Zur sozio-politischen Bedeutung der „(Un)Sichtbarkeit“ (Tagungsbericht) 

Verschiedene Politische Theorien referieren ein Vokabular, das auf das menschliche Sehvermögen, Visualität, Sichtbarkeit oder die räumliche Erscheinung setzt. Bei Hannah Arendt sind Politik und das öffentliche Miteinander als „Raum des Erscheinens“ gefasst. Claude Lefort spricht von der „doppelten Bewegung des Erscheinens und Verbergens“, in der sich soziale Verhältnisse instituieren. Und auch Jacques Rancière umschreibt die Institution gesellschaftlicher Ordnung in Bezug darauf, wie sich die „Verteilung der einzelnen Teile im Augenschein der sichtbaren Welt bestimmt.“ Diese Sprechweisen setzen alle voraus, dass Visualität als sozio-politische Kategorie von höchster Relevanz ist. 

Doch weshalb überhaupt kommt der „Sichtbarkeit“ bzw. „Unsichtbarkeit“ innerhalb sozio-politischer Fragestellung ein derartiges Gewicht zu? Und was bedeutet es in Folge für eine kritische politische Philosophie, über Fragen der sozialen Gerechtigkeit und demokratischen Partizipation auf Basis der Kategorie der Sichtbarkeit bzw. Unsichtbarkeit nachzudenken? Die von Michael Räber, Krystina Schaub und Martin Beckstein an der Universität Zürich organisierte Tagung „(In)Visibility: The aesthetic dimension of political participation“ widmete sich vom 30. Juni bis zum 02. Juli 2022 aus Perspektive unterschiedlicher Disziplinen dem ästhetisch-politischen Zusammenhang der „(Un)Sichtbarkeit“. 

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Mehr Fortschrittskritik wagen? Tagungsbericht zur Summer School „Natur und Fortschritt“

Mit dem Motto „Mehr Fortschritt wagen“ setzt die aktuelle Ampelregierung auf einen Begriff, den aktuelle philosophische und soziologische Gegenwartsdiagnosen unter dem Eindruck verschiedener globaler Notstände und der sich zuspitzenden Klimakrise vermehrt infrage stellen. „Vom Ende der Illusionen“ und von Anpassung als Paradigma kommender Gesellschaften wird dann gesprochen, während monatlich neue Filme und Serien zu Apokalypsen oder Post-Apokalypsen erscheinen und auf Instagram Prepping-Produkte wie Notfallbatterien und Wasserreinigungstabletten beworben werden.

Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung, „Natur und Fortschritt“ ins Zentrum einer Summer School zu stellen – gemeinsam ausgerichtet vom Centre Marc Bloch (CMB), dem Frankfurter Institut für Sozialforschung und dem Institut für Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main – so zeitgemäß wie herausfordernd. Rund 30 junge Wissenschaftler*innen aus vorwiegend geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen folgten der Einladung, im CMB in Berlin Ende September für vier Tage durch eine kritische Inventur des aktuellen Begriffsbestecks rund um ‚Natur‘ und ‚Fortschritt‘ die vielfältigen und mitunter auch widersprüchlichen Verhältnisse zwischen den Begriffen auszuloten und so die Handlungsfähigkeit von Sozialtheorie zu erproben. Es sollte ein „Überblick über die aktuellen Diskussionen zwischen Philosophie und Sozialwissenschaften sowie feministischen, ökologischen und antirassistischen Studien zu diesen Themen“ erfolgen, so die Ankündigung des siebenköpfigen Organisationsteams. (mehr …)

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Die zweite Geige zum Solo. Ein Bericht über die Wuppertaler Friedrich-Engels-Konferenz

An der Bergischen Universität Wuppertal haben vom 19. bis 21. Februar 2020 Forscher*innen aus fast aller Welt zusammengefunden, um den in Barmen (heute ein Wuppertaler Stadtteil) geborenen Friedrich Engels anlässlich seines 200. Geburtstags mit einer Konferenz unter der Überschrift „Die Aktualität eines Klassikers“ zu würdigen. Galt es im realsozialistischen Osten für sakrosankt, dass Marx und Engels eine identische Lehre vertreten hätten, wurde Engels vom westlichen Marxismus gern als der bad guy auserkoren, der durch seine Popularisierungen Marx verflacht und dem Staatssozialismus die Tür geöffnet habe; ein Verständnis, das heute dominiert. Engels selbst stellte sich als Sidekick von Marx, als „zweite Violine“ vor. Es ist zu begrüßen, dass die Organisatoren der Konferenz danach fragen wollten, worin der eigenständige Beitrag von Engels zu sehen ist und ob er der heutigen Welt noch etwas zu sagen hat. Engels’ Vielseitigkeit ist bereits durch das Konferenzprogramm deutlich geworden. Weil seinem Denken zu Ökonomie, Staat, Nation, Geschlecht, Klasse und Literatur in teilweise vier parallelen Panels nachgegangen wurde, können die folgenden Eindrücke keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. (mehr …)

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Auf der Baustelle der Repräsentation. Ein Tagungsbericht aus Duisburg

Demokratische Repräsentation konstruktivistisch zu denken, bedeutet sowohl die natürliche Gegebenheit des zu repräsentierenden Demos zu hinterfragen als auch anzuerkennen, dass so etwas wie eine neutrale Abbildung desselben unmöglich ist. Gleichzeitig bleibt die repräsentative Form für heutige Gesellschaften essentiell, da vollständige Selbstvertretung im modernen politischen System kaum durchführbar ist. Wie können wir unter diesen Voraussetzungen demokratische Repräsentation verstehen, ohne in eine Renaturalisierung des sogenannten Volkes zurückzufallen oder Präsentismus als notwendige Konsequenz von Repräsentationskritik zu sehen? Um diesen Fragenkomplex drehte sich die Tagung „Die Fabrikation von Demokratie: Baustellen performativer politischer Repräsentation“, die am 5. und 6. Dezember an der Universität Duisburg-Essen stattfand und von Renate Martinsen (Duisburg-Essen) vom Arbeitskreis „Konstruktivistische Theorien der Politik“ und Jan-Peter Voß (Berlin) vom Arbeitskreis „Politik, Wissenschaft und Technik“ organisiert wurde. (mehr …)

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Strategie und Methodik: Zum Verhältnis von Politischer Theorie und Politischer Philosophie (Bericht zur Hamburger Sektionstagung)

Politische Theorie ist die Verkörperung von Interdisziplinarität. Formal und inhaltlich zur Politikwissenschaft zugehörig, gibt es doch erhebliche Schnittmengen mit anderen Disziplinen, vielleicht in herausgehobener Weise mit der Politischen Philosophie. Was folgt aus dieser Nähe? Wie sollte sich die (Teil-)Disziplin der Politischen Theorie und Ideengeschichte strategisch und methodisch im Verhältnis zur Politischen Philosophie positionieren? Diese selbstreflexiven Fragen der Disziplin gewinnen an Dringlichkeit vor dem Hintergrund möglicherweise anhaltender Marginalisierungstendenzen der Politischen Theorie innerhalb der deutschen Politikwissenschaft.

Unter dem Titel Politische Theorie und Politische Philosophie in Wissenschaft und Öffentlichkeit fand vom 17. bis 19. September 2019 die Herbsttagung der Sektion für Politische Theorie und Ideengeschichte in der DVPW an der Universität Hamburg statt. OrganisatorInnen waren Peter Niesen und Svenja Ahlhaus sowie mitwirkend Matthew Braham (allesamt Hamburg) und Stefan Gosepath (Berlin). Den einleitenden Worten Niesens zufolge sollte die Tagung eine Bestandsaufnahme der an Universitäten und Forschungsinstituten institutionalisierten Politischen Theorie in Deutschland zwischen Abgrenzung und Nähe zur Politischen Philosophie leisten und damit einen inhaltlichen und strategischen Reflexionsprozess anstoßen. Dies geschehe vor dem Hintergrund, dass seit den 1990er Jahren über philosophische Zugänge etwa im Bereich der Demokratie- und Gerechtigkeitstheorie Anknüpfungen an den internationalen Forschungsdiskurs stattgefunden hätten. Dies wiederum habe die internationale Wettbewerbsfähigkeit erhöht und damit den schleichenden Niedergang der Politischen Theorie verhindert, aber auch die Frage nach disziplinärer Zugehörigkeit der Politischen Theorie neu aufgeworfen. (mehr …)

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DVPW 2018: Neue Antworten auf neue Herausforderungen – Perspektiven auf Innovationen demokratischer Praxis

Heute folgt Teil zwei unserer DVPW-Kongressberichtsreihe. Nachdem Tobias Adler-Bartels über die neuen Herausforderungen liberaler Demokratien berichtet hat, nimmt Manon Westphal die Debatte über demokratische Innovationen in den Blick. Am kommenden Dienstag setzen wir die Reihe fort – mit einem Bericht über die Rolle sozialer Bewegungen.

Wenn in diesen Zeiten nach den Grenzen der Demokratie gefragt wird, wundert es nicht, dass die Debatten beim Thema Rechtspopulismus zusammenlaufen. Der Rechtspopulismus thematisiert die Grenzen der Demokratie in vielerlei Hinsicht. Er besteht auf Grenzen (zum Beispiel, wenn es um die Begrenzung von Migration geht), er behauptet Grenzen (etwa jene einer angeblichen ‚Leitkultur‘), er beklagt Grenzen (die der in seinen Augen von political correctness belastete öffentliche Diskurs zieht). Er lässt aber auch die Frage nach den Grenzen etablierter Verständnisse von Demokratie und eingespielter demokratischer Praxen virulent werden. Dabei ist nicht entscheidend, ob in der Art und Weise, wie demokratische Politik lange Zeit funktioniert hat, eine Teilerklärung für die aktuelle Erfolgsgeschichte des Rechtspopulismus gesehen wird. Allein der Umstand, dass diese Entwicklung liberale Demokratien vor eine neuartige Herausforderung stellt, macht es erforderlich, dass bei der Suche nach Antworten auf den Rechtspopulismus auch die gegenwärtige demokratische Praxis und das analytische Instrumentarium der Politikwissenschaft kritisch auf ihre Grenzen hin befragt werden. Eine Reihe von Panels und Podiumsdiskussionen des diesjährigen DVPW-Kongresses nahmen sich dieser Herausforderung an. (mehr …)

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Zwischen Nachruf und Liebeserklärung – Tagungsbericht zu „Emanzipation“ (Berlin, 25.-27. Mai 2018)

Was ist Emanzipation? Was meint der Begriff heute? Und was sind die Voraussetzungen für und Folgen von kollektiven Emanzipationsbewegungen? Diese und eng damit verknüpfte Fragen wurden vom 25. bis 27. Mai anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Mai 1968 auf der sozialphilosophischen Tagung Emanzipation in Berlin diskutiert. Die InitiatorInnen – Rahel Jaeggi, Kristina Lepold, Sabine Hark und Thomas Seibert – setzten die Konferenz im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung dabei ausdrücklich in engen Bezug zum Zeitgeist des Mai 1968. Die Debatte darum, ob dieser als letzter großer emanzipatorischer Aufbruch der jüngeren Zeitgeschichte oder als für Gegenwart und Zukunft untauglich zu bewerten sei, avancierte im Laufe der Tagung zu einer der Leitdifferenzen. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund war es – ausgesprochen ambitioniertes – Ziel der Tagung, den Emanzipationsbegriff in insgesamt drei Plenarveranstaltungen und zwölf Kolloquien in all seinen Facetten zu beleuchten, zu erfassen und diese fruchtbar zusammenzuführen. (mehr …)

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Philosophie und Sonderpädagogik im Gespräch mit Martha Nussbaum. Bericht über den Würzburger Workshop „Menschliche Fähigkeiten & Komplexe Behinderungen“

Auch wenn Interdisziplinarität in der wissenschaftlichen Welt derzeit hoch im Kurs steht, ist ein Austausch von Philosophie und Sonderpädagogik selten. Zwei Lehrstühle der Universität Würzburg (Jörn Müller, Philosophie und Reinhard Lelgemann, Sonderpädagogik) haben auf dieses Desiderat reagiert und die beiden Disziplinen über den capabilities approach von Martha Nussbaum in einen inhaltlichen Austausch gebracht. (mehr …)

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Kritik als Experiment und Präfiguration. Tagungsbericht „Foucault Revisited“ (Wien)

Anlässlich des neunzigsten Geburtstages Michel Foucaults fand am 4. und 5. November 2016 die Tagung ‚Foucault Revisited‘ in Wien statt. Zu der interdiziplinären Bestandsaufnahme der Foucaultforschung luden Renate Martinsen und Oliver Marchart von den Lehrstühlen für Politische Theorie in Duisburg-Essen und Wien ein. Im Zentrum der Tage standen auf der einen Seite theoretische Fragen nach den Begriffen Freiheit, Widerstand, Macht, Kritik und Selbstverhältnissen im Werk Foucaults. Auf der anderen Seite wurden aktuelle Anwendungen der Theorie Foucaults auf beispielsweise die Asylpolitik oder die digitale Kontrollgesellschaft diskutiert. (mehr …)

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Kein „Dampfbad des Volksempfindens“. Bericht zur Tagung „Liberalismus – Traditionen, Konstellationen, Ausblicke“ (LMU München, 16.–18. März 2016)

Das „21. Jahrhundert“, so die Prognose des Ideenhistorikers Panajotis Kondylis, wird „die Abschaffung des Liberalismus bedeuten.“ Die Äußerung gewinnt an Geltung. Gerade in einer Zeit, in der das Liberale im „Dampfbad des Volksempfindens“ (Dahrendorf) zu versiegen droht; in der Menschen wieder nach Heimat und nationalem Zusammenhalt begehren; in der die Sehnsucht nach der homogenen Gemeinschaft Einzug hält – dem, was Émile Durkheim „mechanische Solidarität“ nannte – und in der mit Nationalfahnen nicht nur Fußballfröhlichkeit, sondern Fremdenfeindlichkeit demonstriert wird.

Möglicherweise war es eine derartige Impression, aus der heraus es den Veranstaltern Karsten Fischer (LMU München) und Sebastian Huhnholz (LMU München) geboten schien, zum Thema Liberalismus – Traditionen, Konstellationen, Ausblicke einzuladen. (mehr …)

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