Mit Diskussionsbeiträgen von Thomas Biebricher, Bernhard Rieger, Uwe Schimank und Wolfgang Streeck stellt die Historikerin Ariane Leendertz ihr Buch „Der erschöpfte Staat: Eine andere Geschichte des Neoliberalismus“ (Hamburger Edition) vor. Die Veranstaltung wird am 23. Februar 2023 am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln stattfinden. Anmeldungen sind bis zum 15. Februar an info@mpifg.de erbeten.
Neoliberalismus
Die ordoliberale Disziplinierung Europas? Lesenotiz zu Thomas Biebricher „Die politische Theorie des Neoliberalismus“
„Neoliberalismus“ ist ein schillernder Begriff. Abhängig davon aus welcher Denkrichtung er beleuchtet wird, gilt er den Einen als Inbegriff freiheitlichen Denkens, den Anderen hingegen als Kampfbegriff zur Stigmatisierung (wirtschafts-)politischer Positionen, die staatlich verordnete, redistributive Maßnahmen sozialer Gerechtigkeit zugunsten des freien Wirkens der Marktkräfte mit aller Macht zu verhindern suchen. Staat und Markt sind in der allgemeinen Wahrnehmung ohnehin jenes Paar, dessen Beziehung im neoliberalen Denken, egal von welcher Seite es betrachtet wird, den zentralen Anker darstellt. Nach Lektüre der nun in deutscher Übersetzung im Suhrkamp-Verlag erschienenen Habilitationsschrift von Thomas Biebricher, ist eben jener Beziehungsstatus wohl eher als „kompliziert“ zu kennzeichnen, wird doch deutlich, dass eine angenommene Gegnerschaft beider Partner vor dem Hintergrund des vielgestaltigen und keinesfalls konsensualen neoliberalen Denkens, auf einem zu unterkomplexen Verständnis dieser Dichotomie beruht.
Call for Blogposts: Sorge
Nach der positiven Resonanz der vergangenen drei Jahre schreibt der Theorieblog diesen Sommer zum dritten Mal einen Call for Blogposts aus. Nach „Heimat“ (2018), „Solidarität“ (2019) und „Neuanfang“ (2020) freuen wir uns in diesem Jahr über eure Ideen und Beiträge zum Thema „Sorge“.
Wir leben in einer Zeit der Sorge: Seit 2019 bringen Fridays for Future mit großer Kraftanstrengung die Vulnerabilität des Klimas und damit die Dringlichkeit von entsprechenden Klimaschutzmaßnahmen in die Mitte des öffentlichen Bewusstseins. Mit der seit 2020 andauernden COVID-19-Pandemie rücken nun zahlreiche weitere Bereiche in den Fokus: Deutlich wird die chronische materielle wie personelle Unterversorgung der Pflege von Alten und Kranken – gleiches gilt zunehmend auch für Kindergärten und Schulen. Auch die teilweise höchst zermürbende Situation von Familien zwischen Erwerbs- und Reproduktionsarbeit erhält in der Krise deutlich mehr Aufmerksamkeit: Klagen, die eine Ökonomisierung der Familien-, Pflege- und Gesundheitspolitik schon seit einigen Jahren anprangern, mischen sich nun vermehrt mit breiten gesellschaftlichen Sorgen.
„Corona im Kapitalismus“ – Rahel Jaeggi im Gespräch mit Ulrike Herrmann und Alex Demirović
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe Critical Theory in Context hat Rahel Jaeggi am 14. Mai mit Ulrike Herrmann und Alex Demirović diskutiert über „Corona im Kapitalismus: Führt die Krise zum Ende des Neoliberalismus?“. Das Gespräch hat coronabedingt online stattgefunden und da es aufgezeichnet wurde, ist es weiterhin für alle Interessierten abrufbar. Im Fokus des Gesprächs stehen Überlegungen dazu, wie sich die aktuelle Krise angemessen beschreiben lässt, was ihre möglichen Folgen sind und welche politischen Alternativen sie nahelegt. Den Link zur Website und dem Video gibt es hier.
Krise und Wandel des Politischen. Vortragsreihe in Freiburg
An der Universität Freiburg stellen die Professur für Politische Theorie, die Freiburger AG ‚Krise und Wandel des Politischen‘ und das dortige Colloquium Politicum im beginnenden Semester erneut eine Vortragsreihe auf die Beine – diesmal unter der Überschrift ‚Krise und Wandel des Politischen‘. Den Auftakt macht Thomas Biebricher (Frankfurt), der sich kritisch mit dem politischen Denken des Neoliberalismus auseinandersetzt. Anhand der Idee des Föderalismus gibt uns Wolfgang Heuer (FU Berlin) Anregungen für ein Neudenken föderaler Traditionen und Strukturen an die Hand. Anna Meine (Siegen) wird sich schließlich Zukunftsfragen von demokratischer Mitgliedschaft im Staat und jenseits des Staates zuwenden. Nähere Informationen zu allen Vorträgen finden sich online und auch nach dem Klick.
Podcast: Die neue Lust am Strafen im Neoliberalismus. Was heißt Gerechtigkeit unter ungerechten Verhältnissen?
Leider gab es erneut Probleme mit der Videoaufzeichnung, aufgrund der reichhaltigen Folien ist das Video aber dennoch sehr zu empfehlen.
„Was heißt Gerechtigkeit unter ungerechten Verhältnissen?“ fragt Franziska Dübgen, Leiterin der Nachwuchsgruppe „Jenseits einer Politik des Strafens“, in ihrem Vortrag, der auf dieses Projekt zurückgeht. Das Verhältnis von strafender und sozialer Gerechtigkeit ist auf den ersten Blick ungewöhnlich für die Politische Theorie, auf den zweiten wird jedoch schnell klar, wie gewinnbringend diese Verknüpfung von moralphilosophischen und gesellschaftstheoretischen Fragen ist, die zudem noch einen Raum für politische Interventionen offenhält. Im ersten Teil ihres Vortrags beschreibt Dübgen in einer Mischung aus gesellschaftstheoretischer und empirischer Betrachtung den „punitive turn“ in der Strafverfolgung, d.h. die Zunahme an vergeltungsorientierten gegenüber auf Resozialisierung gerichteten Strafmaßnahmen. Sie zeigt, wie insb. neoliberale (v.a. die angelsächsischen Staaten) gegenüber wohlfahrtsstaatlichen (v.a. die skandinavischen Staaten) Ländern von dieser Entwicklung betroffen sind. An dieser Stelle setzt ihre moralphilosophische Kritik an. Gerechtigkeit setzt vertragstheoretisch faire Bedingungen voraus und der Strafvollzug bleibt dem eigenen Anspruch nach auf die Gerechtigkeit bezogen. Doch der Strafvollzug reproduziert nicht nur die sozialen Ungleichheiten, sodass von fairen Bedingungen keine Rede sein kann, er verstärkt sie auch noch, indem er straffällig gewordene Personen sozial marginalisiert. Die formale Gleichheit des Rechtsstaats zerbricht, so Dübgen, an der realen Ungleichheit. Diese Lücke zwischen Norm und Wirklichkeit unterminiert das moralische Recht zu strafen.
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Podcast: Thomas Biebricher – Gouvernementalität und die Kritik des Neoliberalismus
Der Neoliberalismus ist einer der umstrittensten Begriffe der gegenwärtigen Sozialwissenschaften, ein „essentially contested concept“ – für die einen ist er ein politischer Kampfbegriff, für die anderen ein fast universell einsetzbares Analyseraster für heutige Gesellschaften. Thomas Biebricher, der neben zahlreichen Aufsätzen zu dem Thema auch eine Einführung in „den“ Neoliberalismus veröffentlicht hat, versucht beides zu vermeiden und in Verbindung mit Foucaults Begriff der Gouvernementalität aus dem stigmatisierten Begriff ein präzises Analysewerkzeug zu gewinnen. Entlang der foucaultschen Achsen Wissen, Macht und Subjekt zeichnet er die Regierungspraxis der Gouvernementalität als spezifische Mischung aus Theorie und Praxis nach. Die Verbindung mit dem Neoliberalismus ergibt sich vor allem daraus, dass der Neoliberalismus kein Ökonomismus ist, sondern auf den Laissez-faire-Liberalismus mit der Einsicht reagiert, dass der Staat, die Regierung, das Funktionieren der Märkte sicherstellen muss. Die neoliberale Gouvernementalität soll stabile Märkte ermöglichen. Verbunden ist dies bspw. mit einer Subjektform, die nicht wie der homo oeconomicus einseitig durch Nutzenmaximierung bestimmt ist, sondern die durch ein spannungsreiches Verhältnis von Risikobereitschaft und Vorsorge, Freiheit und Verantwortung geprägt ist. Diese Form der Analyse ermöglicht, so Biebricher, eine neue Form der Kritik, da sie erst die Alternativen sichtbar macht, indem sie die Machtmechanismen aufdeckt, die Techniken der Wissensproduktion offenlegt und uns Subjekte nach dem Preis der Emanzipation fragen lässt.
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Foucault, ein Neoliberaler?!
In einer Reihe von Publikationen soll der letzte Philosophenkönig als Neoliberaler dingfest gemacht werden. Zwar leisten sie einen Beitrag zur Historisierung Foucaults und demontieren ihn damit ein Stück weit als Monument des widerständigen Denkens. Doch beim Versuch, dem notorisch flüchtigen Denker eine eindeutige Rolle in der Entstehungsgeschichte der gänzlich neoliberalisierten Gegenwart zuzuweisen, geraten allzu oft die Ambivalenzen seines Verhältnisses zum Neoliberalismus aus dem Blick – woraus sich Manches über die gegenwärtige (Un-)Möglichkeit linker Kritik lernen lässt. (mehr …)
Kritische Theorie Workshop in Dubrovnik
Vom 6. bis 10. Juni 2014 findet am Inter-University Centre Dubrovnik ein Workshop zu Critical Theory statt. Der von Banu Bargu, Robin Celikates, Jodi Dean, Regina Kreide und David Strecker organisierte Workshop fragt nach den Grundlagen kritischer Theorie, der Idee des Kommunismus, Kritik in Zeiten des Neoliberalismus und Revolution als Theorie und politische Praxis. Für den Kurs bewerben, kann man sich auf der Webseite. Die Kursgebühr beträgt 50 Euro und man kann sich bis zum Tag vor dem Workshop bewerben. Das Programm findet ihr unterm Strich. (mehr …)
Im Bann der Falschheit. Wolfgang Streecks Wiederaufnahme der Kapitalismuskritik
Rezension zu Wolfgangs Streecks »Gekaufte Zeit: Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus, Berlin, Suhrkamp, 2013«
In seinem beeindruckenden Buch knüpft Wolfgang Streeck an die »Spätkapitalismus«-Theorien der 1960er und 1970er Jahre an. Deren erwartete krisenpolitische Sequenz lautete wie folgt: Im Unterschied zum klassischen Kapitalismus der Vorkriegszeit (lies: dem »goldenen Zeitalter« des fordistischen Kapitalismus) sei heute für jeden sichtbar, dass sich der Wohlstand zu ganz erheblichen Anteilen staatlichen Eingriffen in den nach wie vor kapitalistischen Akkumulationsprozess verdanke. Dadurch aber könne eine Konstellation auftreten, in der Erwartungen der Menschen an Wohlstandszuwächse und Spielräume zur individuellen Entfaltung schneller wachsen als es eine weiterhin auf stabile Ertragsaussichten angewiesene Kapitalakkumulation erlaube. Aus dem Interessenkonflikt zwischen den Ertragsansprüchen der Kapitalbesitzenden und den wohlfahrtsstaatlich geweckten Entfaltungserwartungen der demokratisch Regierten wurde die Entstehung sozialer Bewegungen erwartet – wohl auch erhofft –, die eine Demokratisierung von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat auf die Tagesordnung setzen. (mehr …)
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