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15. Oktober 2010, Schmelzle

Die FAZ ist eine erstaunliche Zeitung: Diesen Mittwoch gab es auf der Geisteswissenschaften-Seite den wohl bisher klügsten und differenziertesten Beitrag (Paywall) zur unseligen Sarrazin-Debatte von dem Münchner Soziologen Armin Nassehi. Nur zwei Tage später findet sich im Feuilleton ein Stück von Regina Mönch zur sogenannten „Deutschenfeindlichkeit“ von muslimischen Jugendlichen, das an plumpem Ressentiment in der hiesigen Presselandschaft wohl nur noch von Leitartikeln in der National-Zeitung – oder den Leserkommentaren auf faz.net – überboten wird.

Das Problem an Mönchs Artikel ist nicht das Thema. Mobbing und Gewalt gegen autochthone Kinder und Jugendliche ist in einigen Vierteln deutscher Großstädte sicherlich ein Problem und für die Opfer genauso verletzend und erniedrigend wie bei umgekehrten Täter/Opfer-Konstellationen. Und es ist zumindest vorstellbar, dass die zuständigen Behörden das Phänomen der Deutschenfeindlichkeit weniger aufmerksam verfolgt haben als die Welle rechtsextremer Gewalt, die zwischen 1990 und 2005 137 Todesopfer gefordert hat. Das ist nicht schön, allerdings auch nicht ganz unverständlich. Über dieses Phänomen kann man dann von mir aus auch einen besorgten Artikel schreiben, und dass das auch ohne rassistische Untertöne möglich ist, hat Jörg Lau in der Zeit demonstriert.

Solche Feinheiten sind nicht die Sache von Regina Mönch: Ihr geht es nicht darum, die Leserinnen und Leser für ein Problem zu sensibilisieren, das bisher wenig beachtet wurde, noch ist es ihr ein Anliegen, auf das vermeintliche Paradox hinzuweisen, dass es Opfer von Gewalt gibt, denen aufgrund ihrer ansonsten relativ privilegierten gesellschaftlichen Stellung der Opfer-Status nicht zuerkannt wird. Ihr Thema ist vielmehr der verletzte Stolz derjenigen, deren Monopol zu diskriminieren, zu beleidigen und verächtlich zu machen plötzlich von den bisherigen Opfern angetastet wird. In der erschreckendsten Passage dieses erschreckenden Stücks schreibt Mönch:

„Aber auch die Mädchen langen zu, „Kopftuch gegen Blond“ nannte sich eine Hasskampagne an einer Schule. Aber die Kopftücher hatten sich verrechnet, ihre schicken, blonden Gegnerinnen waren Polinnen, denen man offenbar zu Hause nicht eingetrichtert hatte, dass es besser sei, sich wegzuducken.“

Muslimische Schülerinnen werden hier im Handumdrehen zu „die Kopftücher“ entmenschlicht. Blonde Mädchen hingegen sind per se holde, auf dem Feld der Schulhofprügelei ungeschlagene Amazonen – vorausgesetzt, das schleichende Gift des Multikulturalismus hat ihre Kampfesmoral noch nicht zersetzt. Welche deutschen Buben und Mädchen, so kann sich hier der geneigte Leser fragen, können bei so leuchtenden Vorbildern noch feig die Hände in den Schoß legen?

Man wundert sich, wie diese keifende Frontberichterstattung in einer seriösen Tageszeitung gedruckt werden konnte. Das freundliche Echo auf rechtsradikalen Webseiten war zu erwarten (was sich unkompliziert selber ergooglen lässt). Die jubilierenden Kommentare auf der FAZ-Seite sind hingegen wirklich beängstigend.

Update: Nassehis exzellenter Artikel ist jetzt bei der FAZ frei zugänglich. Vielen Dank an Don Gomez für den Hinweis!


Vollständiger Link zum Artikel: https://www.theorieblog.de/index.php/2010/10/die-deutsche-stimme-der-faz/