Lefort-Schwerpunkt: Reboot der Radikaldemokratie? Zur Kritik an Claude Leforts vermeintlichem Liberalismus

Schon vor einiger Zeit haben Dirk Jörke und Christoph Held die Radikalität der Demokratietheorie Chantal Mouffes bezweifelt und ihr unterstellt, in die „Lefortsche Liberalismusfalle“ geraten zu sein, ja sich in dieser gar „verstrickt“ zu haben. Zu sehr stütze Mouffe sich seither auf liberale Autor*innen und habe sich damit einen „problematischen institutionellen Universalismus“ eingekauft, der in letzter Konsequenz gegen ihre Absicht zu einer Verstetigung gesellschaftlicher Machtungleichgewichte führen müsse. Insbesondere die Übernahme der Lefortschen Figur der „leeren Mitte der Macht“ habe sie übersehen lassen, dass sich liberale Institutionenarrangements mit Lefort nicht radikal verändern ließen, wo diesen der Ausschluss der Massen von der Politik eingeschrieben sei. 

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Schwerpunkt: 100 Jahre Lefort

In diesem Jahr wäre Claude Lefort 100 Jahre alt geworden. Anlässlich dessen wird es auf dem Theorieblog einen Schwerpunkt rund um sein Denken geben. Als Denker des Politischen ist Lefort, durch seine Auseinandersetzungen mit der Demokratie und dem Totalitarismus, mit seinem geflügelten Wort des “leeren Ortes der Macht”, seiner Kritik an politischen Wissenschaften, aber auch durch seine Machiavelli-Lesart sowie seinem frühen Engagement in der Revue “Socialisme ou Barbarie” bis heute in Erinnerung geblieben und Referenzpunkt aktueller Debatten in der politischen Theorie.  

In dieser und der kommenden Woche werden sich fünf verschiedene Beiträge mit unterschiedlichen Aspekten seines Werkes beschäftigen: Ragna Verhoeven widmet sich in vergleichender Absicht der Rezeption Leforts im deutsch- und französisch-sprachigen Raum. Oliver Flügel-Martinsen erörtert die Rolle der befragenden Kritik im Werk Leforts. Welchen Stellenwert demokratische Institutionen im Denken Leforts einnehmen, arbeiten Sara Gebh und Sergej Seitz in ihrem Beitrag heraus.  Anschließend zeigt Paula Diehl, dass sich mit den Ressourcen von Leforts Theorie das Verhältnis von Populismus und Totalitarismus erhellen lässt. Zum Abschluss behandelt Martin Oppelt in seinem Beitrag die Frage, inwiefern Lefort als ein liberaler Denker gelesen werden kann.  

Wir freuen uns sehr auf die kommenden Wochen und wünschen viel Spaß beim Lesen und Diskutieren!   

Eure Theorieblog-Redaktion 

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Tagungsbericht: Vom Gespenst des Postliberalismus heimgesucht

Der ambitionierte Anspruch der Tagung „Demokratischer Postliberalismus? Sozialethische Klärungsversuche in den Krisenzeiten ‚liberaler Demokratie‘“ war, die Krise „der Demokratie“ im Lichte sogenannter postliberaler Ideen zu lesen und womöglich durch dieses Brennglas nicht nur die Diagnose der gegenwärtigen Krise der (liberalen) Demokratien zu schärfen, sondern auch alternative Ansätze, die Krisen zu bearbeiten, freizulegen. Dieser Anspruch der Ende Oktober in Mainz stattgefundenen Tagung war nicht zuletzt deshalb besonders ambitioniert, da Postliberalismus ein breites Spektrum von Positionen umfasst, die von der Identifizierung von erhaltenswerten Elementen des Liberalismus nach dem Ende seiner Dominanz bis zur radikalen Rückkehr zu vorliberalen Politikverständnissen reichen. Passenderweise begann die Vorstellung mit der Bitte, Position zu Liberalismus und Postliberalismus zu beziehen. Von den etwa 30 Teilnehmerinnen bekannten sich einige zum Liberalismus, andere beschrieben sich als Kritiker des Liberalismus, die Positionen zum Postliberalismus reichten von abwartend bis ablehnend. Hubertus Buchstein eröffnete mit der These, linke Kritiker des Liberalismus unterlägen einer Selbsttäuschung, schließlich sei dem Liberalismus schon so häufig fälschlicherweise sein Ende vorausgesagt worden. Wie also steht es um die Zukunft des Liberalismus? Anhand von drei Fragen versuchte die Tagung, sich einer Antwort zu nähern. Ein vierter Fragenkomplex blieb dagegen eher im Hintergrund. 

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Author-meets-critics Workshop: „Wirtschaft, Demokratie und liberaler Sozialismus“ (Potsdam)

Am 5.-6. Dezember findet an der Universität Potsdam ein author-meets-critics Workshop zu Hannes Kuchs Buch „Wirtschaft, Demokratie und liberaler Sozialismus“ statt. In seinem Buch argumentiert Kuch, dass der Kapitalismus Hegels „Sittlichkeit“ unterwandert und untersucht demokratische Alternativen. Über zwei Tage soll gemeinsam mit Hannes Kuch und eingeladenen Gästen über sein Werk diskutiert werden. Kontakt für Voranmeldung und genauere Informationen: dapprich[at]uni-potsdam.de.

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Lesenotiz zu Maximilian Pichls „Law statt Order“

Wer im deutschen Sprachgebrauch ‚Rechtsstaat‘ sagt, betritt die Arena eines stark umkämpften Begriffs. Von den einen gefeiert als die Errungenschaft liberaler Staatlichkeit und aufklärerischer Bemühungen, Gewalt zu bündeln, zu legitimieren und – vor allem – zu begrenzen, wird der Begriff und die damit verbundene institutionelle Struktur von anderen mit Skepsis beäugt. Die skeptische Perspektive versteht Appelle an den Rechtsstaat oft als eine weitere Art, autoritäre Bestrebungen im Kleid der Legitimität durchzusetzen. Wer Rechtsstaat sagt, so die kritische Lesart, sagt auch Polizeieinsatz gegen Aktivist*innen, Pushbacks an den Außengrenzen, und nicht-öffentliche Schnellverfahren. Maximilian Pichls jüngst erschienener Beitrag zu dieser Debatte, Law statt Order, spielt bereits im Titel auf die Spannungen zwischen beiden Lesarten an.

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CfA: Workshop an der Universität Rostock „Schatten des Liberalismus“ (05./06.09.2024)

An der Universität Rostock ist für den 5. und 6. September ein Workshop mit dem Titel „Schatten des Liberalismus. Spannungsfelder und Konflikte des liberalen politischen Denkens“ geplant. Der Workshop beschäftigt sich mit Spannungsfeldern und Konflikten, die im liberalen politischen Denken sowie in der liberalen politischen Theorie und Ideengeschichte bereits angelegt sind. Besonders zu einer Bewerbung aufgerufen sind Doktorand*innen und frühe Postdocs, der Workshop ist auch dezidiert offen für Work in Progress, für historische und systematisch ansetzende Beiträge. Deadline für Bewerbungen ist der 03.08.2024, mehr Informationen finden sich im ausführlichen Call.

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Der Liberalismus gegen sich selbst und die Rückkehr des Kalten Krieges. Ein Gespräch mit Samuel Moyn – Teil 2

Während der erste Teil des Gesprächs zwischen Samuel Moyn und Julian Nicolai Hofmann, der gestern hier auf dem Blog erschienen ist, auf die zentralen Begriffe, Argumente und Referenzautorinnen und -autoren von Liberalism against Itself eingeht, adressiert der zweite Teil nun einen breiteren theoretischen Kontext. Darin sprechen die beiden über die Krise der liberalen Demokratie, Varianten des Cold War Liberalism und Frage, wie der Liberalismus überleben kann.   (mehr …)

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Der Liberalismus gegen sich selbst und die Rückkehr des Kalten Krieges. Ein Gespräch mit Samuel Moyn – Teil 1

Ist der Liberalismus noch zu retten? Während globale Krisen, neue Konflikte und populistische Bedrohungsszenarien die liberalen politischen Ordnungen zunehmend verunsichern, feiert eine totgeglaubte Weltsicht ihr schleichendes Comeback: Die Denkmuster eines Cold War Liberalism scheinen im Klima von Krieg, allgemeiner Aufrüstung wie auch einer politisch verordneten Verteidigung der Freiheit erneut auf dem Vormarsch zu sein. Samuel Moyn, hat mit Liberalism against Itself. Cold War Liberals and the Making of our Times (Yale University Press) ein Buch über die intellektuelle Genese dieser (historisch) spezifischen Spielart des Liberalismus verfasst. Darin diagnostiziert er eine folgenschwere Selbstzersetzung zentraler Elemente der liberalen Denktradition.  

Einst sei der Liberalismus als Flaggschiff der Emanzipation angetreten, habe seine theoretische Schlagkraft aus dem kritischen Geist der Aufklärung geschöpft und eine zutiefst optimistische Geschichtsauffassung vertreten. Anfang des 20. Jahrhunderts habe dieser Liberalismus jedoch zu erodieren begonnen – ein Prozess, der letztlich, begleitet vom theatralischen Säbelrasseln des Kalten Krieges, zu einer vollständigen Degeneration seiner ursprünglichen politischen Motive geführt habe. Liberales Denken sei auf neoliberale Marktfantasien oder neokonservativen Moralismus zusammengeschrumpft. In Liberalism against Itself entwickelt Moyn seine These über die Erosion des Liberalismus und den politischen Denkkosmos des Kalten Kriegs anhand der Darstellung verschiedener historisch-theoretischer Portraits: Beeinflusst durch die Erfahrung des Nationalsozialismus wie auch die Bedrohung durch den sowjetischen Kommunismus strebten Autorinnen und Autoren wie Judith Shklar, Isaiah Berlin, Karl Popper, Gertrude Himmelfarb, Hannah Arendt und Lionel Trilling danach, die utopischen, progressiven und auch radikalen Elemente aus dem liberalen Denken zu verbannen. Diese Vertreterinnen und Vertreter eines Cold War Liberalism entkernten den Liberalismus, schufen ein Denken, das jede emanzipatorische Agenda abgeschrieben hatte und begnügten sich damit, bestehende Freiheiten auch mit repressiven Mitteln zu verteidigen. Übrig blieb eine Politik der Angst, die den Schutz der fragilen demokratischen Gesellschaft gegen innere wie äußere Bedrohungen zum lähmenden politischen Leitmotiv erhoben hatte.  

Über sein aktuelles Buch und die Rückkehr des Kalten Krieges sprach Samuel Moyn, Chancellor Kent Professor of Law and History an der Yale University, mit Julian Nicolai Hofmann, Yale Visiting Fellow und Doktorand am Arbeitsbereich Politische Theorie und Ideengeschichte der Technischen Universität Darmstadt. Das Gespräch entstand im Februar 2024 in New Haven, Connecticut. Der Theorieblog bringt dieses Gespräch in zwei Teilen, der heutige erste Teil geht auf die zentralen Begriffe, Argumente und Referenzautorinnen und -autoren von Liberalism against Itself ein, der morgige zweite Teil adressiert einen breiteren theoretischen Kontext.

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CfA ZPTh-Themenheft „Der oikos des demos: Auf dem Weg zu einer demokratischen Ökonomie“

Für ein Themenheft der Zeitschrift für Politische Theorie suchen Martin Oppelt und Paul Sörensen Beiträge zum Thema „Der oikos des demos: Auf dem Weg zu einer demokratischen Ökonomie“. Im geplanten Schwerpunkt sollen Ansätze einer dezidierten Alternative zum individualistischen und privateigentumsbasierten Liberalismus ausgelotet werden – ohne damit den Anspruch auf Vermittlung liberaler Grundprinzipien per se aufzugeben. Der ausführliche Call for Abstracts ist hier zu finden; Abstracts im Umfang von max. einer Seite werden bis zum 15.9.2022 an die folgende Email-Adresse erbeten: wirtschaftsdemokratie@gmx.de.

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Unjust Inequality under Law. Nicolas Lipperts ZPTh-Beitrag in der Diskussion

Vor Kurzem ist die neue Ausgabe der Zeitschrift für Politische Theorie erschienen – ein Themenheft zur Dialektik des Liberalismus, herausgegeben von Michael Reder, Karsten Fischer, Dominik Finkelde SJ. Wir freuen uns, dass wir im Rahmen unserer bewährten  Zusammenarbeit mit der ZPTh den Beitrag „Equal Justice Under Law? Historisches Unrecht als Herausforderung des Liberalismus“ von Nicolas Lippert bei uns zum Download zur Verfügung stellen können – und dass Johannes Schulz ihn im Folgenden diskutieren und kommentieren wird. Das facettenreiche Themenheft umfasst darüber hinaus Beiträge zu Liberalismus und dem Zusammenhang von Herrschaftskritik und Theoriestruktur von Andreas Niederberger und Philipp Schink, zu Judith Shklars konfliktivem und Hans Kelsens kritischem Liberalismus von Katharina Kaufmann respektive Stefan Matern, sowie zu aktuellen Debatten um Religionsfreiheit und Steuervermeidung von Marco Schendel bzw. Alexander Leipold. Wir wünschen allen eine gute Lektüre und übergeben das Wort nun an Johannes Schulz. Im Anschluss laden wir wie immer alle herzlich ein, in den Kommentarspalten mit in die Diskussion einzusteigen.

Der Umgang mit historischem Unrecht spielt im Liberalismus spätestens seit den Debatten um „black reparations“ und „indigenous land claims“ in den 1970er Jahren eine wichtige Rolle, doch erst seit Kurzem erfahren diese Debatten eine kritische Wende: vom Versuch, liberale Gerechtigkeitsmodelle für das Problem historischen Unrechts nutzbar zu machen, zur Frage, ob historisches Unrecht nicht das liberale Gerechtigkeitsverständnis als solches in Frage stellt. Es ist genau diese Wende die Nicolas Lippert, im Stile eines „literature reviews“, gekonnt in den Blick nimmt. Im Folgenden fasse ich den Argumentationsgang seines Beitrags kurz zusammen, um dann aufzuzeigen, dass dieser dem radikal-kritischen Potential der Debatte um historisches Unrecht, im Sinne eines den Liberalismus als Lebensform herausfordernden Gegennarrativs, nicht gerecht wird. (mehr …)

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