Die deutsche Stimme der FAZ

Die FAZ ist eine erstaunliche Zeitung: Diesen Mittwoch gab es auf der Geisteswissenschaften-Seite den wohl bisher klügsten und differenziertesten Beitrag (Paywall) zur unseligen Sarrazin-Debatte von dem Münchner Soziologen Armin Nassehi. Nur zwei Tage später findet sich im Feuilleton ein Stück von Regina Mönch zur sogenannten „Deutschenfeindlichkeit“ von muslimischen Jugendlichen, das an plumpem Ressentiment in der hiesigen Presselandschaft wohl nur noch von Leitartikeln in der National-Zeitung – oder den Leserkommentaren auf faz.net – überboten wird.

Das Problem an Mönchs Artikel ist nicht das Thema. Mobbing und Gewalt gegen autochthone Kinder und Jugendliche ist in einigen Vierteln deutscher Großstädte sicherlich ein Problem und für die Opfer genauso verletzend und erniedrigend wie bei umgekehrten Täter/Opfer-Konstellationen. Und es ist zumindest vorstellbar, dass die zuständigen Behörden das Phänomen der Deutschenfeindlichkeit weniger aufmerksam verfolgt haben als die Welle rechtsextremer Gewalt, die zwischen 1990 und 2005 137 Todesopfer gefordert hat. Das ist nicht schön, allerdings auch nicht ganz unverständlich. Über dieses Phänomen kann man dann von mir aus auch einen besorgten Artikel schreiben, und dass das auch ohne rassistische Untertöne möglich ist, hat Jörg Lau in der Zeit demonstriert.

Solche Feinheiten sind nicht die Sache von Regina Mönch: Ihr geht es nicht darum, die Leserinnen und Leser für ein Problem zu sensibilisieren, das bisher wenig beachtet wurde, noch ist es ihr ein Anliegen, auf das vermeintliche Paradox hinzuweisen, dass es Opfer von Gewalt gibt, denen aufgrund ihrer ansonsten relativ privilegierten gesellschaftlichen Stellung der Opfer-Status nicht zuerkannt wird. Ihr Thema ist vielmehr der verletzte Stolz derjenigen, deren Monopol zu diskriminieren, zu beleidigen und verächtlich zu machen plötzlich von den bisherigen Opfern angetastet wird. In der erschreckendsten Passage dieses erschreckenden Stücks schreibt Mönch:

„Aber auch die Mädchen langen zu, „Kopftuch gegen Blond“ nannte sich eine Hasskampagne an einer Schule. Aber die Kopftücher hatten sich verrechnet, ihre schicken, blonden Gegnerinnen waren Polinnen, denen man offenbar zu Hause nicht eingetrichtert hatte, dass es besser sei, sich wegzuducken.“

Muslimische Schülerinnen werden hier im Handumdrehen zu „die Kopftücher“ entmenschlicht. Blonde Mädchen hingegen sind per se holde, auf dem Feld der Schulhofprügelei ungeschlagene Amazonen – vorausgesetzt, das schleichende Gift des Multikulturalismus hat ihre Kampfesmoral noch nicht zersetzt. Welche deutschen Buben und Mädchen, so kann sich hier der geneigte Leser fragen, können bei so leuchtenden Vorbildern noch feig die Hände in den Schoß legen?

Man wundert sich, wie diese keifende Frontberichterstattung in einer seriösen Tageszeitung gedruckt werden konnte. Das freundliche Echo auf rechtsradikalen Webseiten war zu erwarten (was sich unkompliziert selber ergooglen lässt). Die jubilierenden Kommentare auf der FAZ-Seite sind hingegen wirklich beängstigend.

Update: Nassehis exzellenter Artikel ist jetzt bei der FAZ frei zugänglich. Vielen Dank an Don Gomez für den Hinweis!

17 Kommentare zu “Die deutsche Stimme der FAZ

  1. „Man wundert sich, wie diese keifende Frontberichterstattung in einer seriösen Tageszeitung gedruckt werden konnte“

    Man könnte noch darüber nachdenken, inwiefern der Artikel eine Reaktion auf die Ergebnisse der Ebert-Stiftung zum Phänomen „Ausländerfeindlichkeit“ darstellt. Jedenfalls ist es bedenkenswert, dass die FAZ da zeitnah einen solchen Artikel veröffentlicht.

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  3. @ekelbaron: Naja, in der zitierten Textstelle sind es allein schon drei Formulierungen die ich für eine sachliche Berichtserstattung unangemessen finde: „die Kopftücher“, die wohl im Gegensatz zu diesen besonders „schicken, blonden Gegnerinnen“ und natürlich die Anspielung auf den verlotterten Zustand der deutschen Jugend, die, wahrscheinlich auf Grund multikultureller, post 68er Hirnwäsche ihren gesunden Nationalstolz verloren haben und sich mal an den „Polinnen“ (die wahrscheinlich alle einen deutschen Pass haben…) ein Beispiel nehmen sollten wie man mit „den Kopftüchern“ umspringen muss…
    Für fünf Zeilen finde ich das eine erstaunliche Ausbeute. Was nicht bedeutet der Rest des Artikels wäre besser.

  4. @cord
    Soweit ich das aus dem Artikel herauslesen konnte, „entmenschlichten“ sich diese Mädchen selbst, als sie eine Hasskampagne „Kopftuch gegen Blond“ starteten.
    Schon allein das Wort „gegen“ zeigt eine gewisse Intoleranz. Oder gibt es eine Möglichkeit, das anders zu verstehen?

    Wie leichtfertig man mit Rassismus umgeht, wenn er nicht von Deutschen ausgeht, verwundert mich doch immer wieder. :/

  5. @neutraler Beobachter: Ich sehe das anders: Selbst wenn muslimische Schülerinnen „Kopftuch“ als Selbstbezeichnung verwenden (was aus dem Artikel überhaupt nicht klar wird, soweit wie das Internet hier weiterhilft stammt die Bezeichnung des Konflikts von einem Neuköllner Schuldirektor), ist niemand gezwungen diese zu übernehmen, vor allem nicht ohne Anführungsstriche. Damit macht sich die Autorin diese vermeintliche Selbstbezeichnung zu eigen, was umso schlimmer ist, wenn man bedenkt, dass es sich hier halbwüchsige Schülerinnen handelt.

  6. Das Argument von halbwüchsigen Schülerinnen kann nicht gelten. Wenn Deutsche sich so verhalten, dann sind es Nazis. Da sagt auch niemand: „*schulterzuck* Es sind halt Halbwüchsige“
    Und es scheint mehr als unwahrscheinlich, dass diese Kinder nicht von den Eltern bzw. Familie dazu angestachelt wurden.

    Außerdem denke ich, dass solche Bezeichnungen nicht immer auf die Goldwaage gelegt werden sollten. Und bei allem Verständnis für politische Korrektheit, sollte hier doch das eigentliche Problem nicht aus den Augen verloren werden: Wenn Deutsche gemobbt werden, ist das genauso schlimm, wie wenn Deutsche selbst mobben.

    Einen kleinen Seitenhieb muss dann doch noch sein:
    Wer sich so zwanghaft selbst erniedrigt, muss sich dann nicht auch noch wundern, wenn man plötzlich vom vermeintlichen Täter zum tatsächlichen Opfer wird.

  7. @neutraler Beobachter,

    „Und es scheint mehr als unwahrscheinlich, dass diese Kinder nicht von den Eltern bzw. Familie dazu angestachelt wurden.“

    Diese Meinung kann ich nicht komplett teilen. Ich denke, dass sich trotz kultureller Unterschiede Jugendliche mit Migrationshintergrund die sich in der Pupertät befinden sich nicht sonderlich von Jugendlichen Deutschstämmigen unterscheiden. Und solche Jugendlichen lassen sich meist von ihresgleichen etwas sagen, was aber die Eltern sagen ist meist das was abgelehnt wird. Zumindest kenne ich das noch so aus meiner eigenen Jugend. Ich kann mir schwer vorstellen, dass die Eltern z.B. türkische Gastarbeiter Gewalttaten bzw. Prügelleien ihrer Kinder in der Schule für gut befinden. Gerade solche Eltern wissen doch meist, dass es ihre Kinder durch den Migrationshintergrund einmal schwerer haben werden, nach der Schule eine Arbeit zu finden. Somit kann ich mir nicht vorstellen, dass sie es gut heißen wenn ihre Kinder durch Prügeleien, die eventuell einen Schulausschluß oder negative Beurteilungen im Zeugnis nach sich ziehen, noch schlechtere Zukunftschancen haben.

  8. @Eulenspiegel
    “Und es scheint mehr als unwahrscheinlich, dass diese Kinder nicht von den Eltern bzw. Familie dazu angestachelt wurden.”
    Dies ist nicht nur ausländischen Jugendlichen gemünzt.

    „Und solche Jugendlichen lassen sich meist von ihresgleichen etwas sagen, was aber die Eltern sagen ist meist das was abgelehnt wird.“
    Das würd ich so allgemein nicht sagen. In Problemvierteln, wo die Familien finanziell eher Probleme haben, glaub ich sieht das anders aus. Aus welchem Grund haben die Familien finanzielle Probleme? Weil die Eltern oft nicht gut genug Deutsch können oder keine/gerine Schulbildung haben.
    In solchen Fällen lassen sich Jugendliche mit Migrationshintergrund eher was von ihren Eltern sagen, als deutsche und haben auch wesentlich mehr Respekt ihren Eltern gegenüber. Was der Vater sagt, ist Gesetz. Daran wird normalerweise nicht gerüttelt. Und wenn zu Hause oder in der Gemeinschaft antiwestlich propagiert wird, färbt das auf die Kinder ab.

    „Gerade solche Eltern wissen doch meist, dass es ihre Kinder durch den Migrationshintergrund einmal schwerer haben werden, nach der Schule eine Arbeit zu finden.“
    Vorraussetzung hierfür ist, dass die Eltern sich für die Kinder und deren Zukunft interessieren, sich einsetzen und fördern und dass die Eltern nicht sagen: „Du übernimmst den Laden den wir führen“ usw.
    Und Familien, die dem Westen verschlossen bleiben, „wurschteln“ lieber weiter in dem Viertel, wo sie leben und schotten sich weitesgehend von den Einheimischen ab.

    Kinder mit Eltern die kein Deutsch können und in Problemvierteln aufwachsen haben enorme Probleme, einen guten Abschluss zu bekommen. Die wenigsten Jugendlichen (egal ob Ausländer oder Deutsche) an diesen Schulen interessieren sich für einen Schulabschluss, geschweige denn für Beurteilungen.

  9. @neutraler Beobachter:
    „Wenn Deutsche gemobbt werden, ist das genauso schlimm, wie wenn Deutsche selbst mobben. “ Wie Du meinem Artikel entnehmen kannst, teile ich hier deine Meinung, ironischer Weise dürften im übrigen bei den meisten Fällen der sog. „Deutschenfeindlichkeit“ alle Beteiligten Deutsche sein.
    Da hört unsere Übereinstimmung aber auch schon auf.

    Der Fall um den es hier konkret geht ist 2004 an einer Berliner Schule passiert. Das ist sicherlich nicht schön, aber sechs Jahre alte Schulhofschlägereien bringen es normalerweise relativ selten auf eine ganze Seite in der FAZ. Es sei denn, es passt einer AutorIn gerade gut in den Kram, um daraus ihr ideologisches Süppchen zu kochen. Dann werden solche Geschichten zu einer Scheinevidenz einer in der Weltgeschichte einmaligen Integrationsverweigerung verdichtet (was für ein Blödsinn), ein „islamisierter Schulalltag“ herbeigefaselt und, natürlich, die ganze Schuld für Integrationsprobleme wird bei den Migranten und einer angeblich gescheiterten Ideologie des Multikulturalismus abgeladen.

    Die von dir ins Spiel gebrachte zwanghafte Selbsterniedrigung der Deutschen (aka „Schuldkult“) ist ein von Rechtsextremisten geprägter Mythos, der diejenigen verächtlich machen soll, die ihren Nationalismus nicht teilen. Wenn Du noch mehr davon hast, geh bitte wo anders kommentieren.

  10. Hrm, von einem “islamisierter Schulalltag” hab ich jetzt nichts gelesen.
    Was genau muss/kann ich mir unter diesem Schlagwort vorstellen?

    „… ironischer Weise dürften im übrigen bei den meisten Fällen der sog. “Deutschenfeindlichkeit” alle Beteiligten Deutsche sein.“
    Was ich mit meinem Seitenhieb doch auch beschrieben habe. oO

    „Die von dir ins Spiel gebrachte zwanghafte Selbsterniedrigung der Deutschen (aka “Schuldkult”) ist ein von Rechtsextremisten geprägter Mythos, der diejenigen verächtlich machen soll, die ihren Nationalismus nicht teilen. Wenn Du noch mehr davon hast, geh bitte wo anders kommentieren.“
    Wieso jetzt der Ton rauher wird, kann ich nicht nachvollziehen, wir verstehen uns doch. ^^ (siehe oben)
    Außerdem finde ich es absurd, mir vorzuwerfen, oder anzudeuten, dass ich einen “ von Rechtsextremisten geprägten Mythos“ verbreite. Ich will hier nicht diskutieren, wer hier was von wem als Mythos deklariert. Mit meinem Namen wollte ich zum Ausdruck bringen, dass ich auch wirklich neutral bin. Will heissen: Ich bin kein Deutscher und ich bin kein Ausländer mit deutschfeindlichen Tendenzen, sondern ein wahrhaft neutraler Beobachter. Und als solcher kann ich sagen, wie lächerlich (vielleicht das falsche Wort, mir fällt nun leider kein anderes ein :/ ) sich Deutsche mit ihrer, wie du das nennst, „Schuldkult“ machen. Das ist es, was ich als Ausländer kommentieren kann.

    Ich bin nicht sicher, wie du Nationalismus definierst. Ich will dir meine Sichtweise erklären, mit einem Wort, das ich als geeigneter empfinde: Ich empfinde Nationalstolz, und ich denke, jeder sollte das empfinden.
    Was denkst du?

    P.S.: Ich hoffe, dass sich die Diskussion jetzt nicht weiter unnötig aufheizt und dass deine Bitte, ich solle woanders kommentieren, auf einem Missverständniss beruhte. 🙂

  11. ist das Schweizer Votum. Um es einmal klar zu stellen, es bedeutet lediglich eine Beschränkung und keine völlige Ablehnung. Warum soll also dieser Aufstand der EU und der Mitgliedsländer.

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