theorieblog.de | Öl ins Feuer: Zur Politik des Plagiats

23. Oktober 2012, Vogelmann

Plagiate, überall Plagiate! Wohin die wachsamen Augen der selbsternannten „Plagiatsjäger“ schweifen, erblicken sie das heiß begehrte Wild. Mag es sich auch noch so gut im Dickicht Tausender Fußnoten oder hinter sorgsam errichteten Schleiern verborgen wähnen, anonyme Treiber, googlende Jagdhunde und Angehörige intellektueller Schützenvereine spüren es auf und erfreuen das Publikum mit der nächsten Hatz quer durch die begeistert berichtenden Medien. Ob Jura, Theologie, Geschichte oder BWL, ob Verteidigungsminister, Europaparlamentarier oder Bildungsministerin, Deutschland ist im Plagiatefieber – und seine Politiker_innen liefern.

Nun soll hier, um die geneigten Leser_innen gleich zu beruhigen, weder ein Loblied auf das Abschreiben, noch eine Entschuldigung für ein mehr oder minder absichtsvolles Vergessen von Quellenangaben geliefert werden. Doch angesichts einer Diskussion, die sich nicht entblödet, „Lebensleistung“ gegen „handwerkliche Fehler“ zu verrechnen, soll einmal nachgefragt werden, welche Voraussetzungen und Implikationen in der Skandalisierung von Plagiaten im Spiel sind. Zugespitzt gefragt: Welcher Logik folgen Plagiatsvorwürfe und welche Politik betreiben sie? Lässt sich eine „Politik des Plagiats“ identifizieren? Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sehe ich drei Punkte, die helfen mögen, die Debatte in andere Bahnen zu lenken:

1. Es lebe die Autorfunktion!

Was ist ein Plagiat? Im einfachsten Fall das sprichwörtliche „Schmücken mit fremden Federn“: Autor_innen geben Gedanken und deren Formulierung als ihre eigenen aus, obgleich sie aus nicht von ihnen verfassten Texten stammen. Ökonomisch ausgedrückt, eignen sie sich „geistiges Eigentum“ an und enteignen folglich andere. Schon anhand dieser unspezifischen Bestimmung lassen sich zwei konstitutive Bedingungen ablesen, die jeder Plagiatsvorwurf voraussetzen muss. Erstens müssen hinreichend scharfe Grenzen gezogen werden, die Gedanken in ihrer Formulierung überhaupt zuschreibbar machen. Denn was bedeutet es, ein Argument zu stehlen? Dass aus den Prämissen „Alle Menschen sind sterblich“ und „Alle Griechen sind Menschen“ der Satz „Alle Griechen sind sterblich“ folgt, lässt sich niemandem enteignen. Was von Plagiator_innen also entwendet wird, sind Gedanken in ihren spezifischen Formulierungen, die je besondere Perspektive, die festlegt, welche Prämissen in welcher sprachlichen Gestalt relevant sind. Dass diese sich immer noch nur schwer individuell zuschreiben lassen, verdeutlicht das Beispiel der sterblichen Griechen ebenfalls: Ist nicht Aristoteles (vgl. Analytika Priora, 1. Buch, Kapitel 4) der Urheber des Gedankens? Gleichwohl findet sich diese Formulierung nicht bei Aristoteles, sondern bei Tugendhat und Wolf (2001: 75) – sowie in nahezu allen Logikbüchern, die das Argument gleichwohl Aristoteles zuschreiben. Schlampigkeit, Unwissen, handwerklicher Fehler oder Diebstahl? (Vgl. http://schavanplag.wordpress.com/2012/09/16/seite-264/). Plagiatsvorwürfe zwingen dazu, solche Abgrenzungsfragen zu entscheiden, ja die Grenzen soweit zu schärfen, dass jeder Text bis zur Parodie mit Quellenangaben überfrachtet werden muss. Zu Ende gedacht verlangen sie eine eineindeutige Zuordnung von Gedanken in ihren spezifischen Formulierungen und Autor_innen. Nicht, dass dies unmöglich wäre, doch muss man fragen, welche (politischen, sozialen, ökonomischen, intellektuellen) Technologien für eine solche Zuordnung notwendig sind, was ihr Preis ist und warum wir ihn zahlen sollten – ganz abgesehen von der Frage, wer ihn zahlt.

Angesichts der notwendigen Zurechenbarkeit ist es zweitens kein Wunder, dass Plagiatsvorwürfe konstitutiv auf einer gut geölten „Autorfunktion“ (vgl. Foucault 2001) aufbauen: In Kulturen, in denen der individuelle Ursprung eines Gedankens hinter seiner Richtigkeit, seiner Dignität oder welchem Wert auch immer zurücktritt (so der klassischen Lehre zufolge im Mittelalter), kommen Plagiatsprobleme wenn überhaupt, dann nur in abgeschwächter Form vor. Darf man umgekehrt aus der gegenwärtigen, heftigen Skandalisierung von Plagiaten schließen, dass entgegen Foucaults hoffnungsvoller Prognose vom Tod des Autors das 21. Jahrhundert zu eben dessen Epoche wird? Oder ist es die Angst angesichts der berühmt-berüchtigten „Copy and Paste“-Kultur, die manche zu einer so vehementen Verteidigung des Autors schreiten lässt?

Ohne an dieser Stelle Antworten vorwegnehmen zu wollen, lässt sich immerhin festhalten, dass Plagiatsvorwürfe eine extreme Individualisierung von Gedanken in ihren spezifischen Formulierungen durch eine gut funktionierende Autorfunktion benötigen, an deren verbesserter Trennschärfe sie zugleich arbeiten. Nicht zuletzt werden so die Voraussetzungen für die Ökonomisierung von Wissenschaft geschaffen, denn erst ihren Urheber_innen zuschreibbare Gedanken lassen sich zu Gegenständen des Urheberrechts machen.

 

2. Wissenschaft als Einzeldisziplin

Diese Individualisierung von formulierten Gedanken wird flankiert vom Glauben an die Wissenschaftler_innen als Originalgenies, die im vielleicht interessantesten Vorwurf des „Eigenzitats“ (vgl. die kontroverse Diskussion dazu auf http://de.schavanplag.wikia.com/wiki/Eigenplagiat_Schavan) greifbar wird. Wer Autor_innen vorhält, eigene Formulierungen eines Gedankens unerhörterweise ein zweites Mal zu verwenden, unterstellt eine Subjektivität mit unerschöpflicher Kreativität. Wissenschaftler_innen sollen stets etwas Neues sagen, und wenn sie schon nichts Neues zu verkünden haben – oder, was nicht eben selten vorkommt, um eine abermalige Wiedergabe ihrer Ergebnisse gebeten werden –, kann man von ihnen offensichtlich neue Formulierungen verlangen. Nicht nur angesichts des Publikationsdrucks ist diese Erwartung vermutlich eher einem populären Bild von Wissenschaft als ihrer Praxis geschuldet – aber einem Bild, dem zumindest öffentlich kaum widersprochen wird. Wer möchte schon die schmeichelhafte Illusion des stets kreativen, wortgewaltigen Wissenschaftlers zerstören?

Alle, die einmal die Mühe auf sich genommen haben, das „Werk“ von Wissenschaftler_innen gänzlich zu lesen, könnten dieses Bild natürlich leicht widerlegen, ebenso wie die Illusion der Einzelleistung: Nicht nur ist es in den Naturwissenschaften kaum möglich, alleine Ergebnisse zu erarbeiten – weil Laboratorien benötigt werden, Techniker_innen etc. –, auch in den Geisteswissenschaften sind in Isolation zustande gekommene Schriften eine absolute Seltenheit, nicht zuletzt, weil nur die engagierte Diskussion von Gedanken und Formulierungen diesen den letzten Schliff verleihen kann. Der Exzess von Koautoren (eher in den Naturwissenschaften) oder seitenlangen Danksagungen (eher in den Geisteswissenschaften) zeugt vom Bewusstsein dieser Urhebergemeinschaften – die aber vom Plagiatsvorwurf tendenziell geleugnet oder zumindest heruntergespielt werden muss. Die Politik des Plagiats drängt darauf, Gemeinschaften in Individuen aufzulösen, so dass es nur eine Frage der Zeit sein dürfte, wann der heute gängige Dank an die Studierenden in einem Seminar in Namenslisten aufgelöst werden wird.

 

3. Wascht euch!

Doch nicht nur zu den notwendigen Voraussetzungen von Plagiatsvorwürfen, auch zu deren Auswirkungen jenseits dessen, was sie für die Betroffenen bedeuten, stellen sich Fragen. Plagiatsvorwürfe fördern eine Vorstellung von den Geisteswissenschaften als „nicht exakte Wissenschaften“, die durch Plagiate besonders bedroht seien, weil die Überprüfung von Gedanken in ihren je besonderen Formulierungen das einzig verbliebene „objektive“ Kriterium ihrer Wissenschaftlichkeit sei. Dieses reduktionistische Verständnis von Wissenschaft operiert (wieder einmal) mit einem cartesianischen Ideal, dem zufolge sich die Erfolgsbedingungen der Physik oder der Mathematik (die Paten dieses alt-ehrwürdigen Missverständnisses) disziplinübergreifend verallgemeinern lassen. Zugleich werden die aus dieser Perspektive stets defizitären Geisteswissenschaften anschließend auf ein Satz für Satz bzw. Wort für Wort nachprüfbares Kriterium reduziert. Die Gefahr darin liegt in einer (bereits recht weit fortgeschrittenen) Normierung des Schreibens: Man sehe sich nur einmal die Vielfalt an Formen in der frühen analytischen Philosophie an und vergleiche sie mit heutigen Artikeln – diesen Verlust an Freiheit sollte man nicht fördern, indem man Techniken wie versteckte Anspielungen oder Collagen durch den Zwang zur expliziten Quellenangabe ausmerzt. Müsste Foucaults Aufsatz „Nietzsche, die Genealogie, die Historie“ heute als bloßes Plagiatsmosaik gewertet werden? Natürlich ist es schwierig, das Spiel mit den Worten anderer Wissenschaftler_innen von einem Plagiat zu unterscheiden – aber daraus zu schließen, dass man im Zweifelsfall auf das Spielen in der Wissenschaft verzichten soll, ist doch ein wenig zu viel Ernst. Auf ein solches Reinheitsgebot kann und sollte die Wissenschaft verzichten.

 

Zu welchem Ergebnis kommen diese disparaten Überlegungen zur Politik des Plagiats? Wenn sie überhaupt mehr sind als der Versuch, die Diskussion mit einer Reihe von Fragen in eine etwas andere Richtung zu drängen, dann lassen sich folgende drei Punkte festhalten: Plagiatsvorwürfe beherbergen eine individualisierende, ökonomistische Tendenz, der man sich bewusst werden sollte, ehe man sie ungehemmt in die Öffentlichkeit entlässt. Sie verbreiten zweitens ein reduktionistisches Bild der Geisteswissenschaften, während sie die Wissenschaftler_innen zugleich einem Kreativitätszwang unterwerfen. Schließlich drohen sie, das Spiel aus der Wissenschaft zu vertreiben, auf das diese so grau werde, wie sie die Plagiatsjäger_innen imaginieren.

Und jetzt: Halali!

 

Frieder Vogelmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Interkulturelle und Internationale Studien (InIIS) an der Universität Bremen. Seine Doktorarbeit beschäftigt sich mit den praktischen und theoretischen Auswirkungen der steilen Karriere des Verantwortungsbegriffs.


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