Wie gelingt Lehre? Eine Lesenotiz

„Gute Lehre ist Trumpf“, hat Stefan Skupien in seiner Reflektion „Lehre politischer Theorie unter Zeitdruck: Innovative Methoden gesucht“ postuliert. Dabei verwies er auf die wachsende Zahl hochschuldidaktischer Angebote an deutschen Universitäten, die Gelegenheit zur Thematisierung des eigenen Lehrverständnisses böten und darauf zielten, den methodischen Horizont universitärer Lehre zu erweitern. Neben den Kursangeboten hochschuldidaktischer Zentren können Lehrende mittlerweile aber auch auf eine Vielzahl von Handbüchern zurückgreifen, die versprechen, praxisnahe Hilfestellungen für das Gelingen der Hochschullehre zu geben. Eines sei hier näher betrachtet: In seinem Buch „Lehren an der Hochschule“ konturiert Alexander Wörner eine hochschuldidaktische Position, die die Persönlichkeit und das Selbstverständnis der Lehrperson als Voraussetzung für gute Lehre in den Mittelpunkt stellt. Er vertritt die Auffassung, „dass sich gelungene Lehre nicht durch ‚Methoden’ machen lässt“ und erklärt der Leserin, „weshalb [s]ie als Lehrperson die (Haupt-)Voraussetzung für gelingende Lehre [ist]“ (8).

Ein ‚falsches’ Lehrverständnis als Ursache für Probleme in der Lehre

Wörner macht als eine Ursache für Probleme in der Lehre ein Lehrverständnis aus, in dem die Lehrveranstaltung im Bild eines Theaterauftritts gedacht wird: „Der Veranstaltungstitel ist der Titel des Stücks, der Stoff ist der Gegenstand, der nach Skript abgespult wird und man selbst ist in der Hauptrolle und bemüht sich, eine gute Vorstellung zu geben […]“ (23). Aus dieser Hintergrundvorstellung erwachsen nach Wörner erhebliche Hindernisse für das Gelingen der Lehre. Das größte Problem bestehe darin, dass unvorhergesehene Interventionen seitens der Studierenden als Störungen des wohlgeplanten Ablaufs erlebt und somit als Bedrohung empfunden würden. Für das Gelingen der Lehre sei es jedoch entscheidend, sich von dem psychologischen Effekt frei zu machen, dass die im Voraus vorbereitete, also geplante Lehrveranstaltung dann als erfolgreich wahrgenommen wird, wenn alles ‚nach Plan’ abgelaufen ist.

„Lehre ist nicht dann gut, wenn der Plan ‚ohne Probleme’ eingehalten werden konnte, sondern wenn sie die Teilnehmer zur Eigenaktivität anregt, wenn diese ihre Hand erheben oder spontan Einwürfe machen, wenn sich Aha-Effekte einstellen, die dem unmittelbaren Fortfahren zuwiderlaufen und zu weiteren Fragen und Klärungsbedarf führen, wenn sich eine themenbezogene Diskussion mit verschiedenen Teilnehmern da entspinnt, wo sie gar nicht vorgesehen war. Dann sind Ihre Teilnehmer nämlich dabei, dann sind sie auch geistig anwesend und haben sich das Thema zu ihrem Anliegen gemacht.“ (23)

Wörner will die Lehrsituation „als eine soziale Situation“ verstanden wissen, „in der in erster Linie Menschen miteinander interagieren“ (11). Die Beteiligten an dieser Situation sollen „keine ‚Rolle’ spielen“, sondern miteinander „in eine Beziehung treten“ (12). Um einen Zugang zu den Studierenden zu erhalten, empfiehlt er Lehrenden, „‚aus der Rolle [zu] fallen’“, d.h. „echt in ihrem Verhalten gegenüber den Studierenden“ zu sein“ (12). Dieses Plädoyer für Authentizität bewegt sich jedoch nicht jenseits sozialer Rollen, sondern beinhaltet ein sozialisatorisches Rollenverständnis im Gegensatz zu einem pädagogischen. Die Lehrende soll nicht per se aus der Rolle der Lehrenden, wohl aber der ‚Lehrerin’, der Pädagogin fallen – jedenfalls insofern, als diese Figur noch konventionell mit dem Bild einer asymmetrischen Beziehung zwischen der Wissenden und den Unwissenden, der Informationsvermittlerin und den InformationsempfängerInnen verbunden ist. Die Rolle, der sich die Lehrende nach Wörner durchaus bewusst sein soll, besteht darin, dass sie „als Vorbild, als Muster, als Prototyp des Verhaltens und Handelns im […] wissenschaftlichen Kontext“ (12) wahrgenommen werde. Dies bedeutet jedoch wiederum nicht, jegliche ‚pädagogische’ Verantwortung ganz von sich zu weisen: Der Hochschullehrende soll „Lernhelfer und Lernberater“ (18) sein. Er soll die Studierenden mit ihren Lernproblemen also nicht allein lassen, sondern sie dabei beraten und auf Anfrage hin begleiten, sie mit zielführenden Arbeitsaufträgen versorgen (vgl. 19), auf den Themenbezug der Lernaktivität achten und die Lehrziele für die jeweilige Veranstaltungseinheit kommunizieren (vgl. 22). Wichtig ist Wörner dabei, dass der Lehr-Lern-Prozess als eine „Form der Zusammenarbeit“ aufgefasst wird, bei der miteinander und voneinander gelernt wird und bei der der Lehrende als „fortgeschrittener Arbeitspartner“ wahrgenommen wird (29).

Aktivität der Studierenden als Grundprinzip guter Lehre

Gute Lehre zeichnet sich nach Wörner dadurch aus, dass sie die „themenbezogene Lernaktivität“ (15) der Studierenden fördert und „Offenheit für deren Aktivität und Anliegen“ (21) zeigt. Hinter dieser Auffassung von guter Lehre steht ein konstruktivistisches Lernverständnis. Dieses hebt auf die unterschiedlichen Vorerfahrungen, die personalisierten Wissensstrukturen ab, die die Studierenden mitbringen und vor denen sie den ‚Stoff’ jeweils unterschiedlich verstehen und einordnen. Die konstruktivistische Lehr-Lern-Theorie fokussiert auf die Lernenden. Sie geht davon aus, dass Lernen nicht von der Lehrperson ‚erzeugt’ werden kann, indem diese einen ‚Input’ liefert, sondern eine Tätigkeit der Studierenden darstellt, die durch die Lehrende nur begünstigt und angeregt werden kann (vgl. 16f., 20). Die Lernforschung bestätige, so Wörner, dass qualitativ hochwertiges Lernen dann stattfinde, „wenn sich die Lernenden Dinge selbst aneignen, selbst Frage- und Problemstellungen entwickeln, diese als relevant erkennen und selbst nach Möglichkeiten und Alternativen der Lösung suchen“ (17). Das daraus erwachsende Lehrverständnis stelle auch die Studierenden vor neue Herausforderungen, da es von ihnen verlange, dass auch sie aus ihrer Rolle (als passive RezipientInnen von Wissen) ‚fallen’ müssten (vgl. 18).

Methoden aktivierender Lehre?

Welche Methoden sollen angewandt werden, um aktives und offenes Lernen einzuüben und zu kultivieren? Gemäß seiner Haltung, eine authentische Lehrpersönlichkeit zähle mehr als „das tollste Methodenfeuerwerk“ (12), ist es nicht Wörners Anliegen, eine Fülle elaborierter Methoden darzulegen. Er ist der Auffassung, viele der ausgetüftelten Methoden der Hochschuldidaktik seien aufgrund der aufwändigen Vorbereitungszeit und der umfangreichen erforderlichen Materialien für die Lehrpraxis im alltäglichen Hochschulbetrieb eher weniger geeignet (vgl. 7). So beschränkt er sich bewusst auf die Nennung von vier Grundarbeitsformen, die in der alltäglichen Lehrpraxis für die aktivierende Lehre genutzt werden können: „die Einzelarbeit, die Partnerarbeit, die Gruppenarbeit und die Plenumsarbeit“ (19). Damit will Wörner die Lehrform des (Kurz-)Vortrags nicht gänzlich disqualifizieren – diese könne z.B. für Überblicksdarstellungen oder die Darlegung von Einzelheiten unter Umständen gewinnbringend eingesetzt werden. Es komme stets darauf an, „sich zu überlegen, welches Ziel man mit seiner Lehre verfolgt, um dann die entsprechenden zielführenden Lehrformen einzusetzen“ (19). Wörner empfiehlt, die genannten Arbeitsformen zu variieren, also nicht jede Sitzung nach dem gleichen Schema zu gestalten (vgl. 112).

Fazit

Statt einer elaborierten Methodendiskussion widmet sich Wörner nach dem programmatischen Teil zur „Lehrperson als Voraussetzung gelingender Lehre“ und den „Leitprinzipien guter Lehre“ ausführlich dem Umgang mit „schwierigen Situationen“, gibt also Tipps für die Bewältigung von Problemen wie „dem ‚Alle-sitzen-in-der-letzten-Reihe-Effekt’“, „eigenem Nicht-Wissen“, „Zeitknappheit“, „großen Gruppen“ u.v.m. Wer nach einem differenzierten ‚Methodenbaukasten’ sucht, sollte vielleicht nicht in erster Line auf Wörners „praxisbezogene Anleitung“ zurückgreifen. Für all diejenigen aber, die die Lehrpersönlichkeit und das von ihr geschaffene Lernsetting für einen wesentlichen Erfolgsfaktor guter Lehre halten und eine anregende und anschauliche Lektüre zur Reflektion dieser Aspekte suchen, sei Wörners Buch ans Herz gelegt. Lehrenden der politischen Theorie kommt das darin konturierte Verständnis von guter Lehre als aktivierender Lehre insofern entgegen, als sich Lernfortschritt in der politischen Theorie wie auf kaum einem anderen Fachgebiet vor allem durch die aktive, eigenständige Auseinandersetzung der Studierenden mit dem ‚Stoff’ und die damit einhergehende Herausforderung ihrer persönlichen Wissens- und Denkstrukturen einstellt.

 

Besprochene Literatur:
Wörner, Alexander (2008): Lehren an der Hochschule. Eine praxisbezogene Anleitung, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. 132 Seiten, 29,95 €.

3 Kommentare zu “Wie gelingt Lehre? Eine Lesenotiz

  1. Liebe Ulrike,

    vielen Dank für Deinen Beitrag. Im Folgenden möchte ich kurz auf zwei Punkte eingehen, die ich an Wörners „Anleitung“ kritisiere.
    Zunächst einmal lohnt es sich, das von Wörner konstruierte Gegenbild einer Lehrveranstaltung als Theater aufzugreifen und kritisch unter die Lupe nehmen. Wer würde Wörner widersprechen, dass man als Lehrende(r) flexibel auf die Bedürfnisse und Einwürfe seiner Studierenden reagieren muss und nicht einfach seinen Lehrplan abspulen sollte? Aber ich finde Wörner konstruiert hier einen straw man. Denn die Theater-Metapher drückt auch Vieles aus, was es als Lehrende(r) zu beachten gilt: sich als Person zurückzunehmen/nicht zu wichtig zu nehmen (wozu auch gehört, Kritik ernst zu nehmen); sich bewusst zu sein, dass man eine Rolle verantwortungsvoll ausführt; in Diskussionen, den advocatus diaboli zu mimen, um Gegenpositionen deutlich zu machen, usw. All das kann mit der Theater-Metapher nach meiner Einschätzung sehr schön verdeutlicht werden– deutlicher jedenfalls als es bei Wörner zum Ausdruck kommt.
    Zum anderen finde ich, dass abstrakte Diskussionen über „die Lehre“ selten fruchtbare Ergebnisse hervorbringen. Sinnvoller scheint es mir, Lehre Kontext-spezifisch zu diskutieren, d.h. in Bezug auf das Fach, dessen Lehre man verbessern möchte– in unserem Fall die Politische Theorie. Manches von dem, was ich mit dem ersten Punkt bereits erwähnt habe (siehe advocatus diaboli) spielt in Fächern wie der Politischen Theorie und der Philosophie eine größere Rolle als z.B. in der Soziologie. Auf Wörners Anleitung übertragen hieße dies, dass an lehrende Politischen Theoretiker andere Anforderungen zu stellen sind als an unterrichtende Soziologen; so jedenfalls könnte man es etwas holzschnittartig formulieren. Wie genau diese anderen Anforderungen zu bestimmen sind– eine nach meiner Einschätzung zentrale Frage– müssen wir wohl ohne Bezug auf Wörner diskutieren. Denn hier liefert sein Modell nach dem Motto „Wie werde ich der Lehrer, der ich schon immer sein wollte?“ keine Antworten.

  2. Lieber Jens,

    danke für Deinen Kommentar. Zu Deinem ersten Punkt: Ich halte Wörners Bild des Theaterauftritts als einer problematischen Hintergrundvorstellung bzgl. der Lehre eher für treffend, weil es (jedenfalls bei mir) zunächst die Assoziation hervorruft, (a) dass einer da vorne im Rampenlicht steht und „was macht“ während ein passives Publikum ihm dabei zuschaut und (b) dass „der da vorne“ in Wirklichkeit nicht der ist, der er auf der Bühne vorgibt zu sein. Beides ist bzgl. der Lehrsituation laut Wörner und auch aus meiner Sicht problematisch, weil es (a) das Ziel sein sollte, gemeinsam in der Lerngruppe aktiv etwas zu erarbeiten und (b) die Chance auf echte Verständigung und Diskussion höher ist, wenn die Studierenden das Gefühl haben, mit dem „echten“ Menschen zu sprechen und nicht mit der Figur, die der Schauspieler bzw. die Dozentin verkörpert. Auch wenn Du den advocatus diaboli ‚mimst’, kannst Du dies entweder im Habitus des „fortgeschrittenen Arbeitspartners“ oder dem des „allwissenden Lehrers“ tun. Es mag sein, dass das Theaterbild in der einen oder anderen Weise auch so gewendet werden kann, dass es nicht als Kontrastfolie, sondern im Gegenteil als Modell für die Erläuterung von Wörners Lehrverständnis herangezogen werden kann, für mich ist das aber eher kontraintuitiv. Des Weiteren glaube ich dass das, was Du als Wörners „Strohmann“ bezeichnest, bei ihm weniger auf real existierende Überzeugungen von guter Lehre abzielt, von denen er sich absetzen wollen würde, sondern vielmehr auf tiefsitzende, weitgehend unbewusste Vorstellungen davon, was es mit sich bringt, eine ‚Lehrerin/Dozentin’ zu sein, die er uns als Lehrenden bewusst zu reflektieren und zu überwinden helfen will.
    Was Deinen zweiten Punkt angeht: Ich finde nicht, dass es mehr oder weniger ‚sinnlos’ ist, einen nicht fachspezifischen Ratgeber zum Thema Lehre zu schreiben. Dies rührt schlicht daher, dass ich aus Wörners Buch einiges für mich mitnehmen konnte – trotz der Tatsache, dass es nicht speziell auf Lehre im Bereich politische Theorie zugeschnitten ist. Ich würde Dir aber zustimmen, dass es interessant und gewinnbringend sein könnte, wenn die Hochschuldidaktik auch mal ein Buch hervorbringen würde, das die fachlichen Spezifika der politischen Theorie berücksichtigen würde (natürlich mit dem Teilkapitel: „So mimen Sie einen fulminanten advocatus diaboli“ 😉 ).

  3. Liebe Ulrike,

    danke für Deine Antwort auf meinen Kommentar, die mich am Ende lauthals lachen ließ.
    Über das, was Du unter a) und b) ansprichst, bin ich etwas leichtfertig hinweg gegangen, indem ich eine rhetorische Frage gestellt habe. Nicht weil ich Dir nicht zustimmen würde und diese Assoziationen bei der Theatermetapher nicht auch hätte, sondern weil ich herausstreichen wollte, warum ich in „Lehrende als Schauspieler“ nicht das starke Gegenbild zu „guten“ Lehrenden erkennen kann, wie Wörner es zeichnet. All das soll aber, wie gesagt, nicht in Abrede stellen, dass ich die Lernsituation wie Du sie skizziert hast für optimal halte. Allerdings würde ich etwas ketzerisch bezweifeln (advocatus diaboli), ob man aus der Sicht der Studenten wirklich zwischen dem „echten“ Menschen und der „gespielten“ Dozentenrolle unterscheiden kann oder muss. Solange man sich aktiv eingebunden fühlt, beim Lehrenden die Leidenschaft für das Fach vorhanden ist und diese erfolgreich kommuniziert wird, sind für mich (und wohl auch für die „Qualität von Lehre“ an sich) Fragen von Authentizität oder Show eher sekundär.
    Und abschließend: das Lehrbuch für „die“ Politische Theorie, sollte es eines Tages geschrieben werden und ein peer-review-Verfahren überstehen, würde sicher für einigen Diskussionsstoff sorgen. In der heutigen akademischen Landschaft, wo Lehre eher als „Abfallprodukt“ der Forschung oder notwendiges Übel gesehen wird und es– unverständlicherweise– keine Ausbildung für Dozenten gibt, die jedenfalls in Teilen mit dem pädagogischen Segment eines Lehramtsstudiums vergleichbar wäre, sehe ich ein solches Buch jedoch in absehbarer Zeit nicht in unserem fachspezifischen Bücherregal.

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