Adorno Vorlesungen: „Rethinking the Penal State“ (Frankfurt am Main)

Vom 27. bis zum 29. November 2024 gehen die Adorno-Vorlesungen in die nächste Runde. In diesem Jahr wird Loïc Wacquant zum Thema „Rethinking the Penal State“ vortragen. Wacquant verknüpft darin sozialtheoretische, historisch-vergleichende und ethnografische Ansätze, um strafrechtliche Praktiken als Kernfunktion des Staates zu untersuchen. Durch den Einsatz von Polizei, Gerichten und Gefängnissen kuratiert der strafende Staat Kriminalität; er hält sozialmoralische Abweichungen in Schach, verwaltet städtische Marginalität und definiert die Grenzen von Staatsbürgerschaft. Wacquant argumentiert daher dafür, den strafenden Staat in den Mittelpunkt einer politischen Soziologie zu rücken, die sich für Fragen von Klasse, Ethnizität und urbanem Raum interessiert.

Die Veranstaltung findet an drei aufeinanderfolgenden Abenden jeweils von 18.30 Uhr bis 20.30 Uhr im Hörsaal IV, Campus Bockenheim, Goethe-Universität Frankfurt am Main statt. Die Vortragssprache ist Englisch. Mehr Informationen zu den einzelnen Terminen hier.

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Staat als „archimedischer Punkt“

Lesenotiz zu Hermann Heller: Kleine politische Schriften hg. v. Hubertus Buchstein und Dirk Jörke, Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 2023. 

Die gegenwärtige politische Lage gleicht nicht jener von Weimar. Zu viel ist ökonomisch, sozial, technisch und politisch heute anders. Dennoch gibt es gute Gründe, sich in der gegenwärtigen veritablen Krise der Demokratie den einstigen Kämpfern für die Weimarer Demokratie mit einem Abstand von nahezu 100 Jahren zuzuwenden – und zwar gerade solchen politischen Denkern, die sich wie Hermann Heller ins politische Schlachtgetümmel gestürzt haben, statt in geschützten, aber sehr moralisierten Räumen von Akademia zu verweilen.  (mehr …)

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Liberal-demokratisches Staats- und Rechtsdenken: machtlos gegen Alexander Dugin und Carl Schmitt? Ukraine-Krieg und das Ende des Souveränitätsdenkens

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine weist vielerlei Verbindungen auf zu Vorstellungen über Staat und internationale Beziehungen des russischen Philosophen Alexander Dugin, der dem Vernehmen nach von Präsident Wladimir Putin sehr geschätzt wird. Dugin-Formulierungen finden sich teils fast wörtlich in Statements russischer Regierungsvertreter zum Ukraine-Krieg bzw. zur Weltlage im Allgemeinen. Ein Beispiel ist das angeblich den Krieg motivierende Streben nach einem freien Eurasien von Lissabon bis Wladiwostok – so formulierte es der frühere Präsident und jetzige stellvertretende Vorsitzende des Sicherheitsrats Dmitri Medwedew in leichter Abwandlung des Dugin-Statements, Russland müsse ein freies Eurasien von Dublin bis Wladiwostok erkämpfen. Dugin folgt weithin Vorstellungen, wie sie Mitte des 20. Jahrhunderts Carl Schmitt vertreten hat. Dies analysiert der vorliegende Blogpost, vor allem um aufzuzeigen: Verharrt das liberal-demokratische Staatsdenken bei einem bestimmten Verständnis von Souveränität, hat es Schmitt und Dugin wenig entgegenzusetzen. Denn die beiden denken jenes klassische Souveränitätsdenken, das für universale liberal-demokratische Gerechtigkeit letztlich keinen Raum lässt, einfach konsequent zu Ende, wie man im Folgenden sehen wird.

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CfP PROKLA 213: Wieviel 1973 steckt in 2023? 50 Jahre Brüche und Kontinuitäten

Derzeit spitzt sich die multiple Krise im globalen Gefüge zu. Unterschiedliche Entwicklungen verbinden sich zu einer Gemengelage, die den zeitdiagnostischen Eindruck eines kommenden Bruchs verstärkt: der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Verschärfung der Konkurrenz zwischen den USA und China, die Rekordinflation und Diskussionen um eine Phase der Deglobalisierung, Krisenerscheinungen liberaler Demokratien und die Bedeutungszunahme autoritärer Staatlichkeit sowie nicht zuletzt die dramatische Zuspitzung der ökologischen Krise. Die mit dem Ende des Bretton-Woods-Systems seit 1973 durchgesetzte Ausrichtung der Weltwirtschaft und die damit verbundene geopolitische Ordnung scheinen ins Wanken geraten zu sein. Befinden wir uns heute in einer Phase des Umbruchs, ähnlich wie 1973? Wieviel 1973 steckt in unserer Gegenwart? Was an grundlegenden Veränderungen seit 1973 gilt es zu begreifen, um zukünftige Konflikte bewältigen zu können?

Die Redaktion lädt zur Einsendung von Exposés bis zum 8.5.2023 ein. Der vollständige CfP kann hier eingesehen werden.

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Souveränitäten jenseits und gegen den Staat

Im fünften Beitrag unserer Blogpost-Reihe zu Souveränität stellt Jonathan Eibisch anarchistische staatlichen Souveränitätskonzeptionen gegenüber.

Während Marx eine Kritik der politischen Ökonomie hervorbrachte, entwickelten anarchistische Denker*innen eine Kritik der Form, die Politik in spezifischen Herrschaftsordnungen annimmt, als einen wesentlichen Ankerpunkt ihrer Gesellschaftstheorie. Ideengeschichtlich betrachtet entsteht der neuzeitliche, europäische Anarchismus als Hauptströmung im Sozialismus in jener Phase, als der Sozialismus als Graswurzelbewegung politisiert wurde. In Abgrenzung zum sozialdemokratischen Weg der politischen Reformen und dem parteikommunistischen Konzept der politischen Revolution wurden im Anarchismus die mutualistische Selbstorganisation, die Revolte, die Begleitung außerparlamentarischer Bewegungen, sowie die soziale Revolution als Transformationsstrategien entwickelt.

In diesem Beitrag wird ein wesentlicher Aspekt der anarchistischen Kritik der Politik dargestellt, die sich in ihrem Kern an der Anmaßung, Legitimierung und Durchsetzung der Souveränität des Staates festmachen lässt. Dem entgegengestellt werden andere gesellschaftliche Sphären, in welchen (auf bestimmte Weise und mit bestimmten Zielsetzungen) Souveränität erlangt werden soll. Ich werde im Folgenden zeigen, inwiefern die anarchistische Hoffnung darin besteht, der politischen Herrschaft zu entkommen und Alternativen zu ihr aufzubauen.

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Von Sorgetragenden und Sorgebedürftigen: Sozialstaatliche Sorgeverhältnisse im Wandel

In Teil 2 unserer Debatte um den Begriff der Sorge rücken heute Transformationen der Sorgeverhältnisse im Sozialstaat in den Fokus.

Der Begriff der Sorge gehört zum festen Inventar des sozialpolitischen Vokabulars. Menschen zu pflegen und sich um sie zu kümmern, verstanden als traditionelle Sorgearbeit, ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger, aber beileibe nicht der einzige Aspekt. Im sozialstaatlichen Sprachgebrauch ist stattdessen in vielfältiger Weise von Sorge die Rede, wobei der Begriff häufig mit einer Vorsilbe versehen (z.B. Fürsorge, Nachsorge oder Vorsorge) oder aber Wortstamm eines verwandten Begriffs (z.B. Versorgung) ist. Welche Variation des Sorgebegriffs politisch Konjunktur hat, hängt eng damit zusammen, wer gesellschaftlich als sorgebedürftig erachtet wird. Grob vereinfacht lassen sich drei Paradigmen der Sorge unterscheiden, die sich zu verschiedenen historischen Epochen manifestier(t)en: Erstens die karitative Fürsorge, zweitens die sozialstaatlich gewährleistete Versorgungssicherheit und drittens eine Politik der sozialen Vorsorge. Gegenwärtig lässt sich ein Paradigmenwechsel hin zum vorsorgenden Sozialstaat beobachten, der mittels des Ausbaus an entsprechenden Infrastrukturen und Dienstleistungsangeboten auf eine „präventive Sozialpolitik“ (Brettschneider und Klammer 2020) setzt. Der vorsorgende Sozialstaat, so die hier vertretene These, möchte die Adressaten seiner Politik zu einsichtigen Komplizen im Sinne eines gemeinsam geteilten Vorbeugeprinzips machen, indem er ihnen vielfältige Präventionsangebote unterbreitet. Erforderlich hierfür ist jedoch die eigenmächtige Inanspruchnahme dieser Leistungen seitens der Bürger*innen.

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CfP: Postkoloniale Staatsverständnisse

In der etablierten Reihe „Staatsverständnisse“ bei Nomos (bislang 161 Bände!) geben Christina Pauls, Nicki K. Weber und Martin Oppelt einen Band zum Thema „Postkoloniale Staatsverständnisse“ heraus, zu dem nun Beitragsvorschläge erbeten werden. Abstracts (max. 500 Wörter) können  bis zum 17.12.2021 an christina.pauls@hfp.tum.de, nicki.weber@tum.de oder martin.oppelt@hfp.tum.de geschickt werden; Bescheid gibt es dann Anfang Januar. Der  Call for Papers ist hier zu finden.

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Kritische Theorien in der Pandemie: (k)eine Finissage zum Corona-Glossar

Bei der Spendenaktion rund um die Beiträge aus der YouTube-Reihe des Frankfurter Arbeitskreises „Kritische Theorie in der Pandemie: Ein Glossar zur Corona-Krise“ sind 13.200 Euro zusammengekommen, die an die Medico Nothilfe und an Project Shelter überwiesen wurden.

Nach dem missglückten Livestream im März, vor allem aber aufgrund des großen Interesses an den Beiträgen und dem Bedürfnis nach Diskussion und Austausch darüber, was kritische Theorien zu einem besseren Verständnis der Pandemie in ihren komplexen Verschränkungen mit anderen Krisen beitragen können, findet an diesem Sonntag noch einmal ein Live-Event statt:

Unter dem Titel: Kritische Theorie in der Pandemie – (k)eine Finissage wird es am Sonntag, 3. Mai 2020, ab 17:00 eine Live-Diskussion auf dem YouTube-Kanal des Frankfurter Arbeitskreises geben: https://www.youtube.com/watch?v=RQJTvNR7FEs

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Tagung „Maschinerie des Staates – Aufgabe und Grenzen der Bürokratie“ (Tutzing, 24./25. Januar 2020)

An der Akademie für Politische Bildung in Tutzing findet am 24. und 25. Januar eine Tagung mit dem Titel „Maschinerie des Staates – Aufgabe und Grenzen der Bürokratie“ statt. Im Fokus soll dabei die Frage stehen, welche Rolle Bürokraten in der Organisation des politischen Lebens spielen. Vor diesem Hintergrund werden u.a. die Beziehungen zwischen Bürgern und Bürokratie sowie die Technokratisierung des Staates thematisiert und die Kritiken sowie die Grenzen und die unverbrüchlichen Aufgaben der Bürokratie diskutiert. Das vollständige Programm der Tagung und weitere Informationen finden sich hier.

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Denker des Staates und der Freiheit, Verfechter des Bürgerethos. Ein Nachruf auf Ernst-Wolfgang Böckenförde

Die Politikwissenschaft hat mehrere Nachbardisziplinen, mit denen sie Schnittmengen im Forschungsinteresse, im Gegenstand und auch einige der Grundbegriffe teilt. Für eine an politischer Ordnung orientierte Politische Theorie und Ideengeschichte ist besonders die Rechtswissenschaft von Interesse, die ebenso normative, systematische und historische Perspektiven vereint. Ein herausragender Vertreter seines Fachs, von dessen Werk die Politische Theorie und Ideengeschichte profitiert hat und weiterhin profitieren wird, ist Ernst-Wolfgang Böckenförde, der am 24.2.2019 im Alter von 88 Jahren in Au bei Freiburg verstorben ist. Er hat als ausgebildeter Rechtswissenschaftler und Historiker mit besonderem Interesse für die normativen Fragen der Begründung politischer Ordnung ein großes Oeuvre hinterlassen, das sich über mehr als fünf Jahrzehnte erstreckt. Zugleich hat er auch als politischer Denker den Lauf der Zeit kritisch begleitet und sich immer wieder mit Stellungnahmen in der Öffentlichkeit zu Wort gemeldet. Als Bundesverfassungsrichter übte er von 1983 bis 1996 eines der höchsten Ämter aus und wirkte an entscheidenden Urteilen mit. Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass er neben wenigen anderen Vertretern seiner Generation, wie Jürgen Habermas oder Ralf Dahrendorf, zu den bekanntesten Wissenschaftlern und öffentlichen Intellektuellen in der siebzigjährigen Geschichte der Bundesrepublik gehört.

Das Böckenförde-Diktum – eine liberale Formel

Dies hängt gewiss auch mit seinem berühmten Satz über die „nicht garantierbaren Voraussetzungen des freiheitlichen Staates“ zusammen. Das Böckenförde-Diktum ruft allerdings gerade bei vielen Angehörigen der Politikwissenschaft nicht nur angesichts der hohen Frequenz seiner Zitation in staatstragenden Sonntagsreden, sondern vor allem vor dem Hintergrund seines als konservativ wahrgenommenen Gehalts Kritik hervor. Auch der von Böckenförde verwandte Begriff der Homogenität gilt vielen als problematisch. Gegen Böckenförde wird die Auffassung vertreten, dass es keines einigenden Bandes für die Gesellschaft bedürfe und dass vielmehr die Verfahren der rechtsstaatlichen Demokratie in einer pluralen Gesellschaft hinreichend für die Produktion eines notwendigen Minimums an Konsens seien. In dieser Lesart geht aber ein entscheidender Zug seines Denkens verloren oder kommt gar nicht erst in den Blick: Böckenförde ist in seinem Plädoyer für die Freiheit ein zutiefst liberaler Denker, der zugleich von der sozialen Verantwortung des Staates ausgeht.

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