Plagiate: Die frühe Rolle der Universitäten

— Vor ein paar Jahren hat Frieder Vogelmann hier auf dem Blog die „Politik des Plagiats“ diskutiert. Da die Debatte zuletzt wieder aufflackert, bringen wir heute und morgen zwei Beiträge, die die Rolle der Universitäten in den Blick nehmen. Janne Mende rückt heute die Bedeutung der Lehre, der Lehrenden und des institutionellen Kontexts, in dem sie sich befinden, in den Fokus. Morgen schreibt Tobias Haas über den universitären Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten in Qualifikationsarbeiten und in der Forschung insgesamt. —

Regelmäßig entfacht ein Thema aus dem Innersten der Wissenschaft öffentliche Debatten: Mit Franziska Giffey steht erneut eine Bundespolitikerin unter dem Verdacht, in ihrer Doktorarbeit plagiiert zu haben – dieses Mal im Fach Politikwissenschaft. Auf der Suche nach Umgangsmöglichkeiten verweisen viele Debattenbeiträge auf die offensichtliche Verantwortung der Plagiierenden selbst. Aber auch die Universitäten rücken in den Fokus, wenn eine zeitweilige Betreuungssperre von Doktoreltern oder Beratungs- und Fortbildungsstellen an den Universitäten vorgeschlagen werden.

Während der erste Vorschlag einer Betreuungssperre – durchaus bewusst überspitzend – die individuelle Verantwortung der Betreuer/innen in den Vordergrund rückt, zielt der zweite auf institutionalisierte Lösungen ab. Gemeinsam ist ihnen eine Lösungssuche, welche die Universität als Akteurin in den Blick nimmt.

Diese Suche ist so wichtig wie herausfordernd. So wird jeder Lösungsvorschlag auch an Grenzen stoßen. Betreuer/innen können immer einmal nicht gekennzeichnete Zitate übersehen, zumal wenn sie aus Quellen stammen, die wenig verbreitet oder bekannt sind. Beratungsstellen können zu einem weiteren Aufblähen der Verwaltungsstrukturen an Universitäten führen, die entweder ungenutzt bleiben oder deren Formulare pragmatisch inhaltsleer abgearbeitet werden. Betrugsvorhaben werden sich an neue Mechanismen anpassen und andere Mittel und Wege finden. Viel schwerer noch aufzudecken, aber kaum weniger beliebtes Fehlverhalten zur Erlangung eines Titels oder eines Abschlusses ist beispielsweise die Nutzung von Ghostwritern für das Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten.

Dennoch können die Universitäten (mehr) dazu beitragen, neue und notwendige Mechanismen zu entwickeln, um für die Problematik von Plagiaten zu sensibilisieren und Betrugsvorhaben abzubauen. Diese Rolle der Universitäten setzt allerdings nicht erst mit den Doktorarbeiten ein, die regelmäßiger Gegenstand öffentlicher Debatten sind, sondern wesentlich früher: mit dem ersten Semester jeden Studiums.

Universitäten nehmen diese Verantwortung mittlerweile verstärkt wahr. In immer mehr Studiengängen werden Kurse für wissenschaftliches Arbeiten angeboten. Selbst dort, wo es nicht Pflicht ist, überraschen Studierende ihre Dozent/innen mit einer unterschriebenen Erklärung zur Hausarbeit, die verspricht, den Standards guter wissenschaftlicher Praxis zu entsprechen. Spätestens bei Abschlussarbeiten ist die Erklärung in der Regel vorgeschrieben. Einige Institute ahnden aufgedeckte Plagiatsfälle während des Studiums sogar mit Exmatrikulation und senden so ein deutliches Zeichen.

Dennoch weist der universitäre Umgang mit Plagiatsfällen erstaunliche Lücken auf. Das betrifft nicht nur die berühmten Fälle, in denen Universitäten erst nach gesellschaftlichem Druck Verfahren zur Überprüfung von beanstandeten Dissertationen einleiteten. Es trifft auch auf den universitären Alltag der akademischen Lehre zu, der nach außen oft unsichtbar bleibt. Dort werden Hausarbeiten, die unter dringendem Plagiatsverdacht stehen, in manchen Fällen durchgewunken, in anderen mit null Punkten bewertet sowie eine (mitunter unbegrenzte) Wiederholung der Prüfungsleistung ermöglicht, bis diese irgendwann doch bestanden wird und so den Universitätsabschluss ermöglicht.

Hintergrund solcher Handhabungen ist weder Desinteresse noch Gleichgültigkeit gegenüber Betrug. Die Gründe sind vielfältig. Sie gehen zurück auf lückenhafte Prüfungsordnungen, fehlende institutionelle Unterstützung, individuelle Überforderung der Lehrenden und mangelnde Kapazitäten der Universitäten. Hinzu kommen fehlendes Problembewusstsein oder auch handfeste Betrugsabsichten auf Seiten der Studierenden. Damit ergeben sich drei Ebenen der Verantwortung: die Lehrenden, die universitären Strukturen und die Studierenden. Diese drei Ebenen sind eng miteinander verzahnt und bedingen sich gegenseitig.

Die auf der institutionellen Ebene bereitgestellten Mechanismen, Beratungs- und Fortbildungsstellen ebenso wie Plagiatssoftware oder Propädeutika benötigen das Engagement der Lehrenden, damit sie genutzt und umgesetzt werden. Dies setzt auf der Ebene der Lehrenden nicht nur entsprechende Kenntnisse, sondern auch Zeit und die notwendigen Ressourcen voraus, um erstens Verdachtsfälle zu überprüfen, zweitens Plagiate zweifelsfrei aufzudecken und sie schließlich drittens auch zu sanktionieren. Die Anforderungen dieses Dreischrittes nehmen in der Politischen Theorie mit ihren text- und theoriebasierten Prüfungsleistungen andere Ausmaße und Formen an als etwa in Fächern, deren Prüfungsleistungen auf quantifizierbaren Wissensabfragen und Multiple Choice beruhen.

Daher ist das individuelle Engagement der Lehrenden seinerseits stark auf eine institutionalisierte Unterstützung angewiesen. Es benötigt den Willen und die universitären Ressourcen, Sanktionen gegen Studierende beispielsweise auch dann durchzusetzen, wenn diese mit juristischem Einspruch drohen.

Beschäftigte im Mittelbau übernehmen an vielen Instituten einen erheblichen Teil der Lehr- und Prüfungsaufgaben, neben denen sie sich auf nahezu ausschließlich befristeten Stellen für ihren weiteren Karriereweg qualifizieren müssen. Diese Problematik betrifft insbesondere die sozial- und geisteswissenschaftlichen Fächer. Die aktuelle Initiative Frist ist Frust macht darauf aufmerksam und kann so indirekt auch zur Stärkung der institutionellen Verantwortung für Plagiate beitragen. Denn die Lehrenden aus dem Mittelbau müssen sich aufgrund ihrer prekären Situation und ihrer strukturellen Abhängigkeit auf besondere Weise mit der Frage auseinandersetzen, welche Zeit- und Kraftressourcen sie individuell auf sich zu nehmen bereit sind, um Plagiate nicht nur aufzudecken, sondern in einem anschließenden wichtigen Schritt auch zu ahnden. Vor die Herausforderung der Zeit- und Ressourcenknappheit sehen sich allerdings auch Professor/innen gestellt. Manche universitären Strukturen sind derart gestaltet, dass es schlichtweg ressourcenschonender ist, eine Hausarbeit als gerade noch bestanden zu bewerten, als den langen Weg der wiederholten Prüfungsleistungen zu beschreiten, der zudem in einer juristischen Auseinandersetzung enden kann.

Diese Mängel haben wiederum Auswirkungen auf die dritte Ebene der Studierenden. Denn die Botschaft, die Universitäten und Lehrende den Studierenden mit den genannten Lücken vermitteln, ist fatal. Die Parole von Betrugsvorhaben lautet dann nicht mehr nur altbewährt, sich nicht erwischen zu lassen, sondern sie lautet: Beim Erwischtwerden so lang Gegenwehr leisten, bis die Gegenseite zermürbt ist. Die Ressourcen und die Möglichkeiten, solch eine Form der Gegenwehr zu leisten, werden sich zudem deutlich nach Klasse und Einkommensschicht der Studierenden bzw. ihrer Eltern unterscheiden. Die gesellschaftlichen Folgen, deren Eisbergspitzen dann und wann in den Fokus der öffentlichen Debatten geraten, sind vor diesem Hintergrund nahezu folgerichtig.

 PD Dr. Janne Mende leitet an der Justus-Liebig-Universität Gießen ein DFG-Forschungsprojekt zum Thema „Business Actors beyond Public and Private: Authority, Legitimacy and Responsibility in the United Nations Human Rights Regime“.

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