Der Geschmack der Richter. Lesenotiz zu Sabine Müller-Malls „Verfassende Urteile“

1964 führte der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung „Costa/E.N.E.L.“ den Anwendungsvorrang des europäischen Gemeinschaftsrechts ein – ein Prinzip, welches nicht im damaligen EWG-Vertrag auftauchte, sondern vom Gericht aus dem Sinn und Zweck der Gemeinschaftsordnung abgeleitet wurde. Das Problem, wie es sich innerjuristisch rechtfertigen lässt, wenn Gerichte demokratisch gesetztes Recht nicht nur anwenden, sondern dessen Geltungsumfang durch ihre Urteile auch ausweiten, beschäftigt die deutschsprachige Rechtstheorie wohl schon mindestens seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Dass dieser Frage auch eine demokratietheoretische Dimension immanent ist, tritt spätestens mit der wachsenden Bedeutung derart „expansiver“ Urteile für den selbstständigen Ausbau inter- und transnationaler Organisationen offen zutage: Woher bezieht ein Gericht schließlich die demokratische Legitimation, die verfassungsrechtlichen Grenzen der Politik nicht nur zu überprüfen, sondern selbst neu zu fassen? Sabine Müller-Mall begegnet dieser Fragestellung nun in „Verfassende Urteile“ mit einer prozessorientierten Perspektive: Nicht die Legitimation der Institution des Gerichtes ist ihr Ansatzpunkt, sondern der Prozess des Urteilens, welcher als solcher stets expansiv ist (S. 11). In der Konsequenz verbergen sich damit tatsächlich zwei, gelungen ineinander geschobene Werke in diesem Buch: eine Verfassungstheorie der Konstitutionalisierung und eine Rechtstheorie des Urteils.

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CfP: Arendts Freiheitsbegriff (Freiburg)

Vom 14. bis 15.12.2023 findet in Freiburg eine Tagung zum Thema „Handeln und Urteilen: Grundlagen des Freiheitsbegriffs in Hannah Arendts politischem Denken“ statt. Die  Tagung möchte Arendts Freiheitsbegriff auf dessen Voraussetzungen hin befragen. Wie begründet Arendt die ihrer Ansicht nach wie ein Wunder anmutende Freiheit? Wie kann der Mensch sich nach Arendt als frei nicht nur in der vernünftigen Bestimmung seines Willens, sondern auch in der Welt und in seinem Wirken als Teil der Menschheit auffassen? Woher rührt die menschliche Fähigkeit zum politischen Handeln? Müssen wir zur Freiheit erst befähigt werden (wenn ja, wodurch?) oder sind wir immer schon des politischen Handelns fähig? Abstracts im Umfang von 300 bis 500 Wörtern, die sich mit diesen (oder ähnlichen) Fragen beschäftigen können bis zum 06.11.2023  an martin.baesler@politik.uni-freiburg.de und yewon.kim@fu-berlin.de geschickt werden. Alle weiteren Details im PDF.

 

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Politische Theorie und Politische Bildung. Ein Schwerpunkt zum Jubiläum der bpb

Am vergangenen Freitag, den 25. November 2022, feierte die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb ihren 70. Geburtstag. Der Theorieblog gratuliert von Herzen! Und wir kommen nicht mit leeren Händen! Denn wir nehmen den Ehrentag der bpb zum Anlass, einen Schwerpunkt zum Thema Politische Bildung zu veröffentlichen. Im Laufe dieser Woche werden vier Autor:innen über das Verhältnis von Politischer Theorie und Politischer Bildung nachdenken.

Ist es wirklich so, dass Politische Theorie und Politische Bildung sich gegenseitig missachten, wie ab und zu diagnostiziert wird? Was könnten Politische Theorie und Politische Bildung voneinander lernen – und was haben sie vielleicht schon voneinander gelernt? Wie würde eine politiktheoretisch informierte Politische Bildung aussehen? Welche Rolle spielt Politische Theorie vielleicht sogar schon in der Praxis der Politischen Bildung? Vor welchen Herausforderungen steht die Politische Bildung aktuell und was kann die Theorie zu deren Bewältigung beitragen?

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Vortrag: „Demokratie und Urteilskraft im digitalen Zeitalter“ (Frankfurt)

Am 9. Januar 2019 findet der letzte Vortrag der IfS-Veranstaltungsreihe »Demokratie und Wahrheit« zu den Frankfurter Positionen 2019 mit Prof. Dr. Susanne Lüdemann zum Thema »Demokratie und Urteilskraft im digitalen Zeitalter. Am Beispiel von Chemnitz« statt. Die Literaturwissenschaftlerin Susanne Lüdemann untersucht die medialen Ereignisse in Chemnitz nach dem gewaltsamen Tod von Daniel H. am 27. August 2018 und nimmt sie zum Anlass für einige grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis von Demokratie und Urteilskraft im digitalen Zeitalter. Der Vortrag beginnt um 19.30 Uhr in der Zentralbibliothek Frankfurt am Main. Die Teilnahme ist kostenfrei. Alle Termine und Informationen gibt es auf dem Vortragsflyer, dem Plakat und der Webseite der Veranstaltungsreihe oder auch auf Facebook.

Am 1. Februar folgt im Übrigen die Lange Nacht der Sozialforschung im MMK1 mit Kurzvorträgen von u. a. Michael Butter, Petra Gehring, Katharina Hoppe, Oliver Marchart, Martin Saar, Christiane Schnell, Martin Seel, Jasmin Siri, Felix Trautmann und Paula-Irene Villa.

 

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Von der siegreichen Sache und den Menschen. Hannah Arendt zum 40. Todestag

Victrix causa diis placuit, sed victa Catoni. Dies ist eines von zwei Zitaten, das man nach Hannah Arendts Tod auf einem in ihrer Schreibmaschine eingespannten Blatt Papier fand. Hannah Arendt erlitt am 4. Dezember 1975 in ihrer New Yorker Wohnung einen Herzinfarkt, ihren zweiten, und verstarb im Alter von 69 Jahren.

Bei dem eingespannten Blatt Papier handelte es sich um das Titelblatt zum dritten und letzten Teil ihres Werkes „The Life of the Mind“ (dt. Vom Leben des Geistes). Der Teil ist überschrieben mit „Judging“ (Urteilen) und sollte nach den Büchern über das Denken und das Wollen den Abschluss ihrer Trilogie über die geistigen Tätigkeitsweisen des Menschen darstellen. Abgesehen von einigen Notizen und dem Manuskript ihrer 1970 gehaltenen Vorlesung über Kants Kritik der Urteilskraft wissen wir heute nicht, welche Ausführungen Arendt hätte machen wollen. Was wir hingegen wissen, ist, dass Arendt der Urteilskraft eine zentrale Stellung zugedacht hat. Von der Kultivierung der Urteilskraft erhoffte sich Arendt nichts weniger als dass sie dem Menschen in der „riskanten Moderne“ (Nolte) Orientierung stiften und ein Zusammenleben ermöglichen möge. (mehr …)

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Workshop: Rezeptivität des Urteilens (Frankfurt)

Von Christoph Menke und Dirk Setton organisiert findet vom 23.-25. Oktober 2014 ein Workshop zu „Die Rezeptivität des Urteilens: Norm und Natur II“ statt. Unter anderem werden Marcus Willaschek, Wayne Martin und Andrew Norris vortragen. Eine ausführliche Beschreibung des Tagungsthemas findet ihr hier als PDF. Das vollständige Programm der Tagung könnt ihr hier einsehen. Um Anmeldung wird gebeten. (mehr …)

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