Unionsbürgerschaft und Doppelbürgerschaften: Replik auf Joachim Blatters Kommentar zum ZPTh-Artikel „Wer gehört zum Volk?“ 

Zum Abschluss unserer ZPTh-Debatten zum aktuellen Doppelheft antwortet heute Eva-Maria Schäfferle auf den Kommentar von Joachim Blatter, der am Montag bei uns erschienen ist.

Von Verbündeten in der Zielsetzung … 

Die Kritikpunkte, die Joachim Blatter in seinem anregenden Kommentar anführt, kommen nicht überraschend. Sie speisen sich aus seiner Antwort auf einen demokratischen Missstand, der uns gleichermaßen Sorge bereitet. Entgegen dem demokratischen Versprechen einer Identität zwischen Herrschenden und Beherrschten, beobachten wir gegenwärtig ein zunehmendes Auseinanderfallen von demos und kratos. Im Zuge fortschreitender globaler Interdependenzen und eines bisher ungekannten Ausmaßes an internationaler Mobilität werden immer mehr Menschen politischer Herrschaft ausgesetzt, ohne im Gegenzug an ihrer Gestaltung teilhaben zu können. Die Frage Wer gehört zum (Wahl- bzw. Stimm-)Volk? – da sind sich Joachim Blatter und ich einig – verlangt deswegen nach neuen, innovativen und durchaus auch kreativen Antworten.

Einig sind wir uns zudem in der Einschätzung, dass eine zufriedenstellende Antwort in der bisherigen Diskussion um das Boundary Problem noch nicht zu finden ist. Genauso wie mein Aufsatz lehnt Joachim Blatter in seinen Arbeiten nicht nur kosmopolitische Lösungsvorschläge ab, sondern kritisiert auch die weitverbreitete Suche nach allgemeingültigen Inklusionsprinzipien, die die Frage Wer gehört zum Volk? allein auf Grundlage moralischer Überlegungen beantworten sollen (Blatter 2008: 14). Mehr noch: Die geteilte Kritik an bisherigen Lösungsversuchen führt uns zu ähnlichen Ausgangsüberlegungen: Die Grenzen des Wahlvolks sollen nicht allein von Bürger*innen, sondern auch von Nicht-Bürger*innen bestimmt werden, wodurch Formen transnationaler Politikgestaltung nötig werden. 

…zu Gegenspieler*innen in der Umsetzung  (mehr …)

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Plurale Demoi für die Demokratie

Im dritter Beitrag in unserer Reihe zum Thema „Souveränität“ diskutiert Julius Wolf die Souveränität pluraler Demoi als Antwort auf die Krise der liberalen Demoi.

Zwar geht in Demokratien alle Souveränität vom Volke aus, allerdings wird diese durch Institutionen gebändigt und delegiert. Der Souverän gibt, ob er will oder nicht, seine Legislativmacht vorläufig ab. Die institutionelle Anlage der liberalen, elektoralen Demokratie hält nur ein spärliches Repertoire an Partizipationsmöglichkeiten bereit und verrät eine tiefe Skepsis gegenüber dem Volk. Darüber hinaus produziert diese Demokratie Eliten, Ausschlüsse und Unzufriedenheit. Das ist einer der Gründe gegenwärtiger Demokratiekrisen, die in der repräsentativen Demokratie angelegt sind. Schließlich ist die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit der Demokratie institutionell fixiert. Die Krisen stellen aber auch eine Chance dar, da in ihnen gleichzeitig Demokratisierungspotenzial enthalten ist: In vielen Protesten wird diese Demokratie kritisiert, weil sie über den Wahlakt hinaus kaum demokratisch ist. Gefordert wird, das Versprechen der Volkssouveränität (anders) einzulösen – etwa mit mehr Beteiligung, Referenden und „Mini-Publics“. Ebenso wird Kritik an der mangelnden Inklusivität demokratischer Prozesse formuliert, von denen beispielsweise Armutsbetroffene oder Migrant*innengruppen ausgeschlossen sind.

Angesichts der vielfältig konstatierten Krise repräsentativer Demokratie stellt sich die Frage, wie Volkssouveränität realisiert werden sollte, um diese Krise demokratisch zu bewältigen. Die in diesem Beitrag vertretene These lautet, dass die Defizite elektoraler Demokratien nicht nur bedeuten, andere Verfahren stärken zu müssen, sondern auch, verschiedenen Gruppen als Demoi Zugang zum demokratischen Prozess zu ermöglichen. Große Teile liberaldemokratischer Gesellschaften, die faktisch diskriminiert sind, müssen sichtbar gemacht werden, um sie zu inkludieren bzw. die strukturellen Voraussetzungen des Ausschlusses zu bekämpfen. (mehr …)

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Roundtable „Is there another people?“ (Berlin)

Am 07. Juni findet an der HU Berlin ein von Rahel Jaeggi und Victor Kempf organisierter Roundtable zum Thema „Is there another people?“ statt. Diskutieren werden Andrew Arato, Jean Cohen und Oliver Marchart. Alle Interessierten sind herzlich willkommen. Die Veranstaltung beginnt um 18:00 Uhr, im Senatssaal Unter den Linden 6. Weitere Details zu Inhalt, Ort und Zeit findet ihr hier.

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Au revoir demos! – Catherine Colliot-Thélènes „Demokratie ohne Volk“

Lesenotiz zu Catherine Colliot-Thélène 2011: Demokratie ohne Volk, Hamburg: Hamburger Edition.

 

Der moderne Nationalstaat hat als einziger Garant von Rechten die Staatsbürgerschaft nationalisiert. Doch die Anzahl der Machtinstanzen, bei denen das Subjekt die Anerkennung seiner Rechte einfordern kann, ist durch den heutigen Rechtspluralismus gestiegen. Aufgrund dessen kann es für die verschiedene Gruppen schwer sein, ihre Forderungen als eine geeinte Gemeinschaft zu erheben. Oder in den Worten von Catherine Colliot-Thélène, eine französische Philosophin und Professorin an der Universität Rennes I, radikal formuliert: „Durch die Pluralisierung des kratos lässt sich der demos nicht mehr zuordnen.“ (30) Diese Transformation der Bedeutung von Demokratie stellt die Bestimmung der Figur des politischen Subjekts infrage; das zentrale Thema von Colliot-Thélènes Buch „Demokratie ohne Volk“. (mehr …)

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