Professuren für Politische Theorie und Ideengeschichte – Eine kleine Bestandsaufnahme 2021

Die momentane Wahrnehmung Vieler in unserem politikwissenschaftlichen Teilgebiet ‚Politische Theorie und Ideengeschichte‘ ist, dass es sich mit Blick auf das gesamte Fach im Rückzug befindet. Dieser Eindruck soll im Folgenden – unter Einbezug hier bisheriger Analysen – empirisch überprüft werden.

Mit dem Stichtag des 30. Juni 2021 gab es an bundesdeutschen Universitäten – damit sind staatliche Universitäten gemeint, inklusive der Universitäten der Bundeswehr sowie der Pädagogischen Hochschulen in Baden-Württemberg ­– laut hochschuloffizieller Denominationen eine Gesamtzahl von 50 Professuren, die im Fach Politikwissenschaft zugerechnet werden können; benachbarter Disziplinen wie Philosophie oder Geschichtswissenschaft also nicht mit eingerechnet.

Bereits 2004, 2007 und 2015 gab es (unter Beteiligung einer der beiden Co-Autoren) derartige Bestandsaufnahmen zur professoralen Lage des Teilbereichs (Arendes/Buchstein (2004: 25), Buchstein/ Fietz (2007), Buchstein/Müller (2015)). Dieser Beitrag möchte an daran anschließen und sie aktualisieren. Für die Hilfe bei den aktuellen Recherchen danken wir Aaron Jeuther.

 

Tabelle: Professorale Kopfstärken des Faches und Professuren im Teilgebiet Politische Theorie

 

 

Sieben der 50 Professuren – nicht eingerechnet Juniorprofessuren ohne tenure track – des Teilgebietes waren am Stichtag (30. Juni 2021) nicht regulär besetzt, sondern befanden sich in laufenden Berufungsverfahren, wurden temporär vertreten oder waren vakant. Über die verbliebenen 43 Professuren lassen sich zudem folgende Angaben machen.

  • 32 Professuren werden von Männern besetzt, elf von Frauen. Bei dieser Zahlenangabe ist bemerkenswert, dass unter den vom Lebensalter jüngsten zwölf Personen (ab Geburtsjahrgang 1971 und jünger) lediglich eine Frau zu finden ist. In der Alterskohorte Jahrgang 1966-70 ist das Geschlechterverhältnis genau ausgeglichen (6 zu 6), ebenfalls in der kleinen Gruppe der beiden Lebensältesten (1 zu 1). In den Geburtsjahrgängen 1956-1965 gibt es eine gravierende männliche Dominanz (15 zu 3).
  • Im Kontext des Gesamtfachs hat sich der Anteil der Professuren im Teilgebiet Politische Theorie und Ideengeschichte seit 2014 leicht verringert. Diese Verringerung um drei Professuren ist nicht das Resultat von gezielten Abschaffungen einzelner Professuren, sondern Ausdruck von eher als kontingent zu bewertenden Ereignissen (Auslaufen von einer Professur im Fall einer vorherigen Einklagung; Auslaufen von Sonderprogrammen etc.). Insgesamt hat sich das Teilgebiet während der gravierenden Veränderungen in den vergangenen 15 Jahre an den deutschen Universitäten erstaunlich gut stabilisiert.
  • Die Auswertung der Alterskohorten erlaubt eine grobe Abschätzung der Stellen, die zukünftig frei werden. Unterstellt, dass alle Professuren wieder neu besetzt werden und unter Veranschlagung eines durchschnittlichen Pensionseintrittsalters von 67 Jahren lassen sich folgende prognostische Aussagen über zukünftig zu besetzende Professuren machen: Zusätzlich zu der Zahl der am Stichtag noch offenen sieben Neubesetzungen sind für die Jahre 2021-25 elf Neubesetzungen erwarten. Für die Jahre 2026-30 lassen sich weitere acht und für die Jahre 2031-35 zwölf Neubesetzungen prognostizieren.

Wie sind diese Befunde zu bewerten? Die – auch von uns beiden vormals geäußerten Unkenrufe – haben sich nicht bewahrheitet. Dennoch haben sich die Chancen der jüngeren Kolleginnen und Kollegen, die auf eine Professur im Teilgebiet hoffen, trotz des stabilen Tabellenbildes nicht verbessert, sondern eher verschlechtert. Dies aus zwei Gründen.

Erstens: Was die Zahlen in der Tabelle nicht verraten, ist das genaue inhaltliche Profil der neu besetzten und zu besetzenden Stellen. Die heftigen Debatten um die Neubesetzung an der Universität Leipzig zeigten die Gefahr einer faktischen Ausdünnung von Theorieprofessuren durch Zusammenlegung mit der empirischen Demokratieforschung auf. Eine andere Beobachtung ist der Wegfall der Ideengeschichte in jüngeren Ausschreibungen, so in Trier und Potsdam. Jede Theorie-Professur, die frei wird, sieht sich solchen Veränderungstendenzen ausgesetzt; es gibt nun einmal keinen Artenschutz für akademische Teildisziplinen. Demgegenüber erweisen sich die Lehramtsstudiengänge in der Regel als Stellengaranten unserer Teildisziplin.

Zweitens: In der vergangenen Dekade wurden im Jahresdurchschnitt drei Professuren zur Neubesetzung ausgeschrieben. Fast die Hälfte dieser Stellen wurde von Bewerberinnen und Bewerbern besetzt, die zuvor bereits eine Professur innehatten, so dass dadurch lediglich eine weitere Runde im Stellenkarussell losgetreten wurde. Momentan gibt es deshalb einen gewissen ‚Rückstau‘ von für eine solche Professur Geeigneten, was sich an den erhöhten Zahlen der eingehenden qualifizierten Bewerbungen für eine ausgeschriebene Professur ablesen lässt. Eine ähnliche altersmäßige Ballung gab es in der Politischen Theorie und Ideengeschichte schon einmal vor 35 Jahren als Folge der Berufungswelle in den 1970er Jahren. Sie hatte den Effekt, dass in den 1980er Jahren die Zahl der habilitierten Bewerberinnen und Bewerber auf eine Theorieprofessur die Zahl der ausgeschriebenen Stellen regelmäßig um ein Vielfaches übertraf. Erst der Stellenaufwuchs im Zusammenhang des Neuaufbaus der Politikwissenschaft in den neuen Bundesländern zu Beginn der 1990er eröffnete für manche der jahrelang in Wartepositionen verharrenden Kollegen und Kolleginnen damals eine dauerhafte berufliche Position – nachdem sich einige von ihnen bis zu zwölf Jahre lang als Privatdozentinnen oder -dozenten über Wasser gehalten hatten. Hinzu kommt ein nicht unerheblicher Anstieg der für eine Professur qualifizierten Bewerberinnen und Bewerber infolge der Ausweitung der Drittmittelforschung, nicht zuletzt im Rahmen des Frankfurter Exzellenzclusters oder der Sonderforschungsbereiche in Bremen und Berlin, jeweils unter Beteiligung der Politischen Theorie. Schließlich dürfte die Konkurrenz aus den benachbarten Disziplinen, insbesondere aus der politischen Philosophie sowie von Bewerberinnen und Bewerbern aus dem Ausland in den kommenden Jahren weiter zunehmen.

Zusammengefasst: Während in anderen Berufsfeldern mittlerweile händeringend nach geeignetem Personal gesucht wird, bleiben die beruflichen Aussichten für diejenigen, die eine Professur in unserem Teilgebiet anstreben unter den momentanen Bedingungen weiterhin mit Max Webers treffender Formulierung aus Wissenschaft als Beruf  „eine Angelegenheit, die einfach Hasard ist“.

Wir haben in unserer Bestandsaufnahme zunächst lediglich auf die Professuren in unserem Teilbereich geschaut. Mindestens ebenso wichtig wäre es, eine vergleichbare Analyse über die temporär beschäftigten jüngeren Wissenschaftler*innen zu erstellen, und dabei u.a. zusätzlich auf die jeweiligen institutionellen Einbindungen der Beschäftigungsverhältnisse sowie auf deren Dauer zu schauen. Eine solche Bestandsaufnahme ist allerdings erheblich aufwändiger; vielleicht lässt sie sich bald einmal als Kooperationsvorhaben innerhalb der Theoriesektion der DVPW durchführen.

 

Hubertus Buchstein, Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Greifswald.

Dirk Jörke, Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der TU Darmstadt.

2 Kommentare zu “Professuren für Politische Theorie und Ideengeschichte – Eine kleine Bestandsaufnahme 2021

  1. Super, dass es zu dem Problemkomplex hiermit empirische Daten gibt. Ganz herzlichen Dank Hubertus und Dirk!
    BTW: Wäre schön, so etwas auch für die politische Philosophie zu haben, was schwierig sein dürfte, da die politische Philosophie ganz selten ausdrücklich in der Denomination der Stellen, die meistens ganz allgemein unter „praktische Philosophie“ firmieren, genannt wird.

  2. Danke, Stefan, für Deinen Zuspruch. Bei Euch in der Philosophie wird das Zählen zumindest für die gesamte Disziplin deutlich leichter sein. Unsere Gesamtzahlen haben – wie schon in der Vergangenheit – diverse Unschärfen.
    Was (neben der Stellensituation der jüngeren Kolleg*innen) wissenwert ist, sind die transdisziplinären Import-Export-Relationen. Die Politikwissenschaft (und hier insbesondere die Politische Theorie) war in der Vergangenheit häufig eine Import-Disziplin, d. h. Professuren in unseren Fach wurden zuweilen auch gern mit Philosoph*innen, Soziolog*innen oder Historiker*innen besetzt. Das scheint sich verändert zu haben. Nun ist zu beobachten, dass etwa in der Didaktik oder im vergleichsweise neuen Bereich Gender Studies hier und da Stellenoptionen für genuin an der Politischen Theorie Interessierte entstanden sind.

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