Wo wären wir ohne Robert Dahl? Ein Nachruf

Am 5. Februar ist Robert Alan Dahl verstorben. In diesem Nachruf möchte ich einem Gedanken des französischen „Solidarismus“ folgen, auf dessen Bedeutung jüngst Pierre Rosanvallon hingewiesen hat. Diesem zufolge sind Individuen keine vereinzelten Einzelnen, sondern nehmen in ihrem Tun immer Vorleistungen der Gemeinschaft in Anspruch, in die sie hineingeboren werden. Sie werden damit sprichwörtlich Träger einer „sozialen Schuld“, die zu Gegenleistungen verpflichtet. Nun wird man in die Gemeinschaft der Demokratietheoretiker*innen nicht hineingeboren, sondern tritt ihr freiwillig bei. Dennoch ist es in dieser Gemeinschaft kaum möglich, nicht in irgendeiner Weise auf theoretische Konstruktionen, Begriffe oder Befunde zurückzugreifen, die ihren Ursprung bei Robert A. Dahl haben oder entschieden durch diesen geprägt wurden. Der Nachweis, dass selbst aktuellste Diskurse stets bei Dahl anknüpfen, zeigt, wie tief wir in Dahls Schuld stehen. (mehr …)

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Im Bann der Falschheit. Wolfgang Streecks Wiederaufnahme der Kapitalismuskritik

Rezension zu Wolfgangs Streecks »Gekaufte Zeit: Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus, Berlin, Suhrkamp, 2013«

In seinem beeindruckenden Buch knüpft Wolfgang Streeck an die »Spätkapitalismus«-Theorien der 1960er und 1970er Jahre an. Deren erwartete krisenpolitische Sequenz lautete wie folgt: Im Unterschied zum klassischen Kapitalismus der Vorkriegszeit (lies: dem »goldenen Zeitalter« des fordistischen Kapitalismus) sei heute für jeden sichtbar, dass sich der Wohlstand zu ganz erheblichen Anteilen staatlichen Eingriffen in den nach wie vor kapitalistischen Akkumulationsprozess verdanke. Dadurch aber könne eine Konstellation auftreten, in der Erwartungen der Menschen an Wohlstandszuwächse und Spielräume zur individuellen Entfaltung schneller wachsen als es eine weiterhin auf stabile Ertragsaussichten angewiesene Kapitalakkumulation erlaube. Aus dem Interessenkonflikt zwischen den Ertragsansprüchen der Kapitalbesitzenden und den wohlfahrtsstaatlich geweckten Entfaltungserwartungen der demokratisch Regierten wurde die Entstehung sozialer Bewegungen erwartet – wohl auch erhofft –, die eine Demokratisierung von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat auf die Tagesordnung setzen. (mehr …)

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Rezension: Pierre Rosanvallons „La Société des Égaux“ (Die Gesellschaft der Gleichen)

Pierre Rosanvallon, La Société des Égaux, Paris: Editions deu Seuil, 2011.
Deutsch erschienen als Die Gesellschaft der Gleichen, Hamburger Edition, 2013.

Mit seiner jüngsten Buchveröffentlichung, deren deutsche Übersetzung soeben als „Die Gesellschaft der Gleichen“ bei der Hamburger Edition erschienen ist, setzt der französische Theoretiker und Historiker Pierre Rosanvallon seine Erkundungen zum Strukturwandel zeitgenössischer Demokratien fort. Er hatte das Terrain bereits in seinen Werken zur „Demokratischen Legitimität“und dem bislang nicht ins Deutsche übersetzten Werk zur „Contre-Démocratie“ erkundet. Die Zeichen stehen gut, dass Rosanvallons mit seinem neuen Buch einen günstigen Zeitpunkt in der politischen Konjunktur erwischt hat. (mehr …)

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Mehr Machiavelli wagen! Anmerkungen zur internationalen Bewegungsforschung anlässlich eines Vortrags von Donatella della Porta

»Even though I come from Florence, I am much less machiavellic«, entgegnete die italienische Bewegungs- und Demokratieforscherin Donatella Della Porta auf einen Kritikpunkt aus ihrem Publikum am Max Planck-Institut für Gesellschaftsforschung (MPIfG). Am 26 . Januar hatte die Forschungseinrichtung die Professorin vom European Union Institute (EUI), das in der Heimatstadt des wohl bekanntesten politischen Theoretikers der Renaissance angesiedelt ist, zu sich in die Kölner Südstadt geholt. (mehr …)

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It’s the economy, stupid! – Bericht vom Vortrag von Uwe Schimank am MPIfG

Der Bremer Soziologe Uwe Schimank sprach als zweiter Referent der Reihe „Sozialtheorie“ des Kölner Max Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung (MPIfG). Schimank setzte dabei andere, bisweilen entgegengesetzte Akzente zu Hans Joas (Uni Erfurt), der als erster Redner der Reihe im Oktober vortragen hatte. Während beide eine handlungstheoretische Grundlage gesellschaftstheoretischer Großentwürfe einklagen und sich in diesem Zusammenhang häufiger theoretisch an der Systemtheorie Luhmanns reiben (mit oft sehr interessanten Ergebnissen), war Schimanks Vortrag in erster Linie die zugespitzte durchaus gelungene Bemühung, die These vom strukturellen Primat der Ökonomie in der gegenwärtigen Gesellschaft zu rehabilitieren. Diese These, durch ihre enge Identifikation mit dem Marxismus und dessen ökonomistischer und geschichtsdeterministischer Schlagseite in weiten Kreisen diskreditiert, wurde durch Schimank auf handlungs- und differenzierungstheoretischer Grundlage neu errichtet.

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Vom Nutzen und Nachteil einer kritischen Sozialwissenschaft – Bericht von einer Aachener Podiumsdiskussion

Den ca. neunzig ZuhörerInnen im randvoll gefüllten Saal des Philosophischen Instituts der RWTH Aachen wurde ein gehaltvoller theoretischer Disput geboten: Neben Helmut König, dessen 60. Geburtstag den Anlass der Veranstaltung darstellte, nahmen mit Hauke Brunkhorst und Heinz Bude zwei Soziologen teil, die um bisweilen polarisierende Zeitdiagnosen nicht verlegen sind. (mehr …)

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Justice is what democracies make of it – Dritter und letzter Teil des Konferenzberichts von der Sektionstagung in FFM

I.
Zum Abschluss des dreiteiligen Konferenzberichts zur diesjährigen Frühjahrssektion (Teil 1 hier, Teil 2 dort) nun noch ein Blick auf den zweiten Tag, sowie einige allgemeine Überlegungen zum Gesamteindruck der Tagung. Am Freitag näherten sich die Vorträge stärker konkreten Policy- und Polity-Problemen aus der Gerechtigkeitsperspektive. Als loser, immer wieder aufblitzender roter Faden kristallisierten sich dabei „soziale Rechte“ heraus, die das Potential haben, Demokratie- und Gerechtigkeitsdebatten fruchtbar zu verknüpfen, deren Stellenwert aber kaum systematisch verortet wurde. (mehr …)

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