Am 14. und 15. November organisiert der Lehrstuhl Theorie der Politik an der Humboldt-Universität zu Berlin in Kooperation mit der Pontifical Catholic University of Rio de Janeiro eine Konferenz zum Thema: „Decolonizing Epistemologies: Learning from and with Social Movements in Brazil“. Es geht um Fragen wie: Wie kann man sich dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit aus der Perspektive derjenigen nähern, die unter rassistischer staatlicher Gewalt und Umweltzerstörung leiden und sich dagegen wehren? Was bedeuten Begriffe wie „Konstitutionalismus“, „Gerechtigkeit“ und „Recht“, wenn man eine „weiße, eurozentrische Perspektive“ durch feministische oder indigene Sichtweisen ersetzt? Veranstaltungsort ist das Auditorium des Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentru
Globaler Konstitutionalismus
Der Geschmack der Richter. Lesenotiz zu Sabine Müller-Malls „Verfassende Urteile“
1964 führte der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung „Costa/E.N.E.L.“ den Anwendungsvorrang des europäischen Gemeinschaftsrechts ein – ein Prinzip, welches nicht im damaligen EWG-Vertrag auftauchte, sondern vom Gericht aus dem Sinn und Zweck der Gemeinschaftsordnung abgeleitet wurde. Das Problem, wie es sich innerjuristisch rechtfertigen lässt, wenn Gerichte demokratisch gesetztes Recht nicht nur anwenden, sondern dessen Geltungsumfang durch ihre Urteile auch ausweiten, beschäftigt die deutschsprachige Rechtstheorie wohl schon mindestens seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Dass dieser Frage auch eine demokratietheoretische Dimension immanent ist, tritt spätestens mit der wachsenden Bedeutung derart „expansiver“ Urteile für den selbstständigen Ausbau inter- und transnationaler Organisationen offen zutage: Woher bezieht ein Gericht schließlich die demokratische Legitimation, die verfassungsrechtlichen Grenzen der Politik nicht nur zu überprüfen, sondern selbst neu zu fassen? Sabine Müller-Mall begegnet dieser Fragestellung nun in „Verfassende Urteile“ mit einer prozessorientierten Perspektive: Nicht die Legitimation der Institution des Gerichtes ist ihr Ansatzpunkt, sondern der Prozess des Urteilens, welcher als solcher stets expansiv ist (S. 11). In der Konsequenz verbergen sich damit tatsächlich zwei, gelungen ineinander geschobene Werke in diesem Buch: eine Verfassungstheorie der Konstitutionalisierung und eine Rechtstheorie des Urteils.
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