Moralismus ist zu wenig. Eine Entgegnung auf „Was ist Populismus?“ von Jan-Werner Müller

— Fortsetzung des Buchforum zu Jan-Werner Müllers ‚Was ist Populismus‘ : Teil 1 (Daniel Jacob), Teil 2 (Richard Gebhardt) —

Jan-Werner Müller nimmt kein Blatt vor den Mund. So wird sehr schnell deutlich, dass er vor dem Hintergrund eines liberalen Demokratieverständnisses dem Populismus wenig abgewinnen kann, er ihn nicht für ein „nützliches Korrektiv“, sondern in erster Linie  für eine Gefahr für die politische Kultur der Demokratie hält. Er begründet dies vornehmlich mit einem dem Populismus zugeschriebenen Antipluralismus und Moralismus, beides zusammen würde auch dessen Wesen ausmachen. Die Beispiele, aber auch die demokratietheoretischen Reflexionen, die Müller zur Stützung dieser kritischen Begriffsbestimmung anführt, sind allesamt intuitiv einleuchtend. Es liegt ja auf der Hand, dass Populisten wie Victor Orbán, Marine Le Pen, Geert Wilders oder Beppe Grillo nicht nur Werte verkörpern, die uns „liberale Ironikerinnen“ (R. Rorty) abstoßen, sondern auch einen Politikstil vertreten, der die Voraussetzungen eines demokratischen Miteinanders untergräbt. All das lässt sich gegenwärtig in vielen europäischen Staaten zur Genüge beobachten.

Genauso ist völlig überzeugend, dass „das Volk“ als empirische Größe nicht existiert und dass, wie Michael Saward, Nadia Urbinati und Winfried Thaa dargelegt haben, politische Identitäten vielmehr erst im Prozess der Repräsentation erzeugt werden, sie also nicht immer schon „da“ sind. Somit muss mit Müller und vielen anderen auch der Anspruch der Populisten bestritten werden, „das Volk“ gegen die vermeintlich korrupten Eliten vertreten zu können. Wenn überhaupt werden Teile der Bevölkerung durch die Populisten repräsentiert. (mehr …)

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„…but I know it when I see it!“ Ein Kommentar zu Jan-Werner Müllers „Was ist Populismus?“

Hans-Jürgen Puhle, ein Kenner der lateinamerikanischen „Volksbewegungen“, erinnerte sich vor Jahren auf einer Tagung angesichts der methodischen Schwierigkeiten einer Definition des Begriffs „Populismus“ an den amerikanischen Verfassungsrichter Potter Stewart. Dieser hatte 1963 im Fall „Jacobellis vs. Ohio“ über das Verbot eines vermeintlich pornografischen Films  zu befinden, wollte aber keine konkrete Definition von „Pornografie“ vorlegen. Eine solche Begriffsbestimmung sei vielleicht auch gar nicht möglich, befand Stewart. „…but I know it when I see it“, lautete sein berühmt gewordener Zusatz, der wie ein Leitmotiv auch für die jüngsten Diskussionen über den Populismus wirkt. Der inflationär zirkulierende P-Begriff ist, so scheint es, eher eine intuitiv verwendete Kampfvokabel denn ein wissenschaftlicher Terminus. Stets wirken Populismusforscher wie Schmetterlingsjäger, die ihre – aufgrund der jeweils landestypischen politischen Vegetation höchst unterschiedliche – Beute unter Glas aufspießen und mit einem lateinischen Fachterminus klassifizieren wollen. Doch regelmäßig entzieht sich das dynamische Phänomen der starren Definition, verändert der außerordentlich lebendige Gegenstand der Untersuchung Form und Inhalt, ersetzt Personen, verwirft Programme und wirbelt traditionelle Parteienlandschaften durcheinander. (mehr …)

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Buchforum zu Jan-Werner Müllers „Was ist Populismus?“

Im Frühjahr diesen Jahres ist bei Suhrkamp Jan-Werner Müllers Antwort auf die Frage “Was ist Populismus?” erschienen. In dieser und der kommenden Woche wollen wir im Rahmen eines Buchforums die von Müller angestoßene Diskussion fortführen. Den Auftakt macht der heutige Kommentar von Daniel Jacob (Berlin), es folgen zwei weitere Kommentare von Richard Gebhardt (Aachen) und Dirk Jörke (Darmstadt). Zum Abschluss wird Jan-Werner Müller auf die Kommentare reagieren. Wir freuen uns sehr auf die Diskussion und möchten euch herzlich dazu einladen, euch über die Kommentarfunktion daran zu beteiligen. Der Kommentar von Daniel Jacob folgt nach dem Klick:
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