Adam Smith als Moralphilosoph

Im letzten Beitrag unseres mit dem Politik & Ökonomie Blog veranstalteten Adam-Smith-Schwerpunkts widmet sich Christel Fricke der Anschlussfähigkeit Smiths an die Urteilspraxis der zeitgenössischen normativen Moralphilosophie. Sie stellt den sympathy-geleiteten kommunikativen Austausch zwischen Opfern, Tätern und den Zuschauern moralisch falscher Handlungen in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen.

Wer ‚Adam Smith‘ hört, denkt vermutlich an den schottischen Denker des 18. Jahrhunderts, der mit seinem Werk An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776), zum Begründer der Nationalökonomie wurde. Selbst in akademischen Kreisen weit weniger bekannt ist, dass Smith zuvor ein Buch über Moralphilosophie veröffentlicht hatte, nämlich The Theory of Moral Sentiments (1759). Dieses Buch war von seinen frühen Leser:innen, zu denen u. a. Jane Austen gehörte, wohlwollend aufgenommen worden. Später jedoch, im Schatten von Smiths Nationalökonomie, geriet es weitgehend in Vergessenheit.

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Warum die Reichen bewundert und die Armen verachtet werden

Im sechsten Beitrag unseres gemeinsam mit dem Politik & Ökonomie Blog veranstalteten Adam-Smith-Schwerpunkts widmet sich Bastian Ronge Smiths Analyse des affektiven Fundaments liberaler Gesellschaften – und der ihnen eingeschriebenen Notwendigkeit, ‚nach oben‘ zu bewundern und ‚nach unten‘ zu verachten.

Interessiert man sich für die bürgerliche Gesellschaft als „affective society“ (vgl. u. a. Slaby/von Scheve 2019), sprich für die Formen und Praktiken affektiver Vergesellschaftung, ohne die die liberale Gesellschaft westlicher Provenienz nicht sie selbst wäre, so kommt man an Adam Smith nicht vorbei. Wie bei kaum einem anderen Denker aus der Entstehungsphase der gegenwärtigen Gesellschaftsformation findet man bei ihm eine ausführliche Reflexion der Gefühlskultur seiner Zeit, gepaart mit kenntnisreichen ökonomischen Analysen und Politikvorschlägen. Das macht ihn zum idealen Untersuchungsgegenstand für all diejenigen, die sich für die Genealogie der Affektivität liberaler Gesellschaften interessieren. Eine Möglichkeit, diese Genealogie zu schreiben, besteht darin, Smith als Befürworter einer Synthese aus den Idealen des antiken Stoizismus und der Empfindsamkeit zu lesen. Was bei solch einer Fokussierung auf Smiths „sensitiven Stoizismus“ (vgl. Ronge 2015) aus dem Blick gerät, ist – und darum soll es mir im Folgenden gehen – der von Smith konstatierte Hang des liberalen Subjekts, ‚nach oben‘ zu bewundern und ‚nach unten‘ zu verachten. Die entscheidenden Passagen hierzu finden sich in seiner „Theorie der ethischen Gefühle“.

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Der Zweck heiligt den Markt: Adam Smith in Deutschland

Im fünften Beitrag unseres mit dem Politik & Ökonomie Blog veranstalteten Adam-Smith-Schwerpunkts widmet sich Lennart Riebe, anhand der Schriften des Gelehrten Georg Sartorius, der Frage, wie Smiths Denken im deutschen Kameralismus aufgenommen und diskutiert wurde. Dort gingen Marktliberalismus und Etatismus eine historisch folgenreiche Synthese ein.

Als Adam Smith 1776 seine Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations publizierte, blieb die Reaktion in den deutschen Staaten des Alten Reichs zunächst ziemlich verhalten. Obwohl eine Übersetzung nicht lange auf sich warten ließ und in Teilen bereits im selben Jahr von Johann Friedrich Schiller, einem Cousin des Dichters, besorgt wurde, zeigte das deutsche Gelehrtenpublikum vorerst kein übermäßiges Interesse am Werk des Schotten. Doch das blieb nicht lange so.

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Die Revolution der Sympathie: Adam Smith in Frankreich

Im vierten Beitrag unseres mit dem Politik & Ökonomie Blog veranstalteten Adam-Smith-Schwerpunkts widmet sich Patrick Samtlebe der Frage, wie Smiths Denken im postrevolutionären Frankreich aufgenommen und diskutiert wurde, um eine stabile bürgerliche Gesellschaftsordnung aus Freien und Gleichen zu begründen.

Zu den Kernanliegen der jüngeren Adam Smith-Forschung zählt die Revision einer bis heute wirkmächtigen Smith-Deutung, die den schottischen Moralphilosophen als staatsfeindlichen Laisser-faire-Ideologen präsentiert hat, dessen Philosophie der Sympathie in einem eklatanten, mindestens aber klärungsbedürftigen Spannungsverhältnis zu seiner politischen Ökonomie zu stehen schien. Die Ursprünge dieses Zerrbildes haben rezeptionshistorische Untersuchungen in britischen Diskursen um 1800 ausgemacht. Damals begann man, Smiths Politökonomie aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang, der aufklärerischen Debatte um das „complex interplay of ethics, economics, commerce, government and civilisation“, herauszulösen und sie als Gründungsdokument einer marktliberalen Spezialwissenschaft der Ökonomie zu lesen (Tribe 1995 [Zitat S. 28]; Rothschild 1992).

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Die Wirtschaft als soziale Maschine

Im dritten Beitrag unseres mit dem Politik & Ökonomie Blog veranstalteten Adam-Smith-Schwerpunkts widmen sich Walter Ötsch und Silja Graupe der Bedeutung Newtons für Smiths Systembildung – und der Frage, welchen Erfahrungsverlust die Ökonomik damit in Kauf nahm.

Adam Smith gilt als der Ahnvater der Nationalökonomie. Neoliberale sehen in ihm etwa den Entdecker „der unsichtbaren Hand des Marktes“ – das steht in vielen Lehrbüchern der Mikro- und Makroökonomie. Aber solche Deutungen sind historisch gesehen mehr als fragwürdig. Oft pickt man sich einzelne Werke (meist nur den Wealth of Nations) oder gar nur einzelne Textpassagen heraus und verwendet sie als Beleg für eigene Meinungen. Will man Smith gerecht werden, dann muss zumindest zweierlei beachtet werden. Zum einen ist auf die Einheit und Eigenart der vielen Theorien bei Smith abzuzielen. Zum anderen muss versucht werden, grundlegende Begriffe aus und in ihrem historischen Kontext zu verstehen. 

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Wie Adam Smith den Kapitalismus erfand – oder so ähnlich

Im zweiten Beitrag unseres mit dem Politik & Ökonomie Blog veranstalteten Adam-Smith-Schwerpunkts widmet sich Christian E. W. Kremser den häufig übersehenen utopischen und geschichtsphilosophischen Elementen in Smiths Denken.

Adam Smith gilt in der ökonomischen Theoriegeschichte – ja, richtig gelesen, so etwas gibt es wirklich, auch wenn sie unter den Disziplinen der Volkswirtschaftslehre heute allenfalls noch ein trauriges Randdasein fristet – als Begründer der ‚Klassik‘. Mit dieser Epochenbezeichnung geben die meisten Darstellungen der Geschichte des ökonomischen Denkens wiederum den Entstehungszeitpunkt der Volkswirtschaftslehre an. Smith wird auf diese Weise zum Ahnvater einer ganzen Wissenschaft stilisiert. Um dieses – zugegebenermaßen nicht unbegründete – historische Urteil zu rechtfertigen, wird für gewöhnlich vorgebracht, dass sich mit der Klassik eine Entwicklung Bahn gebrochen habe, in der sich die Ökonomik schrittweise von einer normativen hin zu einer positiven Disziplin wandelte. Dieser Prozess habe mit dem allmählichen Auseinanderbrechen der klassischen Trias der praktischen Philosophie begonnen und sei schließlich in der Konstitution der Ökonomik als einer eigenständigen Wissenschaft gegipfelt. Die seinerzeit neu aufgekommene Vorstellung, dass es Gesetzmäßigkeiten im menschlichen Handeln geben könnte, die sich unabhängig von ihren Intentionen erklären ließen, markiere dabei den Startschuss für die Emanzipation der Ökonomik von der Philosophie.

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Der verdrehte Mr. Smith

Im ersten Beitrag unseres mit dem Politik & Ökonomie Blog veranstalteten Adam-Smith-Schwerpunkts widmet sich Sebastian Thieme der Vereinnahmung und Ambivalenz der ‚Unsichtbaren Hand‘ – und der Frage, wie es um die historische Selbstreflexion der Ökonomik als Disziplin steht.

Irgendwann im Juni 1723 soll es gewesen sein, dass er das Licht der Welt erblickte: Adam Smith, der schottische Moralphilosoph, der bekanntlich von vielen Fachleuten der Ökonomik als Gründungsvater ihrer Disziplin vereinnahmt wurde. Das Schaffen von Adam Smith umfasst vor allem den populären Wealth of Nations (Wohlstand der Nationen) und die bekannte Theory of Moral Sentiments (Theorie der ethischen Gefühle), aber auch die „Essays über philosophische Gegenstände“ sowie die Vorlesungen über Rhetorik und Jurisprudenz. Seine Texte sind vielschichtig und auch heute noch mit Gewinn zu lesen. Doch lässt sich ihnen auch eine gewisse Ambivalenz attestieren, die Smith als Kritiker an wirtschaftsliberal und wirtschaftstheoretisch sehr eng gefassten Perspektiven erscheinen lässt, ihn aber andererseits ebenso für eine marktfundamentalistische Vereinnahmung offenhält. Deshalb verwundert es nicht, dass Smith missverstanden, verklärt und einseitig vereinnahmt werden konnte. Besonders eindrücklich zeigt sich das an der Metapher von der „unsichtbaren Hand“. 

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Schwerpunkt: Die vielen Gesichter des Adam Smith

Adam Smiths Geburtstag jährt sich in diesem Jahr zum 300. Mal. – Der Politik & Ökonomie Blog und der Theorieblog nehmen das diesjährige Smith-Jubiläum zum Anlass, sich in einem auf beiden Seiten veröffentlichten Schwerpunkt dem schottischen Moralphilosophen und politischen Ökonomen zu widmen. Für dieses Kooperationsprojekt konnten Forscherinnen und Forscher aus der Wirtschaftswissenschaft, der Philosophie und der Politikwissenschaft gewonnen werden, die Smith auf Fragen unserer Zeit beziehen, ihn in seiner Zeit verorten, seiner theoriegeschichtlichen Bedeutung nachspüren und Einblicke in die Wirkungsgeschichte seines Werkes geben.  (mehr …)

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