Die „realistische Utopie“ der Menschenrechte. Zum 75. Geburtstag einer nie alternden Hoffnung

Als die Vereinten Nationen vor 75 Jahren die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedeten, lag darin eine große Hoffnung und ein Versprechen: Die Hoffnung darauf, dass sich Gräueltaten wie jene in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in denen in zwei Weltkriegen und unter den totalitären Regimes des Nationalsozialismus und Stalinismus Menschen zur bloßen Verfügungsmasse staatlicher Herrschaft degradiert wurden, nie wieder ereignen sollten. Und das Versprechen, dass ein transnationaler Menschenrechtspakt und die Formulierung grundlegender freiheitlicher, bürgerlicher und sozialer Rechte die Unantastbarkeit jeder Person gegen nationalstaatliche Willkür und die Eingriffe Dritter wirksam schützen würden. Die aktuelle Weltlage lässt zunächst daran zweifeln, inwiefern dieses Versprechen und diese Hoffnung eingelöst wurden. Ist der 75. Geburtstag der UN-Menschenrechtserklärung trotzdem ein Anlass zum Feiern? Ich denke ja, aber für eine gebührende Würdigung sollte man sich vergegenwärtigen, was es mit der Menschenrechtserklärung auf sich hat, wie sie gealtert ist und welches zukunftsweisende Potential sich aus ihr gewinnen lässt. Eine solche Vergegenwärtigung will ich im Folgenden anhand des Subjekts der Menschenrechte versuchen.   (mehr …)

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Elemente einer kritischen Politik der Zeit

Heute veröffentlichen wir den fünften und letzten Beitrag zu unserer Blogpost-Reihe zum Thema Zeit. Jürgen Portschy argumentiert, dass eine Politik der Zeit auch immer Kämpfe um Macht umfasst – darum, wessen Zeit zählt.

Was uns heute im Globalen Norden als normale Ordnung der Zeit erscheint, ist weder eine noch ist sie natürlich. Denn nicht nur erweist sich die temporale Konstitution moderner Gesellschaft als komplexe Verstrickung unterschiedlicher Zeiten, sondern historisch betrachtet außerdem als Ausdruck sozialer Kämpfe um Macht, Herrschaft und Hegemonie. Hieraus folgt die Notwendigkeit einer fortgesetzten zeittheoretischen Grundlagenreflexion im Rahmen der Politischen Theorie, weil diese sonst Gefahr läuft, hegemoniale Zeitsemantiken aufzugreifen und zu ihrer „Naturalisierung“ beizutragen.

Zeit und Politische Theorie 

Bereits 1999 schickte Douglas North eine wohlgemeinte Mahnung aus: „Without a deep understanding of time, you will be a lousy political scientist“ (North 1999: 316). Vor allem Ansätze der Comparative Politics nahmen diese Mahnung ernst, während die International Relations erst kürzlich eine Wende von der Geo- zur Chronopolitik einleiteten. Doch auch marxistische Ansätze, vor allem jene, die in althusserianischer Tradition standen, wiesen wiederholt auf die Relevanz des Themas Zeit hin, denn: „time is to politics what space is to geometry.” (Debray 1973: 90) Trotzdem aber blieb die Erforschung der Beziehungen von Zeit, Macht und Herrschaft lange Zeit ein grundlegendes Desiderat der Politischen Theorie. Denn obwohl sich seit der Neuzeit ein unaufhaltsamer Trend zur Verzeitlichung elementarer politischer Begrifflichkeiten und eine damit verbundene Politisierung von Zeit durchsetzte, ging diese Prozessualisierungsbewegung keineswegs mit einer gestiegenen zeittheoretischen Reflexivität einher. (mehr …)

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