KRITIK UND CORONA-KRISE

Die „Corona-Krise“ ist allgegenwärtig. Doch wer von Krise spricht, sollte von Politik nicht schweigen. In seiner öffentlichkeitshistoriographischen Studie Kritik und Krise bestimmte der Geisteswissenschaftler Reinhart Koselleck Krise als eine Lage, die ihrer Überwindung zustrebt, ohne dass verlässlich angegeben werden könnte, ob sich überhaupt umsetzbare Lösungsansätze dafür finden und tatsächlich eignen. Eine Krise immerhin endet so oder so, die Frage ist nur wann und wie. Es liege „im Wesen einer Krise“, so Koselleck, „daß eine Entscheidung fällig ist, aber noch nicht gefallen. Und es gehört ebenso zur Krise, daß offen bleibt, welche Entscheidung fällt.“

Der bekanntlich vom Ausnahmezustands- und dezisionistischen Politiktheoretiker Carl Schmitt inspirierte Koselleck wusste, dass jede öffentliche Behandlung einer „Krise“ ihrerseits immer schon Folge einer politischen Festlegung ist: der Feststellung des Krisenzustands. Und noch genauer besehen setzt die Entschlossenheit, sich der Krisenbearbeitung durch beschleunigende Zuspitzung oder aber durch therapeutische Reformen anzunehmen, zwei politische Entscheidungen voraus. Erstens, dass die als „Krise“ bezeichneten Phänomene überhaupt in einem politischen Deutungsrahmen beschrieben werden sollen. Zweitens, dass diese Phänomene durch die Erzwingung kollektiver Verbindlichkeit der für geeignet erachteten Maßnahmen wenigstens partiell zu behandeln seien. (mehr …)

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