Kongresssplitter: Exit ohne Exiteers 

— Panel 4.D: Uncertainties of International Cooperation: Exit Politics and the Question of Regression —

Zumindest eines muss man der „Vote Leave“-Kampagne lassen: Der Exit ist seither in aller Munde. Aus den unterschiedlichsten politischen Richtungen heraus wird damit Wahlkampf respektive Politik gemacht. Der politiktheoretische Gemeinplatz, auf den dabei gerne rekurriert wird: Der souveräne Nationalstaat hat selbstverständlich das Recht, Abkommen unilateral aufzukündigen und internationale Organisationen zu verlassen. Aber ist damit schon alles gesagt? Oder gibt es nicht noch mehr zu bedenken? Markus Patberg (Hamburg) jedenfalls ist von dieser Position, die er als souveränen Voluntarismus bezeichnet, nicht überzeugt. Seines Erachtens ist sie sogar ursächlich dafür, dass es an einer Politischen Theorie der legitimen Exit-Politik bisher mangelt. Wie diese aussehen könnte, wurde im Rahmen des von ihm organisierten Panels „Uncertainties of International Cooperation: Exit Politics and the Question of Regression“ am Donnerstagvormittag sondiert. 

Wären die Sympathisant:innen eines Johnson oder Mélenchon zugegen gewesen – sie hätten gute Gründe gehört, ihre Standpunkte zu überdenken. Jelena Belic (Leiden) versuchte „from an ontological point of view“ aufzuzeigen, dass es sich bei treaty-making um mehr als die Summe einzelner Verträge handelt. Vielmehr handle es sich um einen Fall von shared agency, der auf shared intentions basiert und insbesondere mit Exit-Klauseln unvereinbar ist. Tore Vincents Olsen (Aarhus) bekräftigte seine Überzeugung, dass ein Verbleib dem Austritt aus einer internationalen Organisation prinzipiell vorzuziehen sei. Unter unsicheren Umständen sei es zwar schwierig, den hinsichtlich der Maximierung demokratischer Rechte entstehenden Zielkonflikt zwischen dem level of protection und der Anzahl der Begünstigten derart aufzulösen, wie er es ansonsten – mit dem all-affected principle argumentierend – für möglich hält. In derartigen Fällen plädierte er ersatzweise dafür, Unsicherheit zu reduzieren, anstatt vorschnell zum Exit zu schreiten. Eine Klärung hatte auch Oliver Garner (Bingham Centre) im Sinn, welcher der EU in ihrer gegenwärtigen Rechtsstaatlichkeitskrise eine Abkehr von finanziellen Sanktionen und eine Rückbesinnung auf ihre basalen Prinzipien von Deliberation und Konsens empfahl. Eine Reformierung des Artikel-7-Verfahrens solle, anstatt allenfalls auf die Suspendierung der Mitgliedschaft hinauszulaufen, Ungarn und Polen vor die Entscheidung stellen, nach einer Deliberation über ein amendment ihren Widerstand aufzugeben oder aber Artikel 50 und damit den EU-Austritt auszulösen. Abschließend stellte dann auch Patberg seinen Ansatz einer – mittels Auseinandersetzung mit dem political realism justierten – rationalen Rekonstruktion vor. Indem man bei Narrativen der (De-)Legitimierung von bestimmten Formen internationaler Kooperation ansetzt und sie auf ihre Rechtfertigungsqualität hin untersucht, könne man gleichsam einer Aufwärtsspirale bei Prinzipien landen, mit denen sich konkurrierende Ansprüche verhandeln lassen. 

Das Panel versammelte also durchaus unterschiedliche Herangehensweisen. Was ihm allerdings fehlte: echte Antagonist:innen, welche die von den Vortragenden geteilte Prämisse – nämlich, dass ein Exit allenfalls die Ultima Ratio darstellen sollte – nicht teilten. Diese Position wurde in der Diskussion zwar am anekdotischen Beispiel eines linken Brexiteers aufgerufen, der den Austritt unverändert als schmerzhafte Notwendigkeit verteidigt. Aber wie hätte das Lager des souveränen Voluntarismus – insofern es überhaupt ein einheitliches Lager gibt – tatsächlich reagiert? Hätten seine Vertreter:innen honoriert, dass der Exit von keinem der vier Panelist:innen als völlig unzulässige oder gar illegale Entscheidung abgelehnt wird? Hätten sie problematisiert, dass im Namen der Deliberation eine Wette vorgeschlagen wird, deren Ausgang insofern bereits bekannt zu sein scheint, als der zwanglose Zwang des besseren Arguments – qua aktueller Mehrheitsverhältnisse – wohl kaum auf der Seite von Polen und Ungarn stehen würde? Hätten sie mit Patberg disputiert, inwiefern sein Ansatz Ergebnisse produziert, die bereits vorausgesetzt werden? Und natürlich: Inwieweit hätten sie sich von den vorgebrachten Argumenten umstimmen lassen? 

Wo auch immer die überzeugten Exiteers zu finden sein mögen: beim Panel 4.D waren sie nicht. Die kleine Zuhörer:innenschaft wies fachkundig auf konzeptionelle Problemstellen hin, ging argumentativ jedoch nicht aufs Ganze. Für alle Anwesenden war die Veranstaltung auch so ein Gewinn. Dem Forschungsfeld ist trotzdem zu wünschen, dass es über diese Konstellation hinauswächst.  

Stefan Meyer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich „Politische Theorie und Ideengeschichte“ der TU Darmstadt und Doktorand im DFG-Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“.