Es könnte alles anders sein: Lesenotiz zu Thomas Pikettys „Kapital und Ideologie“

Thomas Pikettys neues Buch Kapital und Ideologie bietet eine Globalgeschichte der Ungleichheit. Grundlage bilden die Ergebnisse eines jahrzehntelangen Forschungsprojekts, in dessen Rahmen über 100 Forscher*innen Daten zur weltweiten Ungleichheitsentwicklung zusammengetragen haben. Dass hier, wie schon in der früheren Studie Das Kapital im 21. Jahrhundert, gegenüber dem eher statischen Konzept der Ungleichheit eine Vorstellung von Klassenkampf kaum vorkommt, hat Piketty scharfe Kritik von links eingebracht. Gleichwohl schlägt er im letzten Teil des Buchs einen „partizipativen Sozialismus“ vor. Im Licht dieses Anspruchs auf Veränderung lässt sich seine Analyse historischer Transformationen diskutieren.

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Piketty-Buchforum (6): Gesellschaftskritik im 21. Jahrhundert?

In diesem, das Buchform zu Pikettys Das Kapital im 21. Jahrhundert beschließenden Beitrag möchte ich den Blick auf die Frage richten, warum gerade dieses Buch so viel Aufmerksamkeit unter politischen Theoretikern und der breiten Öffentlichkeit erzielt hat, und damit weggehen von der Diskussion spezifischer Aspekte von Pikettys Argument wie der Implikation seiner Erkenntnisse für Theorien der Verteilungsgerechtigkeit. Ich hoffe, dass dies nur teilweise einer Nabelschau gleich kommt. Kurz gesagt habe ich die Vermutung, dass einer der Gründe für die berechtigte Faszination von politischen Theoretikern für das Werk Pikettys darin liegt, dass es – wenn auch streckenweise widerwillig – aufzeigt, dass sich die Sozialwissenschaften an einem Scheideweg befinden. (mehr …)

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Piketty-Buchforum (5): Marx is just a four letter word

Trotz seines Eingeständnisses, Karl Marx’ Das Kapital niemals wirklich gelesen zu haben, lässt es sich der Starökonom Thomas Piketty in seinem Buch Das Kapital im 21. Jahrhundert nicht nehmen, Marx gehörig die Leviten zu lesen. Seine mehrfach vorgetragene Behauptung, Marx habe „die Möglichkeit eines dauerhaften technischen Fortschritts und einer anhaltenden Produktivitätssteigerung völlig außer Acht gelassen“ (S. 24; ähnlich S. 47, 302), dürfte einen neuen Höhepunkt akademischer Marx-Verballhornung darstellen, schließlich ist für Marx das permanente Bemühen des individuellen Kapitalisten um die Steigerung der Arbeitsproduktivität durch die Einführung neuer Maschinerie und Technologie zum Zweck des Wettbewerbsvorteils die Kehrseite der Akkumulation und das zentrale Argument seiner Theorie der historischen Dynamik dieser Produktionsweise. Für Marx ist darin der zentrale Widerspruch der kapitalistischen Produktionsweise eingeschlossen: Denn um in der Konkurrenz bestehen zu können, ist das individuelle Kapital auf das höchste Produktivitätsniveau angewiesen und operiert damit von einem immer größeren Maschinisierungsgrad aus, weshalb zur Herstellung einer Ware immer weniger Arbeitszeit benötigt wird und das Kapital langfristig zur Verdrängung der Arbeitskraft aus dem Produktionsprozess tendiert, obwohl es sich doch nur durch die Anwendung („Ausbeutung“) lebendiger Arbeit erhalten kann. (mehr …)

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Piketty-Buchforum (4): Warum die Steuerpolitik der letzten drei Dekaden die Ungleichheit befördert hat und wie man dagegen vorgehen sollte

Im vierten und letzten Teil seines Buches entwickelt Piketty Vorschläge, wie man der zunehmenden Ungleichheit und Kapitalkonzentration entgegen wirken kann. Da er der Auffassung ist, dass wir es nicht mit einem eisern gültigen ökonomischen Bewegungsgesetz zu tun haben (auch wenn er nicht ganz unschuldig daran ist, dass sein r>g von manchen als Gesetz missverstanden wurde), sondern mit einer historisch kontingenten und politisch herbeigeführten Entwicklung, ist für ihn klar, dass die Politik im Prinzip auch über Möglichkeiten und Instrumente verfügt, für eine Umkehr des Trends zu sorgen. Ich will im Folgenden seine Vorschläge knapp skizzieren und erläutern, wie er sie begründet, um anschließend ein paar Überlegungen zu ihrer Umsetzbarkeit anstellen. (mehr …)

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Piketty-Buchforum (3): Wozu sollen Steuern dienen?

Um es vorwegzuschicken: Auch ich halte Pikettys Buch für einen Gewinn. Schon Anzahl und Namen seiner Kritiker sprechen für das Werk. Auch die enorme Kritik, die Piketty am „kindlichen“ Mathematismus der Ökonomen übt, um daraufhin ein Hohelied auf andere Sozialwissenschaften anzustimmen, schmeichelt. Kritisiert sei auch nicht, dass das ach so schwere Buch breit diskutiert wird, weil schon die ersten Seiten den Inhalt eines der „am meisten ungelesenen Bücher“ geschmeidig zusammenfassen. (mehr …)

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Piketty-Buchforum (2): Piketty konventionell und radikal, oder: wider den Fetisch der Eigentumsrechte

Nehmen wir an, Piketty hat Recht. Nehmen wir an, dass r > g, und dass wir deshalb Gefahr laufen, in einen „patrimonialen Kapitalismus“ zu geraten. Und nehmen wir an, dass das aus normativer Sicht ein Problem darstellt (Gründe hierfür hat Gabriel letzte Woche ja angesprochen). Was folgt daraus? Piketty schlägt Steuern vor: Einkommens-, vor allem aber Vermögenssteuern, progressiv und am besten global. In diesem Beitrag unterscheide ich zwei Lesearten von Pikettys Vorschlägen, und plädiere für die radikalere. Sie geht von der Notwendigkeit, aber auch der grundsätzlichen Möglichkeit aus, Märkte demokratisch zu gestalten. Die Herausforderung ist, sie institutionell so einzubetten, dass sie dem Wohl der Gesellschaft dienen. Dabei sind Eigentumsrechte ein wesentliches Steuerungselement. (mehr …)

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Piketty-Buchforum (1): Ungleichheit im 21. Jahrhundert – Was genau ist das Problem?

Kapital, Ungleichheit und politische Ökonomie in großem Format sind zurück. In dem soeben auf Deutsch erschienen Das Kapital im 21. Jahrhundert zeigt Thomas Piketty, dass Wohlstand zu Beginn des 21. Jahrhunderts in den Händen so weniger konzentriert ist wie zuletzt vor hundert Jahren und dass die egalitäre Angleichung von Einkommen und Vermögen in der Mitte des 20. Jahrhunderts eine historische Ausnahme darstellt. Pikettys Versuch, durch die Analyse großer Mengen historischer Daten den Bewegungsgesetzen des Kapitalismus auf die Spur zu kommen und Reformen seiner grundlegenden Institutionen einzufordern, steht für eine politische Ökonomie, wie sie in den zeitgenössischen Wirtschaftswissenschaften beinahe ausgestorben schien. Pikettys Wiederbelebung gelingt. Das Fehlen einer Moraltheorie der Ungleichheit jedoch hat Kosten.  (mehr …)

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Buchforum zu Thomas Pikettys „Das Kapital im 21.Jahrhundert“

In der angloamerikanischen Welt bereits seit Monaten ein heiß diskutiert Besteller, kommt am heutigen Tag endlich die deutsche Übersetzung von Thomas Pikettys „Capital in the 21st Century“ in die Buchläden (eine Übersicht von Besprechungen der englischen Fassung es hier). Grund für den Theorieblog, einen spezifisch politiktheoretischen Blick auf das Buch zu werfen. In den nächsten Wochen werden im Rahmen eines Buchforums Lisa Herzog, Sebastian Huhnholz, Thomas Rixen, Timm Graßmann sowie Miriam Ronzoni jeweils einen bestimmten inhaltlichen Aspekt aus ihrer Perspektive aufgreifen und diskutieren. Zum Start der Serie wird uns Gabriel Wollner bereits am Donnerstag dieser Woche in das Buch einführen und die Frage stellen, was genau an (der von Piketty diagnostizierten) Ungleichheit eigentlich das Problem ist. (mehr …)

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