theorieblog.de | “Implizite Vorurteile beseitigen”: Der langsame Aufstieg der Frauen in der Philosophie

21. April 2016, Hohl

Frauen sind in der Philosophie nach wie vor untervertreten, insbesondere auf der Stufe der Professuren. In jüngster Zeit gibt es für dieses Problem eine zunehmende Aufmerksamkeit, nicht zuletzt durch die Arbeit der SWIP, Society for Women in Philosophy Germany. Aber auch anderenorts laufen Programme, die die Förderung und Vernetzung des weiblichen Nachwuchses in der Philosophie vorantreiben sollen. Die Universität Basel bietet neu als Pilotprojekt eine „Fellowship“ an, die Wissenschaftlerinnen den Übergang von der späten Postdocphase zur Professur erleichtern soll. Zwei der InitiatorInnen und die erste Inhaberin der Fellowship äußern sich zur Situation der Frauen in der Philosophie und formulieren Ideen, wie sich die Frauenförderung in der Philosophie verbessern ließe.

Der folgende Text erscheint zeitgleich in den Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Philosophie. Er führt eine Diskussion fort, die wir in der Vergangenheit unter anderem hier und hier geführt haben.

Der Frauenanteil bei den Philosophieprofessuren hat in Deutschland in den letzten zehn Jahren von ungefähr 10% auf ca. 20% zugenommen. (Alle in diesem Abschnitt genannten Zahlen stammen aus dem Bericht “Personal an Hochschulen” des Statistischen Bundesamts der online für die Jahre 2005 bis 2014 verfügbar ist. Die Angaben zu den Professuren im Jahr 2014 finden sich auf den S. 94f. Die Prozentsätze wurden durch die Autorin errechnet.) Dies ist im Vergleich zu den anderen geisteswissenschaftlichen Fächern ein immer noch geringer Anteil: In der Germanistik waren 2014 in Deutschland 44% der ProfessorInnen Frauen, in der Psychologie 37%. Der Durchschnitt aller sprach- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen lag ebenfalls bei knapp 37%. Zum Vergleich: In der Mathematik waren 2014 knapp 15% der Professuren in Deutschland von Frauen besetzt, in der Physik nur 11%. Die Philosophie liegt bezüglich des Frauenanteils bei den Professuren also vor den exakten Wissenschaften, jedoch deutlich hinter den meisten geisteswissenschaftlichen Fächern.

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Äußere und innere Hindernisse

Warum gibt es gerade in der Philosophie so wenige Frauen? Ein Stichwort fällt hier immer wieder: der fachspezifische Diskussionsstil, der schon in einem sehr frühen Stadium der Karriere – nämlich bereits im Studium – auf Frauen abschreckend wirken kann. “Männliche Teilnehmer dominieren sehr häufig die Diskussion: Sie melden sich als erste, werfen große Namen und Theorien in den Raum und lenken das Gespräch in eine bestimmte Richtung”, sagt Susanne Schmetkamp, Postdoc am Fachbereich Philosophie der Universität Basel und Fellow am IKKM in Weimar. Sie hat die Fellowship gemeinsam mit ihrer Kollegin Miriam Fischer-Geboers im Rahmen eines schweizweiten „Aktionsplan Chancengleichheit“ ins Leben gerufen. Als Lehrende in vielen Seminaren, aber auch als Teilnehmerin auf Konferenzen hat Schmetkamp häufig die Erfahrung der Dominanz und Profilierung männlicher Philosophen gemacht. Markus Wild, Professor für Theoretische Philosophie in Basel und Unterstützer des Fellowship-Projektes, ergänzt, dass der Diskussionsstil vieler Männer – entgegen der Eigenwahrnehmung – oft nicht besonders sachlich sei. Vielmehr werde von männlichen Philosophen oft Wert auf saloppen Witz gelegt und auch gerne polemisiert – ein Stil, der bei Frauen eher nicht akzeptiert werde und so ausschließend wirke. Umgekehrt, so Schmetkamp, pochten gerade Männer gegenüber Frauen auf “logische Argumente” und weckten damit den Eindruck, dass den Frauen die Fähigkeit zum logischen Denken fehle.

Zudem ist die Ansicht verbreitet, gutes Philosophieren sei im Wesentlichen eine Frage des Talents. Frauen sind in denjenigen wissenschaftlichen Disziplinen untervertreten, in denen besonders stark an die Notwendigkeit eines angeborenen Talents geglaubt wird, da ihnen ein solches seltener zugesprochen wird. Dieser Glaube ist einer vor kurzem veröffentlichten Studie zufolge in der Philosophie besonders stark ausgeprägt.

Ein ebenso wiederholt bemängeltes Problem, das auch Wild und Schmetkamp ansprechen, ist der Kanon der rezipierten Philosophen in den Seminaren sowie die Repräsentation der Philosophie in Institutskolloqiuen, bei öffentlichen Veranstaltungen oder auf Fachtagungen: In vielen Seminaren werden vor allem Texte von männlichen Autoren gelesen: Platon, Aristoteles, Kant, Hegel, Heidegger, Wittgenstein etc. Die großen Kaliber der Philosophie sind Männer, so die herrschende Überzeugung. Philosophinnen sind kaum bekannt oder werden als nicht relevant genug eingestuft. Dieser Glaube setze sich bis in die Gegenwart fort, krisitiert Schmetkamp, indem Tagungen, Workshops oder Vorträge an den Universitäten ebenfalls zu großen Teilen von Männern besetzt seien.

Damit wird auch den Studierenden ein bestimmtes Bild von Gegenwartsphilosophie vermittelt, und es setzt sich die Assoziation von Philosophie mit Männlichkeit fort, was sich auf die Selbstwahrnehmung vor allem von Frauen in der Philosophie negativ auswirkt. Die aktuelle Inhaberin der Basler “Gender Fellowship Philosophische Ästhetik”, Marita Tatari, sagt: “Viele Philosophinnen müssen aufgrund der männlichen Dominanz im Fach große innere Widerstände überwinden, um weiterzukämpfen und nicht aufzugeben, darin liegt eine der größten Schwierigkeiten.” Tatari hat kürzlich ihre Habilitation an der Universität Bochum eingereicht und forscht nun für vier Monate am Fachbereich Philosophie in Basel zur „Autonomie der Kunst unter technologischen Bedingungen“.

Mehr Sichtbarkeit, mehr explizite Qualitätsstandards

Wie könnte die Förderung von Frauen in der Philosophie verbessert werden? “Gerade männliche Professoren sollten darauf achten, eine Frauenquote bei der Auswahl von MitarbeiterInnen einzuhalten“, sagt Markus Wild. Dies bedeute nicht – wie oft befürchtet werde – das Geschlecht zum alleinigen Auswahlkriterium zu machen: “Wir wissen ja, dass implizit das Geschlecht bei Auswahlprozessen eine Rolle spielt. Wenn wir aktiv darüber nachdenken, dann wird dies bloß explizit gemacht. Wer ‚zufällig’ immer männliche Assistenten einstellt oder nur Männer zu Konferenzen einlädt, der verhält sich auch nicht geschlechtsneutral.” Wild schlägt zudem vor, auch für die Besetzung von Mittelbaustellen Kommissionen zu bilden, um zu verhindern, dass implizite Vorurteile einer einzelnen Person den Prozess zu sehr beeinflussen können: “Es ist für die Frauenförderung vorteilhaft, wenn Qualitätsstandards explizit formuliert werden und die Abhängigkeit vom Urteil einzelner Personen reduziert wird – der Effekt impliziter Vorurteile wird so verringert.”

Wie überall in der Wissenschaft ist auch in der Philosophie die Familiengründung oft ein zusätzlicher Grund, dass sich Frauen gegen eine akademische Karriere entscheiden: Letztere ist zwar einerseits sehr flexibel, was Arbeitszeiten und die Anwesenheit am Arbeitsplatz betrifft. Andererseits erfordert die akademische Laufbahn aber auch eine möglichst große Präsenz und Mobilität. “Die Erfordernisse bezüglich internationaler Vernetzung, Erfahrung an verschiedenen Institutionen, Präsenz auf Konferenzen sowie der Zahl von Publikationen in high-impact journals nehmen zu”, so Schmetkamp, die wie Tatari Mutter ist. Da könne man mit Familie nicht immer mithalten.

Ein weiterer familienunverträglicher Aspekt betrifft laut Schmetkamp die Drittmittel und Fellowships: Sie seien nicht selten an Bedingungen gebunden, die Eltern Steine in den Weg legen: “Es gibt viele Förderungen, für die man sich bis spätestens drei bis fünf Jahre nach Abschluss der Promotion bewerben muss. Genau in diese Zeit fällt aber häufig auch die Familiengründung. Währenddessen muss die Arbeit an der eigenen Forschung oft etwas zurückgestellt werden. Manchmal wird bei Förderungen für die Zeit der Kinderbetreuungspflichten zwar ein Jahr vom akademischen Alter abgezogen. Das ist aber in vielen Fällen nicht explizit ausgeschrieben, sondern man muss diese Ausnahme erfragen. Das kann demütigend sein.” Schmetkamp schlägt vor, Begrenzungen bezüglich des akademischen Alters wenn immer möglich aufzuheben, um so einen Auschluss von eigentlich geeigneten Kandidatinnen zu vermeiden. Bei der Vergabe der “Gender Fellowship” gibt es keine Grenze des akademischen Alters, und es können sich auch Frauen bewerben, die aktuell keine Stelle innehaben.

Tatari und Wild betonen zudem die Wichtigkeit von Vernetzungsmöglichkeiten für Frauen: “In der Phase vor und nach Abschluss der Habilitiation ist Sichtbarkeit ein entscheidender Faktor”, sagt Tatari. Sie nutzt ihren Aufenthalt deshalb auch zur Vernetzung und zur Verstärkung der eigenen Visibilität in der Philosophie, Medienwissenschaft und Kunstwissenschaft. Dies bestätigt Wild: “In Berufungsverfahren spielt es oft eine Rolle, ob eine Bewerberin oder ein Bewerber den Kommissionsmitgliedern bereits bekannt ist.” Hier soll die “Gender Fellowship Ästhetik” ebenfalls einen Beitrag leisten, indem sie fortgeschrittenen Postdocs und frisch habilitierten Philosophinnen eine Möglichkeit gibt, ihre Forschung bekannter zu machen. Es ist eine Fortsetzung des Fellowship-Projektes geplant, die Arbeiten dazu laufen gerade.

Dr. des. Sabine Hohl ist Universitätsassistentin am Arbeitsbereich Politische Philosophie an der Karl-Franzens-Universität Graz. Sie forscht zum Thema Familie und Gerechtigkeit.


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