Über die laufenden Planungen zur Krönung des britischen Königs Charles III. wird auch in Deutschland minutiös berichtet. Für den 6. Mai können wir aufwendige Übertragungen zu und mit pomp and circumstance erwarten. Der Politikwissenschaft scheint das Ereignis dagegen mindestens gleichgültig. Monarchien, historisch lange Zeit der Regelfall und ideengeschichtlich oft bevorzugte Staatsform, sind im 20. Jahrhundert aus der politikwissenschaftlichen Diskussion weitgehend verschwunden. In Demokratien betrifft das monarchische Element zudem primär die Ausgestaltung des Amtes eines auf repräsentative Aufgaben beschränkten Staatsoberhauptes und ist damit von randständigem Interesse. Entsprechend stehen auch bei der Beschäftigung mit dem Vereinigten Königreich (UK) demokratische Institutionen und Prozesse sowie Fragen des Staatsaufbaus im Fokus.
Das ist so weit durchaus nachvollziehbar. Beschäftigt man sich, gerade als außenstehende Kontinentaleuropäerin, mit den politischen und verfassungsrechtlichen Spannungen und Konflikten im UK, stellt sich dennoch immer wieder die Frage, ob wir mit dieser Haltung nicht Dimensionen der politischen und verfassungsrechtlichen Realitäten ausblenden, die auch gegenwärtige Kontroversen nie allein, aber doch auch prägen. Die Krone ist im UK zwar politisch weitestgehend machtlos, hat aber zum einen große und bleibende symbolische Bedeutung. Stärker als bei allen royalen Hochzeiten und Beerdigungen der letzten Jahrzehnte wird dies auch am 6. Mai zur Geltung kommen. Zum anderen – und deutlich weniger beachtet – hat das Erbe der Monarchie auch Einfluss auf die zentralen politischen Institutionen der britischen Demokratie. Die britischen Verfassungskonflikte der Gegenwart werden von den Echos monarchischer Prinzipien mitgeprägt.
Die britische Krone: Zwischen Machtlosigkeit und Symbolkraft
Infolge der Glorious Revolution 1688/1689, als das neue Königspaar William und Mary die Macht des Parlaments und die Bill of Rights anerkennen musste, hat das Königshaus seine Vormachtstellung zunächst teilen müssen und dann sukzessive weiter an Macht verloren. 1867 unterschied Walter Bagehot zwischen leistungsfähigen (efficient) und ehrwürdigen (dignified) Teilen der Verfassung, verkörpert jeweils durch Kabinett respektive Krone. In der Gegenwart ist die ‚britische‘ eine parlamentarische Monarchie, in der der König zwar formalrechtlich an allen politischen Gewalten teilhat, faktisch aber machtloser ist als viele andere Staatsoberhäupter. Selbst von den bei Bagehot skizzierten Rechten, konsultiert zu werden, zu ermutigen und zu warnen, gilt nur das zugrundeliegende Recht auf Information als uneingeschränkt.
Parallel zum Verlust der Macht stieg zugleich die symbolische Kraft der Krone – insbesondere unter Queen Victoria, die zum Symbol britischer Weltmacht wurde. Bis heute wirkt die britische Krone sowohl für das UK wie auch für das Commonwealth integrierend, gerade in politischen Krisen das UK stabilisierend und nach dem Untergang des Empire und den vielfältigen Krisen des britischen Wohlfahrtsstaates – zumindest für die Mehrheit der Brit*innen – weiterhin identitätsstiftend. Jenseits der parteipolitischen Auseinandersetzung wirkt die Krone als Symbol nationaler Einheit.
Diese symbolische Macht wird in den Krönungsfeierlichkeiten, die unter den europäischen Monarchien heute allein das UK kennt, in besonderer Weise zum Ausdruck gebracht. Allein gesetzlich geregelt ist dabei der Krönungseid. Historisch wurden so zwar viele Traditionen überliefert, doch verliefen keine zwei Krönungen gleich. 1953, am Anfang vom Ende des britischen Empire, wurden bei der Krönung Elizabeths nicht nur Glanz und Größe der Monarchie im UK, sondern auch die globale Macht der Krone und damit des UK insgesamt zur Schau gestellt. Die damals erstmal im Fernsehen übertragene Zeremonie trug dazu bei, die britische Identität für die nächste Generation zu prägen.
Heute, unter international wie innenpolitisch grundsätzlich veränderten Bedingungen, steht mit der Krönung entsprechend nicht nur zur Debatte, wie Charles sich als König versteht, sondern erneut eben auch, wie das UK sich selbst versteht. Die vielfältigen Debatten um die Feierlichkeiten sind vor allem vor diesem Hintergrund aufschlussreich – ob die Diskussionen um Umfang, Form und Finanzierung der Feierlichkeiten, um die geplanten Formen der Huldigung des König oder über die Repräsentation der Commonwealth-Staaten und damit zugleich den Umgang mit dem imperialistischen Erbe Großbritanniens. Aufmerksamkeit erhält im UK auch das Verhältnis von säkularen und sakralen Anteilen an der Zeremonie im Allgemeinen bzw. von anglikanischen und anderen religiösen bzw. konfessionellen Elementen im Besonderen. Diese Debatten spiegeln einerseits das geänderte Verhältnis von Religion und Politik in der Gesellschaft wider, haben andererseits innerhalb des UK aber auch eine territoriale Dimension.
Die britische Verfassung und das Erbe der Monarchie
Neben ihrer Symbolkraft prägt das Erbe der Monarchie die politische Ordnung des UK auch als verfassungsrechtlicher Bezugspunkt der weiteren, nicht zuletzt der demokratischen Institutionen.
Die britische Verfassung ist nicht kodifiziert, sondern bildet ein über Jahrhunderte entwickeltes Regelsystem, das von pragmatischer Weiterentwicklung sowie der Bedeutung von Konventionen gekennzeichnet ist. Dass sich in der Folge Gesetze und Regelungen unterschiedlicher historischer Perioden überlappen, macht diese Verfassungsordnung so faszinierend wie herausfordernd. Es bedeutet zugleich, dass sich einerseits die Form der staatlichen Ordnung und die Verteilung faktischer Macht über die Jahrhunderte Schritt für Schritt verändert haben, dass aber andererseits die „monarchische Hülle“ der politischen Ordnung intakt geblieben ist. Dies hat Konsequenzen.
Auch wenn der König in der Gegenwart oft faktisch ein Instrument der Regierung ist, bildet die Exekutive bis heute formal ein Instrument der Krone – eben His Majesty’s Government, genau wie die Gegenseite bis heute His Majesty’s Loyal Opposition bildet. Über das Symbolische hinaus ist eine Konsequenz, dass die traditionellen royalen Prärogative, vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik, vom Kabinett ausgeübt werden und dessen Macht stützen. Ihr Ausmaß sowie ihre Kontrolle durch andere Gewalten, selbst durch das Parlament, ist, wie auch die Debatten um die Auslösung des Austrittsprozesses aus der EU gezeigt haben, durchaus kontrovers.
Überrest der feudalen Ordnung ist auch das House of Lords als zweite Kammer des Parlaments, die Gegenstand wiederholter Reformen und Reformdebatten war und ist. Zuletzt reduzierte die Regierung Blair 1999 die Bedeutung erblicher Sitze und somit den feudalistischen Charakter der zweiten Kammer. Zugleich nahm die Bedeutung von life peerages, also des lebenslangen Adelsstandes einzelner Personen, zu – und mit ihr erneut der Einfluss der Regierung, die heute über deren Vergabe entscheidet.
Das Erbe monarchischer Prinzipien erstreckt sich schließlich auch auf das House of Commons und damit das Herz der britischen Demokratie.
Parlamentssouveränität: Das gekrönte Parlament
Das Vereinigte Königreich ist ein Einheitsstaat und das Parlament ist souverän – sagen bis heute viele Einführungstexte. Doch das grundlegende Verfassungsprinzip der Parlamentssouveränität zu verstehen, erweist sich als Herausforderung.
Grundlegend bedeutet Parlamentssouveränität, so A.V. Dicey (1885), dass das „Parlament“ jegliches (!) Gesetz erlassen oder aufheben kann und dass keine Person oder Körperschaft über ihm steht. Dass eine spezifische konstituierte Institution innerhalb der politischen Ordnung allzuständig, letztentscheidend und damit souverän ist, wäre an sich schon interessant. Doch Dicey stellt zudem fest: “Parliament consists of the King, the House of Lords, and the House of Commons acting together.” Hier zeigt sich das Erbe der Glorious Revolution, infolge derer Souveränität sukzessive von der Krone auf das Parlament übergegangen ist. Entsprechend gilt: “What the Queen [King] in Parliament enacts is law” (Bogdanor 2009: 13). Souverän ist „die Krone im Parlament“.
Diese Konzeption der Parlamentssouveränität bildet bis heute das Herzstück der Vorstellung des UK als Einheitsstaat. Sie hat zugleich vielfältige Diskussionen und Kontroversen hervorgerufen und sich historisch durchaus angepasst. So wurde das Parlament im Zuge der Demokratisierung in seiner Rolle als Stimme der Nation gestärkt. Auch wird die Allzuständigkeit und Letztentscheidungsmacht des Parlaments immer wieder hinterfragt. Doch als grundlegendes Prinzip bleibt die Idee widerstandsfähig – und auch der monarchische Referenzpunkt taucht sowohl in der rechts- wie politikwissenschaftlichen Literatur als auch in der politischen Debatte immer wieder auf.
Man kann argumentieren, dass dies eben ein Teil britischer Traditionen ist, dass die Floskel „Crown-in-Parliament“ zusammen mit dem Stuck und Goldrand der Monarchie politisch letztlich folgenlos bleibt. Doch bei einem genaueren Blick auf aktuelle Verfassungskontroversen kommen Zweifel auf, ob sie wirklich bedeutungslos ist.
Seitdem 1975 Referenden als politisches Instrument im UK eingeführt wurde, stellt sich immer wieder die Frage, ob sie die Souveränität des Parlaments in Frage stellen. Mit dem Brexit spitzte sich diese Frage zu, weil das Ergebnis des Referendums 2016 einer klaren Mehrheit im Parlament entgegenstand. Befürworter*innen des Brexit, nicht zuletzt Christopher Bickerton und Richard Tuck, berufen sich in dieser Konstellation auf das Prinzip der Volkssouveränität als grundlegendes Verfassungsprinzip des UK. Dies macht aber nur Sinn, wenn man die orthodoxe Lesart der Parlamentssouveränität und nicht zuletzt ihr monarchisches Element ignoriert bzw. verwirft.
Hält man an der Idee der „Crown-in-Parliament“ fest, die historisch wie konzeptuell die Souveränität der Legislative mit der Souveränität der Krone verbindet, stützt dies ein Verständnis von Souveränität, in dem für ein souveränes Volk kein Platz bleibt. Derart konzipiert ist die Vormachtstellung des Parlaments mit dem Anspruch der Volkssouveränität kaum vereinbar. So mag auch das monarchische Erbe dazu beitragen haben, dass sich im UK ein umfassendes Verständnis von Volkssouveränität bisher nicht durchgesetzt hat – und dass das Verhältnis von Parlaments- und Volkssouveränität aktuell ungeklärt bleibt.
Die territoriale Verfassung des UK und das ambivalente Erbe der Monarchie
Schaut man auf die nicht-englischen Regionen des UK, stellt sich die Sache noch komplexer und die Idee des Einheitsstaates zunehmend zweifelhaft dar. Zwar genießt die Monarchie in Wales und Schottland aktuell noch mehrheitlich Zustimmung, doch bietet ihr Erbe für die Debatten um die konstitutionelle Zukunft der Regionen jeweils eigenen Konfliktstoff.
Die grundsätzliche Präferenz für Monarchie oder Republik prägt die Debatte in Wales, vor allem aber in Nordirland. Sie trägt insbesondere zu den Spannungen zwischen den beiden nordirischen Gemeinschaften bei: Während für nordirische Unionisten, die in der Tradition der protestantischen Siedler*innen stehen, die Monarchie inhärenter Teil ihrer protestantisch-britischen Identität ist, lehnen katholisch-nationalistische Nordir*innen die Monarchie grundsätzlich ab und fordern die Vereinigung mit der Republik Irland. Auch der walisische Nationalismus ist republikanisch geprägt. Vor allem der Titel ‚Prince of Wales‘ des britischen Thronfolgers ruft Kritik hervor, weil in ihm die Erinnerung an die Eroberung von Wales mitschwingt.
In Schottland ist historisches Unrecht dieser Art nicht prägend, wurde doch 1603 der schottische König James VI. auch James I. von England und war die Union of Parliaments 1707 eine Entscheidung des englischen wie auch des schottischen Parlaments. Im 20. Jahrhundert waren Kontroversen um die Monarchie eher randständiger Natur, betrafen prominent z.B. die Frage, ob Elizabeth als II. oder doch als I. Königin des UK zu zählen sei. Folglich stand in der Unabhängigkeitsdebatte 2014 nicht zur Disposition, dass ein unabhängiges Schottland die Monarchie (vorerst) beibehalten würde.
Doch schaut man auf die Debatten um die konstitutionelle Zukunft Schottlands, zeigen sich schnell konzeptuelle Spannungen. Schottische Politiker*innen (fast) aller Parteien wie auch große Teile der Gesellschaft berufen sich seit den 1980er Jahren auf das Prinzip der schottischen (!) Volkssouveränität. Damit verbinden sie nicht zwingend Forderungen nach Unabhängigkeit. Auch die in den 1990er Jahren geschaffenen regionalen Institutionen, autonom innerhalb einer Union mit dem Rest des UK, gelten als Ausdruck schottischer Volkssouveränität. Auf Widerstand stoßen aber die Ideen der Einheitsstaatlichkeit und eben der Parlamentssouveränität, insbesondere in ihrer durch den Bezug zur Krone gestützten Form.
Aus dieser Perspektive trägt das Erbe monarchischen Denkens zu einer zentralistischen Lesart der britischen Verfassung bei und stützt die Macht der Institutionen in Westminster und Whitehall. Zwar ziehen viele Schott*innen daraus bisher nicht die Konsequenz, dass ein grundsätzlicher Bruch mit der Monarchie notwendig ist. Aber ihr verfassungsrechtliches Erbe scheint mit dem heutigen schottischen Selbstverständnis nicht vereinbar.
Aus Sicht der Regionen zeigen sich somit erneut die zwei Dimensionen des bleibenden Einflusses der Monarchie für die politische und rechtliche Ordnung des UK – wie auch ihre Ambivalenzen. Zum einen ist die Krone als Symbol nationaler Einheit umstritten. Die Anerkennung der regionalen Dimension des UK bzw., je nach Perspektive, der es konstituierenden Teile oder Nationen ist wichtiger denn je, will das Königshaus seine Symbolkraft und integrierende Wirkung erhalten. Zum anderen dient das verfassungsrechtliche Erbe der Monarchie seinerseits weniger der Monarchie selbst, stützt vielmehr die Macht der Institutionen im politischen Zentrum in London. Wie die symbolische, aber auch die politisch-verfassungsrechtliche Bedeutung der Monarchie in Zukunft ausgehandelt werden, ist entsprechend eine Dimension der Konflikte um die konstitutionelle Zukunft von Nordirland, Schottland und Wales wie auch des UK insgesamt. Die Krönung am 6. Mai bietet auch dafür eine Bühne – und ist auch dadurch zugleich selbst nicht nur kostspieliges Schauspiel, sondern von politischer und verfassungsrechtlicher Relevanz.
Seit ihrem ERASMUS-Studium in Schottland beschäftigt sich Anna Meine immer wieder mit Politik und Verfassungsordnung des UK. Aktuell arbeitet sie an einem Buch zur Idee der politischen Unabhängigkeit, für das die Debatten um Schottlands konstitutionelle Zukunft einen zentralen empirischen Referenzpunkt bieten.
Mehr zu den territorialen Konflikten im UK und den Spannungen zwischen Parlaments- und (schottischer) Volkssouveränität findet sich in meinem gerade erschienenen Aufsatz „Unabhängigkeit statt Union, Unabhängigkeit in der Union? Schottlands konstitutionelle Zukunft zwischen UK und EU“ in der ZfP (2023/2, doi: 10.5771/0044-3360-2023-2-177).
Danke für die interessanten Informationen zur britischen Krone. Eine Freundin von mir ist Lehrerin und möchte gerade eine Klassenfahrt nach England planen. Deshalb helfe ich ihr dabei, ein paar Informationen zum Land zusammenzutragen.