Oliver Dimbath und Nicole Hoffmann planen derzeit einen forschungsorientierten Sammelband mit dem Arbeitstitel „Crossing lines… – Interdisziplinäre und feldübergreifende Grenzgänge am Beispiel von Jane Addams“, durch den insbesondere eine Beleuchtung und Würdigung von Jane Addams als Pionierin von Inter- und Transdiziplinarität verfolgt werden soll. Erklärtes Ziel des Bandes ist es insofern, das vielfältige Wirken von Jane Addams als einer im deutschen Sprachraum kaum bekannten Forscherin und Aktivistin mit Akzent auf die historisch zu erörternde Frage zu beleuchten, wie damals Inter- bzw. Transdisziplinarität sowie feld- oder professionsübergreifende Zusammenarbeit möglich bzw. welche Strukturmuster der Grenzüberschreitung prägend waren – und welche Rückschlüsse daraus ggf. für die Gegenwart abzuleiten sind. Nicht zuletzt, wo die auf Addams Sicht zu ‚überschreitenden Linien‘ unter anderem Schranken des Geschlechts, der Bildung, der Klasse oder der Herkunft, gesellschaftliche Hürden ,nationalstaatlich politische oder systemisch feldspezifische Schranken, Scheidelinien professioneller Zuständigkeit oder auch Denkstile bzw. Konventionen umfassen, dürften sich Leser:innen des Theorieblog definitiv angesprochen fühlen. Beitragsvorschläge sollten bis zum 30.10. eingereicht werden, die finale Abgabe der ausgewählten Beiträge ist für das Frühjahr 2024 geplant. Weitere Informationen hierzu wie auch zum geplanten Band insgesamt finden sich hier.
Grenzen
Sorge an den Grenzen Europas
Nach vielfältigen Beiträgen unserer Debatte um den Begriff der Sorge diskutiert Jasmin Behrends zum Abschluss Sorge als universelle zwischenmenschliche Praxis und rückt dabei die Situation an den EU-Außengrenzen ins Blickfeld.
Vielen ist das Thema Sorge, Fürsorge oder Care in deutschsprachigen, sozialwissenschaftlichen Debatten als eine Kernfrage feministischer Politik bekannt, welche häufig entlang vergeschlechtlichter Ungleichheitsverhältnisse in klassisch feminisierten und gesellschaftlich abgewerteten Arbeitsbereichen der Kinderbetreuung, der Pflege, der Bildung und der Hausarbeit diskutiert wird. Neben diesen etablierten Care-Debatten zeigen aktuelle Werke wie das Care Manifesto des The Care Collective wie der Strang der Care-Ethik aus der feministischen Moralphilosophie einen anderen, universellen Sorgebegriff prägt. Die Autor:innen Joan C. Tronto und Berenice Fisher betrachten Sorge auf diese Weise als ubiquitäre Handlung, die sich in einer Vielzahl unserer alltäglichen Praktiken wiederfinden lässt und eine essenzielle Grundlage menschlichen Lebens in einer interdependenten Welt ist. Ausgehend von einem Begriff der Sorge, der diese als universelle zwischenmenschliche Praxis versteht und das Aufeinander-angewiesen-sein als lebensnotwendig in den Vordergrund theoretischer Überlegungen stellt, lässt sich aus einer machtkritischen Perspektive die Frage diskutieren: wer kümmert sich in einer bestimmten Situation / Konstellation um wen und wer wird von Sorge ausgeschlossen?
Vortragsreihe: „Die Auflösung des liberalen Konsenses“ (Freiburg)
An der Universität Freiburg wird in diesem Wintersemester die Vortragsreihe zur kritischen Rechtstheorie fortgesetzt, die der Lehrstuhl für Politische Theorie, Philosophie und Ideengeschichte und das Colloquium politicum seit dem Sommersemester veranstalten. In diesem Semester bildet „Die Auflösung des liberalen Konsenses“ das übergeordnete Thema der Vortragsreihe. Den Auftakt macht am 26.11.2019 Svenja Ahlhaus mit einem Vortrag über „Demokratie, Grenzen und Mitgliedschaft“. Am 13.01.2020 spricht Jelena von Achenbach über „Geschlecht und demokratische Repräsentation unter dem Grundgesetz“ und am 27.01.2020 trägt Elisabeth Holzleithner vor (Vortragstitel bisher noch nicht bekannt). Zusätzlich zum Vortrag findet jeweils ein Workshop statt, zu dem man sich anmelden kann. Alle Informationen und Abstracts zu den ersten Vorträgen finden sich hier.
Solidarität als normativer und analytischer Begriff
— Nachdem Hermann-Josef Große-Krachts Plädoyer, Solidarität zu ent-emotionalisieren, und Alexander Struwes Auseinandersetzung mit der Idee emanzipatorischer Solidarität unsere Solidaritäts!?-Debatte eröffnet haben, blickt Ulf Tranow heute systematisierend auf den Begriff der Solidarität, seine analytischen und normativen Dimensionen. —
Kaum eine Debatte über die Klimakrise, den Sozialstaat, die Migrationsfrage oder die Verfasstheit der EU kommt ohne Thematisierung von Solidaritätsfragen aus. Trotz dieser Omnipräsenz tut sich die politische Theorie schwer mit der Solidarität. Im Unterschied zu Freiheit und Gleichheit steht Solidarität unter Verdacht, nicht sonderlich theoriefähig zu sein (Münkler 2004). Dieses mag daran liegen, dass die neuzeitliche Ethik primär an der Formulierung universeller Normen interessiert ist, Solidarität aber einen partikularen Charakter hat (Bayertz 1998). In der Soziologie ist die Ausgangslage eine andere. Solidarität gilt seit Durkheim (1992 [1892]) als Schlüsselbegriff des Fachs. Allerdings wird Solidarität in der Durkheimschen Tradition ganz allgemein mit sozialer Kohäsion identifiziert, wodurch der Begriff analytisch unscharf bleibt und sich nicht unmittelbar mit den Solidaritätsfragen im politischen Diskurs verknüpfen lässt.
Trotz dieser Schwierigkeiten möchte ich dafür plädieren, Solidarität als Grundbegriff der politischen Theorie und Soziologie zu begreifen. Denn er hat das Potential, Fragen aufzuwerfen und Probleme zu konturieren, die sowohl für normative als auch empirische Auseinandersetzungen mit dem Politischen höchst relevant sind. Um dieses Potential auszuschöpfen, bedarf es allerdings eines Begriffs von Solidarität, der diesen mit substantiellen Inhalten verknüpft und zugleich offen hält für eine Vielfalt an Problemstellungen. Im Folgenden werde ich einen solchen Solidaritätsbegriff vorschlagen und zwei wesentliche Themenkomplexe anreißen, die aus ihm erwachsen: (1) Was sind Mechanismen der Grenzziehung von Solidarität und welche ethischen Fragen sind mit ihnen verknüpft? (2) Wo sind politische Gemeinschaften mit Solidaritätsdilemmata konfrontiert und welche ethischen Problemstellungen werfen sie auf? (mehr …)
DVPW 2018: Materielle Grenzziehungen der Demokratie – ein Tagungsbericht als Spurensuche
Heute begibt sich unsere Kongressberichtsreihe auf die Zielgerade: Last but not least blicken Sebastian Berg und Ann-Kathrin Koster auf den DVPW-Kongress zurück und zeigen, inwiefern in Frankfurt die materiellen Grenzen der Demokratie diskutiert wurden.
Die Voraussetzungen der Demokratie – technische, ökologische, territoriale oder ökonomische – schienen beinahe im postfundamental turn demokratischer Ungründbarkeit und virtueller Entgrenzung des Digitalen verschwunden gewesen zu sein. Doch die Prekarisierung des einstigen demokratischen Siegeszugs in der Gegenwart realisiert sich auch in Begleitung sozioökonomischer Verteilungsfragen und technischer Entfremdungskritik, so dass für die Politikwissenschaft eine „Wiederkehr der Dinge“ (Balke) konstatiert werden kann, in denen sich Grenzen der Demokratie manifestieren. Auf dem 27. DVPW-Kongress wollten wir daher den materiellen Spuren dieser Grenzziehungen folgen und ihre Bedeutung für die Gegenwartsdiagnosen der Demokratie entlang dreier Dimensionen näher beleuchten: das Materielle als Bedingung, seine Kontrolle sowie als Verlusterfahrung. (mehr …)
Heimat: Identität und Ausgrenzung
Heimat als „ein in keine andere Sprache übersetzbares deutsches Wort“ (Helmut Kohl) ist als politische Parole wie als soziologisches Scheidungskriterium ein bis ins Innerste vergifteter Begriff. Denn der Begriff „Heimat“ hebt als spezifische Sozialkategorie diese von anderen in ihrer historischen Bedeutungsdimension genuin ab und beinhaltet stets eine integrative Verbindung von geografischem Ort und bevölkerungspolitischer Zuschreibung. Insofern inkorporiert der Heimatbegriff eine strukturell völkische Dimension, da Menschen eine nicht-soziale und damit vorpolitische Verbindung mit einem konkreten Raum zugeschrieben wird, der zugleich nicht das subjektive Zugehörigkeitsgefühl betont, sondern eine kollektive Bindung von Menschengruppen an geografische Orte unterstellt.
Heimat?!
Liebe Leser*innen!
Der große Rücklauf zu unserem Call for Blogposts hat uns sehr gefreut und wir freuen uns zugleich, in den nächsten vier Wochen eine vielfältige Auswahl kontroverser Beiträge zu veröffentlichen, die Begriff und Idee der Heimat aus ganz unterschiedlichen politiktheoretischen Perspektive beleuchten, wertschätzen oder kritisieren bzw. Potentiale und Grenzen ausleuchten.
Es werden in den folgenden Wochen jeweils zwei Texte erscheinen. Los geht es mit zwei grundlegenden Beiträgen von Tine Stein und Samuel Salzborn. In der Folge werden spezifischere Beiträge ideengeschichtliche und gegenwärtige theoretische Perspektiven auf unterschiedliche Aspekte des Heimatbegriffs eröffnen bzw. politische Dimensionen und Aspekte der Idee der Heimat reflektieren.
Alle Texte werden wir im Laufe der Zeit – nach dem Klick – in diesem Post vermerken, nicht zuletzt um die Navigation zu vereinfachen.
Wir laden euch an dieser Stelle zudem noch einmal besonders ein, aktiv mitzudiskutieren und die Debatte auch über die Texte hinaus weiterzuführen, um die Lebendigkeit und Relevanz der Politischen Theorie weit(er)hin deutlich zu machen.
Über Rückmeldungen zum Format freuen wir uns – nicht zuletzt, weil wir uns aufgrund der bisher positiven Rückmeldungen überlegen, es auch in Zukunft immer einmal wieder zu nutzen und zugleich weiterzuentwickeln.
DVPW-Kongress 2018 – Ein Überblick
Morgen beginnt in Frankfurt der Kongress der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW). In diesem Jahr finden sich die Politikwissenschaftler*innen unter dem Motto „Grenzen der Demokratie/Frontiers of Democracy“ zusammen. Eine kompakte Übersicht über die Kongressstruktur gibt es hier, das umfangreiche Gesamtprogramm ist hier als pdf einsehbar. Wer sich einzelne Paper herunterladen möchte, kann sich in die virtuelle Paper-Library begeben. Zum Einstieg in die Kongress-Tage geben wir hier einen Überblick über das Programm und weisen auf einzelne Veranstaltungen hin, die für politische Theoretiker*innen und den „Nachwuchs“ der Disziplin besonders wichtig zu sein versprechen. Da uns dabei natürlich das eine oder andere aus dem Blick geraten sein kann, laden wir dazu ein, weitere Hinweise in den Kommentaren zu ergänzen. (mehr …)
Call for Blogposts: Heimat!?
“Heimat!” Der Begriff bzw. die Idee wird in jüngster Zeit in politischen Debatten und Auseinandersetzungen, aber auch in der weiteren Öffentlichkeit verstärkt verwendet und ist zugleich Gegenstand und Mittel heftiger Auseinandersetzungen. Politiker*innen unterschiedlicher Parteien haben den Begriff entdeckt, auch um die Sehnsucht der Bürger*innen “nach Sicherheit, nach Entschleunigung, nach Zusammenhalt und vor allen Dingen Anerkennung … nicht den Nationalisten zu überlassen”, wie es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ausgedrückt hat. Heimat – der Begriff soll hier guten Patriotismus von schlechtem Nationalismus scheiden, die Gefühle der Bürger*innen ernst nehmen, gesellschaftlicher Vielfalt Ausdruck geben, in die Zukunft weisen, aus der Sackgasse der Leitkultur-Debatte herausführen – und das am besten alles zugleich.
Soviel begriffspolitische Hoffnung macht gleichwohl misstrauisch. Denn der Begriff bleibt ambivalent. Er dient der Identifikation und der Abgrenzung, will Sicherheit vermitteln und ruft zugleich Unbehagen hervor: In einem jüngst zirkulierten offenen Brief mit dem Titel “Solidarität statt Heimat” etwa wandten sich die Unterzeichner*innen – darunter auch eine Reihe von Politiktheoretiker*Innen – gegen “weltfremde Phantasien […] wohligen Privatglücks” und warnten vor einer Diffusion rechten Gedankengutes in die politische Mitte. Vermittelnde Positionen – wie der Versuch den Begriff “Heimat” mit “Vielfalt” und “Weltoffenheit” zu assoziieren, so geschehen in einem Artikel von Ferda Ataman – laufen dagegen ihrerseits Gefahr, missverstanden zu werden: So hat ausgerechnet der neue Heimatminister Horst Seehofer den Artikel zum Anlass genommen, den Integrationsgipfel des Kanzleramtes zu boykottieren.
Haben wir es also mit einem neuen politischen Kampfbegriff zu tun? In begriffshistorischer Perspektive wird deutlich, dass eine gewisse Spannung dem modernen Begriffsverständnis bereits inhärent ist. Der moderne Begriff der Heimat zeichnet sich, so schreiben Edoardo Costadura und Klaus Ries in der Einleitung zu einem interdisziplinären Sammelband über “Heimat gestern und heute”, mindestens durch drei Faktoren aus: Er vereint räumliche, zeitliche, soziale und kulturelle Dimensionen, ist also multidimensional. Er kennzeichnet ein reaktives Phänomen, nämlich die Reaktion auf Modernisierungs- und Transformationsumbrüche und bringt nicht selten eine Verlusterfahrung zum Ausdruck. Und er ist zugleich ein Reflexionsbegriff, der eine kollektive oder individuelle Selbstreflexion markiert.
Vor diesem Hintergrund möchten wir uns im Spätsommer bzw. Herbst aus politiktheoretischer Perspektive mit dem Begriff der Heimat auseinandersetzen und laden deshalb dazu ein, Blogposts einzureichen, die das Thema bzw. die Idee pointiert aus unterschiedlichen ideengeschichtlichen, politiktheoretischen oder politikphilosophischen Perspektiven beleuchten und erkunden, wertschätzen und erhellen oder fundiert kritisieren:
CfP: Transformations of Citizenship in Graz
Ein Workshop vom 20. bis 21. November im schönen Graz befasst sich mit Transformationen von Bürgerschaft: Hat deren Bedeutung abgenommen, wie haben sich ihre Formen und Manifestationen verändert? Paper-Einreichungen sind noch bis zum 1. Juli möglich, alle Infos finden sich hier.
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