Die Linke und die Macht, das ist ein Paar, das selten zusammengeht. Für die Linke steht außer Frage: Die Macht korrumpiert, sie führt zum Verrat an den eigenen Ideale und zur Einbindung in das System, dem die Kritik galt. Auch die Vergangenheit schreckt ab: vom Marsch durch die Institutionen der Grünen, über den autoritären Staatssozialismus der SED hin zur Sozialliberalisierung der Sozialdemokratie. Gerade die deutsche Linke zog daraus ihre Lehren. Macht und Herrschaft verloren für sie ihre Versuchung, sie wurden zum Gegenstand von Kritik. Doch mit Blick auf den Ist-Zustand erweist sich diese Abwendung von der Macht als verhängnisvoll. Wo bleiben in Zentraleuropa die linken Gegenentwürfe zum Nationalismus mit düsteren Anklängen, zum Wohlstandschauvinismus um jeden Preis oder zur restriktiven Flüchtlingspolitik? Anders gestaltet sich die Lage in Europas Süden: Mit Syriza, dem Bloco de Esquerda oder Podemos drängt eine neue Linke nicht nur in Regierungen, sondern wirft auch die Grundsatzfrage auf: Wie können wir Projekte mit Mehrheitsanspruch schmieden? Das Label des Linkspopulismus legt (unfreiwillig) offen, dass diese neue Linke unverhohlen die Frage der Macht stellt. Damit bewegt sie sich ganz in der Tradition, die von Marx über Lenin zu Gramsci reicht. Wie lassen sich die Kräfteverhältnisse nach links verschieben? Wie entstehen Massenbewegungen, in der eine Vielzahl verschiedener Forderungen und Gruppen eingeflochten sind, um die Gesellschaft im Zeichen von Gleichheit, Gerechtigkeit und Emanzipation umzugestalten? Weist in dieser Hinsicht der südeuropäische Linkspopulismus den Königsweg, der auch anderswo fruchten könnte? Um dies zu klären, hilft ein Blick auf die Strategie von Podemos. Diese Strategie ist waghalsig, sie bewegt sich fernab ideologischer Gewissheiten – aber vielleicht liefert sie Anhaltspunkte dafür, warum eine Kraft, die kaum zwei Jahre alt ist, in den spanischen Generalwahlen von Dezember auf Anhieb 20 Prozent Unterstützung erhielt.
Laclau
Konferenz: Laclau-Kolloquium in Paris
Am 26 .und 27. Mai findet in Paris eine äußerst spannende, allerdings wohl franzöische Sprachkenntnisse voraussetzende Konferenz zur Philosophie Ernesto Laclaus statt. Unter dem Titel „Hégémonie, Populisme, Émancipation“ werden unter anderem Judith Butler, Etienne Balibar, Nancy Fraser und Jacques Ranciere Perspektiven auf das Werk von Laclau vostellen. Wer mehr wissen möchte, informiert sich am besten hier auf dem Flyer.
Das vertraute Gespenst – Ernesto Laclau zum Populismus
Mit Ernesto Laclau ist eine gewichtige Stimme der politischen Theorie verstummt. Doch in den Würdigungen, die auf Laclaus Tod folgten, ist untergegangen, dass Laclaus begrifflicher Beitrag zum Verständnis des Politischen nicht nur in seinen Überlegungen zu Marxismus, Hegemonie und Demokratie besteht, sondern auch – vielleicht sogar zuallererst – in seiner Analyse des Populismus. Dabei ist diese gerade jetzt, wo das Schlagwort Populismus anlässlich der Europawahlen wieder in aller Munde ist, von bestechender Aktualität. (mehr …)
Wiedergelesen: Die Theorie der Hegemonie
Wiedergelesen-Beitrag zu Ernesto Laclau und Chantal Mouffe: Hegemony and Socialist Strategy. Towards a Radical Democratic Politics, London, New York: Verso 1985 (dt. v. Michael Hintz, Gerd Vorwallner. Wien: Passagen 1991).
Oft hat der Tod eines Autors den bemerkenswerten Effekt, sein Werk erneut ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu stellen. Im Falle des jüngst verstorbenen Ernesto Laclaus ist zu erwarten, dass das Interesse an seiner posthumen Monographie The Rhetorical Foundations of Society besonders groß sein wird. Doch Laclaus Tod gibt auch Anlass dazu, den Blick in die Vergangenheit zu richten. Wie steht es um die Aktualität jenes Werkes, das den Startpunkt für den Postmarxismus Laclaus und Chantal Mouffes bedeutete? Die bald 30 Jahre, die seit der Veröffentlichung von Hegemony and Socialist Strategy. Towards a Radical Democratic Politics im Jahr 1985 zurückliegen, wirken im kurzlebigen Archipel der politischen Theorie wie eine kleine Ewigkeit. Zuletzt ist es um Hegemony ruhiger geworden. Jedoch sind die Anliegen, die Laclau und Mouffe vor einer Generation beschäftigten, längst nicht von der Tagesordnung. In diesem Beitrag plädiere ich thesenhaft dafür, dass Hegemony and Socialist Strategy ein moderner Klassiker der Sozial- und politischen Theorie ist. Laclau und Mouffe entwerfen in diesem Buch erstmals eine poststrukturalistische Diskurstheorie als umfassende Gesellschaftstheorie; sie legen die Pfeiler für eine postfundamentalistische politische Ontologie; letztlich relancieren sie das sozialistische Projekt in neuartiger Weise als Projekt der radikalen Demokratie. Poststrukturalistische Gesellschaftstheorie, politische Ontologie und politisches Projekt, dies ist die Erbschaft, die Hegemony and Socialist Strategy für die Gegenwart hinterlässt. (mehr …)
Ernesto Laclau und die Bibliothek des Jorge Luis Borges
Ernesto Laclau ist gestorben. Wie jeder Nachruf ist auch dieser dem unhintergehbaren Dilemma ausgesetzt, sich dem Tod widmen zu müssen, einem Thema, über das es nichts zu sagen gibt, was gesagt werden müsste. Der Tod entzieht sich radikal jeder Erkenntnis und der Fehler jeder Religion ist es seit jeher gewesen, das Wissen an die Stelle des Glaubens zu setzen und sich dadurch selbst verlustig zu gehen. Was den Tod angeht, ist jede_r auf seine_ihre Phantasie verwiesen. Jorge Luis Borges schrieb einmal, er würde sich das Paradies als eine riesige Bibliothek vorstellen, in der man, stetig auf neue Gänge stoßend, ewig lesen und wandeln könnte. Es macht Freude, sich vorzustellen, wie Ernesto Laclau an diesem Ort die Augen aufschlägt und sich einem lächelnden Borges gegenübersieht. Solche Bilder helfen, dem Tod ins Auge zu blicken, dem unseren, dem unserer Lieben und dem Ernesto Laclaus, in dem alle jene anderen Tode ebenso beschlossen liegen wie der seine in unserem liegen wird. (mehr …)
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