Tagungsbericht: Freundlich streiten unter Feinden. (Un)demokratische Debattenkultur – ein Tagungsbericht aus Regensburg

Dieser Tagungsbericht erscheint parallel auf dem Philosophieblog praefaktisch.

Die diskursive Aushandlung von Meinungs- und Interessenkonflikten gilt zu Recht als Lebenselixier der Demokratie. Wie öffentliche Diskussionen geführt werden sollten und ob ihre Qualität ein Indikator für die Gesundheit einer Demokratie ist, steht indessen zur Debatte. Denn die vielerorts gestellte Diagnose einer demokratischen Krise oder gar einer demokratischen Regression betrifft, neben der institutionellen Ebene, auch Sprach- und Kommunikationspraktiken.

Die Stichworte der üblichen Verfalldiagnose der Gesprächs- und Debattenkultur in den sogenannten konsolidierten europäischen Demokratien – Polarisierung der Inhalte, Desinteresse am Wahrheitsgehalt, Aggressivität, hetzerische Wortwahl – weisen auf eine Verschiebung der Grenzwerte in Richtung steigender Feindseligkeit hin, die auch deshalb viele beunruhigt, weil sie sich allmählich zum Standard öffentlicher Kommunikation etabliert.

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Zurück in die Zukunft, nach Griechenland: Castoriadis und der ‚Keim‘ des alten Athen

Die politische Geschichte des alten Griechenlands zu erzählen war für den Philosophen Cornelius Castoriadis (1922-1997) kein Selbstzweck. Sein Interesse galt der Antike vielmehr als Ressource für eine kritische Diagnose der Gegenwart: einer Zeit, die von liberalen repräsentativen Demokratien im Bann gehalten wird, hinter denen sich in Wahrheit ‚maskierte Oligarchien‘ verbergen, und in denen das ‚Projekt der Autonomie‘ im Niedergang begriffen ist. Für Castoriadis enthält die griechische Vergangenheit hingegen ‚Anhaltspunkte der Möglichkeit‘, die er als unzeitgemäß ansah – ganz im Sinne dessen, was Nietzsche darunter verstand:

„Ich wüßte nicht, was die klassische Philologie in unserer Zeit für einen Sinn hätte, wenn nicht den, in ihr unzeitgemäß – das heißt gegen die Zeit und dadurch auf die Zeit und hoffentlich zugunsten einer kommenden Zeit – zu wirken.” (Nietzsche, Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben)

Gegen jede Sakralisierung der Vergangenheit identifiziert Castoriadis in der griechischen Kultur die Fähigkeit, „sich selbst in Frage zu stellen, indem man sich mit anderen Kulturen und anderen Gesellschaften vergleicht“. Das antike Griechenland zu betrachten, heißt gleichsam, „sich zu fragen, wie, unter welchen Bedingungen, auf welchen Wegen die menschliche Gesellschaft sich in einem bestimmten Fall als fähig erwiesen hat, mit jener Schließung (clôture) zu brechen, dank derer die Gesellschaft allgemein überhaupt erst existiert“ (Castoriadis 1986: 262f.).

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