Vom 5. bis 7. September 2025 wird an der Ruhr-Universität Bochum die 11. studentische Fachtagung der Deutschen Nachwuchsgesellschaft für Politik- und Sozialwissenschaft in Kooperation mit dem FSR Sozialwissenschaften unter der Überschrift „Sozialwissenschaft in Zeiten des Zusammenbruchs“ stattfinden. Willkommen sind Beiträge von Bachelor- und Masterstudierenden sowie Promovierenden (in der Anfangsphase) aus allen Politik- und Sozialwissenschaften. Möglich sind Vorträge zu den Themenbereichen: „Demokratische Regression“, „digitale Infrastruktur und Demokratie“, „Die Zukunft des Sozialstaats“ uvm. Abstracts mit maximal 300 Wörtern auf Deutsch oder Englisch können zusätzlich zu einer kurzen Selbstbeschreibung bis zum 15. Juni 2025 an fachtagung@dngps.de gesendet werden. Die allgemeine Konferenzsprache ist Deutsch, Vorträge können auch auf Englisch gehalten werden. Die Teilnahme ist sowohl für Mitglieder als auch Nicht-Mitglieder der DNGPS kostenfrei. Für Panelist*innen, die Mitglied in der DNGPS sind, besteht die Möglichkeit einer Fahrtkostenübernahme durch die DNGPS. Weitere Informationen hier.
Demokratietheorie
Recht und Moral bei Ingeborg Maus
Ingeborg Maus ist am 14. Dezember 2024 im Alter von 87 Jahren verstorben. Der Theorieblog widmet Ingeborg Maus einen Schwerpunkt, der in Form von drei Beiträgen in dieser und den kommenden zwei Wochen unterschiedliche Aspekte ihres politischen Denkens beleuchtet. Den Auftakt gab vergangene Woche Sonja Buckel mit Perspektiven auf Maus‘ demokratietheoretische Überlegungen zum Zusammenhang von Demokratie und Rechtsstaat. Wir führen den Schwerpunkt fort mit einem Beitrag von Øystein Lundestad zum Verhältnis von Moral und Recht sowie Maus‘ Auseinandersetzung mit Kant.
Ingeborg Maus’ Artikel „Die Trennung von Recht und Moral als Begrenzung des Rechts“ wurde erstmals 1989 in der Zeitschrift Rechtstheorie veröffentlicht. Er wurde später auch in den Anhang ihres bedeutendsten Werks Zur Aufklärung der Demokratietheorie (1992) aufgenommen. Dieser Titel kann zugleich auch als Einstieg in ihr gesamtes Werk dienen: Ein Schwerpunkt für Maus war der für einige kontraintuitive Satz, dass die Legitimation und Struktur des modernen, demokratischen Rechtsstaats eine Trennung zwischen Recht und Moral voraussetzt.
Maus lehnt alle Versuche ab, das Recht an die Moral zu binden. Im Artikel nennt sie die Theorie Ronald Dworkins und die Praxis des Bundesverfassungsgerichts als Beispiele dafür. Maus zufolge stehen aber solche Versuche in Gefahr, die formellen Strukturen des Rechts zu wandeln: Statt eine Art Garantie gegen positiv-rechtliches Unrecht zu bieten, wird das Recht dem willkürlichen Handeln des Staatsapparats und dessen moralischer Selbstbegrenzung überantwortet. Dem Gewaltenteilungsprinzip ähnlich sorgt die Trennung zwischen Recht und Moral eher für eine normativ notwendige Begrenzung des Rechtsbereichs. Wo andere ein normatives Problem in den amoralischen Zügen des Rechts gesehen haben, sah Maus darin seine normative Autonomie, und warnte vor allen Versuchen, moralische Kategorien ins Recht einzuführen.
Mit Kant gegen Schmitt – Demokratie und Rechtsstaat bei Ingeborg Maus
Ingeborg Maus ist am 14. Dezember 2024 im Alter von 87 Jahren verstorben. Aus dem Kreis der Politischen Theorie und Ideengeschichte sind Nachrufe hier, hier und hier erschienen.
Der Theorieblog widmet Ingeborg Maus einen Schwerpunkt, der in Form von drei Beiträgen in dieser und den kommenden zwei Wochen unterschiedliche Aspekte ihres politischen Denkens beleuchtet. Den Auftakt gibt heute Sonja Buckel mit Perspektiven auf Maus‘ demokratietheoretische Überlegungen zum Zusammenhang von Demokratie und Rechtsstaat.
„Radikaldemokratie in Königsberg“, so lautete der Titel der 1993 erschienen Rezension von Reinhard Brandt über das Kant-Buch von Ingeborg Maus im Rechtshistorischen Journal. „Radikaldemokratie“ – das war bisher eher nicht mit Kant in Verbindung gebracht worden. Ihre Auseinandersetzung mit Kants Politischer Theorie, für die Maus den Titel „Zur Aufklärung der Demokratietheorie“ gewählt hatte, wich von gängigen Auslegungen ab. Das irritierte. Maus, die am 14. Dezember 2024 aus dem Leben schied, wollte in der Tat aufklären über „die emphatischste Demokratietheorie der Moderne“ (S. 34f.), die noch von keiner realexistierenden Demokratie je eingeholt worden sei (S. 15).
Aufklärung sei notwendig, da die Rezeptionsgeschichte obrigkeitsstaatlichen Verzerrungen unterliege und zudem „die konsequentesten Demokratietheorien des 18. Jahrhunderts“ an jenen begrenzten Formen politischer Beteiligung gemessen werden, die heutzutage überhaupt noch möglich erschienen (S. 8). Gegenwärtige Demokratietheorien, so Maus, artikulierten die institutionalisierte Hoffnungslosigkeit, etwa wenn Niklas Luhmann den demokratischen Souverän in das bloße „Publikum“ überführe (S. 20).
CfP: „Utopisches Denken und (digitale) Demokratie“ (Passau)
Für ihr Panel „Utopisches Denken und (digitale) Demokratie“ auf der Tagung für Praktische Philosophie am 25. und 26.09. in Passau sucht Lea Watzinger einschlägige Beiträge aus der politischen Theorie und Philosophie. Die Einreichungen werden bis 01.04.2025 erbeten. Details zum Call, mögliche Fragestellungen und alles Weitere findet ihr hier.
CfA: Postdoc-Stelle + Postdoc-Stipendium (München)
An der Professur für Politische Theorie und Philosophie der Hochschule für Politik an der Technischen Universität München, die zum 01.04.2025 neu besetzt wird, werden – ebenfalls zum 01.04.2025 – zwei Postdocs gesucht. Ausgeschrieben ist eine Stelle an der Professur selbst sowie ein Stipendium im Rahmen des von der Gerda Henkel Stiftung geförderten Projekts „Contours of a Non-Oligarchic Democratic Future“. Achtung: Bewerbungsschluss für beides ist bereits der 16. Februar! Alle weiteren Infos zu den Bewerbungen findet ihr hier (Stelle) oder hier (Stipendium).
Lefort-Schwerpunkt: Von der Verkörperungsrepräsentation und dem homogenen Volk: Eine kritische Überprüfung von Leforts Begrifflichkeit in der Populismusforschung
Die Populismusforschung hat sich in den letzten 20 Jahren stark entwickelt und inzwischen als eigenständiger Forschungszweig etabliert. Vier Theorieansätze sind hier von Interesse: der minimale Ansatz (Mudde 2004; Mudde u. Rovira Kaltwasser 2019); der komplexe Ansatz (Stanley 2008; Diehl 2024); der diskursanalytische Ansatz (Laclau 2005; Mouffe 2018); und der Totalitarismus-inspirierte Ansatz (Arato 2013; Müller 2016; Rosanvallon 2020; Arato u. Cohen 2022). Die beiden letzteren stehen in enger Verbindung mit Claude Leforts Denken. Obwohl der Totalitarismus-inspirierte Ansatz vielversprechende Elemente der Lefortschen Theorie aufgreift, kann er den Blick auf die komplexe und ambivalente Beziehung des Populismus zur Demokratie (Mény u. Surel 2000) trüben. Es gilt also, die Chancen und Risiken der Anwendung von Leforts Totalitarismustheorie für das Verstehen des Populismus zu überprüfen. Diese liegen in der Verwendung der Konzepte “l’un” für die Repräsentation des Volkes als unveränderbar und homogen sowie des “Egokraten” als Repräsentationsmodus, in dem das Volk und die Macht von der Führerperson verkörpert werden. Beide sind Konzepte, die Lefort anhand des Totalitarismus entwickelt. Populismus steht damit in Beziehung, ohne dadurch beschrieben werden zu können. Mehr noch, mit Leforts Demokratie- und Totalitarismustheorie wird es möglich, diejenigen Stellen aufzuzeigen, an denen das populistische Versprechen von Volkssouveränität beide Möglichkeiten eröffnet: die Redemokratisierung der Demokratie aber auch ihre Abschaffung durch Autoritarismus und Totalitarismus. (mehr …)
Lefort-Schwerpunkt: Lefort und die Idee einer befragenden Kritik
Ist es Zeit, Schluss mit der Befragung zu machen?
Die Idee, Institutionenordnungen demokratischer Rechtsstaaten einer befragenden Kritik zu unterwerfen, könnte im gegenwärtigen politischen Kontext geradezu aus der Zeit gefallen wirken. Demokratische Rechtsstaatlichkeit kann in der heutigen Welt leicht als eine zarte Pflanze erscheinen, die des Schutzes und der Stärkung bedarf – aber nicht einer politischen Philosophie, die sich eine befragende und infragestellende Kritik zur Aufgabe macht. Wenn Lefort daher Merleau-Pontys Forderung aus Le visible et l’invisible (Paris 2006), Philosophie als Befragung zu verstehen, folgt, und sein Projekt einer Wiederherstellung der Politischen Philosophie deshalb ins Zeichen von Ungewissheit und Befragung stellt, dann scheint dieses Vorhaben selbst heute in Frage gestellt zu sein. Im Anschluss an Merleau-Pontys These, dass die Philosophie Frage bleibe und als solche die Welt befragt – „elle interroge le monde“ heißt es in Le visible et l’invisible(S. 134) –, ließe sich dann umgekehrt auch davon sprechen, dass die Welt die Philosophie mit Fragen konfrontiert. Als dringlichste Frage für die Politische Philosophie könnte dann die Frage danach erscheinen, wie sich eine demokratische Institutionenordnung schützen und befestigen lässt – nicht, wie sie in Frage gestellt werden kann.
Schwerpunkt: 100 Jahre Lefort
In diesem Jahr wäre Claude Lefort 100 Jahre alt geworden. Anlässlich dessen wird es auf dem Theorieblog einen Schwerpunkt rund um sein Denken geben. Als Denker des Politischen ist Lefort, durch seine Auseinandersetzungen mit der Demokratie und dem Totalitarismus, mit seinem geflügelten Wort des “leeren Ortes der Macht”, seiner Kritik an politischen Wissenschaften, aber auch durch seine Machiavelli-Lesart sowie seinem frühen Engagement in der Revue “Socialisme ou Barbarie” bis heute in Erinnerung geblieben und Referenzpunkt aktueller Debatten in der politischen Theorie.
In dieser und der kommenden Woche werden sich fünf verschiedene Beiträge mit unterschiedlichen Aspekten seines Werkes beschäftigen: Ragna Verhoeven widmet sich in vergleichender Absicht der Rezeption Leforts im deutsch- und französisch-sprachigen Raum. Oliver Flügel-Martinsen erörtert die Rolle der befragenden Kritik im Werk Leforts. Welchen Stellenwert demokratische Institutionen im Denken Leforts einnehmen, arbeiten Sara Gebh und Sergej Seitz in ihrem Beitrag heraus. Anschließend zeigt Paula Diehl, dass sich mit den Ressourcen von Leforts Theorie das Verhältnis von Populismus und Totalitarismus erhellen lässt. Zum Abschluss behandelt Martin Oppelt in seinem Beitrag die Frage, inwiefern Lefort als ein liberaler Denker gelesen werden kann.
Wir freuen uns sehr auf die kommenden Wochen und wünschen viel Spaß beim Lesen und Diskutieren!
Eure Theorieblog-Redaktion
E pluribus unum – zur synthetischen Kraft von Habermas‘ theoretischer Methodik
Lange bevor „Interdisziplinarität“ zu einem verbreiteten Mantra zur Bannung von Drittmittelgebern wurde, hat Jürgen Habermas ein inter- und transdisziplinäres Werk ausgearbeitet, das sich weder der Philosophie noch den Sozialwissenschaften eindeutig zuordnen lässt und das darüber hinaus Befunde einer Fülle weiterer Disziplinen einbezieht. In der Philosophie wirbt Habermas dafür, das philosophische Bewusstsein für die historisch-soziale Situiertheit der Vernunft in Auseinandersetzung mit aktueller sozialwissenschaftlicher Forschung und der soziologischen Gesellschaftstheorie zu gewinnen. Umgekehrt versucht er, den Sozialwissenschaften die methodologische, handlungstheoretische, demokratietheoretische und gesellschaftstheoretische Bedeutung von Rationalität näher zu bringen und sie auf einen Modus der Gesellschaftstheorie und -kritik zu verpflichten, der für die Selbstverständigung politischer Gemeinschaften anschlussfähig bleibt. Die teilweise durchaus technisch-trockene Durcharbeitung verschiedener disziplinärer Fachsprachen und Forschungsstände rechtfertigt sich dabei aus einer unbedingten Gegenstandsorientierung. Die Theorie einer einseitig rationalisierten Moderne kann nur noch gebrochen durch das Prisma verschiedener Spezialdiskurse zum Vorschein gebracht werden. (mehr …)
Internationale Konferenz: „Forgotten Institutions: Utopian Archives and Democratic Futures“ (Wien)
Vom 28. bis 30. November 2024 wird an der Universität Wien die internationale Konferenz „Forgotten Institutions. Utopian Archives and Democratic Futures“ stattfinden.
Ausgehend von der Frage, was die Zukunft demokratischer Institutionen sein könnte, wagt die Veranstaltung einen Blick zurück hin zu vergessenen institutionellen Konfigurationen; mit dem Ziel vermeintlich selbst-evidente Vorstellungen über demokratische Institutionen in Frage zu stellen und sich mögliche alternative Zukünfte vorzustellen. Ganz konkret heißt das sich alternativen Orten, jenseits der Grenzen des westlichen Kanons, alternativen Zeiten, die den traditionellen Fokus auf antike und moderne Vorschläge diversifizieren sowie alternativen Stimmen und Ausdrucksformen, die die Produktion politischer Theorie außerhalb des Genres der „großen Bücher“ anerkennen (z.B. Manifeste, Reden, Erklärungen, Erzählungen), zuzuwenden.
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