Blogdebatte: Warum die Frage nach der Aktualität der Ideengeschichte nicht hilfreich ist

Im Rahmen unserer Blogpost-Reihe zum Verhältnis von Politischer Theorie und Ideengeschichte plädiert Ieva Höhne dafür, Theoriebildung und historische Quellenforschung weitgehend getrennt zu betreiben – Ideengeschichte also keinem Aktualisierungsimperativ zu unterwerfen.

Die Ermutigung des Redaktionsteams aufnehmend, die Überlegungen zum Verhältnis von politischer Theorie und Ideengeschichte „streitlustig“ zu präsentieren, möchte ich diesen Beitrag einem Vorbehalt gegen das „Und“ widmen. Mein Fokus gilt also der Frage, inwiefern sich die beiden „im Wege stehen“, und ich möchte diese Frage noch weiter präzisieren, indem ich im Folgenden skizziere, wie eine ungünstige Verknüpfung beider Forschungsperspektiven oder -anliegen aussieht. Diese ungünstige Verknüpfung, gegen die sich die von mir im Weiteren aufzugreifenden Wissenschaftler/-innen (Kurt Flasch, Quentin Skinner, Bernard Williams, Xinzhi Zhao) aussprechen, heißt Aktualisierung; daher unternehme ich im Folgenden Aktualisierungskritik. Es ist eine Kritik, die das Verhältnis der politischen Theorie und Ideengeschichte von der Warte der letzteren aus betrachtet; allerdings lässt sich argumentieren, dass ein geschichtswissenschaftlich nicht vertretbarer Umgang mit ideengeschichtlichem Material auch systematisch keinen Vorteil verschafft. 

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Demokratietheorie und die methodologischen Herausforderungen postkolonialer Kritik. Eine Antwort auf Floris Biskamp

In seinem inspirierenden Beitrag „Postkolonialität und die Methodologie normativer politischer Theorie“ denkt Floris Biskamp ausgehend von meinem Aufsatz „Zur Kolonialität der liberalen Demokratie“ darüber nach, welche methodologischen Implikationen sich aus der dort präsentierten Zusammenstellung unterschiedlicher postkolonialer Theorieperspektiven auf Demokratie ergeben – und zwar für die normative politische Theorie. Biskamp kommt zu einem zweigliedrigen Programm: zum einen „postkoloniale Ideologiekritik“, eine ideologiekritische Reflexion der Praxisimplikationen politiktheoretisch als legitim ausgewiesener Normen; zum anderen „plurale theoretische Diskurse“ über die gegebene Vielfalt normativer, hier v.a. demokratischer Ordnungen. Die postkoloniale Ideologiekritik ist inspiriert vom Verweis auf zwei Aspekte der Kolonialität, d.h. eingeschriebener kolonialer Machtstrukturen der liberalen Demokratie. Dabei handelt es sich zum einen um strukturellen Rassismus (in meinem Aufsatz argumentiert unter Rekurs auf Arbeiten von Achille Mbembe) und zum anderen um die Stützung von Freihandelsimperialismus (argumentiert mit Bezug auf Texte von James Tully). Ich komme weiter unten auf beide Aspekte zurück. Die vorgeschlagene Strategie der diskursiven Pluralisierung reagiert zum einen auf Iris Marion Youngs Arbeit über die beschwiegenen indigenen Einflüsse auf das US-amerikanische Föderalismusverständnis und zum anderen auf eine politikethnologische Studie von Jean und John Comaroff über die mangelnde Passförmigkeit des Mehrparteiensystems im unabhängigen Botswana. Mangelnde Passförmigkeit verweist hier darauf, dass dieses System nicht gut zur demokratischen politischen Kultur im Land passte, da sich diese im Zusammenhang eines deutlich anders funktionierenden politischen Systems etabliert hatte. In beiden Fällen, beim US-amerikanischen Föderalismus wie auch bei der real existierenden Mehrparteiendemokratie in Botswana, hat man es in gewissem Sinne mit hybriden Demokratieformen zu tun: in den USA verschmolzen indigene und europäische Ideen zu einem Modell (bezeichnenderweise einem Modell, das die indigenen Einflüsse negierte und die indigene Bevölkerung in der Umsetzungspraxis weitgehend ausschloss), in Botswana funktionierte ein europäisches Modell aufgrund lokaler Kontextbedingungen anders als erwartet.

Bis auf fünf Punkte – zwei kleine und drei etwas grundlegendere –, die im Folgenden textchronologisch genannt seien, folge ich Biskamps instruktiven Ausführungen gerne. Danach allerdings werde ich die Frage aufwerfen, wie sinnvoll es ist, die methodologischen Potentiale des Dargestellten auf die normative Demokratietheorie (als den in diesem Zusammenhang relevanten Teilbereich der von Biskamp ins Spiel gebrachten normativen politische Theorie) zu beschränken. Aber zunächst zu den besagten fünf Punkten. (mehr …)

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Postkolonialität und die Methodologie normativer politischer Theorie. Ina Kerners ZPTh-Artikel in der Diskussion

Der Themenschwerpunkt „Postkolonialität und die Krise der Demokratie“ prägt die gerade neu erschiene Ausgabe der Zeitschrift für Politische Theorie. Der von Jeanette Ehrmann herausgegebenen Schwerpunkt umfasst Beiträge von Luciana Ballestrin über die Abwesenheit des Globalen Südens in der Debatte um die Krise liberaler Demokratien, von Oliver Eberl über die Herausforderung indigener Bürgerschaft für die Demokratietheorie und von Gundula Ludwig über das Verhältnis von Demokratie und die Kolonialität der Gewalt. Ina Kerners Beitrag, den wir als Gegenstand für die aktuelle ZPTh-Debatte ausgewählt haben und der damit zugleich hier open access verfügbar ist, widmet sich der Kolonialität der liberalen Demokratie. Vervollständigt wird das Heflt durch Marco Bitschnaus Diskussion sexualpolitischer Dimorphismen und Skadi Krauses Skizze der Figur des aktiven Bürgers in der politischen Ideengeschichte.
Wie immer wünschen wir eine gute Lektüre der facettenreichen Beiträge. Wir übergeben nun an Floris Biskamp, der in seinem Kommentar zu Ina Kerners Beitrag vor allem methodologische Fragen in den Fokus rückt. Auch in diesem Fall laden wir herzlich zum Mitdiskutieren in den Kommentarspalten ein. Ina Kerner wird im Anschluss antworten. Die Theorieblog-Redaktion

In ihrem Beitrag Zur Kolonialität der liberalen Demokratie nimmt Ina Kerner aktuelle Diskussionen um eine Krise der Demokratie zum Ausgangspunkt, um verschiedene Formen postkolonialer Theoriekritik zu rekonstruieren. Ich möchte ihre dabei formulierten Thesen aufnehmen, um darüber zu reflektieren, welche Implikationen diese postkolonialen Kritiken für die Methodologie normativer Theoriebildung haben: Wie sollten wir westlichen Theoretiker:innen im globalen Norden unseren Beruf in Zukunft anders betreiben, wenn wir diese Kritiken ernstnehmen? Dafür rekapituliere ich zunächst die beiden von Kerner formulierten Thesen und ordne ihnen jeweils eine Methode zu, deren Herausforderungen ich erläutere: postkoloniale Ideologiekritik und plurale theoretische Diskurse. (mehr …)

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Call for Papers für Schwerpunktheft der „Zeitschrift für Politische Theorie“: „Der Naturzustand zwischen Kontext und Konstruktion – methodische Bedingungen politischer Theoriebildung“

Als HerausgeberInnen eines geplanten ZfPT-Schwerpunkthefts erbitten Oliver Eberl und Silviya Lechner Vorschläge zum Thema Der Naturzustand zwischen Kontext und Konstruktion: methodische Bedingungen politischer Theoriebildung.

Abstracts im Umfang von max. 3.000 Zeichen sind bitte bis zum 31. März 2022 an Dr. Oliver Eberl (o.eberl@ipw.uni-hannover.de) und Dr. Silviya Lechner (silviya.lechner@kcl.ac.uk) zu senden. Eine Rückmeldung durch die HerausgeberInnen erfolgt bis Ende April 2022. Die fertigen Beiträge (Länge 60.000 inkl. Leerzeichen) sind bis zum 31. Oktober 2022 einzureichen. Abstracts sowie Beiträge können auch Englisch eingereicht werden, sofern die erste Bildungssprache Englisch ist. Die Auswahl für den Druck unterliegt einem peer-review Verfahren. Richtlinien zur formalen Gestaltung der Beiträge finden sich unter https://zpth.budrich-journals.de, der gesamte Call (dt./engl.) unterm Strich. (mehr …)

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