Wilde Geschichten von Wassertrinkern. Oder: Die Flaschen bei der „Zeit“

In den letzen Tagen sind in der „Zeit“ bzw. auf „Zeit Online“ zwei Kommentare zum Gebaren deutscher PolitikwissenschaftsstudentInnen erschienen –  der Standpunkt einer Dozentin und die Reaktion eines Absolventen –, die erschreckend pauschalisierende Bilder von der Universität zeichnen und dabei an den eigentlich interessanten Fragestellungen vorbeischlittern, wie etwa: Was kann ein Studium der Politikwissenschaft bieten, und was nicht? Wie können DozentInnen den diversen Studienmotivationen gerecht werden? Und braucht Politikwissenschaft Theoriearbeit?

Christiane Florin, Lehrbeauftragte für Medienpolitik an der Uni Bonn, daneben aber offenbar auch Redaktionsleiterin von „Christ und Welt“, richtet ihr Minimanifest „an alle Wassertrinker“, denn bei jedem neuen Betreten eines Hörsaals erkennt sie die Studentenschaft – bei ihr stets eine undifferenzierte Masse –  an mitgebrachten Wasserflaschen, die für den Mangel an kritischem Interesse und Diskussionswillen stehen sollen: „Ihr aber trinkt über alle autoritären und totalitären Regime, über alle parlamentarischen, semipräsidentiellen und präsidentiellen Systeme hinweg.“ (Das war natürlich in den 1960ern, als in Frankfurter Hörsälen zwar offenbar  niemand trank, aber jeder rauchte, etwas völlig anderes.) Statt Wasser-, sollten die Studierenden lieber Wissensdurst beweisen, aber stattdessen sieht Florin all überall nur Passivität, Interesselosigkeit, instrumentelle Fokussiertheit auf Prüfungen. Ihre beißend-schräge Fundamentalkritik („Ihr unterwerft euch einem 3-Liter-Wasser-am-Tag-Diktatürchen“) kleidet sie in ein vergiftetes Kompliment: Die Studierenden von heute hätten einfach einen anderen Politikbegriff – obgleich der doch sehr unpolitisch sei. Denn ihnen gehe es allein um sich selbst, um „Körperfeeling“, Nachempfindbarkeit politischer Ereignisse, schnell konsumierbare Erlebnispädagogik. Infantile Knechte der eigenen Selbstbezogenheit, hängengeblieben in der oralen Phase – so ist also der Student oder die Studentin von heute; kein politisches Interesse, keine ethische Ambition, schon gar kein theoretisches Abstraktionsvermögen. Diese immer gleichen Litaneien über die Verkommenheit der Jugend waren schon bei Platon nicht originell.
Florins Pauschalisierungs- und Beleidigungspamphlet blieb in der „Zeit“ nicht ohne Reaktion, doch die einzige „offizielle“ Replik stammt – als wäre sie von Florin selbst zur Untermauerung des eigenen Standpunkts geordert – von einem jungen B.A.-Absolventen, der sich tunlichst bemüht, die vorangegangene Dekadenz-Jeremiade zu bestätigen. Unter der konzisen Überschrift „Politikwissenschaft ist Mist“ schreibt Julian Kirchherr denn auch: „Wir wollen in unseren Seminaren endlich etwas Nützliches lernen. Aber Sie bringen uns nichts Nützliches bei. Das Studium der Politikwissenschaft ist für uns ein Mittel zum Zweck. Wir erwarten, dass die Dozenten uns die Werkzeuge an die Hand geben, die wir brauchen, um etwas zu bewirken: Als Entwicklungshelfer in Mali, Freelancer bei Spiegel Online oder auch als Berater bei McKinsey. Das sind unsere Träume […].“ Zu trocken und theoretisch, lautet daher Kirchherrs Vorwurf an die akademische Politikwissenschaft. Statt ständig über Weber und Adorno diskutieren zu müssen, will er Budgetierung, Controlling und Ökonometrie erlernen, oder besser gleich im „Anzapfen“ von EU-Fördergeldern geschult werden… Kann man sich einen Studenten vorstellen, der die Lektüre von „Wissenschaft als Beruf“ oder der „Dialektik der Aufklärung“ je bitterer nötig gehabt hätte?
Auf dieses Scheingefecht sollte man sich aber nicht einlassen, zumindest jedenfalls dabei nicht mit den gleichen, blamablen Waffen kämpfen: Kirchherr ist glücklicherweise nicht kompetent, für oder über die Studierenden der Politikwissenschaft insgesamt zu sprechen, ebenso wenig aber wie Florin, die mit ihrer resignierten und gleichzeitig herablassenden Haltung übrigens auch für die Politikdozentenschaft nicht eben repräsentativ ist. Es versteht sich von selbst, dass die Motivationen und Ziele von Studierenden so divers sind wie ihre Träger.
Manchen Motivationen und Wünschen kann ein Studium der Politikwissenschaft gerecht werden, anderen möglicherweise nicht. Wer ausschließlich die Vermittlung praxistauglichen Lösungswissens sucht wie Kirchherr, wird mit einem zu guten Teilen geisteswissenschaftlich geprägten Studiengang nicht froh werden: Als Kompositfach unterschiedlicher Teildisziplinen vermittelt die Politikwissenschaft immer auch theoretische Grundlagen und ideengeschichtliche Kontextualisierungen; ein geistes- oder sozialwissenschaftliches Studium zielt für gewöhnlich darüber hinaus darauf ab, nicht nur Buchwissen, sondern gerade Abstraktionsvermögen und analytische Fähigkeiten zu fördern (wie sie übrigens wohl selbst bei McKinsey gern gesehen werden). Am Ende eines akademischen Studiums, so das immer noch hochgehaltene Bildungsideal, soll neben Fachwissen auch kritisches Denkvermögen stehen – diesem Aspekt sieht sich insbesondere die Politische Theorie verpflichtet.
Dieses Ideal – Kanzlersukzessionen auswendig kennen, leidenschaftlich Theorie betreiben und dazu noch politische Ideale pflegen –  hält Christiane Florin hoch und vertritt es als einzig Sinnvolles; sie vermutet hinter mühsamem Auswendiglernen und stockenden Diskussionen nicht nur pragmatische Karrieristen wie Kirchherr, sondern begeisterungsunfähige Spätpubertierende, die die Relevanz des Fachs nicht begreifen und eigentlich keinerlei Wünsche und Interessen an die Politikwissenschaft richten.

Solche Studierenden mag es geben; manche von ihnen werden ihr Studium vielleicht nicht abschließen, andere nach dem B.A. ein Fach wählen, das ihren Interessen entspricht – diese Flexibilität für Spätentscheider hat das gestaffelte System dem alten Magister vielleicht voraus. Dass Florin einer ganzen Studierendengeneration das Interesse an Politik, ja sogar das Verständnis für ihre Relevanz abspricht, ist abstrus: Heute wie vor Jahrzehnten gibt es allerorts Studenten, die politisch engagiert sind, Studentinnen, die theoretisch den Bedingungen politischen Handelns auf den Grund gehen wollen – und eben auch solche, die von der Politikwissenschaft Anderes, vielleicht Pragmatischeres, oder auch gar nichts erwarten. Kann es die Aufgabe der Lehrenden sein, öffentlich abzuurteilen und mit zweifelhafter Metaphorik und pauschalisierendem Pathos zu verunglimpfen? Ich denke, dass es sich stattdessen lohnen könnte, bei aller Widrigkeit des Bolognasystems, trotz überfüllter Seminare und vielleicht auch gelegentlich desillusionierender Erfahrungen, das Fach Politikwissenschaften gemäß seinem Potential zu vermitteln: Als sehr diverse Disziplin unterschiedlicher Methoden, Theorien und Wissensreserven, die dadurch in der Lage ist, unterschiedliche Studieninteressen zu fördern und ihnen eine Grundlage zu geben für ganz unterschiedliche Bildungs- und Karrierewünsche.

 

19 Kommentare zu “Wilde Geschichten von Wassertrinkern. Oder: Die Flaschen bei der „Zeit“

  1. Ich stimme zu, Eva, aber:
    Tatsächlich scheint sich die Studierendenschaft verändert zu haben. Das aber liegt nicht (nur) an dieser selbst, sondern an den bekanntlich ziemlich veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (dominierende Lebensideale, die Steuereffekte einer neuen Hochschulpolitik, ein ganz bestimmter Typ von Leistungsdruck) in den letzten 10 Jahren. Die Frage ist: was kann unter diesen Bedingungen gelungene Hochschullehre heißen? Abstrakt auf den Wert von Weber und Adorno zu verweisen ist da einfach keine Lösung. Die Erstsemester kommen heute mit 17, 18 (statt 19 oder 20, 21) aus einer Schule, in der tendentiell die zählbare Leistung heute als so viel wichtiger wahrgenommen wird als noch vor 15 Jahren, anstatt dass dort der selbstständige Entdeckergeist gefördert würde (was das Gleiche wäre wie die Voraussetzung guter Forschung, weil die Tür zu den eigenen Anliegen aufgestoßen worden wäre). D.h. sie sind jünger und haben eine andere Schulerfahrung als viele Lehrende. Da müssen sie halt doch auch anders „abgeholt“ werden als man das aus dem klassischen Magisterseminar (das im übrigen auch nicht immer ein Hort der sprühenden intellektuellen Funken gewesen ist) gewöhnt gewesen ist. Die entsprechenden didaktischen Kompetenzen sind bei vielen Lehrenden (damit ist jetzt keine Schuldzuweisung verbunden) aber nicht vorhanden. Es wundert mich überhaupt nicht, dass dann Frustrationen auf allen Seiten entstehen.
    In der Hinsicht kann ich auch eine Enttäuschung von Studierenden gegenüber dem Fach nachvollziehen: nicht in dem Sinne des Vorwurfs, dass die Lehrenden keine marktförmigen Häppchenangebote machen (wie das der Artikel Kirchherrs zu implizieren scheint), sondern in dem Sinne, dass sich Teile der Forschung nicht ohne weiteres und ohne Übersetzungsleistung an die vorhandenenen Anlagen für echte Anliegen bei den Studierenden andocken lassen.

  2. Entschuldigt, wenn der Kommentar etwas länger wird. Erstmal: Ich finde Arndts Einwand super! Denn das ist der Kern und deshalb wird auch jede Anmerkung, jeder weitere Kommentar zu dem Thema am Kern vorbei laufen. Wenn die OECD dekretiert: „Mehr Studierende! Machts wie Südkorea oder Australien“ – hat das ja nicht zur Folge – zugespitzt – dass es mehr Marx-Leser, mehr Adorno-Fans und große Vertreter der radikalen Demokratie-Anhänger gäbe, sondern schlicht mehr Studenten – auch jene, die gemehinhin gerne eher etwas PRAKTISCHES studiert hätten. Ich weiß, das gefällt vielen Professoren, vielen Dozenten nicht. Hier frönt man, auch wenn man das nicht sagen darf, ganz gerne dem Humboldtsche Ideal nach (was auch immer das sein mag…) – auch auf Kosten der Lehre für die breite Studentenschar.
    Arndt hat also völlig recht, und ich möchte das doppelt und zehnfach unterstreichen: Mehr Studenten = andere Studenten = andere Lernangebote. Nun, keine Angst, das heißt nicht Vermassung, Controlling statt Adorno, aber natürlich muss man dieser Mehrheit entgegen gehen. Wir können nicht in Theorie-Seminaren von einer gerechteren Gesellschaft träumen, hehre Demokratie-Visionen entwerfen, wenn wir derlei große Studentenschar, die unter Powi – und ich rede hier nicht nur von „Politischer Theorie“ – mehr versteht als Integrationstheorien oder Hobbes‘ Leviathan.

    Und, eine Ehrlichkeit sei erwähnt: dies mag nicht für die Redaktion vom Theorieblog gelten, ebenso wenig für mich: die Anmerkung, dass ein Vokubalar, welches „Controlling“ et cetera beinhalte all zu durchökonomisiert sei, übersieht auch ein wenig geflissentlich, wie das für einen heutigen BA- und MA-Absolventen sein mag. Er spiegelt Realitäten wider.
    Die Realität ist ja zumeist die folgende: Für einen kleinen Teil bleibt eine WiMi-Stelle übrig, ein Stipendium für die Promotion – aber viele wollen das nicht, können das nicht. Paradox: auf der einen Seite wird allerorten geklagt, es promovierten zu viele, jener Doktor-Titel habe ohnehin einen zu hohen gesellschaftlichen Wert in Deutschland und sei ohnedies schon entwertet worden. Dennoch werden immer mehr Studenten an die Hochschulen gepeitscht – denn ohne Studium ist man heutzutage ja nur wenig… – dort sollen sie möglichst praxisnah, aber auch unheimlich tiefsinnig-theoretisch agieren, den Master machen und dann einen Job kriegen… aber bitte ehrlich bleiben: die Berufsaussichten als „Politologe“- ohne Doktortitel – sind arg, arg begrenzt. Ehrlich wäre es dann auch zu sagen: Mach Politik, meinetwegen auch theorieorientiert, dann rechne auch mit einer Promotion. Leider wird auch diese Ehrlichkeit gescheut – und das hat auch oft mit einer gewissen Praxisferne an den Powi-Lehrstühlen zu tun. Deshalb hat der „junge B.A.-Absolvent“ leider in vielen, vielen Punkt absolut recht – und ich kann seine Sorgen und Bedenken sehr gut verstehen. Wir müssen aufpassen, dass wir in den Politikwissenschaften keine Zwei-Klassen-Gesellschaft erhalten…

  3. Lieber Friedrich, da kann ich Dir nur zustimmen: Natürlich verändert sich, sagen wir: im Durchschnitt (aber sicher nicht pauschal!) die Studentenschaft, bedingt durch strukturelle (nicht unbedingt begrüßenswerte) Veränderungen, was wiederum durchaus andere Didaktik erfordert. Aber sicherlich nicht in dem Sinne Florins oder Julian Kirchherrs: Nur, weil manche Studierenden mit 19 noch nicht ihre Interessen voll entwickelt haben oder von sich aus „Tiefgang“ oder kritische Diskussion suchen, heißt das nicht, dass man es als DozentIn dabei bewenden lassen muss, im Gegenteil: Solches Interesse zu wecken, ist ja durchaus ein spannender Prozess, auf den man sich als Lehrende(r) auch einlassen muss. Dafür würde ich plädieren.
    @Gordian: Auch wenn das retrospektiv nicht so erscheinen mag: PolitikwissenschaftlerInnen hatten immer schon Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt! Man kann sich zwar innerhalb des Curriculums durchaus in eine „praktischere“ Richtung orientieren, aber grundsätzlich gilt, dass das Studium der Politikwissenschaft keine Berufsausbildung ist. Das ist für alle Studierenden per se eine Herausforderung, der man verschiedentlich begegnen kann: Je nach Interessenlage Praktika, oder ein Anstreben der Promotion z.B. Das produziert keine 2-Klassen-Gesellschaft, sondern sinnvolle Diversität innerhalb eines eh schon heterogenen Faches. Ich finde dezidiert nicht, dass die Politikwissenschaft von ihrer Grundauslegung her sich den strukturellen Erfordernissen des Arbeitsmarktes beugen muss. Natürlich muss es inhaltliche Anpassungen geben, aber die gibt es meiner Meinung nach mit Blick auf Kursangebote (die aktuelle politische und Forschungstendenzen ja durchaus aufnehmen) auch. Dass jemand mit Politikwissenschaftsabschluss auch mal ein paar Theorieseminare gemacht und – durchaus! – sich auch mal mit Idealmodellen politischer Herrschaft oder mit Ideengeschichte befasst hat, finde ich absolut angemessen.

  4. @Eva:
    „Dass jemand mit Politikwissenschaftsabschluss auch mal ein paar Theorieseminare gemacht und – durchaus! – sich auch mal mit Idealmodellen politischer Herrschaft oder mit Ideengeschichte befasst hat, finde ich absolut angemessen.“

    Dem widerspreche ich auch auf keinen Fall. Und ich bin gewiss auch kein Apologet jener undefinierten „Praxisfrömmigkeit“, ergo: disqualifiziere jede Form von Theorie ab. Ich habe deshalb ja Politische Theorie studiert. Gleichwohl stimmt vieles von dem, was der Artikel des BA-Absolventen anführt – natürlich ist das alles zugespitzt und das Vokabular lässt alle Frankfurt geschulten („Ökonomisierung“) Alarmsirenen schellen, aber falsch ist es dennoch nicht.

    Wir können, wie ich finde, auch schlecht an vielen Ängsten und Bedenken der nunmehr aktiven Studenten vorbei schreiben und unterrichten. Etwas mehr Interaktivität, etwas mehr Veränderungswillen: das bedeutet ja nicht das Ende von Humboldt et al. Wie gesagt, das ist schwer generalisierbar und unter einen Punkt rubrizierbar, nichtsdestrotz hat das Problem so mancherlei Facette. Theorie-Seminare: ja, aber auch Praxis-Seminare: warum werden Institutionen und Organisationen nicht mehr für Studiengänge nutzbar gemacht. Warum muss das per se schlecht sein: schließlich ist Theorie ja nicht ohne Praxis denkbar – und ohne einen Ort mit dieser Theorie verfahren zu können, jene Theorie anwenden zu können, eine Zukunft der Disziplin ja nicht denkbar. Und, darauf weise ich prononciert hin: nicht jeder der vielen „Powis“ wird Doktor oder Professor.

    Die Disziplin soll und kann bleiben wie sie ist, wobei auch hier zwischen „European Studies“, „Regierungslehre“ und „Politischer Theorie“ sehr wohl zu differenzieren wäre, aber die Angebote müssen praxisfester gemacht werden. Ich kann nur aus eigener Anschauung zwei Dinge mitteilen (die Erfahrung von vier Universitäten vor Augen): die Form der Lehre, die Didaktik der Seminare bleibt seit Jahren gleich: warum nicht mehr Interaktvivität, warum nicht mehr Mitarbeit? Ich hatte in Seminar in dem eine Art Wiki ausprobiert wurde… das mit Abstand beste Seminar, das ich je belegt habe, weil die Studenten gefordert waren und ernst genommen worden sind.
    Diese Praxisnähe – wir sollten ohnedies definieren, was wir darunter verstehen; bis dato schweben zwei Begriffe in der „Arena“ die dichotom und vereinfachend wie ein Damoklesschwert über der Debatte trumpfen – meint auch: mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit. Das Fakultäten Kommunikations- und Kooperationsschwierigkeiten haben, ja, selbst einzelne Sekretariate eine Form der Nicht-Kommunikation (auch das geht; sorry, Watzlawick) pflegen, ist nicht unbekannt: dennoch müsste es vielmehr Möglichkeiten geben andere Studienbereiche zu wählen, zu besuchen. Ein Politischer Theoretiker sollte zwingend Philosophie-Seminare besuchen dürfen, ein Zeitgeschichtler Geschichtsseminare und auch VWL- und JUra-Kurse müssten – politikwissenschaftlich nutzbar gemacht werden.Gerade im Bereich des Staatsrecht I werden elemante Dinge, die m.E. nach unheimlich relevant sind, vermittelt. Doch diese „interdisziplinären Kooperationen“ sind ein wenig verpönt, werden gleich mit „Reduktion“ und „Bologna“ gleich gesetzt. Wir reden janicht von der Zusammenlegung oder den Ende mancher Studiengänge ( so à la: Aus Mongolistik wird zu Asienswissenschaften), sondern unerlässlichen Zusammenarbeiten.
    Wie gesagt, das ist sehr grob, aber die Praxis hat viele Facetten.

  5. Frau Florin hat zwar durchaus recht, wenn sie die fehlende Beziehung der Studierenden zum Gegenstand bemängelt. Dennoch kann sie in keinster Form begründen, warum diese denn wünschenswert sein soll. Das Absterben der Diskussionskultur ist meines Erachtens ein Teil der passiven Widerstandsform jener, die ein Leben führen, über das sie niemals frei verfügen konnten. Entsprechend sind die Interessen derart geschaffen, dass sie sich ausschliesslich auf das Individuum selbst beziehen und zu kitten versuchen, was diese Gesellschaft bereits irreperabel beschädigt hat. Politik wird in diesem Klima zur bloßen Selbstverteidigung. Die Universität ist ein Apparat der Zurichtung von Individuen in ein Klima aus Angst vor den nächsten Prüfungen und der Armut, die ihren Zweck, nämlich der Übermittlung von Ideologie an jene, die sie später qua Titel verkünden dürfen, gut erfüllt. Der aufkommende Faschismus und die Universität als sein Steigbügelhalter sind selbstverständlich zu kritisieren, dennoch geht die Kritik in der Form einfach am Gegenstand vorbei. Dabei ist die Frage für Frau Florin durchaus einfach: Ist der Zustand des Seminars, wie er jetzt ist, nicht vielleicht genauso gewollt?

  6. Zunächst einmal, Kristian, glaube ich nicht, dass es „die Studierenden“ als amorphe Masse gibt. Dafür kenne ich zu viele, die durchaus eine „Beziehung zum Gegenstand“ haben.
    Bei aller zutreffend beobachteten politischen Entfremdung vieler junger Leute halte ich die Universität indes nicht für einen ideologisierten „Zurichtungs-Apparat“ zur Durchsetzung faschistischer Programme, das erscheint mir bei aller berechtigten Systemkritik völlig daneben gegriffen. Meine Vermutung wäre auch, dass Du mit dieser Auffassung hier nicht viel Anklang findest, denn immerhin ist dies ein Forum für Personen, die sich durchaus in der Politikwissenschaft engagieren, diese – aus eigener Erfahrung – zumeist für sinnvoll halten und universitär aktiv sein wollen.

  7. Erstmal danke an Eva und die Diskutierenden! Im ZEIT-Forum scheint eine sinnvolle Debatte nicht mehr möglich zu sein…

    Ich kann nur unterstreichen, was Eva im Eingangs-Statement sehr schön hervorgehoben hat: Die pauschalisierende, verunglimpfende gegenseitige Beschimpfung der Statusgruppen ist einfach witzlos und bringt keinen (wie auch immer gearteten) Fortschritt. Jede Studi hat sich schon mal über verkopfte, vermeintlich weltfremde Theoriedebatten in Seminaren aufgeregt. Und unter Dozierenden gehört die gepflegte Jammerei über die Studis auch zum guten Ton. Zur echten Auseinandersetzung sind beide Stränge nur bedingt tauglich, wie diese ganze ZEIT-Geschichte eindrucksvoll demonstriert.

    Uni ist doch, was jede/r draus macht. Das klingt jetzt verdächtig nach einem indivudalistischen Wellness-Slogan, der die strukturellen Mängel an Einzelne delegieren möchte, aber es ist nur ganz pragmatisch gemeint. Wer Controlling lernen möchte im Politik-Seminar, hat was falsch verstanden, sollte dann aber auch nicht rummeckern hinterher und alles und jeden verantwortlich machen für das erlittene Unrecht. Und dass sich nicht jede einzelne Studi zerreist vor Glück beim Intensiv-Studium der theoretischen Unterbau der eigenen Diss: Diese Erkenntnis hat sich unter vielen engagierten lehrenden Nachwuchsmenschen auch schon rumgesprochen. Bei allem richtigen Beharren auf theoretischen und methodologischen Fragestellungen gibt es durchaus sinnvolle praxisorientierte Angebote an den Unis, auch von erklärten Theoriejüngern.

    Die Anspruchshaltung steht hier einer sinnvollen Auseinandersetzung eindeutig im Weg: E gibt kein Seminar mit fünfzig top-motivierten Studis, und das ist auch gut so, denn jede/r muss auch mal einen Schein absitzen dürfen. Genauso gibt es in einem durchaus breiten Seminarangebot solche Veranstaltungen, die Person x oder Person y besser gefallen als andere…

    Das waren meine 2ct, als [disclaimer] Ex-Student und Mittelbauer mit Lehrerfahrung…

  8. Ich finde Evas Kritik an den Zeitartikeln sehr schön und die hier kommenden Einwände – zusammen mit der Zeitreplik auf den ersten Artikel – in einiger Hinsicht bemerkenswert. Wenn ich diese richtig deute, steht dahinter doch die Vorstellung, das Studium müsse eine Art Werkzeugladen sein, indem man sich die nötigen Werkzeuge beschaffen kann, um damit anschließend zu arbeiten – sei es in der Politik, in NGOs, Stiftungen, internationalen Organisationen, in Think Tanks oder der Wirtschaft. Das finde ich eigentlich auch einen sinnvollen Gedanken.
    Allerdings weiß ich aus eigener Erfahrung, dass nach dem Studium in aller Regel die Zeit fehlt, um über Begriffe wie Politik, Demokratie, Transitional Justice, Menschenrechte, etc. intensiv nachdenken zu können. Aus der Praxis kommend habe ich festgestellt, dass es gerade in politikwissenschaftsnahen Tätigkeiten von großem Vorteil ist, wenn man sich zuvor ausgiebig mit politischen Zusammenhängen in der Theorie bzw. der Ideengeschichte von der Antike bis heute auseinandersetzen konnte. Denn während man etwa das Wissen über Antragsformulierung, Projektmanagement und Abrechnung, etc. eigentlich sehr gut über learning by doing (bzw. durch die Erfahrungen von Kollegen oder Fortbildungen, die man in seinem Berufsleben übrigens ständig brauchen wird) lernt, bleibt häufig für die notwendige Reflexion und kontextuelle Einordnung von neuen Begriffen oder politischen Ideen keine Zeit, kein Raum und keine Gesellschaft mehr. Das Studium bietet einem die seltene und daher höchst wertvolle Gelegenheit, sich mit anderen über abstrakte Themen auszutauschen – eine Zeit, die man nicht nur nutzen sollte, wenn man später in der Wissenschaft bleiben möchte.
    Ich denke, ein solches Forum zum nachdenken und diskutieren wie im Studium brauche ich nicht notwendig, wenn ich Praxiswissen erlernen möchte: Über die Form eines Antrages von der EU, dem BMBF, dem EED, der BMZ oder der DGF gibt es vergleichsweise nur wenig zu diskutieren, sondern nur vieles auszufüllen, mittels einer im Grunde immer gleichen Logik und Lyrik, die sich mit jedem weiteren Antrag festigt.
    Warum analytische Fähigkeiten – aber auch genuin theoretisches Wissen – für die Praxis so wichtig ist, mag folgendes Beispiel aus der Praxis vielleicht erläutern: In der NGO-Welt werden gerne politische bzw. politikwissenschaftliche Begrifflichkeiten oder Methoden wie eine Mode übernommen, deren genauen Inhalt bzw. Funktion zuweilen jedoch nur die wenigsten wirklich kennen oder eingehend begriffen haben. Oder es wird dort an Begrifflichkeiten festgehalten, die längst obsolet – und somit für die praktische Arbeit eigentlich kaum mehr zu gebrauchen sind. So habe ich als NGOler schon Diskussionen beigewohnt, deren Argumente und Meinungen bei genauerer Betrachtung z.T. nicht nur wenig reflektiert sind, sondern zuweilen auch Vorstellungen beherbergen, die letztlich zu enormen Fehlern in der praktischen Umsetzung von postconflict-, transitional-justice- oder-was-auch-immer-für Projekte führen können. Es gibt hier natürlich auch andere Erfahrungen, etwa dass NGOs oder politische Stiftungen, etc. aufgrund ihrer (globalen) Praxiserfahrung der gegenwärtigen Forschung bspw. bei der Reflexion vom Politischen oder bei Fragen der Demokratietheorie voraus sind.
    Die Frage ist aber doch letztlich, was einem ein Werkzeugladen bringt, wenn man nicht weiß, wie man die Sachen benutzen soll.

  9. @Nano

    wie gesagt, mit der Zeit gehen in einer Debatte leider Genauigkeiten verloren – was sicherlich auch an meinem Schreibschwall lag. Abermals: ich sehe da wie gesagt keinen Widerspruch, den machen wir nur auf bzw. forcieren diesen.
    Theorie hüben, Praxis drüben: ich wills mal pathetisch mit Truman sagen: das sind zwei Seiten der selben Walnuss.
    Ich plädiere nicht für eine Durchökonomisierung oder Antragsschreiberei, nur eine praktische Orientierung des Faches. Praxis- und Forschungssemester. Forschungsarbeiten. Weniger Klausuren, mehr punktuelle Themenarbeiten. Andere Seminare: Weniger Referate und Repitionen. Interdisziplinäre Verzahnung: Mehr Zusammenarbeiten mit Jura, VWL, Geschichte und co.

    Ich sehe da überhaupt keinen Gegensatz à la hier die wohlfeile, gutmenschliche reine Lehre, dort die böse, antragsschreibende Praxis.
    Mention Truman 🙂

  10. Tatsächlich sind die Beiträge in der „Zeit“ mehr als dürftig und ob ihrer (oben bereits beschrieben) Tumbheit eigentlich irrelevant. Daher will ich sie im Folgenden weitgehend übergehen.

    Allerdings denke ich, dass eine Diskussion über die Qualität der Lehre einerseits und der Motivation der Studierenden andererseits interessant sein kann. Bezüglich der Motivation will ich an dieser Stelle nichts schreiben und schließe mich Philipp und Eva an.

    Bezüglich der Lehre will ich aber – auch vor dem Hintergrund eines gerade abschlossenen Masterstudiums der IB – einen kurzen Kommentar hinterlassen.

    Die Nützlichkeit des Studiums der Politikwissenschaft (zumindest der IB und Vergleichenden Powi – für politische Theorie kann ich nur bedingt sprechen) kann tatsächlich erhöht werden.

    Einerseits natürlich durch die Integration von uni-externen Praktikern in die Seminare, durch Simulationen, durch verpflichtende Praktika, durch Simulationen von Konferenzsituationen im Seminar, der Aufgabenstellung den Kurs teils zu moderieren oder Exkursionen. Außerdem wäre es äußerst löblich soft-skill-Kurse für alle interessierten Powi-Studierenden anzubieten. Sicher gibt es auch noch andere interessante Möglichkeiten (Kampagnenplanung und -durchführung z.B.)!

    Andererseits – und diesen Punkt finde ich besonders wichtig – mangelt es an vielen deutschen Universitäten eklatant an einer profunden methodischen Ausbildung der Studierenden. Das heißt im Umkehrschluss: (Noch) nützlicher wird das Politikstudium dann, wenn nicht nur das „was“, sondern vermehrt (aber nicht ausschließlich) das „wie“ addressiert wird. „Wie kommt ein Autor zu diesem Argument?“ Diese Frage weist auf das Research Design im Allgemeinen und die Methodik im Speziellen hin.

    Wie sollen Absolventen der Politikwissenschaft (BA und MA) arbeiten können, wenn sie nicht wissen wie? Das Wissen um Zusammenhänge, Probleme etc. ist doch nichts wert, wenn man nicht versteht, wie man selbst zu Wissen kommt bzw. wie die Überbringer dieses Wissens zu den Ergebnissen gekommen sind.

    Diese Kompetenz fehlt unheimlich vielen Studierenden und Absolventen. Und das ist bitter! Und zwar für alle, die an der Uni bleiben und promovieren wollen und für alle, die in Berufen arbeiten wollen, in denen es darum geht Umfragen durchzuführen, zu analysieren, Berichte zu schreiben, etc.. Also für Journalisten, Consultants, Analysten, Berater…

    Die Folge aus Punkt 1 und 2 ist: Das Powi-Studium läuft an vielen Unis Gefahr praxisfern zu sein/zu werden.
    Die Folge aus Punkt 2: Die deutsche politikwissenschaftliche Forschung beraubt sich eines guten Teils ihres Nachwuchses bzw. schwächt sich durch mitunter schlecht ausgebildete Doktoranden.

    Natürlich gilt dies nicht für alle Unis. Und natürlich ist die Bereitschaft, vor allem im BA aber auch im MA, bei vielen Studis nicht groß sich mit Research Designs und Methoden herumzuschlagen. Aber das muss doch egal sein! Pflichtveranstaltungen muss jeder besuchen, ob er/sie will oder nicht. Und Pflichtveranstaltungen in Methoden müssen ja auch nicht staubtrocken sein, oder?

  11. Eva schrieb: „Nur, weil manche Studierenden mit 19 noch nicht ihre Interessen voll entwickelt haben oder von sich aus “Tiefgang” oder kritische Diskussion suchen, heißt das nicht, dass man es als DozentIn dabei bewenden lassen muss, im Gegenteil: Solches Interesse zu wecken, ist ja durchaus ein spannender Prozess, auf den man sich als Lehrende(r) auch einlassen muss. Dafür würde ich plädieren.“
    – sehe ich ganz genauso, so meinte ich das auch mit den „didaktischen“, vielleicht besser noch: pädagogischen, Fähigkeiten.
    Überhaupt: gerade WEIL die Studis jünger sind, macht es viel mehr Sinn, grundlegende Fragen zu diskutieren, und zwar sehr intensiv. Für Praxis ist in späteren Semestern, den ja ohnehin meist verpflichtenden Praktika und der grassierenden Humankapitalverbesserung nebenher ja noch Platz (ich fände besser, wenn die späteren Arbeitgeber das ohne Murren ihren neuen Mitarbeitern mitgäben, die ja dann mit 23 oder so immer noch junge Leute sind). Aber diese grundlegenden Fragen müssen ja trotzdem auf eine inspirierende Art angesprochen werden.
    Immer noch eines meiner Ideale war das Konzept, das ein kleines College an der Ostküste der USA (dort sind sie ja auch 18-22) einmal verfolgt hat: vier Jahre lang Lektüre und Kleingruppendiskussion von 100 kanonischen Werken der Geistesgeschichte (Geistes- und Naturwissenschaften): danach gehen die Leute dann halt in einen Job, zur Graduate School für PhD, Law School, was auch immer. Mir ist klar, dass das für unsere PoWi-Diskussion nicht das Modell sein kann, zumal der Bezug zu zeitgenössischen Realwelt-Problemen ja stärker sein sollte, aber Kern des Problems ist damit benannt und ein ganz alter Hut, den alle unterschreiben würden: mangelnde Zahl (und manchmal eben auch Qualität) von Lehrenden, die überhaupt in der Lage wären, eine radikal un-schulische Atmospähre zu schaffen unter den heutigen schwierigen Bedingungen. Wie aber soll das gehen, wenn die Lehre zu großen Teilen von einem Mittelbau getragen wird, der selbst unter prekären Verhältnissen existiert, mit schlecht bis gar nicht planbarer Laufbahn und erheblichem Wettbewerbsdruck in der Forschung, die einzig zählt (das ist jetzt kein Betroffenengejammer, denn mir ging es bislang immer gut damit, sondern einfach die Fakten).
    Jetzt muss ich auffhören, sonst schreibe ich noch ein ganzes Buch drüber, und meine Sachlichkeit beginnt schon zu leiden.

  12. @Janusz:

    da stimme ich dir voll zu – derlei mangelnde Methoden-Kenntnisse bemerkt man ja zumeist erst im Verlauf des Masters… sicherlich auch ein Versäumnis welches in keinem der Zeit-Artikel aufgeworfen wurde. Ein Beispiel für mehr Praxis, das vielleicht gar nicht unter die Praxis fällt: Statistik, empirische Methoden. Ich finde den Statistik-Fetisch nicht unbedingt richtig, obschon viele „PoWi-Genossen“ leidvoll feststellen mussten: nanu, research design, empirische Methoden: Aber ich hatte ja noch nie Statistik?!
    Sowas anzubieten, verstehe ich unter „interdisziplinärer Verzahnung“, über den Tellerrand hinausblicken. Ich hab mich gottlob genug durch meinen Statistik-Schein quälen müssen, ich weiß auch nicht, ob ich mit Chi-Quadrat und Konsorten im Detail noch viel anfangen könnte, aber um Statistiken lesen und bewerten zu können, hilft derlei schon enorm weiter.

    @Friedrich: deinen letzten Kommentar kann ich voll und ganz unterschreiben, wobei ich gestehen muss, dass ich selber keine praktische Erfahrung in den USA oder GB sammeln konnte. Was ich vernommen habe, geht aber in eine derartige Richtung.

    P.S. Janusz, du hast übrigens noch mein Statistik-Buch, fällt mir en passant dazu ein! 🙂

    Schönen Abend noch,
    Gordian

  13. Ich werde den Eindruck nicht los, dass Die Zeit wieder mit Kanonen auf Spatzen geschossen hat, jeweils einmal in die andere Richtung des Hörsaals. Die eine glänzt mit Abwesenheit der Selbstkritik (deren Mangel mit einem Verweis auf eine Studie des CHE unter Professoren ironischer Weise gleich am Ende ihres Artikels angeprangert wird http://www.zeit.de/2011/39/C-Studentenirrtum) und der andere beurteilt das Studium der Poltiik lediglich nach Verwertbarkeit für die Kommunalpolitik. Völlig berechtigt fordert Eva, sich gar nicht erst auf das Duell einzulassen.

    Ich würde den Fokus auf dringend notwendige Strukturreformen richten, um beiden Parteien Abhilfe zu verschaffen. Auf Seiten der Dozierenden würde das bedeuten, dass mehr Anerkennung in die Lehre fließen muss und zwar zuallererst in den Evaluationspraktiken, die über den Fortschritt entscheiden. Nicht umsonst versuchen einige Universitäten eigene Preise für gute Lehre auszuloben und alternative Anerkennungsmodi und Fortbildungsangebote aufzubieten, um die Lehre in den Seminarräumen zu verbessern. Das darüber nicht bundesweit berichtet wird, steht auf einem anderen Papier. Auch müsste der ‚Qualitätspakt Lehre‘ (http://www.bmbf.de/de/15375.php) alsbald seine Wirkung entfalten (er läuft seit dem WS 2011/12).

    Denn erst, wenn sich das Betreuungsverhältnis massiv verändert, können Hochschullehrende optimal auf die einzelnen Bedürfnisse der Studierenden eingehen und deren Bedürfnisse und Talente besser erkennen. Damit müsste aber auch eine Entschlackung der Studienpläne einhergehen, die wahrscheinlich aus der Überfüllung der Bologna-Norm in Deutschland resultieren. Wer sich viel Stoff aneignen muss oder sich orientieren soll, der braucht mehr Zeit. Zeit auch, um sich zu überlegen, ob es Politik- oder doch lieber Verwaltungswissenschaft sein soll. Es gibt einige Orte in Deutschland, die ein Studium Generales anbieten, indem jede/r die Zeit hat, sich ein Jahr lang quer über alle Fächer zu orientieren und dann in das Studium einzusteigen.

    Vielleicht sollten wir den DVPW-Kongress im September 2012 für eine breitere Debatte innerhalb der Disziplin und unter den Nachwuchswissenschaftlern nutzen. Dabei sollte die Politikwissenschaft nicht den Fallen des Verwertbarkeitsdiskurses der Geisteswissenschaften von vor wenigen Jahren folgen, sondern diskutieren, wie man ‚Theoriefremden‘ nahebringen kann, dass es ganz ohne Kompass und Übersicht (=Abstraktionsvermögen und minimale Kenntnisse von Problemlösungen/Fehler der Vergangenheit) auch nicht geht.

  14. Liebe Eva, liebe Kommentatoren,

    ein ehemaliger Kollege hat mich auf Ihren Blogeintrag und die Debattenbeiträge hingewiesen. Ich bin Community Redakteur bei ZEIT ONLINE. Ruben Karschnick (aus unserem Studium-Ressort) und ich finden die Diskussion hier sehr spannend und haben überlegt, wie wir Ihre Meinungen und Argumente aufgreifen könnten.

    Unser Vorschlag: Wir laden Sie ein, morgen zwischen 11 und 12 Uhr mit uns zu skypen. Wir würden kurze Video-Statements von Ihnen mitschneiden und anschließend bei uns auf zeit.de veröffentlichen. Ausgangsfrage könnte sein, wie Sie zur These von Christiane Florin stehen.

    Ich würde mich sehr freuen, wenn einige von Ihnen Lust und Zeit hätten, dieses neue Format mit uns auszuprobieren. Alle Details besprechen wir am besten per Mail oder Telefon. Schicken Sie mir dazu einfach eine kurze Mail an sebastian.horn@zeit.de.

    Danke und beste Grüße
    Sebastian Horn

  15. Liebe KollegInnen,
    ich glaube, die zentralen Punkte wurden ja schon genannt und ich koennt mich jetzt nur wiederholen, mag also meinen VorrednerInnen in den Bereichen struktureller Probleme (uerberfuellte Seminare, zu viel Stoff fuer zuwenig Studiumsjahre, gesellschaftlicher Druck, etc) ebenso wie im Bereich Didaktik zustimmen. Anschliessend daran liesse sich die Diskussion noch nach Adressaten differenzieren: gegen die kapitalistische Verwertungslogik laesst sich hoechstens in Seminaren inhaltlich (schwer) ankaempfen, bei den Klassengroessen sind die jeweiligen Praesidien sowie Landesregierungen die Adressaten. Am meisten koennen wir wahrscheinlich im Bereich Didaktik noch selber bewirken. Hier waere eine verstaerkte Vernetzung zwischen Lehrenden innerhalb von Lehrbereichen (wir haben z.B. einen Nachwuchslehrendenstammtisch) als auch zwischen Lehrbereichen bzw. Universitaeten sicher hilfreich: welche didaktischen Formen gibts, was klappt gut, was klappt besser, was nur fachspezifisch gut, etc., viele Ideen dazu gibts ja und auch entsprechende „Praxistests“.
    Da koennte dann auch der Methodenhinweis nochmal aufgegriffen werden. Ich finde diesen interessant und richtig, bin da aber leider auch noch nicht schlauer, wie man es am Besten anstellen koennte. Meine Erfahrung als Studierender wie als Lehrender ist, dass Methoden und Statistik im ersten Studienjahr viele ueberfordert bzw. aufgrund der scheinbaren Abstraktheit der Methodik fuer viele so langweilig ist, dass Wissen in diesem „Lernfach“ lediglich bis zur Klausur geschleppt wird und dann wieder „an den Lehrer zurueckgegeben wird“ (wie es in laotischer Sprache so schoen heisst). Besser funktioniert haben die Begleitmodule zum Schreiben der Diplomarbeit, dort war weniger das Desinteresse ein Problem (alle Studierenden in dieser Phase haben nach Methoden und nicht nach Wasser geduerstet, um ihre Abschlussarbeiten in Griff zu bekommen) als vielmehr, dass der Zeitpunkt schon wieder etwas spaet war. Man kommt wahrscheinlich trotz dieser Schwierigkeiten nicht umhin, auch weiter fixe Methodenmodule im Curriculum unterzubringen. Was sich vielleicht verbessern koennte, ist, Methodik (als auch Theorie) in allen Seminaren quer einzustreuen, entweder als Auftakt zu Seminaren oder in Begleitung durch das Semester hindurch. Dadurch wuerde der „Werkzeugcharakter“ den Studierenden vielleicht deutlicher.

  16. Lieber Stefan,
    die Idee mit dem DVPW-Treffen finde ich sehr gut. Unter was für einem Format könnte das denn laufen? Das Programm scheint schon recht voll zu sein, aber ein informelleres Treffen – sofern sich ein Raum findet – lässt sich sicher arrangieren?
    Ansonsten kann ich – auch in Deinem Sinne – dem sich herauskristallisierenden Konsens nur zustimmen. Die Frage wäre vielleicht nur, wie sehr Methodenlehre wirklich auch Begeisterung wecken kann, denn deren Nutzen erweist sich ja oft erst im Laufe des weiteren Studiums.. und da kommt dann eben, wie Simon richtig schreibt, die Didaktik ins Spiel.

  17. Liebe Eva,
    dass Didaktik auch zentral für die Anpassungen in der Lehre ist, da stimme ich Dir und allen Kommentatoren voll zu.
    @Friedrich: Die Zeit verwies in ihrer letzten Ausgabe auf einen Bachelor, der dem von Dir beschrieben College-Modell in den USA ziemlich nahe kommen soll (auf der Wissensseite, rechts oben). Die Uni Freiburg hat ihn eingerichtet.

  18. Liebe Eva,
    Deine Berufung auf den mobilgemachten Mob der Aktivbürger, die ihre Freiheit als Pflicht verstehen, ist Kommentar genug.

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