Münchener Alternativen – Zweiter Teil des Konferenzberichts von der Sektionstagung in FFM

Der Samstagmorgen war ‚besonderen Gütern in der Demokratie‘ gewidmet und stellte zugleich ein Novum in der Geschichte der Theoriesektion dar – „das erste rein weiblich besetzte Panel auf einer allein von Frauen organisierten Sektions-Tagung“ (Barbara Holland-Cunz). Anja Karnein (Uni Frankfurt) warf die Frage nach einem ‚universellen Recht auf Elternschaft‘ auf; Carolin Stange (Uni Bamberg) thematisierte den Status geistigen Eigentums im Zeitalter des Internets. Beide Vorträge hatten Güter zum Gegenstand, deren Status einem gesellschaftlichen Wandel unterliegt, d.h. bei denen umstritten ist, ob es sich hier um ein öffentliches oder privates Gut handelt (dies wäre dann auch eine Bestimmung des etwas opaken Begriffs besonderes Gut‘).
Karneins Begründung eines universellen positiven Rechts auf Elternschaft konnte jedoch nicht voll überzeugen, führte ihr Weg über die Stärkung der sozialen gegenüber der biologischen Elternschaft, d.h. ihrer Entnaturalisierung am Ende doch wieder zu einem quasi-natürlichen uneingeschränkten Recht auf biologische Reproduktion, ohne Elternschaft in einem erweiterten Sinne, nämlich als Lebensentwurf mit besonderen gesellschaftlichen Voraussetzungen in den Blick zu nehmen. Carolin Stanges Versuch, im Streit zwischen Open-Access-Protagonisten und den Verteidigern des Rechts auf geistiges Eigentum eine objektive Position zu finden, fand ebenso deutliche Kritik. Besonders problematisch erschien, dass sie sich dem Thema über das Beispiel der Musikindustrie näherte, um Aussagen über das Paradox der Urheberschaft im virtuellen Zeitalter auch für andere Bereiche, z.B. dem der wissenschaftlichen Publikationen, zu entwickeln. Doch müsse man, so Barbara Holland-Cunz in ihrem Kommentar, die unterschiedlichen Akteure – Produzenten, Konsumenten, Medienindustrie – und ihre gegenläufigen Interessen in diesem in erster Linie juristisch geführten Kampf deutlich unterscheiden. Hier wäre, gerade aufgrund der Betroffenheit von Wissenschaftler/innen, eine den eigenen Standort reflektierende, möglicherweise sogar Standpunkt beziehende und kritische Analyse wünschenswert gewesen.

Im Nachmittagspanel führte Michael Hirsch (TU München) ein solches bekennend parteiliches und intervenierendes Verständnis politischer Theorie vor. Ausgehend von der Annahme, dass Ideen und Diskurse in der Konstitution von Verteilungsordnungen maßgeblich wirksam sind, bestimmte er die Aufgabe des politischen Theoretikers darin, die gesellschaftlichen Verteilungsregime nicht nur kritisch zu analysieren, sondern auch Alternativen zu entwickeln und zu verteidigen. Für die in seinem Vortrag in den Blick genommene Frage des Verhältnisses von Arbeit, Einkommen und sozialer Anerkennung ist Hirschs Diagnose: Die Krise der Arbeitsgesellschaft ist nur dann zu begreifen, wenn man sie im Lichte der herrschenden Geschlechterordnung betrachtet. Der Fehler, so Hirsch, liege darin, Arbeit immer noch nach der androzentrischen Norm der alten Arbeitsgesellschaft zu verstehen und zu verteilen. Die Gleichstellung von Frauen erweise sich innerhalb dieses Rahmens de facto als normativer Rückschritt, weil sie nichts weiter als die Verallgemeinerung und Ausdehnung des männlich konnotierten Vollerwerbsideals auf den weiblichen Teil der Bevölkerung darstelle. Mit fatalen Folgen: Der Eintritt der Frauen steigere den Anteil der Erwerbsbevölkerung, und damit den materiellen Wert von Erwerbsarbeit, die bei gleichzeitig schwindendem Bedarf ein äußerst knappes und stark umkämpftes soziales Gut werde. Daraus entsteht eine paradoxe Situation. Die gesellschaftlich noch wirksame Norm der Vollzeit-Erwerbsarbeit wird zur faktischen Ausnahme und der soziale Kampf um sie zum alles beherrschenden Verteilungsmodus. In Hirschs Zuspitzung: „Sozialdarwinismus ist die offene Leitideologie der liberalen Gesellschaft“.
Hirsch machte sich für eine radikale Umdeutung und Umverteilung der Arbeit
stark, für eine allgemeine und nicht nur optionale Verkürzung der Arbeitszeit und die volle Anerkennung von Reproduktionsarbeit – und übersetzte dies schließlich in die politischen Forderungen nach bedingungslosem Grundeinkommen, dem Recht auf Inklusion und auf Teilhabe an allen Formen gesellschaftlicher Tätigkeit. Zu Recht wurde kritisiert, Adressat der Forderungen könne nicht allein der Staat sein, – müsse doch die geforderte Änderung der Grundnorm gesellschaftlich ausgehandelt werden.

Armin Schäfer (MPI Köln), stellte abschließend die Frage nach der Armut als Problem für die Demokratie in Deutschland ins Zentrum. Schäfer konnte seine These, dass die sozialen Voraussetzungen für politische Gleichheit in Deutschland erodieren, mit zwar zum Teil bekannten, aber dennoch erschreckend eindrucksvollen Zahlen belegen: Die Korrelation von sinkender Wahlbeteiligung und Arbeitslosigkeit/niedriger Bildung deutet auf ein Wegbrechen der politischen Partizipation armer und bildungsferner Bevölkerungsteile hin. Aufschlussreich war hier die Differenz zu südamerikanischen Staaten, die Burchart/Wehr am Freitag präsentiert hatten: Dort lässt sich nämlich, trotz wachsender sozialer Ungleichheit, kein solcher Abkopplungseffekt in der politischen Teilhabe beobachten.

Neben den inhaltlichen Fragen war einer der spannendsten Aspekte dieser Tagung die an vielen Stellen immer wieder auftauchende Frage nach Aufgabe, Haltung und Selbstverständnis politischer Theorie, die sich nicht nur in der faktischen Pluralität der praktizierten Ansätze zeigte, sondern sowohl als offener Methodenstreit (den dieses Mal vor allem die analytische Moralphilosophie traf, siehe den Beitrag von Tamara) als auch in Form methodischer Rechtfertigung deutlich präsent war. Es ist ein altes Frankfurter Thema, das hier wieder zu vernehmen ist; es betrifft die wechselseitige Vermittlung empirischer und normativer Realität. This deserves to be continued.

Maike Weißpflug ist Doktorandin am Institut für Politische Wissenschaft der RWTH Aachen. In ihrer Dissertation fragt sie nach der Möglichkeit einer politischen Theorie im Spannungsfeld von Urteilskraft, Politik und Literatur. Weitere Forschungsinteressen sind: Probleme und Methoden politischer Ideengeschichte, ältere und neuere Ansätze einer kritischen Gesellschaftstheorie.

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