Inflation tatsächlich unumgänglich. Wobei meine Vermutung wäre, dass das wenn überhaupt nur ein Weg sein kann, um überhaupt wieder Raum für strukturelle Lösungen zu schaffen. Ebenso wie ja auch der Vorschlag, dass die EZB für eine Übergangszeit verstärkt Staatsanleihen aufkaufen soll. Besonders wichtig finde ich aber deinen Hinweis auf den Trend hin zu “technokratischem” Regieren! Das ist ja gerade auch, was mich umtreibt. Wobei man vielleicht tatsächlich auch noch mal ein bisschen genauer darüber nachdenken müsste, was demokratisch gewählte Politiker dazu bringt, so leichtfertig demokratische Grundprinzipien über Bord zu werfen — und auch, warum es dagegen so wenig politischen Widerstand gibt.

    @Lisa, Kommentar 6: Ich stimme dir völlig zu. Wobei die Herausforderung für die politische Theorie hier so formulieren würde, dass es darum gehen muss, die politische Theorie wieder stärker mit der empirisch orientierten Sozialwissenschaft zu verknüpfen. Was als Problem meiner Meinung nach derzeit am spannendsten in der Debatte um ideale und nicht-ideale politische Theorie diskutiert wird, u.a. ja auch von dem von dir erwähnten Sen.

    Soweit erst mal, beste Grüße! Daniel

  8. Für die politische Theorie und die Demokratietheorie wäre schon viel gewonnen, wenn die akademischen Intellektuellen sich der Unsinns-Politik deutlicher entgegenstellten, die z.Zt. maßgeblich auf Geheiß von Merkozy Europa regiert.
    Dass Frank Schirrmacher sich auf den Seiten der FAZ genötigt sah, die Stichhaltigkeit einiger altlinker Theorien einzugestehen lese ich so, dass auch bei aufgeklärten konservativen BeobachterInnen das Sensorium für die Abräumung struktureller demokratischer Minimalanforderungen noch nicht verloren gegangen ist. Umso wichtiger finde ich, dass seitens der akademischen Eliten deutlicher das Wort gegen Mythen und (sorry, man muss als das benennen, was es ist) politischen Bullshit ergriffen wird, z.B.

    1) gegen den Mythos vom „Sparen“: Es wird nicht gespart – sparen ist, wenn man Konsumverzicht übt, um später mehr ausgeben zu können. Jetzt wird gekürzt – Löhne, Gehälter, Renten, Leistungen, und Infrastruktur (in Griechenland bspw. ausgerechnet die Eisenbahnnetze!) werden gestutzt und zusammengestrichen. Es geht nicht nur um einen bloßen Etikettenschwindel, es geht auch darum, dass es makroökonomisch und politisch völliger Irrsinn ist; denn auch wenn der deutsche Michel immer dem Bild der schwäbischen Hausfrau nachhängt, sind in integrierten Volkswirtschaften die Minderausgaben des Einen (Kürzungen) die Mindereinnahmen des Anderen. Das kann und wird nicht lange gutgehen.

    2) gegen die heuchlerische halbierte Inflationsbekämpfung: Eurobonds und Monetarisierung der Staatsschuld dürfe es nicht geben, wegen – Inflation! Der deutsche Michel zuckt zusammen und erinnert sich schrecklich (obwohl er’s ja selbst nicht mehr erlebt hat) an die Hyperinflation der Weimarer Republik. Vollkommen ignoriert wird, wie sehr das Wirtschaftswachstum der angelsächsischen Länder (USA, GB, Irland) beruhte auf – Inflation. Allerdings Inflation der Vermögens- bzw. Grundstückspreise. Dieser „guten Inflation“ seit dank konnte der Nachfrageausfall ausgeglichen werden, den der Rückgang der Reallöhne ansonsten nach sich gezogen hätte (vgl. die Aufsätze von Colin Crouch und Colin Hay in The British Journal of Politics & International Relations 3/2009, siehe http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/bjpi.2009.11.issue-3/issuetoc).

    3) gegen die Abwälzung der Krisenfolgen auf die abhängig Beschäftigten und TransferleistungsbezieherInnen. Es ist schon erstaunlich, dass wir jede Woche in irgendeiner Zeitung Artikel lesen können über die massiv angestiegene Ungleichheit bei Vermögen und Einkommen, über die Zunahme an working poor, rekordhohe Erwerblosigkeit bei jungen und (weniger oft berichtet, aber nicht weniger schlimm) älteren Menschen. Trotzdem scheint der Zugriff auf die leistungslosen Einkommen der Vermögensbesitzenden sakrosankt zu sein. Von den fragwürdigen Finanzprodukten, auf die alle Welt nach dem Zusammenbruch von Lehmann Brothers geschimpft hat, wurde mit Ausnahme des unilateralen Verbots von Leerverkäufen in Deutschland nichts eingestellt. PolitikerInnen von Steinbrück über Merkel bis Özdemir können rumlaufen und weiterhin die (Teil)privatisierung der Rentenfinanzierung anpreisen, als seien (denn das steckt als Annahme dahinter) die Finanzmärkte eine von überlegener Rationalität beseelte Sphäre, die schon irgendwie für einen größeren Kuchen zugunsten der RentnerInnen sorgt.

    4) vor allem und zuletzt: gegen die schlussendliche Abwicklung der Demokratie. Natürlich – es stimmt: Selbst für die TechnokratInnen-Kabinette in Griechenland und Italien, erst recht für die neue spanische Regierung liegt eine formal korrekte demokratische Legitimation vor. Doch was bedeuten diese Regierungen politisch? Sie bedeuten: Es ist eigentlich egal, welche Farbe die Regierung trägt, die um das heilige „Vertrauen der Märkte“ buhlt. Die Frage wird lauten, wie viel Entleerung demokratischer Regierung die Menschen in Europa bereit auszuhalten, und m.E. ertragen sie schon seit Jahrzehnten davon deutlich zu viel. Es ist schade, dass die europäischen Intellektuellen nicht schon viel früher angefangen haben, eine Sprache bzw. ein Deutungsmuster zu erarbeiten, mit dem die Reaktion der Menschen vom stillen Rückzug ins apathische Nichtstun oder Hinnehmen in aufgeklärte Empörung gewandelt werden kann. „Rechtspopulistische“ Kräfte werden sich für diese Aufgabe niemals zu fein sein, wenn sie einmal auf dem Trichter sind. In Griechenland haben sie das nicht mehr nötig- die Halbfaschisten von Laos sind jetzt ganz legal und legitim an der Regierung.

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