Replik auf Jonas Hellers Kommentar „Die Krise vertagen?“

Im Rahmen unserer aktuellen ZPTh-Debatte zum Thema „Temporalstrukturen des Ausnahmezustands“ antwortet heute Benjamin Schmid auf den Kommentar von Jonas Heller, der letzte Woche bei uns erschienen ist.

 

Jonas Heller hält Zweifel an dem in „Paradoxien der Ausnahmezeit“ unterbreiteten Konzept des Zögerns als alternativem Paradigma des Regierens und Regiert-Werdens für geboten. Als Gründe für seine Zweifel am Zögern nennt Heller einerseits, dass im Text problematische Prämissen Carl Schmitts reproduziert würden – dies insbesondere in der Deutung von Thomas Hobbes im ideengeschichtlichen Teil von „Paradoxien der Ausnahmezeit“ – und dass andererseits der Ausnahmezustand Eile und Weile sei. Das Zögern gehöre somit selbst dem Ausnahmezustand an und sei zu ihm daher kein alternatives Paradigma. Dies sei unter anderem daran zu erkennen, dass die den Ausnahmezustand kennzeichnende Suspension der Rechtsnormen dem lateinischen suspendere („in der Schwebe halten“) entstamme. Im Folgenden werden diese Punkte adressiert, um die Argumentation von „Paradoxien der Ausnahmezeit“ näher zu erläutern und eventuelle Missverständnisse auszuräumen.

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Die Krise vertagen? Kommentar zu Benjamin Schmids „Paradoxien der Ausnahmezeit“

Unter der Überschrift „Temporalstrukturen des Ausnahmezustandes“ steht die gerade neu erschienene Ausgabe der Zeitschrift für Politische Theorie. Die drei Herausgeber des aktuellen Themenheftes, André Brodocz, Hagen Schölzel und Jan Christoph Suntrup, haben neben ihrem eigenen Beitrag – einer Umfrage zum Thema „Sind wir auf dem Weg in ein Zeitalter der Ausnahmezustände?“ – vier spannende Abhandlungen zum thematischen Fokus des Heftes versammelt: Der Beitrag von Benjamin Schmid, den wir als Gegenstand für die ZPTh-Debatte auf dem Theorieblog ausgewählt haben und der damit zugleich hier open access verfügbar ist, stellt ausgehend von vier Paradoxien der Ausnahmezeit Überlegungen zu einem alternativen Paradigma des Regierens und Regiert-Werdens an. Der unter der Formel „Souverän ist, wer über die Zeit verfügt“ stehende Beitrag von Tamara Ehs, Ece Göztepe und Matthias Lemke setzt sich mit der Beschleunigung der Entdemokratisierung im Ausnahmezustand auseinander. Marlon Barbehön widmet sich in seinem Aufsatz der Performativität kommunikativer Grenzziehungen zwischen politischer Ausnahme- und Normalzeit und Leo Roeperts Beitrag analysiert die Zeitstruktur rechter Krisenmythen. Unter der Rubrik „Wiedergelesen“ wird das Heft mit einer Lesenotiz von William E. Scheuerman zu Jürgen Habermas‘ Demokratietheorie in Faktizität und Geltung abgerundet.

Wir freuen uns sehr, dass Jonas Heller von der Goethe-Universität Frankfurt im Folgenden die Debatte auf dem Theorieblog mit einem Kommentar zum Beitrag „Paradoxien der Ausnahmezeit. Überlegungen zu einem alternativen Paradigma des Regierens und Regiert-Werdens“ von Benjamin Schmid eröffnen wird. In einem zweiten Blogbeitrag wird der Autor im Rahmen einer Replik hierauf antworten. Wir wünschen viel Freude bei der Lektüre und übergeben nun das Wort an Jonas Heller.

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Macht als immanente Dynamik. Lorina Buhr untersucht den aristotelischen Hintergrund des Machtbegriffs bei Hobbes und Foucault

Der Begriff der Macht hat längst eine unhintergehbare Stellung in der politischen Theorie eingenommen. Spätestens seit Michel Foucault die immersiven Wirkungen von Macht freigelegt hat, ist der Machtbegriff zu einem unabdingbaren grundbegrifflichen Werkzeug der Theoriebildung geworden. Die Öffnung philosophiegeschichtlicher Forschung und die Sichtbarmachung frühneuzeitlichen Denkens in der politischen Theorie der Gegenwart haben dazu beigetragen, den Machtbegriff wieder in seine historischen Bezüge einzurücken und von hier aus weiterzuentwickeln. Insbesondere Hobbes und Spinoza sind dabei zu wichtigen Referenzpunkten einer politischen Theorie der Gegenwart geworden, die die immanenten Konstitutionsprozesse des Politischen von einem dynamischen Machtgeschehen her zu denken erlauben. In einer umfangreichen Studie hat Lorina Buhr nun die Entwicklung des modernen Machtdenkens aus der aristotelischen Konzeption der dynamis hergleitet und bis in aktuelle Debatten der politischen Theorie und Sozialtheorie verfolgt. (mehr …)

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Der Formwandel des Rechts als strukturelle Krise der Menschenrechte

Am 10. Dezember 2023 jährte sich die Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zum 75. Mal. Seither ist sie Gegenstand kontroverser wissenschaftlicher wie öffentlicher Auseinandersetzungen – einerseits stellen sie eine grundlegende Errungenschaft der Staatenwelt dar, andererseits müssen sie ihre Wirksamkeit und Bedeutung angesichts zahlreicher Kriege und Konflikte immer wieder aufs Neue unter Beweis stellen. Ausgehend vom Jahrestag widmen wir uns in einem kleinen Schwerpunkt der Auseinandersetzung um den aktuellen Zustand der Menschenrechte. 

Wir starten mit einem Beitrag von Johannes Haaf, welcher sich den strukturellen Krisen der Menschenrechte zuwendet und diese um eine rechtliche Perspektive erweitert. Anschließend widmet sich Regina Schidel dem zukunftsweisenden Potential der Menschenrechte, woran Marco Schendel eine Beschäftigung mit dem angenommenen Universalismus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte anschließt. Andreas Busen wirft zuletzt einen Blick auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus einer kinderrechtlichen Perspektive.

Wir wünschen eine gute Lektüre und überlassen nun Johannes Haaf das Wort.

 

Die Menschenrechte sollen sich gegen das Unheil der Welt zur Wehr setzen, es überwinden oder zumindest einhegen. Ob sie das aber können, ist nicht ausgemacht. Wie bei früheren Anlässen, wurde auch zum 75. Geburtstag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte darauf hingewiesen, dass die Normen und Institutionen, die auf dieser Erklärung aufbauen, sich als ohnmächtig erweisen gegenüber den Verhältnissen der Beherrschung und Unterdrückung, die das Schicksal so vieler Menschen bestimmen. Schon zum Jubiläum vor fünf Jahren bemerkte der Historiker Stefan-Ludwig Hoffmann, dass der „Menschenrechtsidealismus des späten 20. Jahrhunderts selbst historisch geworden ist.“ Diese andauernde Krise der Menschenrechte betrifft ihm zufolge ein strukturelles Moment, denn sie stellt die Fähigkeit der Menschenrechte infrage, die „Ursachen katastrophaler Gewalt“ zu bekämpfen.  

Die strukturelle Krise der Menschenrechte wird in der Regel in zwei Hinsichten entfaltet. Sie betrifft den Inhalt der Menschenrechte, und sie dreht sich um die Frage nach den Akteuren eines effektiven Menschenrechtsschutzes. Ich möchte im Folgenden diese beiden Hinsichten kurz skizzieren, um danach eine dritte – nämlich eine rechtsstrukturelle – Dimension in den Mittelpunkt zu rücken, die sich für das Verständnis der Menschenrechte heute als ebenso folgenreich erweisen könnte, in den Diskussionen der politischen Theorie aber nur selten aufgegriffen wird.  (mehr …)

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Elemente einer kritischen Politik der Zeit

Heute veröffentlichen wir den fünften und letzten Beitrag zu unserer Blogpost-Reihe zum Thema Zeit. Jürgen Portschy argumentiert, dass eine Politik der Zeit auch immer Kämpfe um Macht umfasst – darum, wessen Zeit zählt.

Was uns heute im Globalen Norden als normale Ordnung der Zeit erscheint, ist weder eine noch ist sie natürlich. Denn nicht nur erweist sich die temporale Konstitution moderner Gesellschaft als komplexe Verstrickung unterschiedlicher Zeiten, sondern historisch betrachtet außerdem als Ausdruck sozialer Kämpfe um Macht, Herrschaft und Hegemonie. Hieraus folgt die Notwendigkeit einer fortgesetzten zeittheoretischen Grundlagenreflexion im Rahmen der Politischen Theorie, weil diese sonst Gefahr läuft, hegemoniale Zeitsemantiken aufzugreifen und zu ihrer „Naturalisierung“ beizutragen.

Zeit und Politische Theorie 

Bereits 1999 schickte Douglas North eine wohlgemeinte Mahnung aus: „Without a deep understanding of time, you will be a lousy political scientist“ (North 1999: 316). Vor allem Ansätze der Comparative Politics nahmen diese Mahnung ernst, während die International Relations erst kürzlich eine Wende von der Geo- zur Chronopolitik einleiteten. Doch auch marxistische Ansätze, vor allem jene, die in althusserianischer Tradition standen, wiesen wiederholt auf die Relevanz des Themas Zeit hin, denn: „time is to politics what space is to geometry.” (Debray 1973: 90) Trotzdem aber blieb die Erforschung der Beziehungen von Zeit, Macht und Herrschaft lange Zeit ein grundlegendes Desiderat der Politischen Theorie. Denn obwohl sich seit der Neuzeit ein unaufhaltsamer Trend zur Verzeitlichung elementarer politischer Begrifflichkeiten und eine damit verbundene Politisierung von Zeit durchsetzte, ging diese Prozessualisierungsbewegung keineswegs mit einer gestiegenen zeittheoretischen Reflexivität einher. (mehr …)

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CfA: Doktorandenkonferenz „(Re)searching Power: Emerging Approaches Across Disciplines“ (Wien)

Vom 17. bis 19. April findet an der Central European University in Wien eine Doktorandenkonferenz mit dem Titel „(Re)searching Power: Emerging Approaches Across Disciplines“ statt. Konferenzsprache ist Englisch.

Gegenstand der Konferenz ist Macht in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen in sozialen und politischen Beziehungen: Vom Individuum bis zur Gesellschaft, vom Klassenzimmer bis zur Konfliktzone, von Autokrat*innen bis zur Künstlichen Intelligenz – erwünscht sind Beiträge, welche die Idee der Macht im weitesten Sinne problematisieren.

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Im Spiegel des Personalen und des Subjektiven – Ein Bericht zur Frühjahrstagung der DVPW-Sektion Politische Theorie und Ideengeschichte an der RWTH Aachen

Gegenwärtige politische Herausforderungen wie die Klima- und Umweltkrise, die Covid-19-Pandemie, aber auch gesellschaftliche Kontroversen um Identitätspolitik, Feminismus und Postkolonialismus lösen eine Befragung etablierter Verständnisse von Subjektivität und Personalität aus. Diese aktuellen politiktheoretischen Debatten mit den grundsätzlichen Fragen nach den Begriffen des Subjektes und der Person zu verbinden, war das Ziel der Frühjahrstagung Personen und Subjekte des Politischen der Sektion für Politische Theorie und Ideengeschichte in der DVPW, die – organisiert von Michel Dormal, Jürgen Förster, Emanuel Richter und Hans-Jörg Sigwart – vom 23. – 25. März 2022 an der RWTH Aachen stattfand. (mehr …)

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Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2021: Dagmar Herzog über „Eugenische Phantasmen: Behinderung, Macht, Moral“

Das Frankfurter Institut für Sozialforschung lädt zu den Adorno-Vorlesungen 2021 ein, die in Kooperation mit dem Suhrkamp-Verlag veranstaltet werden. Dieses Jahr liest Dagmar Herzog (Graduate Center, City University of New York) zum Thema „Eugenische Phantasmen: Behinderung, Macht, Moral“, und zwar an folgenden Terminen: (mehr …)

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Konferenz „Violence & Power“ (Hamburg, 26.-28. Mai)

Vom 26. bis 28. Mai 2021 findet an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg (bzw., wie immer dieser Tage: im digitalen Raum) die zweite Jahrestagung der Societas Aperta Feminarum in Iuris Theoria (SAFI) statt. Unter dem Titel „Violence & Power“ haben die Organisatorinnen Sabrina Zucca-Soest, Kristin Y. Albrecht und Claudia Wirsing ein vielversprechendes Programm mit deutsch- und englischsprachigen Beiträgen zusammengestellt – das sich, ebenso wie Hinweise zu Anmeldung und Teilnahme, hier findet.

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CfP: „Gewalt“ (Hamburg)

Für die zweite Jahrestagung der Societas Aperta Feminarum in Iuris Theoria (SAFI), die am 27. und 28. Mai 2021 an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg zum Thema „Gewalt“ stattfinden wird, werden noch Beitragsvorschläge gesucht. Dabei sind mit Blick auf den fokussierten Zusammenhang von Gewalt, Macht und Recht aus allen Disziplinen Beiträge erwünscht, auf deren Basis dann ein transdisziplinäres Gespräch angestrebt wird. Die Tagung ist als Hybridveranstaltung geplant, die Publikation einer Auswahl der Beiträge wird angestrebt. Beitragsvorschläge auf Deutsch oder Englisch im Umfang von bis zu 500 Wörtern können noch bis zum 31.03.2021 an Sabrina Zucca-Soest geschickt werden. Der vollständige Call for Papers findet sich hier.

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