Republicanism of Fear – Karsten Malowitz und Veith Selks ZPTH-Artikel in der Diskussion

Republikanische Theorie ist derzeit schwer en vogue und so überrascht es nicht, dass auch die Zeitschrift für Politische Theorie (ZPTh) dem Thema ein Sonderheft gewidmet hat. Nach der Einleitung der Heftherausgeber Emanuel Richter und Andreas Niederberger folgt eine Sortierung der Debatte durch Philip Hölzing, eine Untersuchung von Montesquieus Stellung zwischen Liberalismus und Republikanismus durch Karsten Malowitz und Veith Selk, ein Artikel über die Wandlungen der Mischverfassung von Oliver Lembcke und Florian Weber, ein Beitrag zur Autoritätskonzeption insbesondere bei Arendt von Grit Straßenberger und schließlich ein Artikel zu der veränderten Konzeption von Selbstregierung von James Bohman (zum Inhaltsverzeichnis hier). Auch bei dieser Ausgabe möchten wir unsere schöne Tradition der Zusammenarbeit mit der ZPTh fortsetzen und Euch hier den Artikel von Malowitz/Selk zum kostenlosen Download anbieten. Eine ausführliche Besprechung des Artikels findet ihr unter dem Strich. Wir laden herzlich ein, mitzudiskutieren. Karsten Malowitz und Veith Selk werden dann in einem separaten Beitrag in naher Zukunft auf alle Fragen und Anmerkungen eingehen.

Republicanism of Fear – Karsten Malowitz und Veith Selks ZPTH-Artikel in der Diskussion

Montesquieu wird heute gemeinhin als einer der Urväter des Liberalismus rezipiert. Darin ist impliziert, dass er mit dem republikanischen Pathos von Tugend und kollektiver Selbstbestimmung gebrochen und an dessen Stelle institutionelle Mechaniken gesetzt habe, die die Begrenzung der Politik und damit die Entfaltung der Freiheit des Individuums möglich machten. Er und Locke hätten entscheidende Einflüsse auf die amerikanische Revolution ausgeübt und diese wiederum sei für den Sieg des liberalen Paradigmas über den alteuropäischen Republikanismus ausschlaggebend gewesen. Dass diese Ideengeschichte irgendetwas zwischen unterkomplex und falsch ist, wird zwar ebenfalls schon länger diskutiert – doch der Mythos hält sich hartnäckig.

Wenn Karsten Malowitz und Veith Selk sich in ihrem Artikel „Republikanischer Konstitutionalismus. Die Bewältigung der Furcht als Schlüssel zur Freiheit in Montesquieus Verfassungslehre“ also noch einmal gründlich der Zwischenfigur Montesquieu annehmen und diesen in einem republikanischen Kontext zu lesen vorschlagen, ist dies so ideengeschichtlich nötig wie politiktheoretisch klug. Die Pointe ihres Artikels, dass Montesquieu gerade im gegenwärtigen Revival republikanischer Theorie wieder eine Rolle spielen kann und sollte, wird dabei mit zwei Gründen unterfüttert. Zum einen, weil diesen die klassisch republikanische Frage nach der Integration des Gemeinwesens und dem politischen Handeln der Vielen umtreibe. Zum anderen, weil gerade da wo seine Antwort anders – nämlich: liberaler – ausfällt, er zu einem modernen Republikanismus passe. Montesquieus Blick auf die Entstehungsbedingungen kollektiver Bürgerschaft sei relevant, weil er in der Erörterung der Stabilität politischer Ordnung empirisch(er) vorgehe, indem er negative Emotionen wie Furcht und Angst berücksichtige und daraus seine Verfassungslehre generiere.

Der Artikel besteht aus zwei großen Blöcken. Im ersten erfolgt eine relativ aufwändige Rekonstruktion der Thesen Montesquieus. Malowitz/Selk argumentieren, dass dessen Interesse für den Aufstieg und Fall der drei prototypischen Regierungsformen (Republik, Monarchie und Despotie) in einer Beschäftigung mit der Angst münde. In dieser erkenne er eine Kraft, die sowohl den Erhalt bestimmter Staatsformen als auch deren Verfall zu erklären helfe. Dies führt die Autoren dazu, je nach Staatsform typische und funktionale bzw. dysfunktionale Formen der Angst zu unterscheiden. Fünf politisch relevante Formen der Angst stehen am Ende dieses Durchgangs: die Sorge um die eigene Tugendhaftigkeit, die Ehrfurcht vor den Sitten und dem Gesetz, die Furcht vor Strafe, die Furcht vor äußeren Feinden und die allgemeine Furcht und das Misstrauen vor Willkür und Machtmissbrauch. Jede dieser Formen spielt in den unterschiedlichen Regierungsformen jeweils eine unterschiedliche Rolle und wird als Element in der Erzählung von Erhalt und Verfall eingesetzt.

An dieser Stelle setzt meine erste Frage an. Sie bezieht sich auf das in meiner Lesart ungeachtet der Ausdifferenzierung unterbestimmt bleibende Phänomen der Angst. Angst dient in dem Aufsatz als Schlagwort und Sammelbegriff. Als Schlagwort, da die Beschäftigung mit der Angst als die zentrale Innovation angepriesen wird. Diese verkörpere die Abkehr von einem allein positiv integrierenden Ideal, der Tugend, und erlaube stattdessen eine empirische Analyse. Gerade intersubjektive und antagonistische Elemente könnten so ernst genommen und als politisch bedeutsam verstanden werden. Als Sammelbegriff wird Angst verwendet, weil das Gefühl der Angst als Label für verschiedene, als verwandt deklarierte Emotionen verwendet wird (Furcht, Sorge, Unsicherheit, etc.). Was aber ist Angst denn nun? Über die Bestimmung als Gefühl/Leidenschaft und die Abgrenzung von der ‚positiven‘ Emotion der Tugend (was zudem verschwimmt, wenn auch die Sorge um die eigene Tugendhaftigkeit als Schattierung der Angst interpretiert wird) hinaus, wird wenig über den Hauptgegenstand der Untersuchung gesagt. Furcht wird mehr oder weniger synonym verwendet und ist doch zugleich eine Unterform und es bleibt unklar, wie und auf welcher Ebene das Gefühl Angst/Furcht Handlung bzw. Strukturbildung erklärt. Zwar mögen Sorge und Furcht beide ‚negative‘ Handlungsanreize bieten, es sind aber doch sehr unterschiedliche Dinge und die Handlungen, die aus ihnen resultieren, sehen unterschiedlich aus. Ist Angst ein kollektives Phänomen oder ein individuelles? Bewirkt sie Apathie oder Aktivität? Vorsorge oder Panikmechanismen? Rationalisierung oder Isolationismus? Die Antwort, dass sich dies von Fall zu Fall unterscheide und vom Kontext der Regierungsform abhänge, mag stimmen, doch gerade dann ist das Aggregieren in eine Kategorie wenig überzeugend. Lähmendes Misstrauen und die Sorge um die eigene Tugendhaftigkeit sind sehr unterschiedliche Dinge, nicht funktionale bzw. dysfunktionale Seiten einer einzelnen Emotion – dies wird klar und unklar in diesem Text zugleich.

Von dieser Uneindeutigkeit nicht betroffen ist der zweite Teil der Ausarbeitung von Malowitz/Selk. In diesem wenden sie sich der Antwort Montesquieus auf die Bedeutung der Furcht im Zerfall der Regierungsformen zu. Dessen Vorschlag der Gewaltenteilung interpretieren sie sodann gerade nicht mehr als eine skeptische, ‚liberale‘ Form der notwendigen Begrenzung von Macht, sondern als eine ‚republikanische‘ Möglichkeit, die funktionalen von den dysfunktionalen Wirkungen der Furcht abzutrennen und ein Gemeinwesen nicht gegen sondern durch seine Emotionalität zu integrieren. Konfliktive Momente – man könnte wohl auch sagen: Politisierung – sollen aktiv befördert werden, da sich dies dies produktiv wenden lasse, beispielsweise, wenn soziale Trennungen oder das Verhältnis von Repräsentanten und Repräsentierten zugleich bestätigt und in Austausch gesetzt werden sollen. Als Fluchtpunkt der Transformation und Anker der Integration wird dann aber trotzdem die Sorge um die Verfassung installiert, die als funktionale Form der Angst der Furcht und dem Misstrauen entgegensteht.

Ganz fraglos handelt es sich bei dieser Interpretation um eine republikanische: Von Machiavelli bis Arendt ist eine so begründete und angelegte Form der Machtteilung als zentrales Element gelingender politischer Ordnung stark gemacht worden. Gerade dies aber lässt sich gegen den abschließenden Analyseschritt von Malowitz/Selk einwenden. Wenn diese nämlich zu argumentieren versuchen, dass ein richtig gelesener Montesquieu einem modernen Republikanismus ein großes Angebot zu machen habe und hierfür drei Einsichten identifizieren – die Abkehr von der Tugendethik, die Bedeutung und Verantwortung politischer Institutionen für den Erhalt von Freiheit und ein Verständnis von Freiheit, dass die Abwesenheit von Willkür zentral setzt – so rennen sie offene Türen ein, vermögen dem modernen Republikanismus aber eigentlich nichts hinzuzufügen.

Das zeigt sich schon, wenn sie schreiben, dass Montesquieu Philip Pettit vorweg nehme (47), was als Argument schon deshalb schwierig ist, weil Pettit via Skinner sein Verständnis von freedom as non-domination ja als eines versteht, welches an die viel ältere Tradition einer republikanischen liberty before liberalism anknüpfe. Jede der drei angepriesenen Einsichten ist im modernen Republikanismus gut aufgehoben und repräsentiert, wenn nicht überrepräsentiert. Eine Originalität/Relevanz Montesquieus kann meiner Meinung nach daher nicht direkt hieraus abgeleitet werden (die Zuschreibung Montesquieus in diese republikanische Linie hingegen sehr wohl). Interessanter wäre der Ansatz, wenn sich bei Montesquieu mehr dazu finden würde, wie konkret Emotionen auf politisches Handeln wirken und wie gezielt bestimmte institutionelle Formen bestimmte Emotionen hervorzubringen vermögen. In dieser Richtung weiter zu forschen – sei es mit Montesquieu, sei es ohne ihn – ist gerade mit Blick auf den etwas anschauungslos daherkommenden Neo-Republikanismus Pettits ein erfolgsversprechendes Unterfangen (ebenso wie die von Malowitz/Selk vorgeschlagene Weiterung republikanischen Denkens um soziale Aspekte und neue Mechanismen der Partizipation). Dass der Artikel hier erste Pflöcke einschlägt und mit Blick auf Montesquieu und dessen Verfassungstheorie eine fundierte Neuinterpretation vorlegt, ist schon einmal ein guter Anfang.

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