Kongresssplitter: Die Ressource der Unsicherheit: Potential und Kritik

Zu Panel 2.E: Unsicherheit als Ressource: Konfliktive politische Praktiken und demokratische Politik in Zeiten der Ungewissheit–

Das Panel über „Unsicherheit als Ressource“ hatte sich die Aufgabe gestellt, das Fraglich-Werden von etablierten Wertungen und Beschreibungen weder direkt zu problematisieren noch einfach zu affirmieren. Weder ist, so der Ausgangspunkt, Unsicherheit nur beklagenswerter Bedeutungsverlust normativer Prinzipien und praktischer Gewissheiten noch allein begrüßenswerter Ausdruck fundamentaler Kontingenz. Dabei gilt es, wie in den Diskussionen deutlich wurde, mit Blick auf die Disziplin selbst, die theoretischen Konzeptionen demokratischer Politik damit zu konfrontieren, wie zufriedenstellend sie Diagnosen der Ungewissheit und Unsicherheit einholen können. Die Frage, wie Unsicherheit selbst als eine explizite Ressource der Demokratie begriffen werden kann, ist darüber manchmal offen geblieben.

Wie anderswo auf der Tagung auch, wurde von den Beiträgen des Panels insbesondere radikaldemokratisches Denken, das die Kontingenz gesellschaftlicher Tatsachen und ein daraus resultierendes Konfliktgeschehen normativ wendet, als eine wichtige (Kontrast-)Folie herangezogen. So beobachtete Vincent August in seinem Beitrag, dass agonistische Theorien demokratischer Politik es gerade vernachlässigen, den für sie ja eigentlich zentralen Begriff des (demokratischen) Konfliktes tiefer auszuleuchten. Das Vorhaben, einen solchen Begriff zu konturieren, setzt August zufolge ein Verständnis seiner Grundlagen und Dynamiken im Rahmen spät-moderner Gesellschaften voraus. Notwendig sei deshalb ein „integrativer“ Ansatz, der Beobachtungen reflexiver Modernisierung ebenso wie Einsichten aus der Friedens- und Konfliktforschung umfasse und die klassische Cleavage-Theorie weiterentwickele.

Ganz explizit rief Jonathan Eibisch zur Verunsicherung der politischen Theorie auf. Als Ressource diente ihm dabei die politische Theorie des Anarchismus, die zwar mit radikaldemokratischen Überlegungen einige Überschneidungen aufweist, jedoch mit einer grundlegenderen Kritik des vorherrschenden Verständnisses von Politik einsetzt. Die Ausübung von (staatlich organisierter) Herrschaft stelle hier keinen notwendigen Bezugsrahmen politischer Praktiken und Gemeinschaften dar. Zugleich ist, wie Eibisch illustrierte, der Anarchismus nicht in jeder Hinsicht ein anti-politisches Unterfangen und lässt sich methodisch mit einer „politischen Theorie für soziale Bewegungen“ in Verbindung bringen.

Dass der Konflikt als zentrales Moment demokratischer Politik von bestimmten gesellschaftlichen Voraussetzungen abhängig ist, betonte Katharina Liesenberg im Anschluss an John Dewey. Für Dewey bestehe ein gelingender Umgang mit Ungewissheit in der Ausbildung dynamischer Gewohnheiten, die sich neuen Erfahrungen öffnen können und entsprechend der Veränderung zugänglich sind. Konflikte spielten für derartige Revisionen eine zentrale Rolle. Zugleich könne ein Konfliktgeschehen nur dann diese produktive Funktion erfüllen, wenn die Gewohnheit, einen Konflikt als Erfahrungsschatz zu adressieren und zu bearbeiten, bereits erlernt wurde, sich also schon gebildet hat. Die Ressource der Unsicherheit hat so, für Dewey und Liesenberg, Praktiken und Institutionen der Bildung (für den und durch den Konflikt) zur Prämisse.

Dieser Fokus auf die gesellschaftlichen Bedingungen kann dazu beitragen, Unsicherheit als Ressource demokratischer Politik genauer zu perspektivieren. Denn dass und inwiefern es sich um ein Potential des Demokratischen handelt, ist keineswegs selbstverständlich. Das wird deutlich, wenn man probeweise auf den die strukturellen, sozio-ökonomischen Unsicherheiten ins Zentrum rückenden Begriff der Prekarität zurückgreift: die Formel „Prekarität als Ressource demokratischer Politik“ würde in der demokratie- und gesellschaftstheoretischen Diskussion wohl viel Erklärungsbedarf hervorrufen. Ein Verständnis von Unsicherheit als Ressource wirft also nicht nur Fragen der Verteilung, sondern darüber hinaus auch Fragen der Konzeptualisierung und Kritik auf. Was sind die Voraussetzungen, die Unsicherheit zur demokratischen Ressource machen? Und wie können diese Voraussetzungen sichergestellt werden? Das betrifft (das Erlernen von) Fähigkeiten der Konfliktbearbeitung. Es betrifft aber auch die mehrdimensionalen Machtverhältnisse, die es in die Modellierungen gelingender konfliktiver Praxis zu integrieren gilt, um auf diese Weise zu erschließen, für wen welche Unsicherheit eine Ressource darstellt.

Johannes Haaf ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Rechts- und Verfassungstheorie der TU Dresden.

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