Die „realistische Utopie“ der Menschenrechte. Zum 75. Geburtstag einer nie alternden Hoffnung

Als die Vereinten Nationen vor 75 Jahren die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedeten, lag darin eine große Hoffnung und ein Versprechen: Die Hoffnung darauf, dass sich Gräueltaten wie jene in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in denen in zwei Weltkriegen und unter den totalitären Regimes des Nationalsozialismus und Stalinismus Menschen zur bloßen Verfügungsmasse staatlicher Herrschaft degradiert wurden, nie wieder ereignen sollten. Und das Versprechen, dass ein transnationaler Menschenrechtspakt und die Formulierung grundlegender freiheitlicher, bürgerlicher und sozialer Rechte die Unantastbarkeit jeder Person gegen nationalstaatliche Willkür und die Eingriffe Dritter wirksam schützen würden. Die aktuelle Weltlage lässt zunächst daran zweifeln, inwiefern dieses Versprechen und diese Hoffnung eingelöst wurden. Ist der 75. Geburtstag der UN-Menschenrechtserklärung trotzdem ein Anlass zum Feiern? Ich denke ja, aber für eine gebührende Würdigung sollte man sich vergegenwärtigen, was es mit der Menschenrechtserklärung auf sich hat, wie sie gealtert ist und welches zukunftsweisende Potential sich aus ihr gewinnen lässt. Eine solche Vergegenwärtigung will ich im Folgenden anhand des Subjekts der Menschenrechte versuchen.   (mehr …)

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Von einer Ethik zu einer Politik der Sorge

In der politischen Theorie wird der Sorgebegriff eher stiefmütterlich behandelt. Dies entspricht jedoch keineswegs seiner Rolle in der Philosophie. Dort kommt ihm schon seit der Antike eine zentrale Bedeutung zu (z. B. bei Sokrates oder in der Stoa), die im 20. Jahrhundert etwa von Martin Heidegger und Michel Foucault mit je eigener Stoßrichtung aufgegriffen und den Bedingungen der Moderne angepasst wurde. Die Sorgebegriffe der beiden und ihre produktive Aneignung sind seitdem wichtig für die moral- und sozialphilosophische Debatte. Der Grund, warum die politische Theorie nur zögerlich auf die hier angelegte Ressource zurückgreift, liegt wohl darin begründet, dass das Verständnis von Sorge bei beiden auf das einzelne Subjekt fokussiert ist und die relationale Dimension eine eher untergeordnete Rolle spielt. Erst die feministische Ethik rückt das spezifisch interpersonale und subjektkonstitutive Moment von Sorgebeziehungen in den Vordergrund und zeigt auf, dass menschliche Freiheit und Individualität durch sorgende Andere überhaupt erst ermöglicht wird. Diese Einsicht gilt es auch stärker für die Relevanz von Sorge und Interdependenz im politischen Denken fruchtbar zu machen.

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„Solange eine Universität lebt, lebt sie von ihrem Geist“

Akademischer Philosoph und öffentlicher Intellektueller – im Vortrag anlässlich seines 90. Geburtstages an der Goethe-Universität Frankfurt hat Jürgen Habermas eindrücklich unter Beweis gestellt, dass er beides wie kein anderer in einer Person verkörpert. In der ersten Rolle hielt er einen luziden Vortrag zum Verhältnis von Moralität und Sittlichkeit mit Blick auf die drei Geistesgrößen Kant, Hegel und Marx, um dann in der zweiten Rolle wissenschaftspolitisch klar Stellung zu beziehen: das philosophische Denken sei dann bedroht, wenn Zweckrationalität und Systemzwänge zu den bestimmenden Prämissen der Institution Universität werden.

Zu Beginn seines Vortrags entschuldigte sich Habermas bei all jenen, die gekommen seien, um einen feuilletonistischen Intellektuellen zu erleben – es erwarte sie stattdessen ein fachphilosophischer Vortrag und tagesaktuell werde es allenfalls in den letzten fünf Minuten. Die hatten es dafür umso mehr in sich: direkt an die Präsidentin der Goethe-Universität Frankfurt Prof. Brigitta Wolff gewandt, warnte Habermas davor, das Erbe der Frankfurter Schule zu verspielen. Nur unter entgegenkommenden Bedingungen könne das kritische interdisziplinäre Denken, wie es in Frankfurt eine einzigartige Tradition hat, gedeihen. Pointiert formulierter er: „Eine Universität ist mehr als eine vom Wissenschaftsrat evaluierte Anstalt für Forschung. Solange eine Universität lebt, lebt sie von ihrem Geist.“ (mehr …)

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Philosophie und Sonderpädagogik im Gespräch mit Martha Nussbaum. Bericht über den Würzburger Workshop „Menschliche Fähigkeiten & Komplexe Behinderungen“

Auch wenn Interdisziplinarität in der wissenschaftlichen Welt derzeit hoch im Kurs steht, ist ein Austausch von Philosophie und Sonderpädagogik selten. Zwei Lehrstühle der Universität Würzburg (Jörn Müller, Philosophie und Reinhard Lelgemann, Sonderpädagogik) haben auf dieses Desiderat reagiert und die beiden Disziplinen über den capabilities approach von Martha Nussbaum in einen inhaltlichen Austausch gebracht. (mehr …)

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„Sense of Doubt. Wider das Vergessen“ – Eine Ausstellung im Spannungsfeld von Wissenschaft, Kunst und Politik

Sense of DoubtDas Ausstellungsprojekt „Sense of Doubt. Wider das Vergessen“ widmet sich aus einer interdisziplinären Perspektive der narrativen und interpretativen Dimension einer Geschichtsschreibung (post)kolonialer globaler Konflikte und Machtdiskurse. Das Setting der Ausstellung ist einem Frachtschiff nachempfunden: Stege aus Holzplanken verbinden gleich einem Schiffsdeck elf Container miteinander, Seile markieren eine Reling. In Verbindung mit dem Titel der Ausstellung – Sense of Doubt – drängt sich die Metaphorik einer Reise ins Ungewisse, das Zweifeln als Verlassen eingefahrener Denk- und Wahrnehmungswege geradezu auf.
Doch die Metapher des Schiffs ist zweifach gebrochen: die Frachtcontainer sind geöffnet und geben den Blick auf ihren Inhalt – Videos –  frei, die sich alle mit Konflikten zwischen dem globalen Süden und Norden, mit kolonialen und postkolonialen Machtstrukturen und daraus resultierenden Ungerechtigkeiten beschäftigen; es ist nicht das Schiff, das sich vorwärts bewegt, sondern der Besucher, der auf den Stegen zu den Containern gelangt, und über die Destabilisierung von eingefahrenen und unreflektierten Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien einen Erkenntnisprozess durchläuft. Schon in der konzeptuellen Anlage der Ausstellung „Sense of Doubt. Wider das Vergessen“ ist damit das Motiv der Zweideutigkeit, des Spiels mit Erwartungshaltungen, des Aufbrechens von Deutungsmustern gesetzt. Diese bewusste Mehrdeutigkeit steht auch auf inhaltlicher Ebene im Zentrum des Ausstellungsprojektes, indem stereotype Sichtweisen auf postkoloniale globale Machtstrukturen und auf die Rolle von benachteiligten und unterprivilegierten Akteuren dekonstruiert werden.

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