Und was ist nun Populismus? Die Replik von Jan-Werner Müller

Als Abschluss des Buchforums zu Jan-Werner Müllers „Was ist Populismus?“ (Suhrkamp 2016) hier nun die Replik des Autors auf die Beiträge von Richard Gebhardt, Daniel Jacob und Dirk Jörke.

Ich danke Richard Gebhardt, Daniel Jacob und Dirk Jörke für die konstruktive Kritik an meinem Buch. In meiner Replik möchte ich vor allem auf drei grundsätzliche Punkte eingehen: Der normative Status von Antipluralismus; die Auseinandersetzung darüber, inwieweit Populismus eine „Stilfrage“ ist; und die Ursachen von Populismus. Ganz zuletzt auch noch ein paar Gedanken zum Thema, ob es nicht doch einen Linkspopulismus als Antwort auf die derzeitigen Siegeszüge des Rechtspopulismus braucht (ein Gedanke, der, wenn ich es richtig verstehe, bei allen Kommentaren zum Buch zumindest auch immer im Hintergrund schwebt).   (mehr …)

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Moralismus ist zu wenig. Eine Entgegnung auf „Was ist Populismus?“ von Jan-Werner Müller

— Fortsetzung des Buchforum zu Jan-Werner Müllers ‚Was ist Populismus‘ : Teil 1 (Daniel Jacob), Teil 2 (Richard Gebhardt) —

Jan-Werner Müller nimmt kein Blatt vor den Mund. So wird sehr schnell deutlich, dass er vor dem Hintergrund eines liberalen Demokratieverständnisses dem Populismus wenig abgewinnen kann, er ihn nicht für ein „nützliches Korrektiv“, sondern in erster Linie  für eine Gefahr für die politische Kultur der Demokratie hält. Er begründet dies vornehmlich mit einem dem Populismus zugeschriebenen Antipluralismus und Moralismus, beides zusammen würde auch dessen Wesen ausmachen. Die Beispiele, aber auch die demokratietheoretischen Reflexionen, die Müller zur Stützung dieser kritischen Begriffsbestimmung anführt, sind allesamt intuitiv einleuchtend. Es liegt ja auf der Hand, dass Populisten wie Victor Orbán, Marine Le Pen, Geert Wilders oder Beppe Grillo nicht nur Werte verkörpern, die uns „liberale Ironikerinnen“ (R. Rorty) abstoßen, sondern auch einen Politikstil vertreten, der die Voraussetzungen eines demokratischen Miteinanders untergräbt. All das lässt sich gegenwärtig in vielen europäischen Staaten zur Genüge beobachten.

Genauso ist völlig überzeugend, dass „das Volk“ als empirische Größe nicht existiert und dass, wie Michael Saward, Nadia Urbinati und Winfried Thaa dargelegt haben, politische Identitäten vielmehr erst im Prozess der Repräsentation erzeugt werden, sie also nicht immer schon „da“ sind. Somit muss mit Müller und vielen anderen auch der Anspruch der Populisten bestritten werden, „das Volk“ gegen die vermeintlich korrupten Eliten vertreten zu können. Wenn überhaupt werden Teile der Bevölkerung durch die Populisten repräsentiert. (mehr …)

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„…but I know it when I see it!“ Ein Kommentar zu Jan-Werner Müllers „Was ist Populismus?“

Hans-Jürgen Puhle, ein Kenner der lateinamerikanischen „Volksbewegungen“, erinnerte sich vor Jahren auf einer Tagung angesichts der methodischen Schwierigkeiten einer Definition des Begriffs „Populismus“ an den amerikanischen Verfassungsrichter Potter Stewart. Dieser hatte 1963 im Fall „Jacobellis vs. Ohio“ über das Verbot eines vermeintlich pornografischen Films  zu befinden, wollte aber keine konkrete Definition von „Pornografie“ vorlegen. Eine solche Begriffsbestimmung sei vielleicht auch gar nicht möglich, befand Stewart. „…but I know it when I see it“, lautete sein berühmt gewordener Zusatz, der wie ein Leitmotiv auch für die jüngsten Diskussionen über den Populismus wirkt. Der inflationär zirkulierende P-Begriff ist, so scheint es, eher eine intuitiv verwendete Kampfvokabel denn ein wissenschaftlicher Terminus. Stets wirken Populismusforscher wie Schmetterlingsjäger, die ihre – aufgrund der jeweils landestypischen politischen Vegetation höchst unterschiedliche – Beute unter Glas aufspießen und mit einem lateinischen Fachterminus klassifizieren wollen. Doch regelmäßig entzieht sich das dynamische Phänomen der starren Definition, verändert der außerordentlich lebendige Gegenstand der Untersuchung Form und Inhalt, ersetzt Personen, verwirft Programme und wirbelt traditionelle Parteienlandschaften durcheinander. (mehr …)

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Buchforum zu Jan-Werner Müllers „Was ist Populismus?“

Im Frühjahr diesen Jahres ist bei Suhrkamp Jan-Werner Müllers Antwort auf die Frage “Was ist Populismus?” erschienen. In dieser und der kommenden Woche wollen wir im Rahmen eines Buchforums die von Müller angestoßene Diskussion fortführen. Den Auftakt macht der heutige Kommentar von Daniel Jacob (Berlin), es folgen zwei weitere Kommentare von Richard Gebhardt (Aachen) und Dirk Jörke (Darmstadt). Zum Abschluss wird Jan-Werner Müller auf die Kommentare reagieren. Wir freuen uns sehr auf die Diskussion und möchten euch herzlich dazu einladen, euch über die Kommentarfunktion daran zu beteiligen. Der Kommentar von Daniel Jacob folgt nach dem Klick:
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Möllers-Buchforum (4): Die (Un-)Möglichkeit der Normen

Die vorherigen Rezensenten haben den außergewöhnlichen und interdisziplinären Ansatz von Christoph Möllers’ neuestem Buch bereits gebührend gewürdigt. Als Jurist wage ich dem noch hinzuzufügen, dass Möllers’ Buch auch gerade deswegen besonders ist, weil Juristen in der Regel nicht für ihre interdisziplinären Abenteuer (und erst recht nicht für deren Gelingen!) bekannt sind. Darüber hinaus enthält das Buch Erkenntnisse, die im Grunde für alle juristischen Teildisziplinen (inklusive des Völkerrechts) von großem Interesse sein können. Es sei daher Juristen jeder Couleur wärmstens als Lektüre empfohlen. Da eine umfassende völkerrechtliche oder gar juristische Auseinandersetzung mit Möllers’ Thesen im Rahmen eines kurzen Textes leider nicht zu bewerkstelligen ist, möchte ich mich in dieser vierten und letzten Rezension gezielt nur mit dem ersten der zwei Elemente von Möllers’ Kernthese beschäftigen, die besagt, dass: „Normen…aus der Darstellung einer Möglichkeit [Element 1: Möglichkeit] und einer positiven Bewertung von deren Verwirklichung [Element 2: Realisierungsmarker]“ (111) bestehen.

Hinsichtlich des ersten Elements argumentiert Möllers, Normen seien „positiv markierte Möglichkeiten“, die auf einen „möglichen Zustand oder ein mögliches Ereignis verweisen.“ (13) Umgekehrt ausgedrückt: „Unmögliches zum Gegenstand einer Norm zu machen“ (ebd.), beziehungsweise „jemanden zu etwas zu verpflichten, das unmöglich ist“ (124) ist laut Möllers unsinnig. Aus juristischer Sicht scheint dies prima facie einleuchtend und im Prinzip nicht nur dem von Möllers zitierten (in seiner genauen Bedeutung jedoch keinesfalls unumstrittenen) römischen Rechtsgrundsatz impossibilium nulla obligatio (119), sondern im wesentlichen auch der geltenden Rechtsprechung in verschiedenen nationalen Rechtsordnungen (beispielsweise Deutschland, England; vgl. jedoch die UNIDROIT-Grundregeln) und dem Völkerrecht (z.B. Artikel 61, Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge) zu entsprechen.

Selbst wenn die meisten Rechtsnormen „Mögliches“ zum Gegenstand haben und vielleicht sogar haben sollten, stellt sich allerdings die Frage, ob die Bedingung, dass Rechtsnormen im Sinne Möllers’ Mögliches zum Gegenstand haben müssen, zwingend für Rechtsnormen gilt oder gelten sollte. Dieser Beitrag wird sich mit dieser Frage in drei Schritten auseinandersetzen. Zunächst erfordert die Beantwortung der Frage die Bestimmung von Möllers’ Möglichkeitsmaßstab. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich der zweite Teil mit Rechtsnormen, welche jenem Maßstab als Rechtsnormen nicht gerecht zu werden scheinen. Der dritte und letzte Teil erörtert dann die möglichen Folgen der Erkenntnisse des zweiten Teils für Möllers’ Kernthese.

 

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Möllers-Buchforum (3): Paradoxie als Erkenntnisform? Herausforderungen einer nicht-normativen Theorie der Normativität

Sucht man nach einer Formel, in der sich die gedanklichen und argumentativen Fäden des jüngsten Buches von Christoph Möllers über Die Möglichkeit der Normen bündeln könnten, dann findet sich diese Formel in der folgenden, allemal überraschenden Empfehlung: Ein angemessener theoretischer Umgang mit der Praxis des Normativen werde am Ende davon abhängen, ob es gelingt, dem Umstand ausreichend Rechnung zu tragen, dass normative Praktiken eben nicht von der Verhinderung, sondern der Ermöglichung von Normbrüchen zehren(457)!

Damit erhebt Möllers im Anschluss an Luhmann nicht nur die Paradoxie erneut zu einer Erkenntnisform, sondern er macht sich unter dem Eindruck der dadurch eröffneten theoretischen Möglichkeiten daran, den sozialen Ursprung von Normativität freizulegen und die darauf bezogene Debatte entschlossen von jenen moralphilosophischen Grundlagen abzulösen, die ihr bisher den Stempel aufgedrückt haben. (mehr …)

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Möllers-Buchforum (2): Zwischen Beschreibung und Rechtfertigung – Christoph Möllers’ Auseinandersetzung mit der praktischen Philosophie

Mit beeindruckendem Scharfsinn und scheinbar mühelos über disziplinäre Grenzen hinweg diskutiert Christoph Möllers in Die Möglichkeit der Normen die Vielfalt und Komplexität normativer Praktiken. Wie bereits aus dem Untertitel des Buches hervorgeht, der ein Normverständnis „zwischen Moralität und Kausalität“ ankündigt, möchte er es diesbezüglich vor allem mit der (praktischen) Philosophie einerseits sowie der Soziologie andererseits aufnehmen. Nachdem sich Wolfgang Knöbl in seinem Beitrag ausführlich mit der Rolle der letzteren beschäftigt hat, soll nun erstere in den Fokus rücken. Der praktischen Philosophie kommt innerhalb des Narrativs des Buches in der Tat eine zentrale, wenngleich problematisierte Stellung zu, ist es doch die ihr eigene Rechtfertigungsperspektive, welche Möllers zufolge den Normendiskurs dominiert und auf unheilvolle Weise verarmt. Mein Ziel in diesem Beitrag ist es, kritisch zu beleuchten, wie Möllers seinen eigenen Ansatz in Abgrenzung zu dem in der praktischen Philosophie vorherrschenden entwickelt. Insbesondere möchte ich hinterfragen, inwieweit sein eigener Normbegriff tatsächlich „nichtnormativ“, das heißt frei von ethischen Implikationen ist. Die Beobachtung, dass die Ebene der normativen Beschreibung Rückwirkungen auf das Verständnis empirisch beobachtbarer sozialer Praktiken hat, legt Möllers überzeugend dar. Darüber sollten wir jedoch die umgekehrte Abhängigkeit – inwieweit eine empirische Normwissenschaft Weichen auch für eine normative Perspektive stellt – nicht aus den Augen verlieren.

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Möllers-Buchforum (1): Die Möglichkeit der Normen – Soziologische Anmerkungen zu Christoph Möllers

Wahrscheinlich wird nicht gerade der Titel von Christoph Möllers‘ neuem Buch das Interesse der Soziologinnen wecken. Soziologische Analysen zu Normen gab und gibt es schließlich zuhauf, sodass viele skeptisch sein werden, ob auf jenem Gebiet ausgerechnet ein Jurist und Rechtsphilosoph die Sozialwissenschaften entscheidend wird voranbringen können. Andererseits waren schon Möllers‘ frühere Werke (etwa: Der vermisste Leviathan. Staatstheorie in der Bundesrepublik, Frankfurt am Main 2008) zumindest für die an politischer Soziologie Interessierten höchst aufschlussreich. Die Leser werden den Griff zu seinem neuesten Produkt jedenfalls nicht bereuen, besteht doch kein Zweifel daran, dass Möllers eines der wichtigsten sozialwissenschaftlichen Bücher der letzten Jahre vorgelegt hat. Dieses Urteil kann auch der Umstand nicht ins Wanken bringen, dass nicht alle der zahlreichen Fäden der umfassend entwickelten Argumentation am Ende wieder miteinander verknüpft worden sind, dass der Aufbau des Buches nicht immer klar ist und dass auch das Fazit, das den Anschluss an die empirische Forschung verspricht, durchaus hätte konkreter ausfallen können. Als Gesamteindruck bleibt, dass ein immens belesener Autor eine faszinierend reichhaltige und innovative Phänomenologie von Normen präsentiert, deren sozialtheoretische Konsequenzen noch gar nicht abzusehen sind. Indem er stets zwischen der Entwicklung stringenter Argumente und der Darbietung zahlloser empirischer Beispiele hin- und herwechselt, gewinnt Möllers immer wieder überraschende Einsichten. Dabei werden Positionen der Philosophie, der Politikwissenschaft, der Soziologie sowie verwandter Disziplinen mit messerscharfer Intelligenz und oft gnadenlos seziert, wird Interdisziplinarität auf eine Weise praktiziert, wie man sie nur allzu selten findet.

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Die Möglichkeit der Normen – Ein Buchforum

Christoph Möllers’ im September bei Suhrkamp erschienenes „Die Möglichkeit der Normen. Über eine Praxis jenseits von Moralität und Kausalität” ist ein Buch, das nicht nur viel Interesse geweckt hat (s. Rezensionen in SZ und SWR), sondern das auch viele Interessen bedient. Norm(en)forschung, normative Ordnungen, die Grundlagen von Normativität: das alles sind Aspekte, die in sehr unterschiedlichen Diskurszusammenhängen in jüngerer Zeit große Prominenz erlangt haben, zumal darin viele ältere Debatten – etwa über Ideen, Ideologien, Kritik – konserviert und fortgeführt werden können. Die Attraktivität des Normbegriffs liegt nicht zuletzt darin begründet, dass der Begriff weniger ‘normativen’ Ballast mit sich herumzuschleppen scheint. Vielleicht kommt er gerade deshalb der Logik interdisziplinärer Forschung so gelegen. Diese Anschlussfähigkeit ist natürlich keineswegs darauf zurückzuführen, dass das, was wir unter Normen verstehen, etwas Eindeutiges oder Geteiltes wäre. Aus diesem Grund ist Möllers’ breites Verständnis von Normen als “positiv markierten Möglichkeiten” (14) so interessant. Es erlaubt eine umfängliche Phänomenologie, die die komplexe Praxis normativen Handelns detailliert erfasst und über soziale, rechtliche wie politische Gegebenheiten und Logiken zu reflektieren vermag.

Um dem dichten Werk eine kritische Einordnung und Würdigung zuteil werden zu lassen, haben sich Soziopolis, der Theorieblog und der Völkerrechtsblog entschieden, eine gemeinsam verantwortete Serie von vier Besprechungen vorzulegen. Aus je einer anderen disziplinären Perspektive werden wir im Wochenabstand je eine Rezension veröffentlichen:

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