Wiedergelesen anlässlich des Todes von Hanna F. Pitkin: The Concept of Representation

Am 6. Mai 2023 ist Hanna Fenichel Pitkin, Autorin des politikwissenschaftlichen Klassikers The Concept of Representation (1967), im Alter von 91 Jahren verstorben. Das Buch gilt bis heute als das „Schlüsselwerk“ zum Repräsentationsbegriff (Buchstein 2007), bei der Beschäftigung mit Fragen der Repräsentation führt daran kein Weg vorbei. Jenseits der anerkannten Bedeutung von The Concept of Representation aber endet der Konsens. Dies ist sowohl eine Folge der dort bereits angelegten Ambiguität als auch eine Konsequenz vereindeutigender Lesarten. Anlässlich des Todes von Hanna Pitkin wirft dieser Beitrag einen Blick zurück auf das Buch und seine Rezeptionsgeschichte. Ich möchte zeigen, dass es sich lohnt, die Ambiguität von The Concept of Representation in neuen Lektüren zu erhalten, damit es weiterhin Quelle der Inspiration für die politikwissenschaftliche Repräsentationstheorie sein kann. (mehr …)

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Die richtigen Schlüsse – Nachruf auf den kritischen Politikwissenschaftler Kurt Lenk

Eine direkte Reaktion des nun Verstorbenen auf die Zeitenwende vom Frühjahr 2022 ist dem Autor dieses Nachrufs nicht bekannt. Aber ganz sicher ist Kurt Lenk nicht überrascht gewesen, dass ein lupenreiner Faschist wie Wladimir Putin am Ende seine Drohungen wahr machte. Faschismus, als giftige Mischung aus aggressivem Nationalismus, radikal autoritär-antidemokratischer und geschichts-revisionistischer Zielsetzung, so war von diesem hervorragenden Vertreter einer neuen, demokratischen Politikwissenschaft in der Nachkriegs-Bundesrepublik zu lernen, ist in Krisenlagen moderner Gesellschaften immer möglich. (mehr …)

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„Wahrscheinlich ist Freiheit der wichtigere Wert, der zentrale, der dann ableitet, was man sonst so macht“ – Ein werkspezifischer Nachruf auf Klaus von Beyme

Am 6. Dezember 2021 ist Klaus von Beyme verstorben. Wer das umfangreiche Werk Klaus von Beymes einer der politikwissenschaftlichen Subdisziplinen zuweisen will, zwängt es ins Prokrustesbett. Mit beinahe 50 Monographien und etwa 500 Aufsätzen prägte der Politikprofessor über sechs Dekaden das Fach, immer wieder auch Schnittflächen mit Nachbardisziplinen auslotend. Wenig überraschend verstand sich der in Schlesien geborene Heidelberger als Sozialwissenschaftler, dem Vergleich verschrieben: Seine 1970 publizierte Habilitationsschrift über „Die parlamentarischen Systeme in Europa“, die 1975 für Furore sorgende Monographie „Ökonomie und Politik im Sozialismus“ oder das Werk „Politische Theorien im Zeitalter der Ideologien 1789-1945“ aus dem Jahr 2002 sind einige Beispiele für Studien, die trotz hoher Fallzahl nicht den Blick fürs Detail verlieren.

Pures „Hinwegrechnen“ über die kulturellen und institutionellen Eigenarten seiner Analysegegenstände lag Beyme fern. Internationales Renommee erarbeitete er sich mit der Erforschung politischer Systeme in Ost- und Westeuropa vor und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sowie in der Parteien- und Parteiensystemforschung. Bisweilen in den Schatten dieser Werke gerieten Beymes Schriften in der Politischen Theorie und Ideengeschichte. (mehr …)

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Nachruf auf Georg Lohmann (1948-2021)

Der Philosoph Georg Lohmann ist am 4. Dezember 2021 nach langer Krankheit gestorben. Er lehrte und forschte seit 1996 als Professor für Praktische Philosophie an der Otto-von-Guericke Universität in Magdeburg. Vier Jahre lang, von 2000 bis 2004, durfte ich dort als wissenschaftlicher Assistent mit ihm zusammenarbeiten. Einen besseren, faireren, freundlicheren Chef hätte ich mir nicht wünschen können. Er begegnete mir immer auf Augenhöhe, hielt mir den Rücken für meine eigene Forschung frei und nahm mir selbst lautstark ausgetragene Auffassungsunterschiede nicht übel, weil für ihn das Herz der Philosophie im argumentativen Streit schlug. (mehr …)

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Über Klaus von Beyme (1934-2021)

Als ich Klaus von Beyme (1934−2021) vor einigen Jahren das letzte Mal auf einer Tagung traf, wirkte er körperlich bereits ein wenig angeschlagen. Geistig aber funkelte er regelrecht. Dabei vermengte er seine intellektuelle (und natürlich politikwissenschaftliche) Beschlagenheit nicht mit einem Habitus der Überlegenheit. Vielmehr war auffällig, mit welchem Maße an persönlicher Zugewandtheit er jedem begegnete, der mit ihm ins Gespräch geriet. Einen Schuss Ironie und Selbstironie mischte er dem Dialog gerne bei. (mehr …)

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Charles Mills (1951-2021) – Nachruf auf einen Vordenker

Dass in der Politischen Philosophie und Theorie heute – wenn auch in Deutschland noch immer sehr zögerlich – über strukturellen Rassismus debattiert und dass die Black Radical Tradition – von W.E.B. Du Bois über Fanon und Cedric Robinson bis zum Schwarzen Feminismus – in immer mehr Debatten produktiv aufgegriffen wird, ist einer Pionierarbeit, ja einem unermüdlichen Kampf zu verdanken, der trotz seines wesentlich kollektiven Charakters doch auch mit einzelnen Namen verbunden ist. Charles Mills‘ überraschender Tod am vergangenen Montag in New York hat mit einem Schlag seine überragende Rolle als eine der originellsten und wichtigsten Stimmen der zeitgenössischen Politischen Philosophie und Theorie ins Bewusstsein gerückt. Wie kein Zweiter hat er in den vergangenen Jahrzehnten das Nachdenken über die untrennbar mit Kolonialismus und Rassismus verbundenen Ursprünge und Strukturen des Liberalismus als politische Theorie und als Gesellschaftssystem initiiert, begleitet und immer wieder neu angeregt. Dabei hat Mills den Skandal, dass das Ideal einer Gemeinschaft der Freien und Gleichen und seine rechtliche Umsetzung lange Zeit – und mit gravierenden Folgen bis in die Gegenwart – auf weiße besitzende Männer beschränkt war, mit einer ganz eigenen Mischung aus theoretischer Präzision und politischer Radikalität wachzuhalten vermocht, die ihm inzwischen auch im Mainstream der Disziplin eine späte und gewiss auch ambivalente fachliche und institutionelle Anerkennung eingebracht hat. (mehr …)

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Nachruf auf Clemens Kauffmann

Am Gründonnerstag 2020 verstarb nach längerer Krankheit Prof. Dr. Clemens Kauffmann, der von 2003 bis 2020 Lehrstuhlinhaber für Politische Philosophie, Theorie und Ideengeschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg war.

Clemens Kauffmann hat mit seinen Forschungen und mit seinem Engagement in der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses die Landschaft der politischen Theorie und Philosophie in Deutschland geprägt und nachhaltig bereichert. Als Initiator und Mitbegründer des Bayerischen Zentrums für Politische Theorie und des Bayerischen Promotionskollegs Politische Theorie hat er Wesentliches zur Vernetzung und Zusammenarbeit der bayerischen politischen Theorie beigetragen. Für den Theorie-Nachwuchs in Bayern entstand mit dem von den LehrstuhlinhaberInnen in Regensburg, Eichstätt-Ingolstadt, Passau und Erlangen gegründeten Bayerischen Promotionskolleg eine intellektuell anregende Plattform, in der die DoktorandInnen von der Themenvielfalt und Expertise aller am Kolleg beteiligten Professoren und Postdocs profitieren und zudem durch den Austausch auf der Doktorandenebene wichtige Kontakte knüpfen und erste Wege gemeinsamer Forschungszusammenarbeit gehen können – etwa in der gemeinsamen Konzeption und Organisation von Workshops und Tagungen. Kauffmann war Herausgeber des Jahrbuchs Politisches Denken, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung des Politischen Denkens und aktives Mitglied in der Theorie-Sektion der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft, in deren Rahmen er u.a. die Herbsttagung 2007 zu „Biopolitik im liberalen Staat“ in Erlangen veranstaltet hat. (mehr …)

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„Es ging nie darum, zu gewinnen, sondern ums Ganze.“ – Erinnerungen an Rainer Schmalz-Bruns

Am 31. März 2020 ist Rainer Schmalz-Bruns nach schwerer Krankheit in Lüneburg gestorben. Sein Tod hat weit über den Kreis Politischer Theoretikerinnen und Theoretiker hinaus Bestürzung und große Anteilnahme ausgelöst. Schon verschiedene erste Nachrufeauch auf diesem blog – zeugen von großer Bewunderung, Freundschaft und Dankbarkeit für die Persönlichkeit und wissenschaftliche Kraft von Rainer Schmalz-Bruns. Auch weil die aktuelle öffentliche Lage gemeinsame Gedenkveranstaltungen vorerst nicht zulässt, haben viele Freund_innen, Wegbegleiter_innen und Kolleg_innen beschlossen, einige Impressionen und Erinnerungen zunächst hier zu versammeln. Im folgenden Teil erinnern zunächst Oliver Flügel-Martinsen und Daniel Gaus (die dieses Format auch initiierten und organisierten) sowie Regina Kreide, Dirk Jörke, Claudia Landwehr und Mathias Albert an Rainer Schmalz-Bruns (Anm. d. theorieblog.de-Redaktion). (mehr …)

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Nachruf auf Rainer Schmalz-Bruns

Am 31. März 2020 ist Rainer Schmalz-Bruns nach schwerer Krankheit in Lüneburg gestorben. Mit ihm hat die Politische Theorie in der Bundesrepublik einen ihrer klügsten Köpfe und haben viele Kolleginnen und Kollegen im Fach einen guten Freund verloren. Rainer Schmalz-Bruns hat mit seiner Reflexiven Demokratie (1995), seinen Beiträgen zur Internationalen Politischen Theorie und seinem Einsatz für die Disziplin Politische Theorie prägend gewirkt. (mehr …)

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Denker des Staates und der Freiheit, Verfechter des Bürgerethos. Ein Nachruf auf Ernst-Wolfgang Böckenförde

Die Politikwissenschaft hat mehrere Nachbardisziplinen, mit denen sie Schnittmengen im Forschungsinteresse, im Gegenstand und auch einige der Grundbegriffe teilt. Für eine an politischer Ordnung orientierte Politische Theorie und Ideengeschichte ist besonders die Rechtswissenschaft von Interesse, die ebenso normative, systematische und historische Perspektiven vereint. Ein herausragender Vertreter seines Fachs, von dessen Werk die Politische Theorie und Ideengeschichte profitiert hat und weiterhin profitieren wird, ist Ernst-Wolfgang Böckenförde, der am 24.2.2019 im Alter von 88 Jahren in Au bei Freiburg verstorben ist. Er hat als ausgebildeter Rechtswissenschaftler und Historiker mit besonderem Interesse für die normativen Fragen der Begründung politischer Ordnung ein großes Oeuvre hinterlassen, das sich über mehr als fünf Jahrzehnte erstreckt. Zugleich hat er auch als politischer Denker den Lauf der Zeit kritisch begleitet und sich immer wieder mit Stellungnahmen in der Öffentlichkeit zu Wort gemeldet. Als Bundesverfassungsrichter übte er von 1983 bis 1996 eines der höchsten Ämter aus und wirkte an entscheidenden Urteilen mit. Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass er neben wenigen anderen Vertretern seiner Generation, wie Jürgen Habermas oder Ralf Dahrendorf, zu den bekanntesten Wissenschaftlern und öffentlichen Intellektuellen in der siebzigjährigen Geschichte der Bundesrepublik gehört.

Das Böckenförde-Diktum – eine liberale Formel

Dies hängt gewiss auch mit seinem berühmten Satz über die „nicht garantierbaren Voraussetzungen des freiheitlichen Staates“ zusammen. Das Böckenförde-Diktum ruft allerdings gerade bei vielen Angehörigen der Politikwissenschaft nicht nur angesichts der hohen Frequenz seiner Zitation in staatstragenden Sonntagsreden, sondern vor allem vor dem Hintergrund seines als konservativ wahrgenommenen Gehalts Kritik hervor. Auch der von Böckenförde verwandte Begriff der Homogenität gilt vielen als problematisch. Gegen Böckenförde wird die Auffassung vertreten, dass es keines einigenden Bandes für die Gesellschaft bedürfe und dass vielmehr die Verfahren der rechtsstaatlichen Demokratie in einer pluralen Gesellschaft hinreichend für die Produktion eines notwendigen Minimums an Konsens seien. In dieser Lesart geht aber ein entscheidender Zug seines Denkens verloren oder kommt gar nicht erst in den Blick: Böckenförde ist in seinem Plädoyer für die Freiheit ein zutiefst liberaler Denker, der zugleich von der sozialen Verantwortung des Staates ausgeht.

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