„Es schien mir nur furchtbar viel auf dem Spiel zu stehen.“ Diese Worte schreibt Fanon in einem Brief an seinen Verleger im Mai 1961 – Anfang Dezember erscheint Die Verdammten dieser Erde, nur wenige Tage später stirbt Fanon (Cherki 2011, 246). Das Buch ist ein letzter Appell, ein Warnruf, den Fanon an seine Weggefährt:innen im algerischen Befreiungskampf richtet. Er fürchtet die Machtlust einer neu entstehenden nationalen Bourgeoisie, die die kolonialen Herrschaftsstrukturen lediglich neu besetzen und die manichäische Welt weiterführen würde (Cedric Robinson (2019)betont dies in seiner Kritik an der frühen Fanon-Rezension in den Kulturwissenschaften und post-kolonialen Studien). Fanon pocht auf die Notwendigkeit einer zukunftsgerichteten Imagination einer freien Nation (im Sinne einer ‚radikalen Imagination‘ in Cornelius Castoriadis‘ parlé), die er mehr und mehr hinter politischen Intrigen und der naiven Sehnsucht nach einem ursprünglichen, authentischen Algerien verblassen sieht. Während Fanon besonders im europäischen Kontext herangezogen wird, um gewaltsamen Widerstand zu verstehen, gar zu rechtfertigen, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass für Fanon die (gewaltsame) Befreiung aus kolonialer Herrschaft nicht mit der Emanzipation eines Volkes gleichzusetzen ist. Im Folgenden möchte ich daher den Fokus auf die Rolle radikaler Imagination in Fanons politischen Schriften legen, denn damit lässt sich das politische Potential beurteilen von gewaltsamem Widerstand und von kulturellen Praktiken, besonders der des Tanzes. Nur in Form einer Erfahrung kollektiver Subjektivität stellen diese den Moment des Erwachens aus der Verdammung dar.
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