»Even though I come from Florence, I am much less machiavellic«, entgegnete die italienische Bewegungs- und Demokratieforscherin Donatella Della Porta auf einen Kritikpunkt aus ihrem Publikum am Max Planck-Institut für Gesellschaftsforschung (MPIfG). Am 26 . Januar hatte die Forschungseinrichtung die Professorin vom European Union Institute (EUI), das in der Heimatstadt des wohl bekanntesten politischen Theoretikers der Renaissance angesiedelt ist, zu sich in die Kölner Südstadt geholt. Della Porta, die auch zur extremen Rechten, zu Korruption, zu altermondialistischen Bewegungen forscht, lieferte den abschließenden Beitrag in einer öffentlichen Vortragsreihe über »Politics and Law beyond the Nation State«. Anhand der überaus lohnenswerten Veranstaltung ließ sich beobachten, welche »blinden Flecken« die Forschung zu transnationalen sozialen Bewegungen bisweilen noch aufweist. Mit der theoretischen »Brille« der Bewegungsforschung wird einiges nicht erfasst, das eigentlich auf ihren Radarschirm gehört, wenn man – teils erstaunliche, teils besorgniserregende – Veränderungen in den westlichen Demokratien unserer Tage verorten und verstehen möchte.
Die Forscherin verglich die Rolle transnationaler sozialer Bewegungen mit der früheren ArbeiterInnenbewegung. Darauf gründete auch ihre These, dass paradoxerweise die SB einerseits die Politik internationaler Organisationen (IO) kritisierten, andererseits sie aber legitimierten – analog zu ArbeiterInnenbewegung und Nationalstaaten. Als Beispiel diente die Klientel Europäischer Sozialforen (ESF). AktivistInnen, die auf diesen Foren zusammenträten, kritisierten laut empirischer Untersuchungen von della Portas Team die Europäische Integration von auf Basis anti-neoliberaler Plattformen. Man treffe dort Mitglieder von Gewerkschaften, religiöser Organisationen und globalisierungskritischer Netzwerke. Den als neoliberal kritisierten EU-Strukturen setzten die AktivistInnen eine politische Sprache der »Rechte« entgegen, konkretisiert in Forderungen nach Einhaltung der Menschenrechte und multi-perspektivistischen Gerechtigkeitsbegriffen (einschließlich ökologischer und geschlechterpolitischer Dimensionen).
Zur Legitimation des transnationalen Regierens tragen die SB vor allem bei, weil sie transnationale (Gegen)Öffentlichkeiten zu politischen Themen schaffen und umfangreiche Deliberationen unter den AktivistInnen ermöglichen. Immer wieder finde eine umfangreiche Zusammenarbeit der AktivistInnen mit IO statt auch fallen laut Umfragen ihre Plädoyers zur Stärkung der IO stärker aus als für eine Stärkung nationalstaatlicher Regierungen, denen eher die Rolle des Übeltäters zukomme. Die Generaldirektion Umwelt der Europäischen Kommission werde von SB geradezu »bevölkert«. So verschieben sich dank der SB auch politische Schuldzuweisungen von der nationalen stärker zur transnationalen Ebene (»blame shifting«).
In der Diskussion kommentierte Instituts-Ko-Direktor Jens Beckert bisweilen illusionäre Vorstellungen der Bewegungen ob der Reformierbarkeit von IO, Renate Mayntz argumentierte, dass Orientierung auf Aktionen »auf der Straße« es ob des Netzwerkcharakters einer »Bewegung der Bewegungen« strukturell schwierig hätten. Hier sehe ich eine erste gravierende Schwäche in della Portas These: Ob man wirklich von den transnationalen SBs als »Funktionsäquivalent« der früheren ArbeiterInnenbewegung sprechen kann, wäre (abgesehen von den problematischen teleologischen Implikationen der Annahme) auch einzuschätzen anhand der Angemessenheit ihrer organisatorischen Form. Im Nachhinein zeigte sich, dass die politische Organisationsweise vieler ArbeiterInnenbewegungen sowohl zur Stärkung ihrer politischen Ziele, als auch für die nur im Nachhinein von BeobachterInnen wertzuschätzende, weil von ihnen niemals geplante Konsolidierung des Nationalstaates adäquat gewesen ist (ich übergehe zur Vereinfachung das katastrophale Versagen sowohl der sozialdemokratischen Internationale vor dem ersten und der Dritten Internationale vor dem zweiten Weltkrieg).
Das trifft jedoch bei den transnationalen SB allenfalls sektoral zu. Mögen, wie von della Porta angeführt, Umweltverbände dank der EU-Mehrebenenstruktur die Möglichkeit haben, gegen mitgliedsstaatliche Regierungen »über Bande zu spielen«, so kann davon auf der Ebene der Gewerkschaften schon keine Rede mehr sein. Hierauf wies Martin Höpner hin. Europäische Gewerkschaften zeigten sich politisch unfähig zur Koordination ihrer Lohnpolitik, obgleich diese für die Eurozone längst als »funktional notwendig« erkannt worden sei. Doch der deutschen IG Metall sei dann im Zweifel doch der Arbeitsplatzerhalt ihrer Klientel mittels Lohnzurückhaltung näher. Und viele osteuropäische Gewerkschaften sähen es genauso wenig ein, durch eine Strategie zur Erhöhung von Mindeststandards die (Niedrig)Lohnkostenvorteile ihrer »nationalen« Klientel infrage zu stellen. Zerbrach sich der Florentiner Machiavelli noch maßgeblich den Kopf über die problemadäquate Reichweite politischer Organisation in territorialer (»scale«) und sachlicher (»scope«) Hinsicht (man denke nur an seinen emphatischen Aufruf an Ende des »Principe«, Italien möge befreit und geeint werden), kam diese Frage bei der Referentin konzeptionell deutlich zu kurz.
Auf die Frage des Aachener Diskutanten Jannis Kompospoulos nach Verortung rechtspopulistischer Kräfte in ihrem Ansatz erwiderte della Porta, dass linke und rechte Bewegungen unterschiedliche Antworten auf dieselbe Krise darstellen. Bei linken Bewegungen zeige sich die populistische Schlagseite nicht wie rechts gegen MigrantInnen, sondern in einem Anti-Parteien-Ressentiment und Skandalisierungen von »Wall Street« als namensgebendem Feindbild der Occupy-Bewegung. Allerdings bedeutete eine angemessene Berücksichtigung rechtspopulistischer Bewegungen und Parteien, dass die These der Referentin zumindest in ihrer Pauschalität kaum mehr aufrecht zu erhalten ist. Dass rechtspopulistische Kräfte kaum zu den unfreiwilligen Schutzpatronen von IO gehören, die von komplexen Gerechtigkeitsdiskursen angeleitet werden, bedarf wahrscheinlich keiner weiteren Beweisführung. Dass sie überhaupt nicht zur Legitimation transnationalen Regierens beitragen, wäre als These aber genauso falsch.
Rechtspopulistische Bewegungen haben im vergangenen Jahr ihre linken Gegenparts in nahezu jeder Hinsicht übertrumpft: An medialer Aufmerksamkeit (Marine Le Pen überholte Nicolas Sarkozy bisweilen in Umfragen), an elektoralen Erfolgen und Einfluss auf die politische Landschaft (man denke an Geert Wilders und die »Wahren Finnen«) und zweifelsfrei auch anhand des politischen »Impacts« (der fiskalpolitische Fundamentalismus der »Tea Party« brachte die USA an den Rand der Zahlungsunfähigkeit). Allen genannten Spielarten des Rechtspopulismus ist gemeinsam, dass sie ein Regime fiskalischer Austerität legitimieren. Ob es in Vertragsform (»Fiskalunion«) gegossen wird oder in Wahlprogramme (sämtliche Kandidaten der US-Republikaner), mag je nach politischem System unterschiedlich ausfallen. Fraglos gilt jedoch, dass die populistische Rechte um ein vielfaches erfolgreicher auf nahezu allen Feldern war, bei denen della Porta und andere BewegungsforscherInnen den linken AktivistInnen zu viele empirisch fragwürdige Vorschusslorbeeren zu gewähren scheinen. Demagogische Agitation auf der nationalen Ebene gegen transnationale Umverteilung, gegen angeblich faule Griechen, ItalienerInnen, Portugiesen und SpanierInnen bringt anscheinend mehr als jedes Zeltcamp vor der europäischen Zentralbank.
Trotzdem erhält die rechtspopulistische Opposition, die als »unsichtbarer Verhandlungspartner« sowohl in Europa als auch in den USA längst mit am Tisch sitzt, nicht die Aufmerksamkeit, die ihr zustünde. Dies liegt nicht zuletzt am Deutungsmuster von Demokratie- und Bewegungsforschung selbst, deren Kategorien wie »Deliberation« oder »Kosmopolitismus« noch immer zu stark von rationalistischen und universalistischen Normativismen eingefärbt sind und ihren Spürsinn offensichtlich begrenzen- m.a.W.: die theoretische »Brille« bedarf vielleicht neuer Gläser. Wie der Erfolg der RechtspopulistInnen maßgeblich damit begründet ist, dass sie keine »schmutzigen Hände« (Sartre) zu scheuen scheinen, muss sich auch die Demokratie- und Bewegungsforschung stärker an ihnen die Hände schmutzig machen, und sie nicht nur als exotischen Seitenstrang rubrizieren: Mehr Machiavelli wagen.
Alban Werner ist Doktorand am Institut für Politische Wissenschaft an der RWTH Aachen und Redakteur der Zeitschrift “Das Argument”. Seine Dissertation befasst sich mit politischer Opposition in europäischen Wohlfahrtsstaaten im gesellschaftlich-politischen Strukturwandel. Er interessiert sich für die Grundfragen politischer Soziologie, insbesondere Demokratie-, Staats- und Herrschaftstheorien.
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