Öl ins Feuer: Zur Politik des Plagiats

Plagiate, überall Plagiate! Wohin die wachsamen Augen der selbsternannten „Plagiatsjäger“ schweifen, erblicken sie das heiß begehrte Wild. Mag es sich auch noch so gut im Dickicht Tausender Fußnoten oder hinter sorgsam errichteten Schleiern verborgen wähnen, anonyme Treiber, googlende Jagdhunde und Angehörige intellektueller Schützenvereine spüren es auf und erfreuen das Publikum mit der nächsten Hatz quer durch die begeistert berichtenden Medien. Ob Jura, Theologie, Geschichte oder BWL, ob Verteidigungsminister, Europaparlamentarier oder Bildungsministerin, Deutschland ist im Plagiatefieber – und seine Politiker_innen liefern.

Nun soll hier, um die geneigten Leser_innen gleich zu beruhigen, weder ein Loblied auf das Abschreiben, noch eine Entschuldigung für ein mehr oder minder absichtsvolles Vergessen von Quellenangaben geliefert werden. Doch angesichts einer Diskussion, die sich nicht entblödet, „Lebensleistung“ gegen „handwerkliche Fehler“ zu verrechnen, soll einmal nachgefragt werden, welche Voraussetzungen und Implikationen in der Skandalisierung von Plagiaten im Spiel sind. Zugespitzt gefragt: Welcher Logik folgen Plagiatsvorwürfe und welche Politik betreiben sie? Lässt sich eine „Politik des Plagiats“ identifizieren? Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sehe ich drei Punkte, die helfen mögen, die Debatte in andere Bahnen zu lenken:

1. Es lebe die Autorfunktion!

Was ist ein Plagiat? Im einfachsten Fall das sprichwörtliche „Schmücken mit fremden Federn“: Autor_innen geben Gedanken und deren Formulierung als ihre eigenen aus, obgleich sie aus nicht von ihnen verfassten Texten stammen. Ökonomisch ausgedrückt, eignen sie sich „geistiges Eigentum“ an und enteignen folglich andere. Schon anhand dieser unspezifischen Bestimmung lassen sich zwei konstitutive Bedingungen ablesen, die jeder Plagiatsvorwurf voraussetzen muss. Erstens müssen hinreichend scharfe Grenzen gezogen werden, die Gedanken in ihrer Formulierung überhaupt zuschreibbar machen. Denn was bedeutet es, ein Argument zu stehlen? Dass aus den Prämissen „Alle Menschen sind sterblich“ und „Alle Griechen sind Menschen“ der Satz „Alle Griechen sind sterblich“ folgt, lässt sich niemandem enteignen. Was von Plagiator_innen also entwendet wird, sind Gedanken in ihren spezifischen Formulierungen, die je besondere Perspektive, die festlegt, welche Prämissen in welcher sprachlichen Gestalt relevant sind. Dass diese sich immer noch nur schwer individuell zuschreiben lassen, verdeutlicht das Beispiel der sterblichen Griechen ebenfalls: Ist nicht Aristoteles (vgl. Analytika Priora, 1. Buch, Kapitel 4) der Urheber des Gedankens? Gleichwohl findet sich diese Formulierung nicht bei Aristoteles, sondern bei Tugendhat und Wolf (2001: 75) – sowie in nahezu allen Logikbüchern, die das Argument gleichwohl Aristoteles zuschreiben. Schlampigkeit, Unwissen, handwerklicher Fehler oder Diebstahl? (Vgl. http://schavanplag.wordpress.com/2012/09/16/seite-264/). Plagiatsvorwürfe zwingen dazu, solche Abgrenzungsfragen zu entscheiden, ja die Grenzen soweit zu schärfen, dass jeder Text bis zur Parodie mit Quellenangaben überfrachtet werden muss. Zu Ende gedacht verlangen sie eine eineindeutige Zuordnung von Gedanken in ihren spezifischen Formulierungen und Autor_innen. Nicht, dass dies unmöglich wäre, doch muss man fragen, welche (politischen, sozialen, ökonomischen, intellektuellen) Technologien für eine solche Zuordnung notwendig sind, was ihr Preis ist und warum wir ihn zahlen sollten – ganz abgesehen von der Frage, wer ihn zahlt.

Angesichts der notwendigen Zurechenbarkeit ist es zweitens kein Wunder, dass Plagiatsvorwürfe konstitutiv auf einer gut geölten „Autorfunktion“ (vgl. Foucault 2001) aufbauen: In Kulturen, in denen der individuelle Ursprung eines Gedankens hinter seiner Richtigkeit, seiner Dignität oder welchem Wert auch immer zurücktritt (so der klassischen Lehre zufolge im Mittelalter), kommen Plagiatsprobleme wenn überhaupt, dann nur in abgeschwächter Form vor. Darf man umgekehrt aus der gegenwärtigen, heftigen Skandalisierung von Plagiaten schließen, dass entgegen Foucaults hoffnungsvoller Prognose vom Tod des Autors das 21. Jahrhundert zu eben dessen Epoche wird? Oder ist es die Angst angesichts der berühmt-berüchtigten „Copy and Paste“-Kultur, die manche zu einer so vehementen Verteidigung des Autors schreiten lässt?

Ohne an dieser Stelle Antworten vorwegnehmen zu wollen, lässt sich immerhin festhalten, dass Plagiatsvorwürfe eine extreme Individualisierung von Gedanken in ihren spezifischen Formulierungen durch eine gut funktionierende Autorfunktion benötigen, an deren verbesserter Trennschärfe sie zugleich arbeiten. Nicht zuletzt werden so die Voraussetzungen für die Ökonomisierung von Wissenschaft geschaffen, denn erst ihren Urheber_innen zuschreibbare Gedanken lassen sich zu Gegenständen des Urheberrechts machen.

 

2. Wissenschaft als Einzeldisziplin

Diese Individualisierung von formulierten Gedanken wird flankiert vom Glauben an die Wissenschaftler_innen als Originalgenies, die im vielleicht interessantesten Vorwurf des „Eigenzitats“ (vgl. die kontroverse Diskussion dazu auf http://de.schavanplag.wikia.com/wiki/Eigenplagiat_Schavan) greifbar wird. Wer Autor_innen vorhält, eigene Formulierungen eines Gedankens unerhörterweise ein zweites Mal zu verwenden, unterstellt eine Subjektivität mit unerschöpflicher Kreativität. Wissenschaftler_innen sollen stets etwas Neues sagen, und wenn sie schon nichts Neues zu verkünden haben – oder, was nicht eben selten vorkommt, um eine abermalige Wiedergabe ihrer Ergebnisse gebeten werden –, kann man von ihnen offensichtlich neue Formulierungen verlangen. Nicht nur angesichts des Publikationsdrucks ist diese Erwartung vermutlich eher einem populären Bild von Wissenschaft als ihrer Praxis geschuldet – aber einem Bild, dem zumindest öffentlich kaum widersprochen wird. Wer möchte schon die schmeichelhafte Illusion des stets kreativen, wortgewaltigen Wissenschaftlers zerstören?

Alle, die einmal die Mühe auf sich genommen haben, das „Werk“ von Wissenschaftler_innen gänzlich zu lesen, könnten dieses Bild natürlich leicht widerlegen, ebenso wie die Illusion der Einzelleistung: Nicht nur ist es in den Naturwissenschaften kaum möglich, alleine Ergebnisse zu erarbeiten – weil Laboratorien benötigt werden, Techniker_innen etc. –, auch in den Geisteswissenschaften sind in Isolation zustande gekommene Schriften eine absolute Seltenheit, nicht zuletzt, weil nur die engagierte Diskussion von Gedanken und Formulierungen diesen den letzten Schliff verleihen kann. Der Exzess von Koautoren (eher in den Naturwissenschaften) oder seitenlangen Danksagungen (eher in den Geisteswissenschaften) zeugt vom Bewusstsein dieser Urhebergemeinschaften – die aber vom Plagiatsvorwurf tendenziell geleugnet oder zumindest heruntergespielt werden muss. Die Politik des Plagiats drängt darauf, Gemeinschaften in Individuen aufzulösen, so dass es nur eine Frage der Zeit sein dürfte, wann der heute gängige Dank an die Studierenden in einem Seminar in Namenslisten aufgelöst werden wird.

 

3. Wascht euch!

Doch nicht nur zu den notwendigen Voraussetzungen von Plagiatsvorwürfen, auch zu deren Auswirkungen jenseits dessen, was sie für die Betroffenen bedeuten, stellen sich Fragen. Plagiatsvorwürfe fördern eine Vorstellung von den Geisteswissenschaften als „nicht exakte Wissenschaften“, die durch Plagiate besonders bedroht seien, weil die Überprüfung von Gedanken in ihren je besonderen Formulierungen das einzig verbliebene „objektive“ Kriterium ihrer Wissenschaftlichkeit sei. Dieses reduktionistische Verständnis von Wissenschaft operiert (wieder einmal) mit einem cartesianischen Ideal, dem zufolge sich die Erfolgsbedingungen der Physik oder der Mathematik (die Paten dieses alt-ehrwürdigen Missverständnisses) disziplinübergreifend verallgemeinern lassen. Zugleich werden die aus dieser Perspektive stets defizitären Geisteswissenschaften anschließend auf ein Satz für Satz bzw. Wort für Wort nachprüfbares Kriterium reduziert. Die Gefahr darin liegt in einer (bereits recht weit fortgeschrittenen) Normierung des Schreibens: Man sehe sich nur einmal die Vielfalt an Formen in der frühen analytischen Philosophie an und vergleiche sie mit heutigen Artikeln – diesen Verlust an Freiheit sollte man nicht fördern, indem man Techniken wie versteckte Anspielungen oder Collagen durch den Zwang zur expliziten Quellenangabe ausmerzt. Müsste Foucaults Aufsatz „Nietzsche, die Genealogie, die Historie“ heute als bloßes Plagiatsmosaik gewertet werden? Natürlich ist es schwierig, das Spiel mit den Worten anderer Wissenschaftler_innen von einem Plagiat zu unterscheiden – aber daraus zu schließen, dass man im Zweifelsfall auf das Spielen in der Wissenschaft verzichten soll, ist doch ein wenig zu viel Ernst. Auf ein solches Reinheitsgebot kann und sollte die Wissenschaft verzichten.

 

Zu welchem Ergebnis kommen diese disparaten Überlegungen zur Politik des Plagiats? Wenn sie überhaupt mehr sind als der Versuch, die Diskussion mit einer Reihe von Fragen in eine etwas andere Richtung zu drängen, dann lassen sich folgende drei Punkte festhalten: Plagiatsvorwürfe beherbergen eine individualisierende, ökonomistische Tendenz, der man sich bewusst werden sollte, ehe man sie ungehemmt in die Öffentlichkeit entlässt. Sie verbreiten zweitens ein reduktionistisches Bild der Geisteswissenschaften, während sie die Wissenschaftler_innen zugleich einem Kreativitätszwang unterwerfen. Schließlich drohen sie, das Spiel aus der Wissenschaft zu vertreiben, auf das diese so grau werde, wie sie die Plagiatsjäger_innen imaginieren.

Und jetzt: Halali!

 

Frieder Vogelmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Interkulturelle und Internationale Studien (InIIS) an der Universität Bremen. Seine Doktorarbeit beschäftigt sich mit den praktischen und theoretischen Auswirkungen der steilen Karriere des Verantwortungsbegriffs.

12 Kommentare zu “Öl ins Feuer: Zur Politik des Plagiats

  1. Halali!
    Dass Sie den Plagiatsvorwürfen „eine individualisierende, ökonomistische Tendenz“ zuschreiben, bedeutet den Sack schlagen und den Esel meinen. Unsere Gesellschaft hat „eine individualisierende, ökonomistische Tendenz“, und in dieser Gesellschaft hat Wissenschaft „eine individualisierende, ökonomistische Tendenz“. Auch Plagiate in dieser Wissenschaft haben „eine individualisierende, ökonomistische Tendenz“. Und damit hat auch die Aufdeckung dieser Plagiate „eine individualisierende, ökonomistische Tendenz“.

    „Plagiatsjäger“ als Akteure im System können das System nicht transzendieren. Bekanntlich handelt es sich bei den meisten „Plagiatsjägern“ um Wissenschaftler, darunter auch Geisteswissenschaftler. Die sehen individualisierende, ökonomistische Tendenzen, ein reduktionistisches Bild der Geisteswissenschaften, Kreativitätszwang bei gleichzeitigem Kreativitätsverbot (Spielverbot) sicher ebenso kritisch wie Sie. Warum machen „Plagiatsjäger“ trotzdem eine „Politik des Plagiats“? Warum also tun sich die „Plagiatsjäger“ das alles selbst an?

    Kurz gesagt: Wegen der Gerechtigkeit. Da „individualisierende, ökonomistische Tendenzen“ existieren (ganz egal ob Plagiatsvorwürfe existieren oder nicht) kassieren irgendwelche Leute immer die materiellen Vorteile, die der Wissenschaft, ihres Ansehens wegen, zuwachsen. Wenn man sich mit den Biographien von „Plagiatsjägern“ befasst, kommt man zu dem Schluss: Alle „Plagiatsjäger“ haben die Erfahrung gemacht, dass sie selbst mit sich um ihre wissenschaftlichen Texte ringen müssen, hart arbeiten, um den eigenen Ansprüchen zu genügen. Sie haben aber auch Aufschneidertum erlebt und gesehen, wie andere aufgrund außerwissenschaftlicher Kriterien bevorzugt wurden, deren Relevanz für die Wissenschaft aber offiziell stets geleugnet wird. Offiziell ist die Wissenschaft (noch stärker als die Gesellschaft insgesamt) ein völlig gerechtes System, in dem nur objektiv messbare Leistung zählt und entsprechend honoriert wird.
    Daran glauben „Plagiatsjäger“, deshalb können sie es nicht ertragen, dass Aufschneider und Betrüger aus der Wissenschaft Gratifikationen (Geld, Macht, Ansehen u.a.) erhalten, die jedem versagt bleiben, der ausschließlich wissenschaftliche Leistung erbringt, die aber sauber.

    In Wahrheit ist die Wissenschaft gar nicht so schön bunt, dass „Plagiatsjäger“ sie grau machen könnten. Die bunten Farben kommen nur von der Brille, mit der die meisten Wissenschaftler herumlaufen, um den ganzen Betrieb ertragen zu können.

  2. Erst einmal vielen Dank für den Beitrag! Es wird Zeit, dass es zu diesem Thema eine kritische Debatte gibt, die sich mit den undiskutierten Hintergrundannahmen auseinandersetzt und die darin enthaltene instrumentelle Vernunft offen ihrer Interessiertheit bezichtigt.

    Ich würe hier auch gar keinen Widerspruch zwischen dem Beitrag und dem ersten Kommentar von „erbloggtes“ sehen. Dass individualisierende und ökonomistische Tendenzen überall bestehen ist ein Faktum – und ich glaube kaum, dass sich die Mehrheit der Leute im Wissensschaftssystem der Ideologie preisgibt zu glauben, dort wäre individuelles (sic!) Vorankommen ohne systemische Zwänge zu tun. Ich will es mal zuspitzen: Zwischen Wissenschaft und Kapitalismus kann es gar keinen Konsens geben, da die Tätigkeit der Erkenntnisgewinnung weder an Einzelne gebunden sein kann (Ideologie der Genialität Einzelner bzw. Rechtsinstitut der Autorschaft), noch dass die Verwendung wissenschaftlicher Erkenntnis ohne Restriktionen funktionieren könnte. Anhand des Rechtskonstrukts der Urheberschaft erlebt man ja die Volten, die Konzerne, Lobbys und bestimmte Staatsvertreter schlagen um ja nur die bornierten Interessen Weniger abzusichern. Daraus lässt sich ein ganzes Versorgunssystem deduzieren (von Lizenzgebern in Verlagskonzernen, über partizipierende Intermediäre sowie Anwaltskanzleien und Rechtsberater usw.).

    Natürlich ist Wissenschaft nur ein Ausschnitt von Gesellschaft und natürlich kann sich „die Wissenschaft“ nicht der systemischen Zwänge der kapitalistischen Gesellschaft entziehen. Einzelne versuchen dies im Wege der Affirmation, der Priviligerung und auch des bewussten Verwendens und Ausnutzen von Wissenslücken und Wissensprodukten Dritter. Insoweit sind die Verhaltenszwänge in „der Wissenschaft“ getreues Abbild der gesamtgesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnisse, übertüncht mit den ideologischen Vorstellungen, die durch symbolische Gratifikationen (Status, Amt, Titel, Prestige etc.) nicht nur staatlich ausgegeben und also rechtlich legitimiert, sondern in toto auch willentlich affirmiert werden.

    Das reicht dennoch, um einige kleinbürgerliche Plagiatsjäger zu denunzieren, die im Namen eines nicht existenten, weil kontrafaktischen Wissenschaftssystemglaubens meinen, individuelles Fehlverhalten hochzuhalten und der (desinteressierten, weil politischen Sachentscheidungen unbeteiligten) Bevölkerung vorzulegen. Es mögen einzelne Minister gehen, aber eine politische Diskussion über die verursachte und verantwortete Politik der Ministeriablen kommt darübre nicht in Gang, viel eher gleitet man in ein Zerrbild bildungsbürgerlicher Empörung ab, wonach nicht sein darf, was Faktum ist: dass Figuren Ämter einnehmen, in denen nicht „Leistung“ (was ist das?), sondern Selektion vorherrscht.

    Den Satz, man wolle damit nicht das Plagiieren rechtfertigen muss dann leidlicherweise immer auch noch anbringen, um reflexartigen Falschkritiken vorzubeugen. Aus Sicht eines interessierten (am Stoff) interessierten Studenten, der hier nur das weitere Eindringen des Verwaltungsapparates in ein bislang eher gering reguliertes Feld wissenschaftsadministrativer Tätigkeit sieht (und der auch die Hilflosigkeit manchen Lehrpersonals ob der sachgerechten Bearbeitung von Hausarbeiten und sonsitgen Qualifikationsarbeiten beobachtet), ist ein Loblied auf „Gerechtigkeit“ nicht die zeitgemäße Antwort.

  3. Richtig ist (wenn ich die letzten Sätze richtig verstehe), dass durch die Tätigkeit der „kleinbürgerlichen Plagiatsjäger“ im Internet die Universitäten genötigt werden, „Maßnahmen“ zu ergreifen, die dann für die am Stoff interessierten Studenten sehr negative Folgen haben: Die Studenten werden weiter gegängelt und verunsichert; Strafandrohungen werden verschärft; die Grenze zwischen Plagiat und Nichtplagiat wird aus Sicht des einfachen Studenten verunklart. (Früher hieß „diese Arbeit ist ein Plagiat“ noch, dass die ganze Arbeit, so wie sie war, abgeschrieben, aus dem Internet heruntergeladen o.ä. war.) Die Lehrenden werden davon abgehalten, sich darauf zu konzentrieren, Studenten etwas beizubringen, etwas Wichtiges, Relevantes, Essentielles, indem sie zur Benutzung von Plagiatssoftwares statt zum Lesen von Arbeiten angehalten werden. Man könnte also sagen, dass allein dadurch, dass es VroniPlag gibt, die Studienbedingungen an deutschen Hochschulen schlechter werden. Das hieße allerdings Ursache und Wirkung verwechseln.

    Das selbe gilt für die ideologische Stärkung von Autorschaft/Urheberrecht/geistigem Eigentum durch die Plagiatsjäger. Plagiatssuche widerspricht gewissermaßen dem Wissenskommunismus (Merton, Begriff aus einer Zeit, als Kommunismus hochangesehen war), da die Aneignung von Wissen durch den Plagiator zugleich als Enteignung des Vorbesitzers verstanden wird. Und auch hier: Die Plagiatsjäger für einen systemischen Widerspruch verantwortlich zu machen, hieße Ursache und Wirkung verwechseln.

    Ich lese den Satz „Das reicht dennoch, um einige kleinbürgerliche Plagiatsjäger zu denunzieren“ so: ‚Trotzdem sind die schuld.‘ Das halte ich aber für falsch. Mit dem Finger auf jemanden zu zeigen, weil er im Rahmen eines Systems funktioniert und – angetrieben von Sehnsucht nach Gerechtigkeit – die instrumentelle Logik des Systems dafür einsetzt, die Wertorientierungen des Systems zur Geltung zu bringen, das ist unergiebig. Man könnte sagen: Wer Plagiatsjäger als kleinbürgerlich denunziert, ist selbst kleinbürgerlich (vgl. den vorherigen Absatz). (Analog: Wer Plagiatssuche als Hexenjagd denunziert, betreibt selbst Hexenjagd.)

    Ich wollte kein Loblied auf „Gerechtigkeit“ singen und habe das m.E. auch nicht getan. Ich wollte vielmehr den Impetus von Plagiatsjägern darstellen als die starke Empfindung existierender Ungerechtigkeit.

    Eigentlich würde ich lieber hier weiter diskutieren, weil ich da auch über Antworten benachrichtigt werde: http://blogkow.wordpress.com/2012/10/23/plagiarismus-und-geschreibe/

    Denn Zeit für eine kritische Debatte ist es allemal.

  4. @ Erbloggtes

    Zu deinem ersten Absatz: d’accord. Hier kann man ebenfalls unter Rekurs auf Merton von einer schlechten self-fulfilling phrophecy sprechen, da in ein falsches System eine gutgemeinte Kritik injiziert wird, was an der Falschheit insgesamt nichts ändert, nur dass sich die Studienbedingungen um ein weiteres technokratisches Element (und einen Generalverdacht Studierender) negativ bereichert sieht.

    Zum zweiten Absatz: ich will ja in Gänze nicht einmal die Absichten mancher Plagiatsjäger kritisieren: es ist sicher richtig, wenn Figuren wie Guttenberg et al. abtreten, hier kann man glatt sagen, dass sich „die medialisierte Masse“ etwas an Sprachhoheit wiederaneignet, die ihr durch das Instrument der formellen Wahl schon genommen worden war: Entscheid darüber, wer welches Amt innehat. Allerdings beschränkt sich dies eben nur auf das moralische Verhalten jener Inkriminierten, nicht auf die Politik – die dabei trotzdem gemeint sein kann (was manchen CDU-Parteigänger ja schon zur Vermutung anregt, dass manche Plagiatssuche „nur“ politisch motiviert sei…). Natürlich wird politische Motivation dahinterstecken und doch scheinen sicher auch etliche der ehrenamtlichen Plagiatssucher fest an das Prinzip intellektueller Originalität zu glauben, denn andernfalls böten sich allerhand Mittel zumindest diskursiv auf die Falschheit dieser Idee hinzuweisen. Es scheint darum also nur zum Teil zu gehen oder aber diese Annahmen werden bislang nicht expliziert.

    Mit dem Begriff des „Wissenskommunismus“ kann man ganz gut fahren, denn er veranschaulicht, dass Zueignung bestimmter Gedankeninhalte eine Farce sind. Das ließe sich ja schon wissenssoziologisch oder allein koginitionspsychologisch nachweisen: jeder heute verarbeitete Gedanke fußt auf Verbalisierungen und Eindrücken, die andernorts schon entstanden sind – lediglich Differenzen in Raum, Zeit und Sache (z.B. Zugänglichkeit von Datenbanken oder Restriktion!) – schaffen dort individuelle Wissensvorsprünge, noch bevor man überhaupt ein Wort zur sozialen Selektion im Bildungswesen (und damit sozialen Filterung von Kognition und Verbaliserung) verloren hat, sodass selbst Mertons Wissenskommunismus noch im Kern befangen bleibt.

    Zum Dritten: Um Schuld geht’s mir nicht, da ich nicht mit moralischen Etiketten arbeiten will. Ich will eher darauf hinaus, dass es die falsche Antwort auf eine nicht verstandene Frage ist. Dass dies unergiebig ist, gestehe ich zu, verkehrt die Debatte aber ins voluntaristische und wir wollen doch darüber hinaus, wenn ich das recht sehe. Plagiatsjägerdenunziation selbst als kleinbürgerlich zu denunzieren könnte durchgehen, sofern nicht gekränkte Eitelkeit ob der eigens legitimierten Existenz hinter dem Einwand steht, mir wäre das gleich, denn es kommt nicht auf den Eindruck Einzelner an. Die Umkehrung der Aussage greift aber nur schwerlich, da ja von mir der geteilte Diskussions- und Möglichkeitsraum bereits verlassen wurde und ich nicht die Prämissen der Kritikaster teile. Dieses Teilen, also ein Minimalglaube an Gerechtigkeit (oder was dafür gehalten wird), wäre aber die Basis für eine nur moralische Kritik am Laden. Das Kleinbürgertum reklamiert für sich Anerkennung, wo es eigenen Vorteil geprellt sieht; es kritisiert ausdrücklich nicht das Setting und die Spielregeln als solche. Das wäre nicht mein Anliegen, was sich aber aus Vorgenanntem ableiten lassen wollte.

    Last, not least: haben wir es wirklich mit Ungerechtigkeit zu tun oder ist de facto nicht genau die Zuteilung von Positionen in der Berufshierarchie und die Verwendung bisweilen inkriminierter Mittel nicht genau gerechtes – weil den Spielregeln entsprechender – Abbild der Realität?

  5. Ich gehe so ziemlich alles mit. Bis auf drei Stellen: 1. „wir wollen doch darüber hinaus, wenn ich das recht sehe“, 2. „ein Minimalglaube an Gerechtigkeit (oder was dafür gehalten wird), wäre aber die Basis für eine nur moralische Kritik am Laden“ (+ „es kritisiert ausdrücklich nicht das Setting und die Spielregeln als solche“), 3. den letzten Absatz.

    1. Wenn wir „darüber hinaus“ wollen, d.h. das System transzendieren, dann nützt Bloggen nichts, Wissenschaft nichts, Reden generell nichts. Revolution macht man mit der Waffe in der Hand. Dazu bin ich nicht bereit. Daher beschränke ich mich auf Reformismus, gern fundamentalkritisch, aber lieber noch immanentkritisch. Widersprüche gibt es genug, und wenn man von gewalttätiger Revolution nichts hält, dann muss man halt auf die Widersprüche hinweisen. Das ist aber immer eine systemimmanente Veranstaltung. Das System bewegt sich nur langsam.

    2. Ich nehme an, wenn Sie Moral schreiben, meinen Sie Klassenmoral, bürgerliche Moral o.ä. Das ist zugegebenermaßen die Haupterscheinungsform von Moral in unserer Gesellschaft. Ich bevorzuge dagegen einen kantianischen Moralbegriff: nichtempirische, von der absoluten Vernunft her gedachte Moral, sozusagen Idealmoral. Dasselbe gilt für den Begriff der Gerechtigkeit, der ja im Zentrum einer Vernunftmoral steht. Ich glaube nicht, dass das System sie (jemals) herstellt, was Sie wohl mit „Minimalglaube“ meinen. Aber ich glaube, dass Gerechtigkeit eine regulative Idee ist, mit der man auf die Widersprüche hinweisen kann. Wenn man mit dem spießigsten Kleinbürger maieutisch spricht, fallen auch ihm die in der Wirklichkeit und in seinen Moralvorstellungen enthaltenen Widersprüche auf. Und in diesem Moment kritisiert auch der Kleinbürger das Setting und die Spielregeln. Man muss die gegebenen Spielregeln sozusagen in ihre Widersprüche verwickeln, um sie über sich hinaus zu treiben. (NB: Ich habe neulich eine lange Diskussion mit Liberalen und Libertariern über Gerechtigkeit geführt: http://wirtschaftsphilosoph.wordpress.com/2012/10/10/was-ist-mir-chancengleichheit-gemeint/ )

    3. Selbstverständlich haben wir es mit idealer Ungerechtigkeit im Sinne des obigen zu tun. Und selbstverständlich ist die „Zuteilung von Positionen“ der Sinn des Systems, der Sinn der Spielregeln, und damit wird sie, die angebliche Zuteilung nach „Leistung“ (völlig d’accord mit jeglicher Infragestellung des Begriffs), systemgemäß, was Sie als „gerechtes Abbild der Realität“ bezeichnen. Da ich den Begriff der Gerechtigkeit aber nicht aufgeben will, nur weil der eine Bürger darunter etwas anderes versteht als der andere, und dennoch beide sich einig sind, dass der Habenichts ungerecht, das Nichtshaben aber gerecht ist, benutze ich den Begriff der Ungerechtigkeit. Noch häufiger habe ich aber vom Gerechtigkeitsempfinden gesprochen.

    Auch hier: Danke schön für die Debatte! Hat mich schon weiter gebracht.

  6. Werte Diskutanten,

    Sie müssen mich, gerade in diesem Zusammenhang, bitte vollständig zitieren!
    Ich schrieb tatsächlich vom „Kommunismus“ der Wissenschaft, da die Ergebnisse der Wissenschaft das „Produkt sozialer Zusammenarbeit“ sind und sie insgesamt der wissenschaftlichen „Gemeinschaft zugeschrieben“ werden. Allerdings betonte ich auch, dass der Forschungsprozess durch „konkurrierende Kooperation“ geprägt ist; das heißt: „Die Produkte der Konkurrenz werden vergemeinschaftet, die Wertschätzung geht an den Produzenten“. Wohlgemerkt: an „den Produzenten“!

  7. Nur eine Nebenbemerkung an den werten Herrn „Robert K. Merton“, identity theft ist natürlich eine besonders zeitgeistige Form des Plagiats – hier empfiehlt sich aber vornehmlich die Verkörperung nicht verblichener Gestalten ! 🙂

  8. @ Erbloggtes

    Danke für Ihre Replik. Dazu noch ein kurzer Nachtrag meinerseits, da die Debatte ja schon eine bestimmte politische Wendung genommen hat, was ich nicht ausdrücklich intendiert hatte:

    ad 1)

    Mit meiner Bemerkung, den üblichen Rahmen der Diskussion zu überschreiten, beziehe ich mich auf den von Frieder Vogelmann angestoßenen Diskurs. Als „üblich“ verstehe ich einen gewissen common sense unhinterfragter – quasi basaler – Annahmen, die hier auf den Tisch der Debatte gehören. Die eventuelle „Systemtranszendenz“, also das Verwerfen einer bestimmten historisch kontingten Gesellschaftsform (z.B. bürgerlich-patriarchalische Gesellschaft und kapitalistische Reproduktionsweise) kann überhaupt nur eine mögliche Folgerung aus unserer Diskussion sein. Ich trage sie nicht schon als Postulat hinein, auch wenn ich davon ausgehe, dass es in gesellschaftspolitischen Debatten sogenannte immer wiederkehrende Strukturprobleme gibt, die nicht kausal diskutiert, sondern phänomenal abgehandelt und dadurch nicht endgültig geklärt werden (nebenbei: der darin implizierte philosophische Kontigenzbegriff der Wahrheit als politischer Wahrheit ist mir bewusst; meine Kritik bezieht sich auf empirische Gegenstände und stellt keine metaphysische oder ontologische Frage).

    Dennoch würde ich anfügen, dass ein bestimmter politische Glaube an Reformismus eine Art Handeln wider besseres Wissen ist (z.B. in Form verdinglichten Aktionismus; Happenings, Provokationen und dgl. als Akte des performativen Ausagierens bestimmter Sitten und Lebensstile bis hin zu politische kontingenten, weil historisch exakt widerlegten Analogiehandlungen durch Parteineubildungen und steten Rekurs auf bestimmte Gesetzesformen; vgl. dazu: C. Offe – Strukturprobleme des kapitalistischen Staates [1972]; Ffm.). Hingegen habe ich nichts gegen funktionellen Aktionismus einzuwenden, wo der kurzfristigen materiellen oder ideellen Besserstellung bislang Benachteiligter dienen kann (man muss das Querverbindung denken; relational im Sinne Poulantzas‘ und Bourdieus).

    ad 2) Ich greife wiederum nicht auf ein philosophisches Konzept zurück, da ich nicht kontrafaktisch argumentieren will, also z.B. nicht Kantsche Antinomien zur Grundlage nehmen möchte, sondern verwenden einen empirischen Begriff von Moral, der sich auf Lebensstile sozialer Milieus zurückführen lässt (Sitten, Moralen, sprachliche Codes, Habitusformen, wie sie die neuere Soziologie ermittelt hat). Darin ist durchaus ein Konglomerat diffuser Sozialphilosophien enthalten, die sowohl liberale, aber auch paternalistische Elemente enthalten kann (z.B. Obrigkeitsdenken, Nationalismus, Fatalismus des Status, Arroganz der Macht etc.). Die Kritik an Klassenverhältnissen würde den bürgerlichen Moralbegriff umkehren und Kritik an Lebensverhältnissen üben, deren Abbild u.a. in Form von Ideologie (Moral) in den Köpfen existent ist; oder, um Foucauls Kritik des Ideologiebegriffs zu bemühen: die den inkorporierten Machtverhältnissen („durchziehen das Körperinnere“, „weisen keinen locus auf“) verwerfen.
    Das setzt keinen wissenschaftstheoretisch zu ermittelnden archimedischen Punkt voraus (anders: Kants Begriff der präreflexiven Vernunt, ausgedrückt in apriorischer Erkenntnis), sondern einen pragmatischen Begriff von gutem Leben.

    Dass in Diskussionen mit Subalternen die landläufigen Ideologien fallen, würde ich ebenso sehen, aber wie fallen sie? Durchaus nicht in der Konsequenz einer Grundsatzkritik der politischen Ordnung, sondern in einer mildtätigen Kritik der verpassen Chancen und des Verschuldens Dritter.

    ad 3) „Gerechtigkeitsempfinden“ ist bereits die soziologisierte Fassung eines inhaltsleeren Gerechtigkeitsbegriffs und in Interviews und Surveys, die auf einen sozialwissenschaftlichen Funktionalismus beruhen (Weber: „Geltungsglaube“; Luhmann: „Kontingenzformeln“) wird dies recht offen, bisweilen inhärent zynisch genau so gesehen. Kritische Sozialwissenschaftler greifen in der Not dann auf den Begriff der „Ungleichheit“ zurück, was der Frage nach Zugänglichkeit zu Statuspositionen bzw. Positionsmacht entspricht. Das wäre die neukantianische Übersetzung der Frage, die über Weber in die neuere Soziologie gelangt ist. Sie behandelt politökonomische Fragen nur als Theoreme der Zugangschancen, nicht aber als systemische oder klassentheoretische. Wo ich auf politökononomische Konflikte und Interessensgegensätze ziele, ist der Begriff der Gerechtigkeit obsolet. Er lässt sich auch etymologisch im weiteren Sinne auf die Auslegung des Naturrechts zurückführen, eine Annahme, die dann in den deutschen Rechtspositivismus (im 19. Jh.) ohne Diskurs übernommen worden ist (sog. transhistorische Nomoi). Es steht Ihnen frei, einen bestimmten Gerechtigkeitsbegriff zu affimieren, denn losgelöst von der theoretischen Herleitung, können wir ja durchaus in der Schlussfolgerung wieder konvergieren. Das wäre aber eine andere Frage.

    @ „Robert K. Merton“

    Ihr Einwurf ist ja der beste Beweis dafür, dass die Frage des Urheberrechts wieder nur in der von Frieder Vogelmann kritisieren verdinglichten Fassung begriffen wird. Zumal uns Merton hier nur als Stichwortgeber diente, nicht als Berufungsinstanz.

  9. Hm. Ich muss sagen, es fällt mir schwer, Ihnen zu folgen. Das mag an der Uhrzeit liegen, an meinem Nichtverstehen von Verweisen (den Namen Poulantzas kenne ich nicht), an Ihrem strengen soziologischen(?) Code oder an ein paar Ungeschliffenheiten in Ihrer Antwort. Z.B. nehme ich an, dass Sie einen Konti[n]genzbegriff der Wahrheit meinten, weiß aber nichts damit anzufangen.

    Ich habe den Eindruck, dass Sie einem performativen Wahrheitsbegriff anhängen, d.h. dass die Aussage, etwas sei wahr, nicht mehr bedeute als „ich stimme dem zu“. Diese Position im epistemologischen Bereich würde dazu passen, dass Sie sich im moralphilosophischen Bereich auf einen „pragmatischen Begriff von gutem Leben“ zurückziehen.

    Täuscht mich mein Eindruck, dass Sie in bezug auf große Fragen (Was kann ich wissen? Was soll ich tun? …) vor allem Skepsis mitbringen?

    Ich denke, ich kann das einigermaßen nachvollziehen. Aber wie sich darauf irgendeine normative Aussage stützen kann, erschließt sich mir nicht. Wenn das aber nicht geht, dann muss doch auch jeder Anspruch, etwas darüber auszusagen, wie Wissenschaft sein sollte, scheitern. Sie sehen mich verwirrt.

  10. @ Erbloggtes

    Ich scheine mich noch immer nicht klar genug ausgedrückt zu haben: Ich betreibe keine Standpunktwissenschaft und bin nicht bereit, bei der oben von Frieder Vogelmann aufgemachten Diskussion über die Praxis der Plagiatssuche nach einem irgendwie gearteten Gerechtigkeitsbegriff zu suchen. Stattdessen habe ich auf strukturelle Machtverhältnisse rekurriert, die es (nicht aus meiner Sicht, sondern gemäß der vorhandenen Literatur zum Thema „Geistiges Eigentum“, „Statusdifferenz“, „Wissenssoziologie“ uvm.) verunmöglichen, an der Oberfläche („phänomenal“) sich allein auf die Schuldfrage Einzelner beim Abschreiben und Weiterverwenden von Wissensdifferenzen im bürgerlichen Alltag (Berufshierarchie, Konkurrenz, Bekleiden politischer Ämter) zu behaupten.

    Deswegen werfe ich nicht das Handtuch und bedauere die Unmöglichkeit einer Debatte – zu diesem Schluss kann man nur gelangen, wenn bereits dem Gegenstand („Plagiat“) ein bestimmtes Erkenntnisinteresse übergestülpt wird. Ich halte die von Vogelmann aufgemachte Debatte auch im Kern nicht für eine philosophische, sondern eine genuin (rechts)politische.

  11. Die Betrachtungsebene, in der die Schuldfrage Einzelner keine Rolle spielt, ist mir bekannt und sympathisch. Ich habe dazu in den Anfangstagen der Schavanaffäre (und öfter) etwas längeres geschrieben: http://erbloggtes.wordpress.com/2012/05/07/plagiate-jenseits-personlicher-schuld-armutszeugnis-des-bildungssystems/
    In den Kommentaren hat sich noch Jura-Prof. Rainer Schröder recht offen geäußert. Ich hoffe, der Artikel erreicht die gewünschte Betrachtungsebene.

    Den Vogelmann-Essay würde ich so zusammenfassen, dass die Plagiatsdebatte im Widerspruch zu den weiter fortgeschrittenen Vorstellungen über Autorfunktion und Wissenschaft steht und die dabei inzwischen gängigen Fortschritte konterkariert.

  12. @ Erbloggtes

    Es ist eigentlich schade, dass die Debatte keine Ausweitung erfährt, denn es kann ja durchaus auch einen Disput über die Frage geben, was Wissenschaft heute leisten können muss. Es gibt ja mit Sicherheit zahlreiche Fachvertreter, die nicht nur das Postulat der Produzentengenialität hochhalten, sondern die trotz fortschreitender Komplexität von Diskurssträngen (dargestellt über evolvierende Datenbanken, Internationalisierung von Studiengängen, in Teilen symbolische Nivellierung von Zugangsschranken zum Studium [nicht: zu Statuspositionen!] usf.) davon ausgehen, dass diese Komplexität nicht nur beherrschbar sei, sondern auch Studierenden vertraut gemacht werden können, sodass in der Folge das Plagiat bereits der nicht ausführlich rezipierten Fachbibliographie mitsamt Fuß- und Endnotenapparat von bisweilen kaum einschlägigen Titeln geschuldet wäre.

    Noch ein formeller Hinweis: der Hinweis auf sonstige Texte per Link mag sicherlich Versuch sein, bereits Geschriebenes einer weiteren Öffentlichkeit anzuzeigen. Ich selbst habe damit aber ein Problem, weil das Forum hier ist und der Diskurs hier gesucht werden sollte. Daraus möchte ich noch eine neue These ableiten: menschliche Aufmerksamkeit korreliert mit Interesse, weshalb die Einführung immer neuer Quellen bereits an kognitiven Barrieren scheitern muss. Zusätzlich zeigt ein eingehendes Quellenstudium von „Klassikern“ (ich denke z.B. an Habermas), dass die Fortführung von Gedanken natürlich auf der Rezeption von Vorgängerarbeiten basiert und zum Teil sich parallel evolviert (für die politische Theorie hat das Klaus von Beyme in „Theorie der Politik im 20. Jh.“ aufgezeigt. Man müsste also die Bewertung neu ausrichten und tatsächlich den Autor fiktiv köpfen, zugleich muss ein modus vivendi gefunden werden, um den Zuwachs abstrakten Wissens und abstrakter Autorenkreise (z.B.: „Wer ist X?“), die nur unter Zwang in die Realität heruntergebrochen werden können. Ich erinnere da an Hegel: „Abstraktionen in der Wirklichkeit geltend machen, bedeutet Wirklichkeit zu zerstören.“ Ähnlich dürfte es sich mit Kategoriesystemen und Kriterienkatalogen verhalten, die dazu geschaffen sind, der Masse an Wissenschaftspersonal Selektionsmittel an die Hand zu geben. Dies schließlich leitet über zur Frage „Wissenschaft oder Demokratie?“

    Persönlich hingegen glaube ich kaum, dass eine solche Debatte überhaupt geführt werden kann. Die etablierten Systeme der Informationsverarbeitung und schlimmer: die eingetretenen Pfade des individuellen Wettbewerbs um Stellen, Status und Prestige konterkarieren Reformansätze mindestens in jenen Fächern, den ein narzisstischer Rekrutierungsmechanismus vorgehalten werden kann. Die weniger narzisstischen Fächer gebrauchen dann das Zivilrecht (z.B. in Form des Patent- und Markenschutzes).

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