Das Tier als Mitbürger: Kymlickas „Zoopolis“

Stell dir vor, es ist Wahl, und in der Kabine neben dir steht ein Pferd. Haha, kleiner Scherz… Oder nicht? Will Kymlicka, der sich bisher vor allem zu Fragen eines multikulturalistischen Liberalismus, sozialer Gerechtigkeit und Demokratie einen Namen gemacht hat, hat nun ein Buch zur Staatsbürgerschaft von Tieren veröffentlicht. Mit „Zoopolis“ knüpft der kanadische Philosoph an die Tierrechtstheorie – vor allem von Tom Regan – an und entwickelt einen spannenden und radikalen Ansatz, mit dem der moralische und politische Status von verschiedenen Gruppen von Tieren aus neuer Perspektive betrachtet wird.

Tierethik ist schon länger ein Trend. Aber spätestens seit Erscheinen der Bücher „Eating Animals“ von Jonathan Safran Foer und „Anständig essen“ von Karen Duve vor knapp zwei Jahren sind Vegetarismus, der Schutz von Tieren, Tierrechte und die „Würde der Kreatur“ verstärkt in die öffentliche Debatte gerückt (wir berichteten). Auch im akademischen Bereich erlebt das Thema seit einiger Zeit verstärkt Auftrieb, integriert in einen größeren Themenzusammenhang: Die Naturethik überhaupt. Dabei stehen nicht zuletzt Fragen zum moralischen Status und zu moralischen Rechten von Tieren im Mittelpunkt, Fragen, wie sie nicht nur von Philosophen, sondern auch im Rahmen rechtswissenschaftlicher Forschungen, etwa ab Herbst in Basel, vorangetrieben werden sollen.

Was nun Kymlicka macht, ist noch einmal eine ganz andere, sehr außergewöhnliche Methode: Ansätze aus der politischen Theorie und Philosophie werden auf diese Fragen der Tierethik übertragen und diese, wie er sagt, aus dem Bereich der Moraltheorie und angewandten Ethik in die Politische Philosophie verschoben. Das Tier wird zum „political animal“. Wer Kymlicka schon persönlich getroffen hat, weiß sicher, dass er vegetarisch oder sogar vegan lebt, aber in seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen hat er sich bisher vor allem zu Fragen eines multikulturalistischen Liberalismus, zu kulturellen Gruppenrechten, Staatsbürgerschaft etc. geäußert. Nun wagt er den spannenden Versuch, seine Thesen aus diesen Forschungsgebieten, vor allem zur gruppendifferenzierten Staatsbürgerschaft, auf die Tierethik zu übertragen.

„Zoopolis“ verschiebt damit die Debatte von der Moraltheorie und der angewandten Ethik explizit in die Politische Philosophie, indem Kymlicka und seine Co-Autorin Sue Donaldson auf die Rechte und Pflichten eingehen, die sich aus den verschiedenen Kontexten und Beziehungen ergeben, welche Tiere zu Menschen (und umgekehrt) haben. „Many of the same political processes that generate the need for a group-differentiated theory of human citizenship also apply to animals“ (14).

Die Thesen lassen sich grob zusammenfassen: Kymlicka und Donaldson differenzieren zwischen domestizierten (Hunde, Katzen), wild lebenden Tieren und solchen, die sich dazwischen bewegen (wie etwa Eichhörnchen, Hasen etc.). Jene Tiere zum Beispiel, die schon seit Urzeiten als Nutz- oder Haustiere Teil unserer Gesellschaft sind, sollten auch als vollständige Mitglieder anerkannt werden, genauer: als Staatsbürger. Dem gegenüber haben wild lebende Tiere einen anderen Status, sie haben Anspruch auf Achtung ihrer territorialen Souveränität. Die „dazwischen“ erhalten den Status von Denizens. Allerdings stellt sich hier die Frage, ob jeweils noch zwischen den Kulturen zu unterscheiden wäre, denn in verschiedenen Kontexten werden unterschiedliche Tiere als domestiziert respektive wild anerkannt.

„Some animals should be seen as forming separate sovereign communities on their own territories (animals in the wild vulnerable to human invasion and colonization); some animals are akin to migrants or denizens who choose to move into areas of human habitation (liminal opportunistic animals); and some animals should be seen as full citizens of the polity because of the way they`ve been bred over generations for interdependence with humans (domesticated animals)“ (14). Um das plastischer zu erläutern – das gelingt dem Buch durchweg gut – stellen die Autoren eine Analogie zwischen domestizierten Tieren und Sklaven oder Gastarbeitern her: Gerechtigkeit ist erst hergestellt, wenn die ehemalige, demütigende Hierarchie durch ein neues Verhältnis der gleichberechtigten Staatsbürgerschaft ersetzt wird.

Die domestizierten Tiere werden als eigenständige Akteure, nicht als „objects“ der Menschen angesehen: „In our view, we need an entirely new starting point. We need to start from the premise that humans and domesticated animals already form a shared community – we have brought domesticated animals into our society, and we owe them membership in it“ (100). Dazu greifen sie auf alternative Ansätze zu den traditionellen, rationalistischen Konzeptionen von Staatsbürgerschaft zurück, nämlich auf jene der Behindertenbewegung, des „disability movement“ (104 ff.). Im Zentrum steht dabei das Konzept der „abhängigen Akteurschaft“, das Kymlicka und Donaldson auf die Tiere übertragen. Auch Tiere haben demnach einen Begriff davon, was ihr subjektives Gut ist, sie können kooperieren und partizipieren, sie können zu Menschen ein Vertrauensverhältnis entwickeln, auf dessen Grundlage ihre Interessen und Rechte vertreten werden.

Kymlicka und Donaldson bieten eine interessante neue politisch-ethische Grundlagentheorie, denn ihr Buch ist offensichtlich nicht nur für die Frage nach den Rechten von Tieren relevant, sondern wirft auch Fragen zum Verständnis politischer Staatsbürgerschaft neu auf, indem Konzepte wie Reziprozität und politische Partizipation als Bedingungen der Staatsbürgerschaft reformuliert werden. Insgesamt ist es ein ausgesprochen lesbares und zugleich wissenschaftlich fundiertes Buch, das die Debatte um Tiere und ihre Bedürfnisse und Rechte bereichert. Allerdings ist die Forderung so radikal, dass es fraglich ist, ob sie wirklich praxistauglich ist – einen neuen Anstoß zum Denken und neue Richtungen für die tierethische Debatte im Ganzen bietet sie aber auf jeden Fall.

Donaldsan, Sue/Kymlicka, Will 2013: Zoopolis. Eine politische Theorie der Tierrechte, Berlin: Suhrkamp.

2 Kommentare zu “Das Tier als Mitbürger: Kymlickas „Zoopolis“

  1. Danke für diesen Artikel!

    Es ist eigentlich viel mehr als spannend, sich mit der Frage nach Tierrechten auseinanderzusetzen. Soweit ich das sehe, stehen sich dabei im akademischen Diskurs auch zwei Positionen diametral gegenüber: jener der Subjektphilosophie, der darauf beharrt, dass allein Menschen als Träger von Rechten und Pflichten definiert und verstanden werden können (Tiere bleiben demnach Objekte, denen zwar Bewusstsein, aber eben keine eigenständige Rechtspersönlichkeit zugestanden werden kann); auf der anderen Seite gibt es dann eine graduell aufsteigende Befürwortung von Tierrechten, die wohl in Kymlickas Konzept gipfelt, wonach Säugetiere ebenso als Rechtsträger und Rechtspersonen anerkannt werden.

    Diese Debatte kann m.E. gar nicht entschieden werden, auch wenn die Ethologie und Tierpsychologie immer neue Erkenntnisse über tierische Wahrnehmung und Bewusstseinsartikulation zu Tage fördert. Sie kann vielleicht auch deswegen nicht entschieden werden, weil sich die Ausgangsfrage nicht von einigen gesellschaftstheoretischen Impplikationen frei machen kann. Zu denen gehört wohl auch die Prämisse, dass Tierrechte erst ab einem gewissen zivilisatorischen Entwicklungsstand der Menschheit überhaupt zu einem Thema gemacht werden kann. – Es macht m.E. schon einen enormen Unterschied aus, dass Menschen Tiere nicht allein aus Nutzenkalkülen heraus betrachten und obwohl einige der Befürworter sich einer utilitarischen Philosophie nahe stehen, denke ich, dass diese Sozialphilosophie zugleich auch das Problem ihrer Verwirklichung ist. Denn übertragen auf das gesellschaftliche Leben, werden ja auch Menschen in erster Linie nach ihrem „Nutzen“ für die Gesellschaft betrachtet. Diese Idee hat sich heute wahrscheinlich sehr weit von ihrer liberalphilosophischen Prämisse entfernt und zu einem Selbstzweck herausgebildet: die instrumentelle Vernunft bestimmte demnach weitgehend die Beurteilung, wer z.B. welche Rechte genießen darf.

    Für eine demokratische Gesellschaft wäre es nur legitim, ab einem gewissen Punkt danach zu fragen, wie sie Tiere respektieren und integrieren möchte. Es gibt dann einen Kipppunkt, ab dem sich mehr Menschen für diese Frage interessieren können, doch wenn wir eine Vermutung anstellen, so dürfte wohl herauskommen, dass eine Mehrzahl der Menschen überhaupt nicht auf die Idee käme, Tiere als Rechtsträger anzuerkennen – und in der Folge auch selbst aktiv zu behandeln (weil es Tiere vielleicht nicht angemessen tun können). Hier würde vielleicht recht plump nach materieller Natur beurteilt werden, wonach einem das eigene Überleben zunächst wichtiger ist, als das Wohl des Tieres. Erschwerend kommt hinzu, dass die westlichen GEsellschaften mit kapitalistischem Konsumstil darauf basieren, möglichst billige Lebensmittel für Menschen mit geringen und durchschnittlichen Verdiensten anzubieten. Da nahezu alle Lebensmittel, die in einem üblichen Supermarkt zu haben sind, direkt oder indirekt aus tierischen Substanzen bestehen, ist bereits der Geschmack entsprechend enkulturalisiert. Wir haben heute das Phänomen, das Vegetarismus primär als gehobener Lebensstil betrachtet wird, der entsprechende symbolische Mehrwerte für ihre Betreiber bereithält; gesundheitliche Aspekte mögen zwar angegeben werden, aber die Lust an Distinktion scheint mir hier zu überwiegen. Gerade auch unter Studenten ist ein Mix aus gezwungener und gewollter Askese mit vegetarischem oder veganem Lebenstil kompatibel; das muss nicht falsch sein, ist aber nicht gleichzusetzen mit der allein normativen bzw. ethischen Bewusstwerdung, die aktive Rücksichtsnahme voraussetzen würde.

    Da wir im Alltag bereits Menschen unterschiedliche behandeln und zum Teil ausgrenzen, stigmatisieren und ausbeuten, gehört die Debatte – und wohl auch der politische Kampf – um Integration von Säugetieren in die Gemeinschaft (die es nicht gibt) zu einer erweiterten Debatte darüber, wie Menschen UND Tiere leben sollen. Ich vermute mal, dass gerade jetzt, wo die Finanzkrise gerade für viele Menschen eine enorme Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen mitbringen wird, das Thema – ganz ähnlich wie die Frage nach ‚Degrowth‘ und Umweltschutz -, ausgeblendet wird.

  2. Mein Kommentar kommt freilich etwas spät, aber ich möchte dennoch etwas ergänzen. Alexander hat vollkommen recht, wenn er schreibt, dass es sich nicht nur um eine spannende, sondern auch notwendige Debatte und Weiterentwicklung bisheriger Ansätze handelt. Ich glaube aber, dass wir auf einem guten Weg dahin sind und dass Vegetarismus zum Beispiel nicht nur eine Frage des „gehobenen Lebensstils“ und der „Distinktion“ ist, sondern dass ein Paradigmenwechsel und ein Bewusstseinswandel stattfindet; da teile ich durchaus den Optimismus von Kymlicka, wie er ihn übrigens auch in einem Interview mit Hilal Sezgin erläutert:
    http://www.zeit.de/2012/28/Interview-Kymlicka/komplettansicht
    Es gibt gerade unter Studierenden viele Initiativen, denen es um Tierrechte, aber auch Umweltschutz geht, in Basel etwa wird für eine vegetarische Mensa genau aus diesen Motiven heraus gekämpft. Es wird dazu bald ein Interview hier auf dem Blog geben.

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