Die in Lettland geborene amerikanische Philosophin Judith Shklar bezeichnet ihre Auseinandersetzung mit politischer Verpflichtung und Loyalität als „Dialog zwischen einer Exilantin und einem Staatsbürger“. In der Kontrastierung der auch in der politischen Philosophie marginalisierten Perspektive der Exilierten zeigt sich erneut Shklars Gespür für die Spannungsfelder der politischen Philosophie. Im von Hannes Bajohr übersetzten und herausgegebenen Sammelband Verpflichtung, Loyalität, Exil (Mattes & Seitz Berlin, 2019) untersucht Shklar in zwei Essays ihres Spätwerks die unterschiedlichen Funktionslogiken der Begriffe „Loyalität“ und „Verpflichtung“. Wie der Herausgeber in der Vorbemerkung betont, ist die Frage nach politischer Loyalität und Verpflichtung sowohl in den USA als auch in der EU hochaktuell: Shklar zufolge werden in politischen Debatten um die Integration von Exilierten die systematischen Unterschiede zwischen Loyalität und Verpflichtung verwischt – und damit die Grenzen dessen, was der liberale Staat legitimerweise überhaupt von seinen Bürger*innen verlangen kann. Die Forderung nach einer – vorgeblich liberalen – „Leitkultur“ beispielsweise kann unter diesem Blickwinkel nur als kritikwürdig gelten. Die begriffliche Analyse bleibt damit nicht bloß eine philosophische Fingerübung, sondern wird direkt auf ihre politischen Implikationen hin untersucht – eine Rückbindung ganz im Sinne realistischer Ansätze der politischen Philosophie.
Hannes Bajohr
Mut zur Skepsis. Judith Shklar über Rechte im liberalen politischen Denken
Lesenotiz zu Judith Shklar, Der Liberalismus der Rechte, übersetzt und eingeleitet von Hannes Bajohr, Matthes & Seitz 2017.
Judith Shklar ist dem deutschsprachigen Lesepublikum vor allem für ihren Liberalismus der Furcht bekannt; bisher lagen auf Deutsch mit einem gleichnamigen Band, mit Ganz normale Laster und mit Über Ungerechtigkeit lediglich Texte aus dieser Phase von Shklars facettenreichem Werk vor. Mit dem nun erschienen Büchlein Der Liberalismus der Rechte schaffen Hannes Bajohr als Übersetzer und der Berliner Verlag Matthes & Seitz Aufmerksamkeit dafür, dass es in Shklars politischer Theorie auch darüber hinaus viel zu entdecken gibt. (mehr …)
„Gegen Philosophie hilft nur Philosophie“ – Lesenotiz zur neuen Ausgabe von HannahArendt.net – Zeitschrift für politisches Denken
Unter dem recht beliebigen Titel Recht und Gerechtigkeit hat soeben eine neue Ausgabe der unregelmäßig erscheinenden Online-Zeitschrift HannahArendt.net das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Der bunte Strauß dabei berücksichtigter Themen ist allemal eine neue Lesenotiz wert. Wir konzentrieren uns auf die Artikel von Hannes Bajohr, Harald Bluhm, Anna Jurkevics sowie von Francesca Raimondi und sparen dabei mindestens ebenso lesenswerte Beiträge aus – darunter Tagungsberichte, etwa zum jüngsten Hannah-Arendt-Workshop in Trier, und Rezensionen, etwa zu Quentin Skinners „Die drei Körper des Staates“ und zu Francesca Raimondis vergleichender Studie über Carl Schmitts und Hannah Arendts Verständnis politischer Freiheit. Und nur kurz hingewiesen sei zudem auf Tania Manchenos Beitrag zu Hannah Arendt on the „stateless“-condition, der sich mittels einer Gegenüberstellung von „Nomos“ und „Natalität“ der eminenten Gegenwartsfrage der Produktion von Staatenlosigkeit widmet. Durch die Fokussierung auf den im Deutschen schmittianisch infizierten Begriff „Nomos“ nämlich fügt sich der Artikel unwillkürlich in verschiedentliche andere Richtungen des restlichen Heftes ein. So gibt der in manchen Übersetzungen verschleierte Umstand, dass Arendt im Englischen den antike-griechischen Traditionsbegriff nomos im Deutschen als antike-römischen Terminus Recht führt, dem mit Recht und Gerechtigkeit überschriebenen Gesamtheft eine besondere Note. Arendt, so scheint es einmal mehr, wird im Klassikerkampf der gegenwärtigen Rezeptionsdiskurse offenbar zunehmend an der Seite Carl Schmitts gelesen. Beider Nachkriegswerke sollen sich spiegeln. (mehr …)
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