Podcasts in der Politischen Theorie

Podcasts sind wie Blogs – nur anders: Sie sind ein Versprechen auf eine andere Art der Kommunikation. Einer Kommunikation für die Nische, eine Kommunikation, die keine Rücksicht nehmen muss – etwa in ihrer thematischen Spezifität oder in ihrer Länge. Einen Podcast zu machen, erfordert nur wenig technisches Know-How und Mitteleinsatz (auch wenn die Lernkurve steil ist und gute Podcasts sehr aufwendige redaktionelle Produkte sein können). Podcasts haben Blogs daher schon vor einigen Jahren als Allzweckwaffe der Wissenschaftskommunikation abgelöst. Das mündliche Format verspricht Verständlichkeit, die Länge erlaubt Tiefe – am sichtbarsten exemplifiziert im Coronavirus-Update. Mittels Serialität binden Podcasts ihre Hörerschaft, das dominante Format des Gesprächs erlaubt ein Mitdenken. Podcasts können sehr schnell produziert und umgehend verbreitet werden. Ihre Aktualität ist hoch und sie lassen sich zugleich wunderbar einbinden in andere Formen der Wissenschaftskommunikation (wie der obligatorischen Webseite und den Social-Media-Stream). Podcasts versprechen Reichweite, da sie über große Plattformen automatisiert vertrieben werden und auch weil viele sie in ihren Alltag integriert haben (beim Putzen, beim Einkaufen, beim Sport). 

Sind Podcasts aber auch ein Format für die Politische Theorie/Philosophie? Als einer, der selbst erst spät bekehrt wurde, möchte ich in diesem Post ein wenig die Landschaft der deutschen und internationalen Theorie-Podcasts vorstellen. Ziel ist es, Lust zu machen, selbst einmal reinzuhören, ein paar, höchst subjektive Empfehlungen zu geben und etwas zu kartographieren, was für Formen und Zugänge es gibt. Vollständigkeit wird nicht mal angestrebt, doch die Kommentare dürfen gerne dazu dienen, dieser näher zu kommen (das alte Versprechen der Blogs) [Update: Der Post ist ergänzt um einige Hinweise aus der Diskussion auf Twitter].

Beginnen wir mit den institutionellen Podcasts, da es deren jüngste Zuwächse waren, die mir den Impuls zu diesem Post gaben: Neu ist etwa Talk Social Science To Me (Spotify / Twitter) vom Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Frankfurter Goethe-Uni, der mit einem Interview zu öffentlicher Soziologie mit Stephan Lessenich gestartet und jüngst mit einem Gespräch zu ökologischem Feminismus mit Katharina Hoppe fortgeführt wurde. Auch der Mittelweg 36 hat seit jüngstem seine eigene Podcast-Form (Spotify) – erstes Thema: sozialer Aufstieg. Schon seit dem Sommer 2021 gibt es zudem den Critical Theory in Context-Podcast (Spotify / Twitter) des Berliner Center for Humanities and Social Change, wo etwa jüngst ein langes Gespräch von Robin Celikates mit Kristina Lepold und Marina Martinez Matteo zu Critical Philosophy of Race das Hören lohnt. Wo wir schon bei Kritischer Theorie sind: Das bald 100 Jahre werdende Institut für Sozialforschung in Frankfurt hat seinen eigenen Podcast namens “Aufzeichungen” (Spotify), dessen aktuelle Folge ein Gespräch mit Frieder Volgemann über die Wiederveröffentlichung von Horkheimers “Traditionelle und Kritische Theorie”  ist. Und von der Rosa-Luxemburg-Stiftung gibt es tl;dr, der Theorie Podcast (Spotify), in dem Alex Demirović mit Gäst*innen Klassiker linker Theorie vorstellt (die derzeit dreizehn Episoden reichen von Marx und Benjamin hin zu Stuart Hall und Donna Haraway). Nochmal in einer anderen Richtung ist das Institut für Philosophie der Uni Bern unterwegs, was einen Podcast namens “Hinterfragt – Der Ethik Podcast” (Spotify) betreibt, wo Andreas Cassee und Anna Goppel Gastgeber in knapp halbstündigen Session in Themen wie Empathie (mit Susanne Schmetkamp)  oder Multilaterale Demokratie (mit Francis Cheneval) einführen. Und ganz frisch ist ein Podcast des Goethe Instituts zu Hannah Arendt, der Between Worlds (Spotify) betitelt ist und wo Samantha Rose Hill mit Gäst*innen Facetten des Arendtschen Werkes bespricht. Wer nachvollziehen will, wie Podcasts genutzt werden können, um tagesaktuelle Diskurse und Sozialwissenschaft zu verbinden, der sei auf das von Armin Nassehi und Jutta Allmendinger am WZB gehostete und über fünf Staffeln kuratierte Podcast-Kolloquium Soziologische Perspektiven auf die Corona-Krise (Spotify) verwiesen.

Neben den Institutskontexten, in denen gerade in Deutschland wissenschaftsbezogene Podcasts entstehen, gibt es noch eine Vielzahl weiterer Formate und Publikationsumgebungen: An erster Stelle zu nennen, sind die Projekte von Einzelpersonen. Ein besonders gelungener Podcast ist der alle zwei Wochen erscheinende “Future Histories”-Podcast (Spotify / Twitter) von Jan Groos. Unter dem Banner, zur Erweiterung unserer Vorstellung von Zukunft beizutragen, wird hier viel theorierelevantes diskutiert, etwa über die neoliberale Regierungskunst (mit Thomas Biebricher) oder die Revolution für das Leben (mit Eva von Redecker). Seit kurzem gibt es sogar eine YouTube-Erweiterung mit Kurzvideos zu zentralen Konzepten. Nicht direkt Politische Theorie, aber doch oft mit Berührungspunkten ist der Radikaal-Podcast (Spotify / Twitter), von Cas Mudde. Dieser ist verspielter und kürzer und mischt politische Fragen und Forschung (insbesondere aus dem Bereich der Bewegungs- und Populismusforschung) mit Themen wie Musik und Fußball. Ernster wird es wieder mit dem Podcast “Der Streit” (Spotify / Twitter). Hier nehmen sich Robert Seyfert und André Armbruster soziologische Neuerscheinungen vor und diskutieren diese ausführlich in einem Pro-Contra-Dialog. Drei weitere Beispiel aus der Soziologie wären Andreas Reckwitz, der in einem Podcast sein Buch zur Gesellschaft der Singularitäten (Spotify) in sieben Folgen ausführlich vorstellt und verortet, der schon seit 2011 laufende Soziopod (Spotify / Twitter), der sich gerne auch Klassiker der Sozialwissenschaften und Philosophie ausführlich vornimmt, und Das Neue Berlin (Spotify) ein Podcast, der gesellschaftliche Themen und Debatten theoriegesättigt zu kommentieren sucht. Nicht Politische Theorie, aber Politikwissenschaft und gerade in diesen Tagen zurecht mit viel Aufmerksamkeit bedacht, ist der Sicherheitshalber-Podcast (Spotify / Twitter), wo ein Quartett sicherheitspolitische Fragestellungen einordnet und Hintergründe vermittelt. 

Drei andere Kontexte, in denen Podcasts entstehen seien noch erwähnt: Zum einen können natürlich auch Blogs Podcasts haben. In der Wissenschaft ist das nicht ganz so häufig, aber unsere hoch geschätzten Kolleg*innen vom Verfassungsblog haben mittlerweile einen eigenen, zumal ganz fantastischen Podcast: den Verfassungspod (Spotify). Der Clou hier ist, dass der Verfassungspod sich Themen nicht über eine Folge, sondern jeweils als Serie widmet und Interviews nicht im Vordergrund stehen, sondern stärker narrative Reportagen erstellt. Hervorragend etwa die zweite, sich über sechs Folgen streckende Analyse des Konflikts zwischen der EU und Polen – samt ausführlicher Rekonstruktion der Integrationsgeschichte der EU und der in dieser stattfindenden Verschränkung von Recht und Politik. Auch der Theorieblog hat schon einmal einen kurzen Ausflug ins ins Podcast-Universum unternommen, als wir nämlich 2016 die Göttinger Vorlesungsreihe “Zur Zukunft der Politischen Theorie im 21. Jahrhundert” begleiteten (auch die Sozialtheoristen hatten in 2018 einen kurzen Podcast-Anlauf unternommen). Dies führt dann – zweitens – auch fast ansatzlos in die Lehre, die ein weiterer Kontext für Podcasts sein kann: Was hier alles möglich ist, exemplifiziert und reflektiert etwa der Podcast Experimentality von Moritz Klenk, wobei besonders auf die Folge “The Future Of Sociology Will (Not) Be Podcasted” hingewiesen sei, ein gesprochener Essay, der die Möglichkeiten sprechenden Denkens in Forschung und Lehre vermisst. Ein theorienahes Beispiel für eine Lehrveranstaltung als Podcast wäre dann etwa die Verfassungsgeschichte der Neuzeit (Spotify) des Rechtswissenschaftlers Alexander Thiele und die Marx-Vorlesungen von Wolfgang Eßbach. Die dritte Kategorie sind Podcasts, die von professionellen Medienhäusern erstellt werden, aber direkte Berührungspunkte mit politiktheoretischen Themen haben. Hier gibt es etwa den Hörsaal von Deutschlandfunk Nova, der öffentliche Vorträge zu einem breiten Themenspektrum sammelt und wo etwa schon Martin Saar über Identitätspolitik oder Jeanette Ehrmann zur Haitianischen Revolution zu hören waren. Auch oft interessant und passend ist die Sendung Sein und Streit von Deutschlandfunk Kultur und der Politikpodcast von Phoenix Unter 3, wo es politikwissenschaftliche Einordnungen des bundesrepublikanischen Tagesgeschehens geleistet werden.  

Und dann gibt es natürlich auch noch eine gigantische englischsprachige Podcast-Landschaft,. Zu den gelungenen Theorie- und Philosophie-Podcasts zählt etwa der seit 2007 laufende Dauerbrenner Philosophy Bites (Spotify), der abstrakte Themen in kurze 15-20 Minuten Einführungen packt, oder Politics Theory Other (Spotify / Twitter), wo ein sehr breites Spektrum an gesellschaftlichen und politischen Themen diskutiert wird. Im engeren Sinne Politische Theorie ist The Political Theory Review (Spotify). Anfang März endete nach sechs Jahren der Podcast Talking Politics (Spotify / Twitter), dessen Archiv von Konversationen aber verfügbar bleibt – und wo ein ganz besondere Shout-Out für das Special History of Ideas (Spotify) gegeben werden soll, das sich in zwei wunderbaren Staffeln im Stil einer sehr verständlichen Einführung diversen Größen des politischen Denkens widmete. Und wer noch mehr Ideengeschichte will, dem sei auch noch der In Our Time: Philosophy-Podcast (Spotify) der BBC nahegelegt.  

Zum Abschluss noch ein Satz zum Technischen: Podcasts kann man auf sehr vielen Plattformen hören, wobei die Grundfunktionalität (von Downloads fürs offline hören über Speichern des Fortschritts bis zu schnellerem Abspielen) überall gegeben ist. Hier wird jeder seinen eigenen Präferenzen haben, aber solange es noch relativ wenige exklusive Inhalte gibt, lohnt es sich auch einmal Apps jenseits der großen Plattformen (in dem Bereich hauptsächlich Spotify und Apple) auszuprobieren, etwa Pocket Casts, Overcast, AntennaPod oder Castbox. Zumal eine dezidierte Podcast-App hilft, die Empfehlungslisten übersichtlicher zu halten. Wer noch mehr Input braucht, dem sei zudem The Syllabus empfohlen, wo es neben akademischen und journalistischen Bereichen auch eine dezidierte Podcast-Rubrik gibt – und welches man sehr gut, zumal auch auf Themen der Politischen Theorie zuschneiden kann.

Viel Spaß beim Hören! 

Ein Kommentar zu “Podcasts in der Politischen Theorie

  1. Meine Hörbeobachtung ergibt, bis auf den schulischen-pädagogischen Sektor, dass das podcasting
    doch eine boulvadeske Seichtigkeit zeigt, Hören statt Lesen für geistige Analphabeten. Besonders die Pflege des Mainstreams fällt auf; insoweit die Forstsetzung der Volksemfänger- Wirkung.
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