PVS-Call Politische Psychologie

Die Politische Vierteljahresschrift bittet bis zum 31. Juli um Aufsatzvorschläge für ein Sonderheft zum Thema „Politische Psychologie: Ein interdisziplinäres Forschungsparadigma zur Erklärung politischer Phänomene“, das von Thorsten Faas, Cornelia Frank und Harald Schoen herausgegeben wird. Es gibt dabei gerade für die Politische Theorie eine Reihe von Anknüpfungspunkten. Alles Inhaltliche und Logistische zum Call nach dem Klick.


„Die Politische Psychologie befasst sich mit der Rolle psychischer Faktoren und Prozesse in der Politik. Sie analysiert ihren Einfluss auf das politische Handeln sowohl von Bürgerinnen und Bürgern als auch politischen Eliten, sei es in innerorganisatorischen oder innerstaatlichen, sei es in internationalen oder transnationalen Kontexten. Als Querschnittsthema gewinnt die Politische Psychologie für alle Teildisziplinen der Politikwissenschaft und unabhängig
von bestimmten theoretischen oder empirischen Arbeitsschwerpunkten national wie international an Relevanz. Kleinster gemeinsamer Nenner ist neben der Sensitivität für Prozesse die Betrachtung der (politischen) Persönlichkeit als zentralem moderierendem Erklärungsfaktor für individuelles politisches Verhalten. Im Anschluss an David Winter (2003) lässt sich ein vierdimensionales Persönlichkeitsmodell zu Grunde legen. Demnach umfasst
ein solches Modell vier Elemente: Kognitionen verstanden als mentale Repräsentationen (Überzeugungen, Werte und Einstellungen), Dispositionen als zeitlich und situationsübergreifend relativ stabile Charakteristika, Motivationen im Sinne von Beweg- oder Vermeidungsgründen von Handlungen auf bewusster oder unbewusster Ebene sowie den sozialen Kontext, der gerade für genuin politikwissenschaftliche Forschung (im Gegensatz zu einer rein
psychologisch orientierten Forschung) ebenfalls besondere Beachtung verdient. Mit einer solchen Herangehensweise grenzt sich die Politische Psychologie in zweifacher Hinsicht von instrumentell rationalen Erklärungsansätzen politischer Phänomene ab. Erstens hebt sich die Politische Psychologie kritisch
von Akteurs- und Entscheidungsmodellen auf Grundlage (begrenzt) instrumenteller Rationalität ab. Zweitens bezweifelt sie die Annahme einer uniformen Wirkung von Strukturen auf Akteure, weil sie diese in ihrer (politischen) Persönlichkeitsausprägung als variierend erachtet. Dabei greift die Politische Psychologie in starkem Maße auf individualpsychologische, sozialpsychologische und jüngst auch neurowissenschaftliche Erklärungsfaktoren politischer
Phänomene zurück. Damit verspricht die Politische Psychologie die Erklärung politischer Phänomene auf diversen Gebieten zu verbessern. Dies gilt für die Forschung zu politischen Eliten ebenso wie zu mass politics, wie jüngere Entwicklungen in der internationalen scientific community belegen. Auch in Deutschland zeigen sich erste Entwicklungen in dieser Richtung, allerdings ist noch ein erheblicher unausgeschöpfter Wissens- und Erkenntnistransfer
sowohl zwischen den politikwissenschaftlichen Teildisziplinen als auch zwischen den Fachdisziplinen der Politikwissenschaft und der Psychologie zu konstatieren.
Mit seinem Fokus auf dem Querschnittsthema „Politische Psychologie“ soll das Sonderheft dazu beitragen, diese Perspektive in der deutschen Fachdiskussion weiter zu verankern und bestehende Lücken zu schließen. Der Beitrag des PVS-Sonderhefts zur internationalen Fachdiskussion ist aber keineswegs nur im Sinne einer Einbahnstraße zu verstehen. Die internationale Forschung ist bislang dominiert von Arbeiten aus und zu den USA – mit der
Konsequenz, dass mögliche Kontexteffekte ignoriert werden. Dabei ist die Berücksichtigung des Kontexts gerade für die Politikwissenschaft unerlässlich, um einerseits die Befunde vor allem aus dem amerikanischen Kontext zu replizieren und zu validieren, andererseits damit Möglichkeiten zu schaffen, die Rolle und die Bedeutung des Kontexts in der politisch-psychologischen Forschung international stärker als bislang zu berücksichtigen. Einen
wichtigen Beitrag, die Kontextspezifität und -abhängigkeit zu prüfen, soll das vorgeschlagene PVS-Sonderheft leisten, das damit auch Impulse für die internationale Forschung geben kann und soll.
Gliederung
Das PVS-Sonderheft 2015 soll eine Bestandsaufnahme der politisch-psychologischen Forschung leisten und für interessierte Politikwissenschaftlerinnen und Politikwissenschaftler auch außerhalb einschlägiger Spezialistenzirkel zu einem Referenzwerk werden, damit verbunden aber auch die vielfältigen Perspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten für die Politikwissenschaft in Deutschland in diesem Themenfeld aufzeigen. Dazu muss das geplante
Sonderheft das Forschungsfeld in seiner Breite und Leistungsfähigkeit abdecken sowie einen Brückenschlag zwischen verschiedenen politikwissenschaftlichen Teildisziplinen wie auch Fachdisziplinen leisten. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Gebiete, die jeweils Bezüge zu verschiedenen politikwissenschaftlichen Teildisziplinen aufweisen:
(1) Persönlichkeit und Politik
Die Rolle der Persönlichkeit für politisches Verhalten von Eliten und Bürgern ist seit den Arbeiten zur autoritären Persönlichkeit lange vernachlässigt worden. In der Zwischenzeit findet sie dank konzeptioneller und theoretischer Innovationen verstärkte Aufmerksamkeit. In dieser Sektion soll der Beitrag von Persönlichkeitsmerkmalen im engeren und weiteren Sinne zur Erklärung politischen Verhaltens von Eliten und Bürgern betrachtet werden. Relevante
Fragestellungen beziehen sich beispielsweise auf die vergleichende Analyse von Persönlichkeit und Führungsstil von Spitzenpolitikern mit Hilfe von Profiling-Ansätzen; den Einfluss von Persönlichkeitsmerkmalen auf Rekrutierung und Handeln politischer Eliten; die differentielle Wirkung von Persönlichkeitsmerkmalen (u.a. Big Five, Big Three, persönliche Werte) auf politische Präferenzen und Verhaltensweisen von Bürgern.
(2) Emotionen, Affekte und Politik
Emotionen bildeten lange Zeit keinen Gegenstand politikwissenschaftlichen Interesses oder galten als einzuhegender, mitunter gar zu bekämpfender Faktor. Neuere theoretische und empirische Entwicklungen schreiben Emotionen hingegen eine eigenständige und nicht notwendigerweise bedenkliche Rolle für politisches Verhalten zu. In diesem Zusammenhang relevante Fragestellungen umfassen beispielsweise: konzeptionelle Analysen zum
Verhältnis von Affekten, Emotionen und Kognitionen; Untersuchungen zur Messung spezifischer Emotionen; Analysen zur Rolle von Emotionen in außen- und innenpolitischen Elitenentscheidungen; Wirkungen politischer und politisierter Ereignisse (z.B. Katastrophen, Kriege) auf die Ausprägung von Emotionen; Analysen zur Wirkung von Emotionen auf politische Urteilsbildung und Verhaltensweisen etwa im Sinne des Affective Intelligence-Modells.
(3) Psychologie politischer Führung
Bei politischer Führung handelt es sich um eine soziale Beziehung zwischen einer politischen Führungspersönlichkeit und ihren Anhängern. Dominierte in der politischen Leadership-Forschung mit dem Konzept des ‚transactional leader’ lange Zeit ein funktionales Beziehungsverständnis, so wird dieses zunehmend von der Vorstellung eines ‚transformational leader’ abgelöst. In diesem Zusammenhang rückt – neben der manifesten Beziehungsebene –
auch die latente Beziehungsebene politischer Führung vermehrt in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses. Zentrale Analysekategorien sind hierbei ‚Macht’, ‚Narzissmus’ und ‚Charisma’. Aus psychoanalytisch-sozialpsychologischer Perspektive sind in diesem Forschungsgebiet u.a. zentrale Fragen: Unter welchen Bedingungen begünstigen bzw. beeinträchtigen Narzissmus und Charisma politische Führung? Welche Typen von Führungspersönlichkeiten
bieten sich als Projektionsfläche gesellschaftlicher Sehnsüchte an? Wie lassen sich kometenhafte Aufstiege und Niedergänge politischer Führungspersönlichkeiten erklären?
(4) Politische Psychologie von Gruppen
Politische Entscheidungen werden nicht selten in Kollektiven getroffen und beziehen sich auf das Zusammenleben verschiedener Gruppen. Auf der Elitenebene befasst sich das Forschungsfeld primär mit der Funktionsweise ent3 scheidungsbefugter Gremien als Gruppen und der Konstruktion kollektiver Identitäten, auf der Bevölkerungsebene mit kollektiven Identitäten und deren Rolle für politische Urteilsbildung und Verhaltensweisen. Fragestellungen in
diesem Abschnitt beziehen sich beispielsweise auf die Rolle von Groupthink-Phänomenen in politischen Entscheidungsgremien; die Verbreitung und Charakterisierung kollektiver Identitäten (z.B. Nationalismus, Patriotismus, europäische Identität, Genderidentität, Parteiidentifikationen) auf der Bevölkerungsebene; Wirkung kollektiver Identitäten auf politisches Verhalten und Bedingungsfaktoren dieser Wirkungen.
(5) Prozesse politischer Informationsverarbeitung
Politische Prozesse basieren ganz wesentlich auf interpersoneller, massenmedialer und online vermittelter Kommunikation, in der Akteure Informationen über politisches Geschehen weitergeben oder einander mit Überzeugungsbotschaften zu beeinflussen suchen. Die so vermittelten Inhalte bilden gleichsam den Rohstoff für die Entwicklung politischer Präferenzen und politischen Verhaltens. Daher ist es für das Verständnis politischer Prozesse
von zentraler Bedeutung, diese Prozesse der politischen Kommunikation und Informationsverarbeitung zu verstehen. In diesem Abschnitt sollen Themen wie die Folgenden behandelt werden: Selbstdarstellungs- und Kommunikationsstrategien von Elitenakteuren; Bedingungsfaktoren für Wirkungen von Framing- und Primingstrategien; Rezeption und Wirkungen von Wahlwerbung; die Rolle nonverbaler Kommunikation bei politischen Persuasionsversuchen; Bedingungsfaktoren verzerrter politischer Informationsverarbeitung; Wirkungen von Visualisierungen
auf die politische Informationsverarbeitung; Rezeption und Wirksamkeit online und offline vermittelter politischer Kommunikation; Beitrag der Neurowissenschaften zur Analyse von Prozessen politischer Informationsverarbeitung.
(6) Politisch-psychologische Beiträge zur Politischen Theorie
Ansätze, Perspektiven und Erkenntnisse der Politischen Psychologie können die normative und die positive politische Theorie informieren und anregen. Im Sinne der angestrebten disziplinären Offenheit soll dieser Abschnitt genuin theoretische Beiträge versammeln, die Ansätze, Perspektiven oder Erkenntnisse der Politischen Psychologie aufgreifen oder nutzbar machen. Relevante Fragestellungen beziehen sich etwa auf Konsequenzen der psychoanalytischen
Perspektive für die normative politische Theorie sowie Implikationen empirischer Befunde der Politischen Psychologie für Akteursmodelle und Theoriebildung in der positiven politischen Theorie.

 

Zeitplan und Verfahren
Wir laden hiermit alle Interessenten ein, Abstracts für das geplante Sonderheft einzureichen und diese einem der sechs skizzierten Themenfeldern zuzuordnen. Theoretisch akzentuierte Beiträge sind dabei ebenso willkommen wie empirische; letztere können selbstredend qualitativ wie quantitativ (oder ‚mixed‘) sein. Vergleichende Papiere, die sich der Bedeutung des Kontexts für die Politische Psychologie widmen, sind besonders willkommen.
Bitte reichen Sie Ihre Abstracts bis zum 31. Juli 2013 per E-Mail an thorsten.faas@uni-mainz.de ein. Der Abstract sollte nicht mehr als 1000 Wörter umfassen und die Fragestellung, die theoretischen Grundlagen sowie ggf. die empirische Datengrundlage darlegen. Auf der Grundlage der eingegangenen Abstracts wird das Herausgeberteam in Abstimmung mit Vorstand und Beirat der DVPW das Rahmenkonzept für das Sonderheft
beschließen. Das Herausgeberteam wird auf eine adäquate Beteiligung von Frauen und von Nachwuchswissenschaftler/
innen an der Autorenschaft achten. Im Herbst 2014 wird es eine Autorenkonferenz geben, in deren Rahmen die ausgewählten Autorinnen und Autoren ihre ausgearbeiteten Beiträge vorstellen werden. Im Sinne eines Peer Reviews wird es im Vorfeld wie auch auf der Konferenz selbst Gutachter und Diskutanten geben, die die Beiträge kommentieren. Die finalen Manuskripte müssen bis Ende Januar 2015 vorliegen, damit das Heft in der zweiten Jahreshälfte 2015 erscheinen kann.“

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