„Nutze den Tag!“ – Zeitempfinden und Arbeitsdisziplin im Kapitalismus

In dieser Woche setzen wir unsere Blogpost-Reihe zum Thema Zeit fort und starten mit einem Beitrag von Vanessa Ossino. Sie diskutiert die Zeitlogik des Kapitalismus und argumentiert für das politische Potenzial von Passivität.

Wir alle wissen: Zeit ist Geld. In einer Kultur, in der Zeit als Wert und Ware gehandelt wird, wiederholt sich jenes Motto als Mantra in unzähligen Köpfen von fleißigen und effektiven Menschen oder wird zum Zukunftshorizont für diejenigen Personen, die es allererst werden wollen. Dass Zeit Geld ist, wusste schon derjenige Mann, dessen Gesicht heute den 100 Dollarschein schmückt: Benjamin Franklin. Im Glanze der puritanischen Disziplin bürgerlicher Zeiteffektivität kritisierte der amerikanische Staatsmann, der sich zeit seines Lebens für Uhren interessierte und mit dem Erfinder der Kontrolluhr befreundet war, diejenigen Personen, die ihre Zeit „sorglos vertändeln“, da sie „in Wahrheit Geldverschwender“ seien. Die Verbreitung dieses Mantras ist ein historisch spannender Effekt puritanischer Arbeitsdisziplin, die sich als ein wesentliches Element der industriellen Revolution und dem daraus resultierenden Industriekapitalismus auszeichnet. Schon Karl Marx wusste, dass Arbeitskampf immer auch Kampf um Zeit und die Verfügung über Zeit eine wesentliche Modalität der ursprünglichen Akkumulation ist. Die lineare Zeit der kapitalistischen Produktionsweise hat einen erheblichen Beitrag dazu geleistet, so Marx, dass sich eine Arbeiterklasse entwickelt hat, „die aus Erziehung, Tradition [und] Gewohnheit die Anforderungen der Produktionsweise als selbstverständliche Naturgesetze anerkennt“. Es gilt also danach zu fragen, welche Denkfiguren und Praktiken Räume eröffnen können, die eine Potentialität für ein Jenseits kapitalistischer Zeitlogiken bereithalten. (mehr …)

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CfP: Hannah Arendts Reflexionen zum Begriff der „Arbeit“

Die Zeitschrift HannahArendt.net bittet für ihre Ausgabe 14/2024 um Beitragsvorschläge, die sich mit Hannah Arendts Begriff der „Arbeit“ befassen. Abstracts von geplanten Essays können bis zum 30.11.2023 an Hans-Jörg Sigwart (sigwart@ipw.rwth-aachen.de) geschickt werden. Eine ausführlichere Beschreibung des geplanten Vorhabens findet ihr hier.
 

 

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Ringvorlesung »Dialektik der Teilhabe« (Frankfurt)

Das Promotionskolleg »Dialektik der Teilhabe. Dynamiken sozialräumlicher Öffnung und Schließung« veranstaltet im Wintersemester eine Ringvorlesung an der Goethe-Universität Frankfurt, die sich mit den widersprüchlichen Entwicklungsdynamiken demokratisch-kapitalistischer Gesellschaften befasst: Der historischen Bewegung einer institutionellen Garantie und Erweiterung von Teilhabemöglichkeiten, so die These der Veranstalter:innen, korrespondiert die Gegenbewegung ihrer Verweigerung und Einschränkung. Die Vorlesung nimmt solche Prozesse der Öffnung und Schließung in insgesamt sechs Vorträgen in den Blick, die auch für Theoretiker:innen interessant scheinen. Alle Titel und Termine gibts hier.

 

 

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CfP Promotionswerkstatt „Demokratie in Arbeit“

„Demokratie in Arbeit“ bildet den thematischen Rahmen der Promotionswerkstatt und des Herbstforums des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung in Berlin. Am 07. November 2022 besteht für Promovierende die Möglichkeit, ihre Arbeiten in unterschiedlichen Formaten vorzustellen und zu diskutieren. Geplante Themenschwerpunkte sind dabei der Wandel und Gehalt des Demokratiebegriffs, Demokratie in der Arbeit sowie Arbeit an der Demokratie. Am 8. November 2022 findet dann das WSI-Herbstforum statt, das Teilnehmende an der Promotionswerkstatt ebenfalls besuchen können. Bewerbungen für die Teilnahme sind bis zum 15. September 2022 möglich. Die Kosten für Reise, Unterbringung und Verpflegung übernimmt im Erfolgsfall das WSI. Der vollständige Call findet sich hier und auf der Homepage.

 

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Gemeinsamer Arbeitskampf statt Identitätspolitik? Nancy Frasers Benjamin Lectures 2022

Nancy Fraser werde ja schon fast wie ein Popstar gefeiert, so Rahel Jaeggi zur Eröffnung der diesjährigen „Benjamin-Lectures“, was angesichts des mit 1000 Zuhörenden voll besetzten Haus der Kulturen der Welt keine Übertreibung darstellte. Zum dritten Mal hatte das von Rahel Jaeggi und Robin Celikates geleitete „Center for Humanities and Social Change“ an der Humboldt-Universität einen sehr prominenten Gast als Inhaberin des „Benjamin-Chairs“ ausgewählt. In ihrer Vorstellung machte Rahel Jaeggi bereits deutlich, was in den nächsten Tagen zu erwarten wäre. Vorträge, die sich – genau wie die Vortragende selbst – an der Schnittstelle von Theorie und praktischer politischer Intervention verorten lassen würden. (mehr …)

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Wittgenstein-Lectures: A.J. Julius über „Labor’s Self-Liberation from Capital“ (27.6.-1.7. Bayreuth)

Vom 27. Juni bis zum 1. Juli wird A.J. Julius (UCLA) fünf Vorlesungen im Rahmen der Wittgenstein-Lectures an der Uni Bayreuth halten. Der Titel der Lectures lautet: „Labor’s Self-Liberation from Capital“. Lillian Cicerchia von der FU Berlin und Nicholas Vrousalis aus Rotterdam werden die Vorlesungen kommentieren. Gäste sind herzlich willkommen, alle detaillierten Informationen zu der Veranstaltung finden sich hier.

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CfP „Past Futures of Work“ am Wissenschaftskolleg Berlin

Am Wissenschaftskolleg zu Berlin findet vom 12. bis 13. Mai 2022 eine internationale Konferenz zum Thema „Past Futures of Work“ statt; Einreichungen mit Themenvorschlägen sind bis zum 22. Januar möglich. Organisiert wird die Konferenz vom ForschungsnetzwerkWorking Futures1″ um Andreas Eckert, Lisa Herzog und
Bénédicte Zimmermann. Alle weiteren Infos sind hier zu finden.

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Jenseits von Identität und Arbeit. Impulse der Kampagne Lohn für Hausarbeit für eine politische Theorie und Praxis der Sorge

Teil 3 unserer Debatte um den Begriff der Sorge widmet sich praktischen Fragen rund um Sorge(tätigkeiten). Der erste von drei Texten wirft einen Blick auf den Zusammenhang von Care-Arbeit und Aktivismus und leitet daraus Möglichkeiten und Fallstricke einer politischen Theorie der Sorge heraus.

 

Mit der Gruppe Hausfriedensbruch, die in Hamburg einen Lesekreis zu materialistischen und queeren Traditionen des Feminismus organisiert, habe ich zum diesjährigen 8. März ein Radiofeature über die Kampagne Lohn für Hausarbeit produziert. Nach der Ausstrahlung erreichte uns eine wohlbekannte, identitätspolitische Kritik: Die cis Männer unserer all-gender Gruppe machten Frauen, Lesben, inter*, nicht-binären, trans* und agender Personen (FLINTA*) den Raum streitig. Cis Männer hätten in Fragen des Feminismus nichts beizutragen und könnten, insbesondere an diesem Tag, allenfalls als allies im Hintergrund Unterstützung leisten. Obwohl ich mich selbst oft für Räume ausgesprochen habe, die frei von cis männlichen Stimmen und Blicken bleiben, erschien mir die Kritik angesichts des Themas unserer Sendung verfehlt. Denn die Kampagne Lohn für Hausarbeit, die in den 1970er-Jahren weltweit die Sorgearbeit auf die politische Agenda setzte, fokussierte gerade nicht auf geschlechtliche Identität, sondern auf vergeschlechtlichte Arbeitsteilung. Sie wollte „ausgehend von den Frauen, aber im Sinne der gesamten Arbeiter_innenklasse“, eine neue politische Perspektive und ein neues politisches Terrain eröffnen: die Sphäre der Reproduktion. Weil sie ausgehend von Sorgearbeit eine politische Perspektive jenseits von Identität anvisiert, hält die Kampagne Impulse für eine politische Theorie und Praxis der Sorge bereit, die ich im Folgenden skizzieren möchte.

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#democratizingwork: Panels zu Demokratisierung, Dekommodifizierung und Dekarbonisierung der Arbeit (online)

In der nächsten Woche findet das Global Forum der internationalen Initiative #DemocratizingWork statt, bei dem sich Teilnehmer*innen vom 5. bis zum 7. Oktober 2021 über geographische und disziplinäre Grenzen hinweg über Themen rund um die Demokratisierung der Arbeit austauschen und die Bewegung #DemocratizingWork weiterentwickeln wollen.  Jeweils ab 14.30 Uhr – finden dabei, organisiert vom Center ‚Humanities and Social Change‚ (Berlin), auch drei Online-Panels statt die die Themen „Demokratisierung“ (Dienstag), „Dekommodifizierung“ (Mittwoch) und „Dekarbonisierung“ (Donnerstag) der Arbeit mit politiktheoretischem bzw. – philosophischen Bezug zum Thema machen. Alles Infos zu den einzelnen Panels gibt es online oder nach dem Klick.
Bitte beachten: Diejenigen, die an den Panels teilnehmen möchten, müssen zuvor über die Webseite des Global Forum ein Benutzerkonto anlegen. (mehr …)

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Axel Honneths Benjamin Lectures: Arbeit als Mittel zum Zweck der Demokratie

Es war – mal wieder – eine Veranstaltung im Zeichen der Pandemie. Und zwar in gleich zweifacher Hinsicht. Zum einen war den Organisator*innen rund um Rahel Jaeggi und Robin Celikates die Freude und Erleichterung darüber anzumerken, dass es ihnen möglich gewesen ist, die Walter Benjamin Lectures 2021 tatsächlich in Präsenz durchzuführen: Axel Honneth hielt seine dreiteilige Vorlesung vom 16. bis 18. Juni vor geschätzten 200 Zuhörer*innen pro Abend in einem Freiluftkino in der Berliner Hasenheide. Zum anderen stand auch das von Honneth gewählte Thema, die Arbeit, während der Pandemie im Fokus der medialen Aufmerksamkeit. Dieses öffentliche Interesse an den „systemrelevanten Jobs“ verging jedoch so schnell wie es entstand, obwohl sich – trotz Systemrelevanz – nichts an den schlechten Arbeitsbedingungen in der Pflege, auf der Intensivstation oder an der Supermarktkasse verändert hat. Für sein (nicht nur) deshalb dringliches Vorhaben einer Kritik der Arbeitsverhältnisse setzt Honneth die Arbeit in ein „notwendiges Ergänzungsverhältnis“ zur Demokratie. Ohne die „vorpolitische“ Schule guter Arbeitsverhältnisse, so die Hauptthese seines Vortrages, sei eine gelingende Demokratie gar nicht möglich. Mit der Arbeit steht also auch die Demokratie auf dem Spiel.

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