Hans-Jürgen Puhle, ein Kenner der lateinamerikanischen „Volksbewegungen“, erinnerte sich vor Jahren auf einer Tagung angesichts der methodischen Schwierigkeiten einer Definition des Begriffs „Populismus“ an den amerikanischen Verfassungsrichter Potter Stewart. Dieser hatte 1963 im Fall „Jacobellis vs. Ohio“ über das Verbot eines vermeintlich pornografischen Films zu befinden, wollte aber keine konkrete Definition von „Pornografie“ vorlegen. Eine solche Begriffsbestimmung sei vielleicht auch gar nicht möglich, befand Stewart. „…but I know it when I see it“, lautete sein berühmt gewordener Zusatz, der wie ein Leitmotiv auch für die jüngsten Diskussionen über den Populismus wirkt. Der inflationär zirkulierende P-Begriff ist, so scheint es, eher eine intuitiv verwendete Kampfvokabel denn ein wissenschaftlicher Terminus. Stets wirken Populismusforscher wie Schmetterlingsjäger, die ihre – aufgrund der jeweils landestypischen politischen Vegetation höchst unterschiedliche – Beute unter Glas aufspießen und mit einem lateinischen Fachterminus klassifizieren wollen. Doch regelmäßig entzieht sich das dynamische Phänomen der starren Definition, verändert der außerordentlich lebendige Gegenstand der Untersuchung Form und Inhalt, ersetzt Personen, verwirft Programme und wirbelt traditionelle Parteienlandschaften durcheinander. (mehr …)
Autor: Richard Gebhardt
Ein politischer Wissenschaftler im „Zeitalter der Extreme“. Nachruf auf Reinhard Kühnl (1936-2014)
Wenn die Arbeiten von Reinhard Kühnl, der am 10. Februar nach langer schwerer Krankheit verstorben ist, öffentliche Erwähnung fanden, wurde sein Name meist mit einem Zusatz versehen, der heute beinahe anachronistisch klingt. Kühnl war „Faschismusforscher“, ein marxistischer zumal – und darüber hinaus nicht nur im deutschsprachigen Raum über Jahrzehnte hinweg einer der bekanntesten Vertreter seiner Zunft. (mehr …)
Doing Cultural Studies. Nachruf auf Stuart Hall (1932-2014)
Er galt als einer der wichtigsten öffentlichen Intellektuellen Großbritanniens und war in Deutschland dennoch nur einem – allerdings nicht unbedeutenden – Teil des Publikums bekannt. Stuart Hall, der am 10. Februar im Alter von 82 Jahren gestorben ist, war gerade im angelsächsischen Raum ein großer Inspirator ganzer Generationen von Kulturwissenschaftlern, für die Culture als Praxis keineswegs die kanonbeflissene Exegese der Klassiker bedeutete, sondern – mit den Worten von Raymond Williams – „a whole way of life“ darstellte. „Culture is ordinary“, diese Losung von Williams, der zusammen mit Richard Hoggart das „Centre for Contemporary Cultural Studies“ (CCCS) an der Birmingham University gründete, war ein Leitmotiv der Cultural Studies. Diese ebenso weitverzweigte wie widersprüchliche Theorierichtung wollte auch die Niederungen der vermeintlichen Trivialkultur ernst nehmen und dabei die „Kunst des Eigensinns“ (Rainer Winter) der Rezipienten betonen. Die Cultural Studies schärften den Blick auch für die kreative und widerspenstige Kraft jugendlicher Subkulturen, während in den Hörsälen mitunter noch über Schundliteratur und Kulturverfall räsoniert wurde. (mehr …)
Wehlers Logik
Kaum hatte sich der Bielefelder Sozialgeschichtler Hans-Ulrich Wehler im „Fall Sarrazin“ mit einem kleinen, in der Zeit erschienenen Essay zu Wort gemeldet, jubilierte Jürgen Kaube in der FAZ: „Es ist nicht untertrieben zu sagen, dass dieser Beitrag der Debatte eine völlig neue Wendung gibt. Sie wird die SPD in fast unlösbare Argumentationsschwierigkeiten bringen – von den nicht-lesenden Verfassungsorganen ganz zu schweigen.“ (mehr …)
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